Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Montag, 8. November 2010
Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XII
Das Benehmen des Präsidenten setzte sich leicht wieder zu einer zurückstoßenden Kälte, die den vornehmen Leuten so leicht zu Gebote steht. Siegmund war in einer Verwirrung, die alles konfundierte, was er dachte und was er sagen wollte, die prästabilierte Harmonie war auf einige Minuten in ihm gestört, und er stammelte dem Präsidenten eine unzusammenhängende Entschuldigung ins Gesicht, daß er ihn gestern abend unbekannterweise in der bewußten Gegend ausgelacht habe. Der Präsident fragte sehr ernsthaft und wie verwundert, was er meine, und Siegmund vermochte es kaum, sich auf seinen Beinen aufrecht zu erhalten.
Nun ja, auch wenn Siegmund über das gestrige Erlebnis einfach hinweggegangen wäre, würde sich seine Lage nicht besser darstellen.
Als er sich etwas erholt hatte, sah er ein, daß ihm unter diesen Umständen nur zwei Wege offenständen, entweder sogleich den Präsidenten zu verlassen, Pferde zu nehmen, und nach seiner Geburtsstadt zurückzureisen, oder den Versuch zu machen, alles auf eine feine Art wieder ins Geleise zu bringen. Er entschloß sich zum letzten, da er sich erinnerte, daß er die gehoffte Stelle schon immer als sein Eigentum angesehen und darnach alle Einrichtungen getroffen habe. Er fiel sich in den Zügel, und suchte bei der Dämmerung aller Sinne und Begriffe den rechten Weg wiederzufinden. Aber ich möchte den Mann sehn, der nach so vielen Unglücksfällen noch fein sein kann und doch ein Deutscher ist.
Nicht ganz einfach, die Situation auf feine Art zu retten.
Der Präsident war verstockt genug, dem armen Sünder auch nicht einen einzigen Schritt entgegenzutun, oder ihm Pardon anzubieten er hatte vielleicht ein Wohlgefallen an den Krümmungen und wunderbaren Windungen des Supplikanten, der die Füße in alle mögliche Tanzpositionen brachte, der die Uhrkette und die Augenbraunen kniff, und nichts sehnlicher wünschte, als der Präsident möchte seine goldene Dose zur Erde fallen lassen, um sie ihm mit der demütigsten Behendigkeit wieder reichen zu können.
Sehen wir uns an, wie Siegmund glaubt, es bewerkstelligen zu können.
Nach den gewöhnlichen Eingangsredensarten, von – »Leidtun« – »wünschen ein andermal dienen zu können« – den Trauerkutschen, die unsre Hoffnungen so oft zu Grabe begleiten, kam endlich die abschlägliche Antwort zum Vorschein, die schon lange den armen Kandidaten wie ein herannahendes Gewitter geängstigt hatte. Siegmund war ohne Trost, als jetzt der kleine Bellmann durch den Saal ging und ihn der Präsident sehr freundlich in sein Zimmer beschied, in welches er ihm sogleich folgen würde. Es fiel ihm schneidend ein, wie er gestern den Gönner des kleinen Mannes gespielt habe, und dieser heut mit einem Menschen so vertraut umging, der ihm fürchterlich war. Der Präsident suchte jetzt absichtlich die Visite abzukürzen, so wie Siegmund sie verlängerte, ohne eigentlich zu wissen, warum er es tat. – Der Präsident sagte ihm endlich, daß der Mann, den er eben gesehn habe, derjenige wäre, dem die Stelle schon versprochen sei, auf die er gehofft habe. Siegmund fiel aus den Wolken.
Er ist am Boden zerstört. Wie sollte es auch anders sein.

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