Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 16. November 2010
Ein Gespräch unter Bäumen II
von Navene über den Dosso Spirano nach Malcesine
Wo könnte der den herkommen, der Herrgottsschnitzer? Aus dem kleinen Ort mit der Madonna oben am Ende der Via Panoramica? Ja, das ist eine Ecke, die weitgehend touristenfrei ist. Wen könnte man nehmen? Vielleicht den Bildhauer, der gestern im Nieselregen seinen Steinblock bearbeitet hat? Aber wenn man eine schmalzige Liebesgeschichte oder so etwas Ähnliches einfügen will, geht das nicht. Er war zu alt. Man müsste ihn jünger machen oder man nimmt gleich einen seiner Nachbarn:

Phantasie über den Herrgottsschnitzer von Heiligensee

San Michele lag etwas miesepetrig im Regen, ein Huhn empörte sich über eine Kellerassel und der Hund des Bildhauers öffnete ein Auge, um Fabio di Accoglienza auf dem Nachhauseweg zu beobachten. ‘Mistwetter’, dachte er bei sich. ‘Man sollte eigentlich nicht aus dem Haus gehen.’ Aus so einem Wetter kann kein Glück erwachsen.

“Scusi, Signore, äh? … Äh, also …”
“Sie können auch Deutsch mit mir reden, kein Problem.”
„Ach wissen sie, ich mach gerade hier in Italien einen Italienischkurs und da dachte ich, also .., na ja ich bin erst in der zweiten Stunde, wissen sie?“
„Aber das macht doch nichts, Signora, jeder fängt klein an. Sie haben übrigens eine sehr schöne Aussprache.“
„Danke, vielen Dank, molto grazie, das ist sehr freundlich.“



Unversehens öffnete sich der Wald. Zeit für eine kleine Rast, einige Schlucke Wasser und einen Keks.
„Wenn man häufiger den See und die Berge sehen könnte, wäre es noch schöner.“
„Ja. Aber anscheinend haben sie ihr Naturschutzgebiet nicht nach den Interessen der Wanderer ausgerichtet. Schade eigentlich, der Blick ist phantastisch.“




Zeit weiter zu gehen. Die Wanderung war mit ca. 4,5 Stunden beschrieben und wenn wir auf dem Rückweg nicht auf einen Bus warten und direkt die zwei Stunden weiter bis Malcesine laufen wollten, mussten wir uns etwas ranhalten. Wir gingen wieder in den Wald.

Fabio litt. Er litt ungeheuer. Wie hatte es nur so weit kommen können? Wie war er in dieser Werbeagentur am Rande der großen Stadt gelandet?
‚Fabio, du bist ein Idiot, statt auf ihre Brüste zu gucken, hättest du besser überlegt, was du hier eigentlich machen willst. Eis verkaufen, wie Vater?‘ dachte er bei sich.

Sein Vater war in den 50er Jahren nach Deutschland gekommen und hatte im Straßenbau gearbeitet. Man konnte damals gutes Geld verdienen im Straßenbau, na ja zumindest mehr als mit dem Schnitzen von Heiligenfiguren. Nach einigen Jahren hatte er genug davon und eröffnete mit einem Kollegen eine Eisdiele. Das war eine schöne Zeit gewesen. Im Sommer arbeiten und im Winter zuhause. Als Kind war er oft den Sommer über mit dem Vater und der Mutter in Deutschland gewesen, dann aber musste er in die Schule und die Sommer verbrachte er bei der Großmutter. Nach einigen Jahren waren die Eltern zurückgekommen, hatten sich in San Michele das Häuschen gebaut und Vater hatte wieder zu schnitzen angefangen und er, Fabio, hatte es von seinem Vater gelernt. ‚Schnitzen hat Zukunft. Die deutschen Touristen kaufen Handarbeiten wie die Blöden und achten nicht aufs Geld. Davon kannst du reich werden.‘ hatte sein Vater gesagt und er sollte recht behalten. Und dann war diese Deutsche mit ihren drei Brocken Italienisch aufgetaucht und jetzt war er hier, in diesem komischen Großstadtdorf Heiligensee. Zuerst hatte er es mit Schnitzereien versucht, aber was sich in den Alpen von selbst verkauft, wollte hier niemand haben. Der Herrgottsschnitzer von Heilgensee stand in der Zeitung. Zum glotzen sind sie alle gekommen, gekauft hat niemand etwas. Jetzt saß er in dieser Werbeagentur und dachte sich Reime auf ein großes Erlebnisbad im Süden der Stadt aus. Dabei hatte er noch Glück gehabt in der Agentur, in der auch seine Agneta arbeitete, unterzukommen. Agneta, nach dieser Sängerin aus den 70er Jahren. Ihre Eltern hatte die Sängerin sehr verehrt. Er hatte von Werbung keine Ahnung und er hasste die Werbung. Aufgrund seines Talentes hatte er die Stelle auf jeden Fall nicht bekommen, sondern weil der Chef Björn hieß und scharf auf Agneta war. Na egal, Stelle ist Stelle, auch wenn er das tägliche Anbaggern seiner Agneta nicht leiden konnte.

Für heute hatte er auf jeden Fall genug. Er räumte seinen Schreibtisch auf, stellte den Stuhl an den Tisch und machte sich auf den Weg nach Hause. Die Blicke seiner Kollegen bohrten sich in seinen Rücken, pünktlich die Agentur zu verlassen, galt als Verrat. Fabio war das wurstegal. Er besorgte noch etwas Gemüse, Wein, Brot und Speck für das Abendessen und schlenderte gemütlich nach Hause.



Ein kleines Tal lässt einen weiteren Blick zu, der Wald etwas lichter und hundert Schritte entfernt das Forsthaus am Dosso Spirano. Große Pause.


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