Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 23. Juni 2015
Harry Rowohlt


Zum Tod von Harry Rowohlt

Den schönsten Nachruf auf Harry Rowohlt hat Klaus Bittermann geschrieben

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Montag, 25. August 2014
Rudyard Kipling
Über Frank Lübberdings Interpretation der aktuellen außenpolitischen Lage bin ich auf Kipling, der mir nur als Verfasser der Vorlage zu Disneys Dschungelbuch bekannt war, gestoßen.

Wenn Gisbert Haefs mit seinem Porträt recht hat, ist er einer der interessantesten Autoren des 19./20. Jahrhunderts.
„the White Man's burden“
Take up the White Man's burden—
Send forth the best ye breed—
Go bind your sons to exile
To serve your captives' need;
To wait in heavy harness,
On fluttered folk and wild—
Your new-caught, sullen peoples,
Half-devil and half-child.

Take up the White Man's burden—
In patience to abide,
To veil the threat of terror
And check the show of pride;
By open speech and simple,
An hundred times made plain
To seek another's profit,
And work another's gain.

Take up the White Man's burden—
The savage wars of peace—
Fill full the mouth of Famine
And bid the sickness cease;
And when your goal is nearest
The end for others sought,
Watch sloth and heathen Folly
Bring all your hopes to naught.

Take up the White Man's burden—
No tawdry rule of kings,
But toil of serf and sweeper—
The tale of common things.
The ports ye shall not enter,
The roads ye shall not tread,
Go make them with your living,
And mark them with your dead.

Take up the White Man's burden—
And reap his old reward:
The blame of those ye better,
The hate of those ye guard—
The cry of hosts ye humour
(Ah, slowly!) toward the light
"Why brought he us from bondage,
Our loved Egyptian night?"

Take up the White Man's burden—
Ye dare not stoop to less—
Nor call too loud on Freedom
To cloak your weariness;
By all ye cry or whisper,
By all ye leave or do,
The silent, sullen peoples
Shall weigh your gods and you.

Take up the White Man's burden—
Have done with childish days—
The lightly proferred laurel,
The easy, ungrudged praise.
Comes now, to search your manhood
Through all the thankless years
Cold, edged with dear-bought wisdom,
The judgment of your peers.

Des Weißen Mannes Bürde

Ergreift des weißen Mannes Bürde
schickt eure Besten her
Bindet eure Söhne ans Exil
um den Bedürfnissen euerer Gefangenen zu dienen;
in schwerer Rüstung sollen sie warten,
um die Wilden zu verschrecken
Eure neugefangenen verdrossenen Völker,
halb Teufel und halb Kind.

Ergreift des weißen Mannes Bürde
um geduldig auszuharren
um Schreckensdrohung zu verhüllen
und anmaßenden Stolz zu zügeln;
Durch offene und schlichte Rede,
die hundertmal klar dargelegt wurde,
um eines anderen Vorteil zu suchen
und eines anderen Gewinn zu bewirken.

Ergreift des weißen Mannes Bürde
die bestialischen Kriege des Friedens
füllt den hungrigen Mund
und bekämpft die Krankheit,
und wenn euer Ziel ganz nah ist,
das Ziel, das ihr für andere erstrebt habt,
seht zu, wie Trägheit und heidnischer Wahn
all eure Hoffnung zunichte machen.

Ergreift des weißen Mannes Bürde
kein Herrschen des Flitterkönigs
sondern die Schufterei des Dieners und des Putzers
Die Summe der gewöhnlichen Dinge.
Die Häfen, in die ihr nicht fahren dürft,
Die Straßen, die ihr nicht betreten werdet,
geht, macht sie mit euren Lebenden
und markiert sie mit euren Toten!

Ergreift des weißen Mannes Bürde
und erntet seinen typischen Lohn:
den Tadel derer, die ihr bessert,
den Haß derer, die ihr beschützt
den Schrei der vielen, die ihr lockt
(ah, langsam!) hin zum Licht:
»warum habt ihr uns aus der Knechtschaft befreit,
aus unserer geliebten ägyptischen Finsternis?

Ergreift des weißen Mannes Bürde
wagt nicht, euch nach Geringerem zu bücken
und beruft euch nicht zu laut auf die Freiheit,
um eure Müdigkeit zu überdecken
an allem, was ihr ruft oder flüstert,
an allem, was ihr lasst oder tut
werden die schweigsamen verdrossenen Völker
eure Götter und euch messen.

Ergreift des weißen Mannes Bürde
macht Schluss mit den kindlichen Tagen
dem leicht dargebotenen Lorbeer,
dem mühelosen und leicht verdienten Lob.
Nun sucht euere Mannhaftigkeit
durch all die nichtgedankten Jahre -
kalt, geschliffen von teuer erkaufter Weisheit
das Urteil von Ebenbürtigen!

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Donnerstag, 3. Juli 2014
Bernward Vesper: Die Reise XVIII
S. 476
„…, der also den idealistischen Standpunkt vertrat, daß die Welt aus dem Kopf und nicht der Kopf aus der Welt entsteht.“
Dann: Eine längere, durchaus kritische Passage über Drogen, aber gewürzt mit Schmalspurkapitalismuskritik, z. B. über Leary. Die Hoffnung über LSD die Neurosen bewältigen zu können.

Mir hat die Passage wieder die Erinnerung an den H. aus meiner Schulzeit ins Gedächtnis gespült. H. lief in der Pause, an einer Rose riechend, erfüllt von Love and Peace to the Universe, über den Hof. Er hatte mir mal begeistert über seine Experimente mit traditionellen lokalen Drogen erzählt: „Man muss den Kapitalismus nicht auch noch nähren!“ Mit seinem Bruder, der Chemie studierte, haben sie einige Bücher aus den 20er Jahren über mittelalterliche Drogen gelesen und mit Bilsenkraut, Fliegenpilzen und Tollkirschen experimentiert. Da die Bücher keine Rezepturen enthielten, haben sie Verfahren&Mischungsverhältnisse nach Gefühl ausgewählt und die Wirkung an sich ausprobiert. Als ich die Geschichte – Jahre später - mal einem Pharmakologen erzählt habe, war er sehr erstaunt, dass die Beiden die Experimente überlebt haben. Russisches Roulette sei risikoärmer.

S. 527 ff. Vespers Lehrzeit bei Westermann
Sein Erstaunen und sein Mitleid über die Kollegen, die jahrelang die gleiche Tätigkeit verrichten, in der Maschinerie des Betriebes gefangen. Ein typisches Narrativ der 70er.

Das war‘s mit meinen Notizen zu Bernward Vesper.

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Dienstag, 1. Juli 2014
Bernward Vesper: Die Reise XVII
S. 357
Auch ein Gebot (anlässlich seiner Erzählungen aus dem Religionsunterricht: Gott schickte seinen Sohn und Gott schickte Adolf Hitler):
„Du sollst Vater und Mutter ehren/und wenn sie dich hauen/dann sollst du dich wehren/ und wenn sie um die Ecke gucken/sollst du ihnen in die Fresse spucken.“
S. 470
„>Weil der Nationalsozialismus eine elementare Bewegung ist, darum kann man ihm nicht mit ,Argumenten‘ beikommen. Argumente würden nur wirken, wenn die Bewegung durch Argumente groß geworden wäre<, schrieb Wilhelm Stapel , … „

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Freitag, 27. Juni 2014
Bernward Vesper: Die Reise XVI
S. 305
Die Mutter:
„Einfacher Bericht: Der Fußboden bebte unter ihrem Gewicht. Die Scheiben des Gewehrschranks zitterten. Sie riß die Tür zum Arbeitszimmer ihres Mannes auf, ohne anzuklopfen. Während des Wortwechsels schloß sie die Tür nicht. Sie zog sich in ihren Salon zum Mittagsschlaf zurück und hängte ein Schild an die Tür: >Bitte nicht stören.< Sie trank Kaffee aus den bemalten Tassen der Berliner Porzellanmanufaktur. Sie teilte mit dem Messer die Gartenwege quadratisch ein. Jeden Nachmittag muß ein Quadrat mit zwei Zentimeter langem Gras gejätet werden. Sie jätet das Unkraut in den Beeten und leert den Korb auf den Weg. Sie robbt sich, auf einem Kissen knieend, Meter für Meter durch die Beete. Sie kann den Gartenschlauch nicht anschließen und ruft den Gärtner. Sie kommt ins Haus und wäscht sich die Hände und läßt das erdige Waschbecken zurück. Sie ruft die Mamsell zu sich. Sie korrigiert den Küchenzettel. Sie sitzt an ihrem Biedermeierschreibtisch und notiert die Ausgaben. Sie sitzt …“
Idealtypisches NS-Rollenklischee. Pendant zu Vater. Zwei Herrenmenschen in ihren jeweiligen Milieus.


Über ca. 20 Seiten werden dann die Erziehungsmethoden der Eltern geschildert. Vieles davon kenne ich von Schulfreunden, nicht aus eigenem Erleben.


Bei manchen Schilderungen kann man der Bedrückung selbst beim bloßen Lesen kaum entkommen. Protestantische Ethik ohne Gnade: Gewalt, Missachtung, Verachtung und Liebesentzug.

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Mittwoch, 25. Juni 2014
Bernward Vesper: Die Reise XV
Und immer wieder lange eingeschobene Erzählungen über die Kindheit auf dem Gutshof, Heimaterzählungen. Literarisch sind diese Passagen die Interessantesten.


S. 303/4
„Einfacher Bericht: Er bog mit dem Fahrrad um die Hausecke, sprang ab, lief noch zwei Schritte neben dem ausrollenden Fahrrad her und schnaubte durch die geschlossenen Lippen. Er legt den Hund an die Leine, denn draußen, jenseits des Zaunes, in der Feldmark, herrschte die Tollwut. Man hatte schon einen verwesten Fuchs gefunden. Er kontrollierte den Freßnapf vor der Hütte. »Ein Hund ist keine Abfallgrube.« Er nahm den Kindern den Ball weg, wenn man auf dem Hof spielt, können Scheiben kaputtgehen. Im Gras rollt der Ball genausogut, jawohl. Er pfiff die Kinder vom Dach zurück, ein Ziegel könnte zerbrechen, Regen einsickern; er sieht im Keller nach dem Rechten und macht das Licht aus, das der Heizer brennen ließ. Er befiehlt, den Torf weiter vom Heizungskessel wegzulagern, damit kein Brand ausbricht. Er fragt in der Küche nach dem Stand des Abendbrots. Er ruft die Kinder zurück, die quer über die Wiese laufen, statt den Weg zu benutzen. Er schließt den Wasserhahn, den jemand über dem Fischbecken laufen ließ. Er ermahnt seine Frau, beim Gießen nicht soviel Wasser zu verbrauchen, die Pumpe schafft es nicht. Beim Abendessen wartet jeder, hinter dem Stuhl stehend, bis er sich gesetzt hat. Die Beuge Teller steht vor seinem Platz. Er teilt die Suppe aus. Er tranchiert das Fleisch. Er versucht, alle Wünsche nach einem bestimmten Stück zu erfüllen, seine Entscheidungen sind unwiderruflich. Er erhebt die Stimme, obwohl niemand mehr spricht. Er schickt den Schwiegersohn fort, der mit kurzen Hosen aus dem Garten zu Tisch kommt. Die Adern an seiner Stirn schwellen an. Er stampft mit den Füßen unter dem Tisch. Dreißig Esser schauen auf ihre Teller. Jemand bricht in Tränen aus und läuft aus der Halle. Er läuft hinterher und verlangt, daß die Tür noch einmal leise geschlossen werde. Er klingelt nach dem Mädchen, das wieder etwas vergessen hat. Er erklärt auch heute, wer nicht von der Hauptmahlzeit ißt, erhält auch keinen Nachtisch. Es ist verboten, sich in der Küche zu erkundigen, welchen Nachtisch es gibt. Er nimmt die Post, die während des Essens zu seiner Linken auf der Bank lag, stößt den Stapel ein paarmal auf den Kanten auf, steht auf und klopft ans Barometer und zieht sich in sein Zimmer zurück. Er liest die Zeitung als erster. Er öffnet die Post. Er geht ins Büro und bespricht die Feldarbeiten mit dem Inspektor. Er kommt vor dem Mittagessen zurück. Er stellt fest, welche Früchte im Garten reif zur Ernte sind. Er dringt darauf, jetzt dies einzumachen, das täglich auf den Tisch bringen, ehe es alt, holzig, mollicht, überreif wird. Er faßt den Kindern ins Haar und zieht daran. Er fragt die Erwachsenen ab: »Wo steht das?« Er zieht sich zurück. Er verlangt strenge Ruhe während des Mittagsschlafs. Er erwartet, daß das Zimmermädchen den Augenblick abpaßt, wo er das Haus verläßt, um mit dem Putzen fertig zu sein, wenn er zurückkommt. Er erwartet, daß der Nachmittagskaffee auf dem Tisch steht. Er erwartet, seine Kinder am Kaffeetisch zusehen. Er springt auf und kontrolliert, wer da durch das eiserne Tor in den Park geht. Er läuft den Kindern hinterher, die Tulpen und Gladiolen zum Muttertag von den Beeten klauen. Er zieht in den Park, um morsche Äste abzusägen, Brombeeren auszureißen, Wildwuchs und Unkraut zu bekämpfen. Er geht noch einmal ins Kontor, um auf dem Hof nach dem rechten zu sehn. Er hebt Gartengeräte auf, die jemand liegenließ, es wird regnen, sie werden verrosten. Er sieht nach, ob die Obstleiter unter dem Vordach der Gartenbutze wieder an ihrem Haken hängt. Manchmal höre ich, daß er, wenn er den Gang zu seinem Zimmer entlanggeht und niemanden in der Nähe glaubt, einen oder zwei kräftige Furze knallen läßt. Wie lieb von ihm.“

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Montag, 23. Juni 2014
Bernward Vesper: Die Reise XIV
S. 276/7
„In Berlin habe ich einmal an einem Gespräch teilgenommen, zu dem alle die Spezialisten und Therapeuten von Bonnys Ranch und auch aus Westdeutschland erschienen waren. Etwa so: die antiautoritäre und militant-kommunistische Bewegung hat doch die Drogen propagiert. Jetzt kommen die Addicts, die Umsteiger auf 0 oder H und füllen unsre Klinikbetten.

Das fing damit an, daß sie erklärten, sie wären ja >voll auf unserer Seite<. Auf die Frage, wie sich das denn äußert, sagten sie, ja, sie wollten doch mit uns >zusammenarbeiten<. Wir können doch da ein bißchen zusammenarbeiten. Wenn ihr den Leuten das Zeug aufgeschwatzt habt, habt ihr auch die verdammte Pflicht, es ihnen wieder abzugewöhnen. Das war in der Zeit, als ich langsam meine Sprache wiedererlangte. Diese Sitzung trug viel dazu bei. Ich hörte mir den Schwachsinn eine Stunde lang an, dann fragte ich: »Ist Ihnen eigentlich klar, was für Unverschämtheiten Sie vorringen? Das System macht diese Kinder fertig, sie hängen durch bis aufs Netz, diese gottverdammte Scheiße wollen sie nicht, sie haben es satt, mit Schafshoden und Schwachköpfen umzugehn, mit Eltern, Erziehern, Ärzten. Und sie machen sich einen Schuß. Klar, sollen sie. Wissen Sie was Besseres? Sie sind fertig, sie blicken nicht so weit durch, daß sie begreifen können, ihre Misere ist individuell nicht zu lösen, sie müßten kämpfen und den ganzen Laden in die Luft jagen. Stattdessen suchen sie sich einen Flesh. O. K. und jetzt kommen sie her und und behaupten, wir wären wären an dieser Scheiße schuld, Sie sind es, sie, die sogenannten Ärzte, die Quacksalber, die albernen Liberalen, die immer nur an den Symptomen herumkurieren können. Das System hat diese Kinder fertig gemacht, und jetzt, wo sie auf den Heilstationen herumliegen, kommen sie zu uns und flennen uns die Ohren vol, wir sollen ihnen helfen.«
Umschlag in Zynismus.


S. 277
„Sogar die Black Panther gewinnen in diesem Zusammenhang: Sie waren es, die die Heroin-Händler entlarvten und Steckbriefe mit dem Verdikt Mörder an die Hauswände von Harlem klebten.“
Vielleicht hatten die Black Panther ihre Gründe?

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Dienstag, 17. Juni 2014
Bernward Vesper: Die Reise XIII
Vesper ist real und im Roman nur noch über seinen Sohn, den er während der Niederschrift des Romanessays teilweise betreut und dies im Roman auch schildert, in der Wirklichkeit verankert. Da kommt eine Ansage von Gudrun Ensslin aus dem Knast zu ihrem Anwalt: „Er ist nur der Erzeuger, nicht der Vater.“ besonders gut.

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Bernward Vesper: Die Reise XII
Die Folge ist im Datenhimmel.

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Mittwoch, 11. Juni 2014
Bernward Vesper: Die Reise XI
S. 231-233
„Günter Wallraff in Konkret, familial: >Ulrikes Rote Armee<: >Eine planmäßig und straff durchgeführte Bewaffnung von Minderheiten würde willkommener Anlaß sein, einen NATO-Plan (der bereits ausgearbeitet ist) anzuwenden, …<



„Wallraffs Urteil liegt aber eine aber eine weiten aber eine weitere Motivation zugrunde, die er – genauso - wenig wie Brotherr Röhl zuvor – auszusprechen scheut: Daß er revolutionäre Gewalt, die immer >planmäßig und straff durchgeführte Bewaffnung von Minderheiten< war und sein wird, überhaupt ablehnt. Das kam heraus, als wir in Ulrike Meinhofs Wohnung über das Projekt >Gewalt in der herrschenden Gesellschaftsordnung< diskutierten. Entlarvt werden sollte in einer Kette von Untersuchungen, jene Lüge der Herrschaftsideologie, die kapitalistische Gesellschaft sei eine Ordnung, die sich ohne Gewalt aufrechterhält.

Zur Mitarbeit an den Analysen war Wallraff damals bereit, aber dann zog er sich auf die Illusion zurück, ein System, das so grausam ist, daß es alle diese physischen und psychischen Morde als Selbstverständlichkeit hinzustellen wagt, könne durch Aufklärung und müsse nicht durch Gewalt gestürzt werden.

Immerhin könnte man von Immerhin könnte man von Wallraff verlangen, daß er seine pazifistische Ideologie klarlegte – …

Aber da er alles, was für den Aufbau einer ROTEN ARMEE spricht, weggelassen hat (liest man seine Industriereportagen, muß man hinzufügen: wider besseres Wissen), er also die Solidarität, die zumindest Gerechtigkeit erfordert hätte, aufkündigt, muß er den Gegner moralisch erledigen, um dadurch seine Haltung zu rechtfertigen. Er bemerkt nicht, daß ein solches Urteil bei manchen schon jetzt, bei vielen bald sich gegen ihn zurückkehren könnte.“
Die Geburt des Rechtfertigungsdiskurses am Küchentisch: weil die, dann wir auch. Eine explizit moralische, unpolitische Argumentation.

Auf der anderen Seite der damaligen Debattenlinien: Außerhalb des bürgerlichen Heldenlebens gibt es nichts, nur Illusion. Kaum etwas. Verzweiflung natürlich. Oder ökologischen Anbau von Gemüse und Kinderläden. Sex ‘n Drugs ‚n Rock ‚n Roll. Und die Erfahrungsräume der Subkulturen.

Und mir geht durch den Kopf: Wie hat meine Mutter das ausgehalten als 1939 ihr Emanzipationsprozess durch die Nazis unterbunden wurde?

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