Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Donnerstag, 11. November 2010
Ein Gespräch unter Bäumen I
von Navene über den Dosso Spirano nach Malcesine
Berge und Meer, zur Not tut‘s dann auch mal ein größerer See, sind für einen Urlaub, der in erster Linie der Erholung und nicht zum Kennenlernen neuer Länder und Kulturen dienen soll, für unseren Geschmack genau das Richtige. Nichts ist erholsamer als ausgedehnte Wanderungen. Wobei man ja auch beim Erholen mal was Neues dazu lernen kann. Na egal.

Wir haben uns jedenfalls entschlossen den Bus 8:30 Uhr Richtung Riva zu nehmen, weil die Schüler dann schon alle weggeschlossen sind und die meisten Touristen noch beim Frühstück sitzen.

Am Ortsrand von Malcesine stiegen fünf deutsche Touris (3 Männer, 2 Frauen) ein, alle mit den gleichen (nur die Farben waren unterschiedlich) Outdoorjacken eines bekannten Herstellers. 3,50 € will der Busfahrer pro Fahrgast bis zum Ziel haben. Der Erste der Truppe verwickelt den Fahrer in eine Debatte über den Fahrpreis. Einige Tage vorher habe er nur 3,30 € bezahlt. Die Debatte wird zunächst auf Deutsch, dann auf Englisch geführt, obwohl der Fahrer ganz offenkundig nur einige Brocken der beiden Sprachen kann und nichts versteht. Nach einiger Zeit sieht der Diskutierer die Sinnlosigkeit seiner Beschwerde ein und meint abschließend, zu wem auch immer, dass der Fahrpreis wohl von Tag zu Tag und von Fahrer zu Fahrer wechsle. Seltsam, ich bezahle immer den gleichen Preis für dieselbe Strecke.
Wenige Minuten später, in Navene stiegen wir aus und verließen die Touristengruppe mit ihren Fahrpreisproblemen.

Navene ist nicht gerade eine Stadt und so trafen wir so früh am Morgen nur eine alte Frau auf dem Weg zum Bäcker und eine schwarze Katze, die uns nicht mochte. Am Ende des Ortes stiefelten wir an einer öden, anscheinend seit einigen Jahren nicht mehr benutzten Ferienanlage vorbei und ab in den Wald.

Bald tauchte das Schild des ‚Parco Gardesana Orientale‘ (wenn sie genau hinsehen: im Naturpark darf man die Giftschlangen nicht mit Stöckelschuhen ärgern; sehr löblich das) auf und der Bewuchs wurde immer dichter. Wir hatten gehofft, häufiger einen Blick auf den See und die Ortschaften am Ufer werfen zu können, aber kaum mal eine Lücke, statt dessen dichter, weitläufiger Baumbewuchs, also nicht das, was man mal eben mit zehn Leuten und ein paar Motorsägen in Ordnung bringen könnte.

Die Wanderung ist wenig anspruchsvoll, breite gepflegte Wege und nur gelegentlich ein Stein- oder Geröllfeld. Nach etwa einer halben Stunde waren wir am ersten Abzweig, jetzt nach links, Richtung Norden. Der Weg stieg sanft an und so gingen wir gemächlich voran. Einige Vögel zetern und warnten die Verwandtschaft vor unserer Anwesenheit.

„Was träumst du?“
„Ach nichts besonders, ich lese gerade die Vogelscheuche von Tieck und da tauchen nach einigen Seiten Elfen und Kobolde auf und weil wir hier gerade durch den Wald laufen, linse ich ab und zu ins Unterholz, ob sich da oder dort drüben, bei den Farnen nicht ein Kobold unseren Blicken entziehen will. Wer einen Kobold sieht, der darf ihm auch Befehle geben, heißt es.“

Sie lächelte.
„Ein Märchen?“
„Der Tieck? Nein, eigentlich nicht. Es ist eine Gesellschaftssatire. Im doppelten Sinn: zu einen geht es um eine literarische Gesellschaft, die von einer von Kobolden oder waren es Elfen? zum Leben erweckten Vogelscheuche geführt wird, zum anderen um die Funktionsweise von Gesellschaft überhaupt.“
„Wie? Eine Erzählung mit märchenhaften Elementen?“
„Ja, Hintergrund bzw. Anlass ist wohl, dass sich Ludwig Tieck über eine Literarische Gesellschaft , und ihre literaturpolitischen Ansichten so geärgert hat, dass er sie auf diese Weise auf den Arm genommen hat. Und da sie wohl sehr hirnrissige Ansichten vertreten haben, kam er auf die Idee, das Wirken von Kobolden dafür verantwortlich zu machen. Ein grandioser Spaß. Na, und da er auch ein wunderbarer Schriftseller war, war ihm auch klar, dass solche Ansichten nicht von ungefähr kommen, sondern etwas mit der historischen Situation und der Gesellschaft zu tun haben. Er hat sich dann also auch seinen Frust über die politische Lage von der Seele geschrieben.“


Wir gingen weiter. Wie war das noch mal gleich, dachte ich bei mir, die Stelle an der der Kobold Puck (ja bei Shakespeare kommt er auch vor, der Puck.) durch die Gerichtsszene irrlichtert und dem durchreisenden Prinzen erläutert, dass die, aufgrund bestimmter Umstände zum Leben erweckte Vogelscheuche, für die Staatskunst multifunktionale Fähigkeiten erlangt habe:
„Glauben Sie mir, er kann Ihnen, so, wie er da liegt, in einem Umsehn, Constitutionen aller Art, und für alle Provinzen und Reiche und Umstände machen. Mit einer Kammer, oder mit zweien, populäre, demokratische, monarchische oder oligarchische, im aristokratischen Sinn oder im liberalen, mit Repräsentanten nach Geldeswerth oder Korporationen, hierarchisch und völlig antimonarchisch, mit und ohne Sektionen, mit Juden, mit und ohne Pairs. Sektionen, Assisen , Wahlbezirke, öffentliche Ankläger, Jury, nebst Cultur und Agricultur, Cultus und Menschenmenge, Dreifelder-Wirthschaft und Brache, alles, alles liegt wie Würfel und durcheinander geschüttete Worte vor den Augen seines Geistes, er darf nur wie zufällig hinein greifen, und er wird immer das Richtige erwischen.“ (S. 426)
1835 als die Novelle geschrieben wurde, waren in Deutschland (bzw. Preußen, Österreich oder der deutsche Bund) heftige politische Debatten en vogue. Zu keiner Zeit wurde mehr und heftiger debattiert, über Politik und Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft.
Ob das zu gründende Deutschland eines mit oder ohne Preußen oder Österreich oder mit beiden sein sollte. So, als ob das in einer Diskussion festzulegen wäre und es wurde gerungen, um das, was eigentlich deutsch sei, wer weiß das schon so genau. Etwas später dann, auf den Germanistentreffen, meinte man so allerlei herausgefunden zu haben, mit Schleswig oder mit Holstein oder mit beiden?
Es wurde debattiert, ob dem gemeinen Volk denn überhaupt das Stimmrecht zuerkannt werden könne? Eigentlich sind doch nur die gebildeteren Stände in der Lage über das Wohl und Wehe der Nation abzustimmen?

„Wenn du vor dich hin träumst, fliegst du irgendwann noch mal auf die Schnauze.“
„Aber nein, hier ist der Weg doch nicht zu verfehlen, nur etwas geröllig. Wenn es schwieriger wird, erwache ich schon rechtzeitig.“
„Na gut.“


Eine Erzählung, dachte ich bei mir, die märchenhafte Elemente mit einschließt, ist eine hübsche Idee, das müsste man auch mal ausprobieren. Da spielen wir mal ein bisschen mit herum. Im ernsten Ton würde das wohl nicht funktionieren? Hm? Nein! Irgendwelche Wunder, die immer wieder geschehen? Oberammergau in der Großstadt? Nein, das nimmt einem keiner ab, oder als Kriminalgeschichte? Hm, hm, hm? Ein Art Tatort mit Hexen? Oder Riesen? Quatsch, zu weit von den üblichen Leseerwartungen weg. Oberammergau meets Berlin; first we take Oberammergau and then we take Berlin? Der Herrgottsschnitzer von Oberammergau kommt nach Berlin? Na ja, jetzt drücken wir Oberammergau mal aus der Phantasie. Dieses Lied, wie ging das noch? war das im Blauen Bock? Wann habe ich eigentlich das letzte Mal den Blauen Bock gesehen, das muss, ach das war noch, bevor Heinz Schenk den Blauen Bock übernommen hatte? Also diese Lied, wie ging das noch mal: ‚Wenn in Oberammergau oder in Unterammergau, …‘ Hm, außer dem Refrain ist mir nichts in Erinnerung geblieben. Quatsch, weg damit.

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