Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Montag, 2. Februar 2009
Goethe: Italienische Reise
„Vor gedachtem* Ort beginnt die treffliche Chaussee von Granitsand;...“
( Goethe: Italienische Reise S. 14)

Wie würde so ein Satz heute klingen:

Am Frankfurter Tor beginnt die treffliche Chaussee von Makadam, die uns nach Hoppegarten und ins Märkische führt?

Makadam war in meiner Kindheit im Württembergischen die allgemeine Bezeichnung für den Strassenbelag Asphalt.
(* übrigens: „vor gedacht“ meint: an dem Ort, an dem man zuvor war, den man vorher erwähnt hatte.)

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Freitag, 30. Januar 2009
Kampfkatze
Der kleine, grüne Grashüpper, der auf der Fußmatte im Bad liegt, hat es bedauert unsere Wohnung betreten zu haben.

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Donnerstag, 29. Januar 2009
Winterliche Kopfbedeckungen, heute: Der Bienenkorbhut
Eine ältere, die Mitreisenden streng musternde Dame am Sennefelder Platz: braune Würste aus Kunstpelz sich verjüngend aufeinander genäht.

Schnurrdiburr, ob es diese Bienenkörbe wirklich gegeben hat?
„Einer erzehlete / daß er in einem Land gewesen / darinn die Bienen denen Schaafen an der Grösse nichts nachgeben thäten / und daß doch die Bien- Körbe nicht grösser als in unseren Landen wären: Einer aber fragte ihn / wie dann so grosse Bienen in dieselbe kommen könten? da antwortete er / da laß ich sie davor sorgen.“
(Hilarius Salustius: MELANCHOLINI, 1717)

Das erinnert mich an einen mittelschlanken leitenden Senatsbeamten, der intern ‚das Bienenkörbchen‘ hieß, weil er sein schütter-lockicht-schwitziges Haar auf Ohrlänge akkurat abgeschnitten trug. In anderen Zusammenhängen und aus anderen Gründen, wurde er ‚die Made’ genannt.

Gab es nicht mal eine Punkband, deren Sänger Johann Bienenkorb hieß?

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Mittwoch, 28. Januar 2009
Naslöcher I
Klemperer 16. November 1922
Ein Mann mit „verwundert aufgerissenen Naslöchern “.
Ja, Naslöcher sind auch so ein Thema.
Bewaldet werden sie wohl nicht gewesen sein, die Nasenlöcher dieses Herrn. Stark bewachsene sehen immer wie eine fleischfressende Pflanze aus, die einen zu verschlingen droht: Feed me!
‚Verwundert‘ hingegen, deutet eher auf nackte, sehr große Löcher in einer riesigen roten Nase hin. Die Nasenspitze müsste leicht nach oben geneigt sein, sodass Nasenlöcher und Augen in auffallender Symmetrie das Gesicht prägen. ‚Aufgerissen‘ erscheinen sie wohl durch das Zurücknehmen des Kopfes bei gleichzeitigem Heben der Augenbrauen? Sonst kann der Eindruck nicht entstehen. Das reine Flämen (des Flamen, des Anbläsers der Römer, der allerdings seine Nase dazu nicht nutzte), das Nasenblähen verwundert ja nicht.
Im Übrigen fragte sich ja schon Jean Paul:
„Sollte nicht auch ein Nasenloch besser riechen als das andere?“

( Jean Paul Ideengewimmel: [524])
Wie hätte Karl Valentin das wohl formuliert: „Sie, schauen’s nett so verwundert mit ihrer Nas!“ Was könnte man darauf antworten, Sie Nasloch, Sie?

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Dienstag, 27. Januar 2009
Fahrradfahrergeschichten I
Es klingelte hinter mir. Erschrocken sprang ich zur Seite. Leider auf die Seite, an der der Fahrradfahrer an mir vorbei preschen wollte, er wich aus und so wurde die steinerne Balustrade der Oberbaumbrücke zu einem unüberwindbaren Hindernis.
Nein Falsch. Er hat es ja überwunden.

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Montag, 26. Januar 2009
Victor Klemperer
Romanist, seit 1920 Professor in Dresden, war nicht nur ein aufmerksamer Beobachter des politischen Geschehens, sondern auch ein pointierter Stilist. Seine Charakterisierungen von Personen sind (wahrscheinlich) treffend und haben es mir angetan:

8.2.1920
„..., eine kleine dicke Blondine, reizlos mit knalligem Gesicht, dabei laut und etwas eitel.“

Oder:

15. Januar 1922
„..., eines mittelalterlichen schlanken langnasigen schielenden Mannes.“

Mit Kommata wäre es nicht halb so faszinierend.
Und zum vorläufigen Schluss:

5. Mai 1922
„Er sah im Frack aus wie ein dummer u. dicker Scharfrichter, ...“

(Victor Klemperer Tagebücher)
gefällt mir. Schön, nicht?

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Freitag, 23. Januar 2009
Fundstuecke 4. KW 2009
Hintergründe und Sichtweisen:
  • Der historische Kapitalismus, ein System unendlicher Akkumulation, ist nur dort entstanden, wo die kapitalistische Klasse mit der Staatsmacht verschmolz. Ohne staatliche Gewalt kein Kapitalismus. via nightline
  • Literatur und Megastädte
  • via Alligatorpapiere
  • Michael Sturm: Rezension zu: Dams, Carsten; Dönecke, Klaus; Köhler, Thomas (Hrsg.): "Dienst am Volk"? Düsseldorfer Polizisten zwischen Demokratie und Diktatur. Frankfurt am Main 2007. In: H-Soz-u-Kult, 20.01.2009 via NuT


  • kluges und interessantes:
  • Slow Blogging
  • Jean Giraudouxs erinnerte biografische Momentaufnahmen entspringen der doppelten Buchführung seines Lebens zwischen Provinz & mondialer Diplomatie.
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    Donnerstag, 22. Januar 2009
    ‚Wie werden ihre Figuren geboren?‘
    “Was mich angeht, der ich seit Stunden regungslos in meiner Hängematte vor mich hin träume ( ... ), so denke ich über die Frage nach, die Romanschriftstellern manchmal gestellt wird: ‚Wie werden ihre Figuren geboren?‘
    So. Aus der unvorhersehbaren und zwingenden Verknüpfung dessen, was das Sujet verlangt und der Fluß der Erzählung erforderlich macht, was das Leben abgelagert hat und die Zufälle des Träumens anspülen, was die Geheimnisse eines launischen Gedächtnisses zutage fördern und die Ereignisse, Lektüren, Bilder und Menschen hinterlassen haben ...
    Im Übrigen ist die Geburt der Figuren von geringer Bedeutung, was zählt, ist ihre Fähigkeit, auf der Stelle zu existieren. In den Augen des Lesers werden die Figuren nicht ‚geboren‘, sie existieren, sobald sie im Text auftauchen. Keine Geburt, kein Wachstum, kein Reifen - nur eine einzige Aufgabe: auf Anhieb dazusein. Sie können natürlich im Laufe der Seiten an Dichte gewinnen, aber zuerst gilt: ‚dasein‘. Doch ist eine Figur nur dann wirklich da, wenn sie der entscheidenden Wendung in der Handlung, die ihr Auftreten notwendig gemacht hat, und der Funktion, die sie definieren soll, entkommt, mit einem Wort: wenn sie den Fäden, die der Autor zu ziehen glaubt, entkommt.”


    ( Daniel Pennac Der Diktator und die Hängematte S. 232)

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    Mittwoch, 21. Januar 2009
    Warum ausgerechnet Dubai?
    In der S-Bahn:
    „Nach Dubai würd‘ ich nur fahren, wenn ich ein völlig super duper Hotel hätte.“
    „Ist aber teuer! Warum tut’s nicht auch ein Mittelklassehotel? Tagsüber ist man doch eh unterwegs.“
    „Aber nich‘ in Dubai, da kannste nur abhängen, sonst is‘ da nix.“

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    Dienstag, 20. Januar 2009
    Jean Paul Seebuch
    Letzte Fahrt ,
    worin Giannozzo durch Krieg und Gewitter zu Tode kommt und das Journal ein Ende findet.
    „Ein Windstoß warf mich plötzlich mitten über die wolkige Brandstätte voll Waffenglanz; ich riss die Lufthähne auf und vergrub mich in den Dampf, worin nur das Basiliskenauge des Todes seine heißen Silberblicke auf- und zutat. – Ich war nicht nahe und tief genug am Blinken der Bajonette – am Feuerregen des Geschützes – am Blutregen auf der Erde – an den Stimmen der Pein – an der weißen Gestalt des Verblutens – Nur die sanfte Musik , die Heroldin des Seufzers aus Liebe und der Träne aus Freude, musste unten im Jammer sprechen wie ein Hohn, und die Heerpauke der Kartaunen schlug mit Erdstößen in die weichen, guten Töne, und die Trommel-Wirbel des kleinen Geschützes gingen fort.“

    ( Jean Paul Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch
    1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.13. letzte Fahrt)

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    Montag, 19. Januar 2009
    Deutschland 1919/6
    "Wir dachten unter kaiserlichem Zwange
    an eine Republik ... und nun ist's die!
    Man möchte immer eine große Lange,
    und dann bekommt man eine kleine Dicke - Ssälawih!“

    (Kurt Tucholsky)

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    Freitag, 16. Januar 2009
    Fundstuecke 1. – 3. KW 2009
    Hintergründe und Sichtweisen:
  • "Aktion Arbeitsscheu"
  • via NIGHTLINE
  • Dobler, Jens: Zwischen Duldungspolitik und Verbrechensbekämpfung. Homosexuellenverfolgung durch die Berliner Polizei von 1848 bis 1933 Rezension


  • amüsantes:
  • Angstkrankheiten
  • via Astrid Paprotta dazu: Hellenologophobie

    kluges und interessantes:
  • Madoff und die Jewish Mobsters
  • Ach, du Sündige (Babylon)
  • via NIGHTLINE
  • Harald Welzer Die Finanzkrise als Epochenwandel
  • Über Trash und die Bildzeitung
  • Thomas Rothschild: Selbstherrliche Unbeirrbarkeit
    "Die Protagonisten mit der K-Gruppen-Biographie, die sich auf erstaunliche Weise ähneln, haben sich damals, als sie sich Kommunisten nannten, durch besonderen Dogmatismus und auffallende Humorlosigkeit ausgezeichnet, und darin sind sie sich als Bekämpfer ihrer einstigen Überzeugungen gleich geblieben."
  • Über den Landwehrkanal
  • historische Friedhöfe in Berlin
  • Dichterlesungen bei Youtube
  • via Nut

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    Donnerstag, 15. Januar 2009
    Deutschland 1919/5
    17.1.1919
    „Man hat heute die Leipziger N.N. gestürmt u. gezwungen, ein Extrablatt zu veröffentlichen u. zu verteilen: ‚Wir verurteilen hiermit auf das entschiedenste die Ermordung Liebknechts u. Rosa Luxemburgs u. erklären, daß diese Zustände nur unter der Regierung Ebert-Scheidemann einreißen konnten.’ Man hat die Abendausgaben der N.N. u. des Leipziger Tgbl’s verbrannt. Im Caféhaus schimpfte uns gegenüber ein ganz anständig aussehender Mann, der sich als Mehrheitssocialist gab, maßlos auf die Neuesten. Diese übrigens, genau wie andere bürgerliche Blätter, verurteilten durchaus das Lynchverfahren. Nur die ‚Tägliche Rundschau’ triumphiert aus widerlichste, es sei gerechte Sühne an der ‚Galizierin’ vollzogen worden.“

    (Victor Klemperer Tagebücher)
    Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Freikorpsoffizieren ermordet. Der Machtkampf war damit auf die widerwärtigste Weise beendet.

    Denkmal für Karl Liebknecht im Tiergarten

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    Mittwoch, 14. Januar 2009
    Zug fahren und wegträumen
    Felder im eisigen Dunst, zusammenbrechende Schweineställe einer zusammengebrochenen LPG, eine Brücke ohne Strasse, darum aufgebrochene Erde, verschorft, Reif auf verletzter Landschaft.
    Im Sommer das Gelb der Rapsfelder, Ölbauern, Energiewirte mit neuen Treckern.

    Baumäcker mit Fichten, Baumäcker mit Kiefern.
    Ein Wäldchen, ein Tümpel, ein Wegrain, Vogelbeeren, Hagebutten, Quitten, Sanddornbüsche.

    Bernau, Eberswalde, Anklam, Greifswald, Züssow, Stralsund.
    Märkische Ortschaften, Hansestädte.

    Über den Rügendamm auf eine Sanddüne im Meer.

    Eine Sächsin, die einem ungefragt ihr Leben erzählt, unerfreulich bemerkbar: einsam und an ihren Mitreisenden nur als Zuhörer interessiert.

    Die Augen schließen, die Assoziationen fließen lassen, Unfreundlichkeit aus Not.
    Slawische Ortsnamen, kein dreiköpfiger Triglaw weit und breit.

    Es hilft nichts, ab Stralsund gibt es kein Entkommen.

    Die Sächsin, die unter den Schwaben nicht begraben sein wollte und für die Russen nichts übrig hat, die die Mitgliedschaft in der DSF verweigerte, weil sie ihren Vater 1945 mit Lupinensuppe getötet haben.
    Das Leben als Last und selten als Freude. Das Einzelne für das Ganze nehmen und Last auf Last türmen. Freude nur mit sich, so muss man einsam werden.

    Bergen auf Rügen:
    „So! Jetzt haben wir uns doch noch unterhalten, obwohl Sie die Augen geschlossen hatten.“


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