‚Wie werden ihre Figuren geboren?‘
g. | Donnerstag, 22. Januar 2009, 09:56 | Themenbereich: 'Wie haben Sie das gemacht'
“Was mich angeht, der ich seit Stunden regungslos in meiner Hängematte vor mich hin träume ( ... ), so denke ich über die Frage nach, die Romanschriftstellern manchmal gestellt wird: ‚Wie werden ihre Figuren geboren?‘
So. Aus der unvorhersehbaren und zwingenden Verknüpfung dessen, was das Sujet verlangt und der Fluß der Erzählung erforderlich macht, was das Leben abgelagert hat und die Zufälle des Träumens anspülen, was die Geheimnisse eines launischen Gedächtnisses zutage fördern und die Ereignisse, Lektüren, Bilder und Menschen hinterlassen haben ...
Im Übrigen ist die Geburt der Figuren von geringer Bedeutung, was zählt, ist ihre Fähigkeit, auf der Stelle zu existieren. In den Augen des Lesers werden die Figuren nicht ‚geboren‘, sie existieren, sobald sie im Text auftauchen. Keine Geburt, kein Wachstum, kein Reifen - nur eine einzige Aufgabe: auf Anhieb dazusein. Sie können natürlich im Laufe der Seiten an Dichte gewinnen, aber zuerst gilt: ‚dasein‘. Doch ist eine Figur nur dann wirklich da, wenn sie der entscheidenden Wendung in der Handlung, die ihr Auftreten notwendig gemacht hat, und der Funktion, die sie definieren soll, entkommt, mit einem Wort: wenn sie den Fäden, die der Autor zu ziehen glaubt, entkommt.”
( Daniel Pennac Der Diktator und die Hängematte S. 232)
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