Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XVII
Gemächlich wird die nächste Wende in der Erzählung über ein kurzes Zwischenstückes vorbereitet.
Alles machte ihn betrübt, er sah in die Straßen der Stadt hinein, und verachtete das Treiben und Drängen der Menschen recht herzlich. Die Glocken riefen die Leute vom Spaziergange zum Mittagsessen aber er hörte es nicht; der Wall ward nach und nach leer, doch er achtete nicht darauf, und befand sich in der Einsamkeit ungestörter und glücklicher. Es währte aber nicht lange, so kamen die Spaziergänger zurück ja ihre Anzahl war größer, als vormittags, die Damen waren noch geputzter und sahen ängstlich nach dem Himmel, ob die drohenden Herbstwolken näher ziehen und durch einen Regenguß ihren Anzug verderben würden. Aber die Sonne brach immer wieder mit neuer Wärme hervor, und der Spaziergang machte alle Gesichter froh und heiter.
Nachdem sich dergestalt die Gesichter der Passanten aufgehellt hatten, naht auch schon das Schicksal in der, für einen Republikaner schönsten Gestalt.
Ein hagerer Mann gesellte sich durch einen Zufall zum melancholischen Siegmund; es war der Zeitungsschreiber des Orts, der gern allenthalben nach Neuigkeiten forschte. Dieser vaterländische Dichter hatte es aus dem Gesicht, dem Gange und der Kleidung Siegmunds herausgebracht, daß er ein Fremder sein müsse, er wollte daher einige Traditionen aus ihm herausziehn, um sie in Briefform mit andern Wendungen seinem Blatte einverleiben zu können. Siegmund war ziemlich einsilbig, seine Szene mit dem Präsidenten war für ihn jetzt die größte Weltbegebenheit, an diese dachte er unaufhörlich und war sehr gleichgültig für alle politischen Bemerkungen seines neuen Bekannten, der viele Sachen prophezeite und andre Prophezeiungen widerlegte.
Wie es das Schicksal so will, reitet der Präsident vorbei.
Ein Pferd trabte hart an ihnen vorüber, und machte dann viele von den närrischen Gebärden, die den Tieren mit großer Mühe in den Schulen beigebracht werden, um nicht ganz geschickte Reiter bei irgendeiner schicklichen Gelegenheit in die Gefahr zu bringen, herunterzustürzen. Dies war auch hier der Fall; der Reiter wankte von einer Seite zur andern, und wollte doch auch nicht gern den edlen Paradeur in seinen schönen Figuren unterbrechen. Der Reiter war niemand anders, als der furchtbare Präsident. – »Sehn Sie«, sagte der Zeitungsschreiber heimlich, »den wunderbaren Mann an. Glauben Sie wohl, daß er sich bloß unsertwegen die Mühe gibt!«

»Unsertwegen?« unterbrach ihn Siegmund. »Nicht anders«, antwortete der hagere Mann; »dieser Herr bildet sich auf nichts in der Welt so viel ein, als auf seine Reitkunst, und bloß um sich von uns bewundern zu lassen, läuft er jetzt Gefahr den Hals zu brechen. – Sehn Sie, wir sehn ihn kaum mehr und er läßt die Streiche doch noch nicht.« – Der Präsident hatte sich indes eine ziemliche Strecke unter Traversieren entfernt. Das Pferd drängte sich etwas zurück, er geriet in die Zweige der Bäume und verlor in diesem Augenblicke einen sehr eleganten Hut. Kaum hatte der Zeitungsschreiber dies gesehn, als er schnell unsern Helden verließ, den Hut ehrerbietig dem gnädigen Herrn überreichte, und dadurch hinlänglich belohnt ward, daß der Präsident vor den Augen mehrerer Menschen eine Zeitlang mit ihm sprach, indem das Pferd wieder traversierte und der Zeitungsschreiber ebenfalls zu paradieren eifrigst bemüht war.
Und da eh schon alles Wurst ist:
Wie gut, daß Siegmund zurückgeblieben war, denn er fing so laut an zu lachen, daß ihn ein alter Herr und eine ältliche Dame für verrückt erklärten, weil er so sehr alle Lebensart beiseite setze und auf einem öffentlichen Spaziergang lache.


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