Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XXI
Nun nimmt die Geschichte die lange erwartete Wendung.
Siegmund war fast schon wieder nüchtern, als er vor seinem Gasthofe stand und sich wunderte, als er die Tür verschlossen fand; er klingelte, es öffnete jemand das Fenster, und bald darauf hörte er Pantoffeln auf der Treppe und die Tür mühsam und tiefatmend aufschließen; sie öffnete sich, und eine alte Frau leuchtete ihm die Treppe hinauf. Noch ehe er sich besinnen konnte, stand er in einem fremden Zimmer, wo das ofterwähnte Mädchen mit dem hübschen Gesicht in einem Sofa saß.

Es wäre unschicklich gewesen, sich zu entschuldigen und wieder fortzugehen; die Alte war verschwunden, und Siegmund nahm nach einer freundlichen Einladung Platz zur Seite des Mädchens.
Allerdings nicht in der von ihm und uns erwarteten Weise.
Siegmund wollte seinem fröhlichen Taumel die Krone aufsetzen, und erstaunte sehr, als er seine dreisten Liebkosungen nicht so erwidert fand, wie er nach allen Umständen erwarten konnte, sondern die Schöne machte sich im Gegenteil von ihm los, und bat ihn mit so vielem Anstande, sich gesitteter zu betragen, daß er rot ward und verschämt um Verzeihung bat. – Das Gespräch nahm nun eine andere Wendung; man sprach von gleichgültigen Dingen, und Siegmund, der eine mit Achtung vermischte Zuneigung zu dem Mädchen fühlte, war endlich schwach genug, ihr seine ganze Geschichte zu erzählen. – Sie gestand ihm im Gegenteil daß er ihr gleich beim ersten Anblick auf eine sehr vorteilhafte Art aufgefallen wäre, daß sie sogleich seine Bekanntschaft gewünscht, daß sie aber nach dem Blick, den er ihr heut vormittag zugeworfen habe, gänzlich daran verzweifelt sei.


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