Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Sonntag, 4. Januar 2015
Kurz vor Heiligabend vor dem KdW
Menschenmassen drängeln sich auf dem Bürgersteig des Tauenzien. Plötzlich bleibt ein Herr, Mitte 60, abrupt vor mir stehen und ruft empört aus:
„Wenn Du nicht weißt, was Du mir kaufen willst, gehe ich keinen Schritt weiter!“
Ich habe es, trotz meiner Verblüffung gerade noch geschafft, rechtzeitig zu bremsen, bevor ich auf ihn aufgelaufen bin. Mein Hintermann schaffte es auch noch, für die Frau hinter ihm war die Reaktionszeit zu knapp. Sie dozte auf meinen Hintermann, ausweichen war in dem Gedränge nicht möglich.

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Dienstag, 8. Juli 2014
Warum sich mein Mitleid mit einigen Selbstmördern in Grenzen hält
Mitte der 70er war ich bei einer Bekannten, die im 8. Stock eines Hochhauses wohnte. Sie hatte sich gerade von ihrem Freund getrennt. Die näheren Umstände der Trennung sind mir nicht mehr in Erinnerung.


Sie war noch sichtlich mitgenommen. Wie das halt so ist, wenn die Verliebtheit zu Ende ist und man anfängt das Gegenüber realer zu sehen. Wahrscheinlich hat sie die Beziehung auch noch länger geführt als Beiden zuträglich war. Aber wie gesagt, an die genaueren Umstände erinnere ich mich nicht mehr.


Nach einer Stunde klingelte es an der Tür. Sie stand auf und sagte:
„Das wird meine Kollegin, die B. sein, die wollte mein Bügeleisen (?) ausleihen.“
Sie öffnete die Tür: „Was willst Du hier?“
Undeutliches Gemurmel.
Sie kam – offensichtlich mit ihrem Ex-Freund – ins Zimmer, setzte sich und brütete in sich hinein, während der Ex mich ignorierte und um die Fortführung der Beziehung bettelte. Nachdem ich mich von der Situation einigermaßen erholt hatte, versuchte ich ihn rauszuschmeißen: Weder das Argument, dass er sich selbst keinen Gefallen tun würde, noch der Hinweis, dass er gefälligst ihre Entscheidung zu akzeptieren habe, drang zu ihm durch. Beide waren am Ende ihrer Kräfte. Kurz bevor ich die Bekannte fragen konnte, ob ich ihn nun endgültig hinauswerfen sollten, schrie sie:
„Hau endlich ab!“
Er zuckte zusammen und murmelte: „Sieh aus dem Fenster. In ein paar Minuten kannst Du mich vorbeifliegen sehen.“
Bevor meine Bekannte realisieren konnte, was er da gerade gesagt hatte, stürmte er aus der Wohnung und knallte die Tür zu.


Er hat seine Ankündigung wahr gemacht.


Seit diesem Vorfall sehe ich genauer hin, wenn von einem Selbstmord berichtet wird: wie viel Bedürfnis nach Demonstration ist erkennbar?


Viele Jahre später habe ich an einer Führung in den U-Bahn-Tunneln der BVG teilgenommen. Unser Betreuer war – möglicherweise hat er die Führung nur ehrenamtlich gemacht – für die Betreuung der Fahrer zuständig, denen jemand vor die Bahn oder den Bus gesprungen ist. Die Fahrer benötigen nach solchen Vorfällen eine umfangreiche psychotherapeutische Unterstützung.

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Donnerstag, 26. Juni 2014
Einschub: Im Schullandheim
Es muss in der Realschule gewesen sein, so gegen Ende der 60er Jahre. Wir fuhren mit unserem Deutschlehrer ins Schullandheim nach Hab-ich-vergessen, irgendwo in der Gegend auf jeden Fall.

Wir kamen an, wurden nach Männlein und Weiblein getrennt untergebracht und vergattert, dass niemals nicht wir das Treppenhaus zum Mädchentrakt auch nur betreten dürften. Wir haben einigen Mädels dann geholfen, ihr Gepäck hoch zu schleppen und wurden prompt zusammen geschissen, obwohl die Mutter eines der Mädchen dabei war. Wenn‘s um Sitte und Moral geht gibt es keine Ausnahmen.

Gegessen wurde an großen Tischen mit 10 - 12 Mann bzw. Frau, denn auch hier galt strikte Geschlechtertrennung. An jedem der Esstische saß auch ein Lehrer bzw. eine Begleitperson. Wahrscheinlich sollten sie beim Essen auch auf Sitte und Anstand achten.

An unserem Tisch hatte sich der Deutschlehrer verspätet. Das Essen war von den Herbergseltern bereits aufgetragen worden und an den anderen Tischen wurde schon gegessen. Wir sahen uns an und diskutierten, ob wir noch warten sollten, aber da wir keinerlei Informationen hatten, ob unser Lehrer sich nur kurz oder länger verspäten würde, beschlossen wir, ebenfalls mit dem Mittagessen zu beginnen. Ich stand auf, um mit dem Schöpflöffel, wie ich es von zuhause gewohnt war, den Eintopf in die Teller der Schüler zu füllen. Wer am günstigsten sitzt, muss austeilen.


„Sag mal, was machst du denn da?“
werde ich vom Lehrer angepöbelt.
Verwirrt sehe ich in an, die Suppenkelle über einen Teller haltend. Was habe ich falsch gemacht?
„Gegessen wird, wenn der Chef da ist.“
So einen Satz hätte mein Vater nie gesagt. Er achtete darauf, dass jeder und jede genug erhält, um satt zu werden.
Ich ließ die Kelle in den Topf gleiten und setzte mich. Die Schüler, die bereits Suppe in ihrem Teller hatten, warteten bis er sich aufgetragen hatte. Dann sagte er:

„So, und jetzt könnt ihr euch nehmen. Merkt euch: zuerst kommt Ich, dann kommt lange nichts und dann dürft ihr euch auftun.“

Einer der anderen Jungs übernahm dann die Verteilung auf die verbliebenen Teller.

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Dienstag, 27. Mai 2014
Im Vorbeigehen
Zwei junge Männer, ziemlich angetrunken:

„Scheiße Mann, wenn die Kanaken Stress machen und man als Deutscher dann etwas dazu sagt, heißt es gleich: Nazi!“

„Genau und dann sind wir aus der Kneipe geflogen. Alles Scheiße!“

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Montag, 14. April 2014
Rätsel der Menschheit
Als wir am Sonntag vor ein paar Wochen beim Bäcker waren, stand vor uns ein Paar ohne Regenschutz, die sich Latte macchiato in Plastebecher füllen ließen. (Die Frage, wie lange die maximal denkbare Zeit für eine solche Bestellung sein könnte, wollen wir jetzt nicht diskutieren.) Hungrig waren sie wohl nicht. Die Bäckerei hatte einige Tische im Laden. Wer eine Kaffeepause machen will, kann sich hinsetzen und Teilchen oder belegte Brötchen zu seinem Kaffee (in einer Porzellantasse) bestellen.

Wir erledigten unseren Brötchenkauf, zogen uns die Kapuzen über den Kopf, denn es regnete in Strömen und machten uns auf den Heimweg.

Unter der S-Bahn-Brücke um die Ecke stand das Pärchen, fror und schlürfte den heißen Kaffee.

Kaffe TOGO muss noch cooler sein als ich bislang dachte.

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Dienstag, 18. März 2014
Das Paar
Vorletzte Woche sah ich am Alexanderplatz ein älteres (Ehe-)Paar, Anfang-Mitte Sechzig, beide in etwa gleich füllig, preisgünstige Bekleidung. Auf den ersten Blick hätte ich sie nach Kenia verortet. Sie unterhielten sich in gebrochenem Deutsch auf eine zugleich vertraute wie liebevolle Weise. Es war sehr anrührend, anscheinend waren sie schon sehr lange Zeit zusammen. Ein so herzliches, auf einander achtendes Verhältnis sieht man heutzutage selten.
Da sie sich auf Deutsch unterhielten, müssen sie aus ziemlich unterschiedlichen Weltgegenden stammen. Es wäre spannend gewesen, zu erfahren, wie sie zu einander gefunden haben.

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Dienstag, 4. März 2014
In der Bahn
Ein Vater zu seinem 4-jährigen Sohn: „Warum hast du denn mit Lea Schluss gemacht? Letzte Woche wolltest du sie doch noch heiraten?“
„Lea ist doof, sie will immer bestimmen, was wir spielen.“
„Und? Hast du sie mal gefragt, ob du auch mal bestimmen darfst?“
„Ja schon, das wollte sie aber nicht.“

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Dienstag, 26. November 2013
Körpergefühl und Abenteuerlust
Sie kennen das, wahrscheinlich. Nach fast fünf Stunden Flug und nervtötendem Einchecken, schlechtem Essen und shoppen über den Wolken, ist man als Erwachsener genervt und ausreichend gestresst, um dem Warten auf das Gepäck nicht mehr mit Gelassenheit begegnen zu können. Man erträgt es nur, weil einem nichts anderes übrig bleibt.

Die Geschwister am Flughafen in Funchal, ein Junge und ein Mädchen, noch im Vorschulalter, versuchten ihren Stress und ihre Müdigkeit zu verarbeiten. Der Junge entdeckte dann das Gepäckförderband und war fasziniert von der Vorstellung, sich davon forttragen zu lassen. Das Mädchen schloss sich sofort an. Die Eltern mussten sich um das Gepäck kümmern. Die Plagen waren in der Obhut der Großmutter.
Sie versuchte die Beiden davon abzuhalten und warnte vor den Gefahren. Das Mädchen ließ sich kurzzeitig davon beeinflussen, folgte aber nach zehn Sekunden ihrem Bedürfnis, sich abzureagieren und dem Bruder in seiner Abenteuerlust zu folgen.

Die Oma, statt den Jungen anzupfeifen, traktierte ihn mit schwarzer Pädagogik:

„Wenn du nicht aufhörst, hat Oma dich nicht mehr lieb!“

Der Junge konnte sich wohl nicht beherrschen und entwandt sich dem Klammergriff und stürmte immer und immer wieder zum Förderband. Das Mädchen gab schnell ihren Widerstand auf und blieb bei Oma. Sie fing hektisch an, um Oma herum zu spielen. Der Bewegungsdrang musste ja irgend ein Ventil finden.
Ich sehe meine Liebste an und murmle: „Der Junge ist noch widerständig, dem Mädchen haben sie es schon ausgetrieben.“
Sie sah mich nur müde an.

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Montag, 14. Oktober 2013
Das Paar
Letzte Woche sah ich am Alexanderplatz ein älteres (Ehe-)Paar, Anfang-Mitte Sechzig, beide in etwa gleich füllig, preisgünstige Bekleidung. Auf den ersten Blick hätte ich sie nach Kenia verortet. Sie unterhielten sich in gebrochenem Deutsch auf eine zugleich vertraute wie liebevolle Weise. Es war sehr anrührend, anscheinend waren sie schon sehr lange Zeit zusammen. Ein so herzliches, auf einander achtendes Verhältnis sieht man heutzutage selten.

Da sie sich auf Deutsch unterhielten, müssen sie aus ziemlich unterschiedlichen Weltgegenden stammen. Es wäre spannend gewesen, zu erfahren, wie sie zu einander gefunden haben.

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Dienstag, 1. Oktober 2013
Frage und Antwort
Beim Rauchen auf dem Balkon sehe ich einen Mann, Anfang Zwanzig. Während ich den Rauch so vor mich hin blase, betrachte ich ausgiebig seine Hochwasserhosen: Tarnfarbe, zwei Nummern zu groß, eingerissen, mit mehr als ausgiebigen Spuren einer alkoholgetränkten Nacht.

„Hey, man, what ya staring?“
„You’re the guy with the most ugly trousers i’ve ever seen!“
Nun, seine Antwort enthielt eine Reihe von nicht sehr höflichen Wörtern. (Gibt es ein Wort für Diskriminierer von Leuten mit Hosen die Scheiße aussehen?) Ach und noch etwas: das gute alte Motherfucker ist durch eine Fülle von anderen, mir zum Teil völlig unbekannten Wörtern ergänzt worden.

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