Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Zug fahren und wegträumen
Felder im eisigen Dunst, zusammenbrechende Schweineställe einer zusammengebrochenen LPG, eine Brücke ohne Strasse, darum aufgebrochene Erde, verschorft, Reif auf verletzter Landschaft.
Im Sommer das Gelb der Rapsfelder, Ölbauern, Energiewirte mit neuen Treckern.

Baumäcker mit Fichten, Baumäcker mit Kiefern.
Ein Wäldchen, ein Tümpel, ein Wegrain, Vogelbeeren, Hagebutten, Quitten, Sanddornbüsche.

Bernau, Eberswalde, Anklam, Greifswald, Züssow, Stralsund.
Märkische Ortschaften, Hansestädte.

Über den Rügendamm auf eine Sanddüne im Meer.

Eine Sächsin, die einem ungefragt ihr Leben erzählt, unerfreulich bemerkbar: einsam und an ihren Mitreisenden nur als Zuhörer interessiert.

Die Augen schließen, die Assoziationen fließen lassen, Unfreundlichkeit aus Not.
Slawische Ortsnamen, kein dreiköpfiger Triglaw weit und breit.

Es hilft nichts, ab Stralsund gibt es kein Entkommen.

Die Sächsin, die unter den Schwaben nicht begraben sein wollte und für die Russen nichts übrig hat, die die Mitgliedschaft in der DSF verweigerte, weil sie ihren Vater 1945 mit Lupinensuppe getötet haben.
Das Leben als Last und selten als Freude. Das Einzelne für das Ganze nehmen und Last auf Last türmen. Freude nur mit sich, so muss man einsam werden.

Bergen auf Rügen:
„So! Jetzt haben wir uns doch noch unterhalten, obwohl Sie die Augen geschlossen hatten.“


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g., Mittwoch, 14. Januar 2009, 11:34
In Binz
habe ich dann in der 'Brigitte' einen Artikel von Katja Lange-Müller (Ja, zwanzig Jahre Wiedervereinigung steht an. Jubiläen sind sehr beliebt. Da gibt es kein Entkommen, auch Michael Jürgs wird einem nicht erspart bleiben.) über ihre Erfahrungen in Ost- und Westdeutschland gelesen. Katja Lange-Müller, Autorin, als Tochter hochrangiger SED-Funktionäre aufgewachsen, verließ 1984 die DDR und beschreibt den Mentalitätsunterschied zwischen Ost und West so:

„Sie (d.h. die Westbekannten) fragten mich Löcher in den Bauch, wie Frauen im Osten denn ihre Kinder behandeln und warum sie so früh heiraten würden, ob sie sich schminken und wenn ja, womit ..., waren aber, was ihre Privatangelegenheiten betraf, ziemlich wortkarg. Ich fand das seltsam, hielt sie einerseits für neugierig, andererseits für zugeknöpft. In der DDR dagegen wurde einem, sobald man den Mantel abgelegt hatte, um hier oder dort einen neuen Job anzufangen, doch auch im Café, in der Kneipe oder auf Partys, brühwarm alles, wirklich alles erzählt: wie oft geschieden, welche Entbindungskomplikationen und welche Probleme mit welchem Liebhaber, ...“
(Brigitte 2/2009).

Ich habe ja so meine Schwierigkeiten mit der Feststellung genereller Besonderheiten irgendwelcher Völkerschaften, da persönliche Eindrücke oft als Schuttabladeplatz für diverse Ressentiments herhalten müssen. Hier decken sich die Erfahrungen, was aber nicht für die Richtigkeit des Urteils spricht. Meist sind solche Zuschreibungen ein assoziatives Sprachspiel, das man tunlichst als solches kenntlich machen sollte.