Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Über Wesen und Erscheinung I
Vor langer Zeit in einem anderen Leben habe ich mal für kurze Zeit an einer Universität gearbeitet. Und es begab sich, dass ich in einer Lehrveranstaltung über die Melusine des Thüring von Ringoltingen mitwirkte. Das Volksbuch von der schönen Melusine ist nun ein auch unter feministischem Frageinteresse durchaus interessanter Text, nur hatte es sich eine Gruppe von Studenten etwas leicht gemacht. Anstatt den Text zu lesen, weil ist ja so Mittelalterkram, interessiert doch keine Sau, haben sie kurz nachgedacht und kamen zu dem Schluss: da kommen Frauen vor, Frauen waren im Mittelalter (die Melusine ist zwar schon Neuzeit, aber wer wird denn so pingelig sein) ziemlich schwer unterdrückt, außerdem gab es im Mittelalter doch die Beginen, das waren doch auch Frauen und sicher irgendwie auch unterdrückt, dann referieren wir halt was dadrüber, passt schon und im Übrigen sollte es sowieso immer um Unterdrückung und so gehen. Und so begann die Stunde und die drei jungen Männer, über Form, Farbe, Größe oder Gestalt ihrer Naslöcher ist mir nichts in Erinnerung geblieben, laberten sich durch die Gegend und ich dachte so bei mir: „Ob unsere Chefin der Truppe einen Schein gibt?“
Der Vortragende trug sein Haar eher bunt, an einigen Stellen ausrasiert, wie das damals Mode war und seine Kleidung, ... Ach lassen wir das. Feministen ebend. Das gab es zu der Zeit.
Neben mir höre ich unsere Professorin immer unruhiger werden. Dann beugt sie sich zu mir und flüstert mir in ihrem wunderbaren Wiener Dialekt ins Ohr:
„Sie, sagn’s mal: Is’ es nicht fuachtbar, wenn die Leut so ausschaugn, wies auch sind?“

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jean stubenzweig, Freitag, 24. April 2009, 08:21
Ach, das Thema der Melusine!
Nymphe! Friedrich de la Motte Fouqué nach Paracelsus, Heinrich Heine, dann Oscar Wilde, Jean Giraudoux — der deutsch-französische Médiateur schlechthin! Nicht Kohl und Mitterand. Giraudoux' Undine, Ihr Hans war ein Tolpatsch, nein, ein eitler Fatzke. Er war nicht einmal denkende Seele. Und Ingeborg Bachmann. Und die Männer:

«Denn ich habe die feine Politik verstanden, eure Ideen, eure Gesinnungen, Meinungen, die habe ich sehr wohl verstanden und noch etwas mehr. Eben darum verstand ich nicht. Ich habe die Konferenzen so vollkommen verstanden, eure Drohungen, Beweisführungen, Verschanzungen, daß sie nicht mehr zu verstehen waren. Und das war es ja, was euch bewegte, die Unverständlichkeit all dessen. Denn das war eure wirkliche große verborgene Idee von der Welt, und ich habe eure große Idee hervorgezaubert aus euch, eure unpraktische Idee, in der Zeit und Tod erschienen und flammten, alles niederbrannten, die Ordnung, von Verbrechen bemäntelt, die Nacht, zum Schlaf mißbraucht. Eure Frauen, krank von eurer Gegenwart, eure Kinder, von euch zur Zukunft verdammt, die haben euch nicht den Tod gelehrt, sondern nur beigebracht kleinweise. Aber ich habe euch mit einem Blick gelehrt, wenn alles vollkommen, hell und rasend war — ich habe euch gesagt: Es ist der Tod darin. Und: Es ist die Zeit daran. Und zugleich: Geh Tod! Und: Steh still, Zeit! Das habe ich euch gesagt. Und du hast geredet, mein Geliebter, mit einer verlangsamten Stimme, vollkommen wahr und gerettet, von allem dazwischen frei, hast deinen traurigen Geist hervorgekehrt, den traurigen, großen, der wie der Geist aller Männer ist und von der Art, die zu keinem Gebrauch bestimmt ist. Weil ich zu keinem Gebrauch bestimmt bin und ihr euch nicht zu einem Gebrauch bestimmt wußtet, war alles gut zwischen uns. Wir liebten einander. Wir waren vom gleichen Geist.»

jean stubenzweig, Samstag, 25. April 2009, 01:36
Die Quelle vergessen:
Ingeborg Bachmann, Undine geht, in: Das deißigste Jahr, Erzählungen, Piper-Verlag, München 1961 (23. Auflage), p 232f.

g., Samstag, 25. April 2009, 07:05
Ich danke ihnen für das schöne Zitat; von Ingeborg Bachmann kannte ich nur 'Malina'.
'Hans' als Begriff für derlei 'tote Seelen' war mir auch nicht geläufig. Ich seh schon, den Erzählband werde ich mir besorgen müssen. Lohnt sich auch der Girardoux?

jean stubenzweig, Sonntag, 26. April 2009, 12:51
Jean Giraudoux
unbedingt – wenn man sich für die deutsch-französische Feindschaft oder die französisch-deutsche Freundschaft interessiert. Davon scheint mir das beseelt, was er geschrieben hat (aber ich habe nicht alles gelesen). Auf ihn bin ich unter anderem über seine Undine gekommen, da ich ich mich mit den ganzen Undines beschäftigt hatte (ein bißchen was hat mein aktueller Eintrag damit zu tun – «Ich werde gedacht»). Auf jeden Fall halte ich ihn für sehr interessant, für Sie sicherlich auch, da Sie sich ja ohnehin immer auf Entdeckungsreise befinden.

Und die Bachmann – meine Güte, ja, immer. Die ist einfach großartig.

g., Montag, 27. April 2009, 07:31
Ach, die deutsch-französische Freundschaft
oder Feindschaft. Ich bin ja Jahrgang 55 und zudem Schwabe, da bin ich was die ‚Erbfeindschaft’ anbelangt ein Nachgeborener. Wir konnten mit dieser Hinterlassenschaft des 19. Jahrhunderts nichts mehr anfangen. Für uns waren Franzosen halt Franzosen, also Leute, die in Familienstärke jedes Frühjahr über den Rhein kamen und unglaubliche Mengen Schwetzinger Spargel vertilgten. Darüber hinaus gehen Franzosen wie die Schwaben auf dem Trottoir und bewahren ihre Vorräte im Souterrain auf.
Ich erinnere mich an eine Klassenfahrt nach Verdun, die zur Völkerverständigung beitragen sollte. Ein Franzose, ein Überlebender der Kämpfe, führte uns durch die Gedenkstätte und versuchte uns naiven 14-Jährigen den eingewurzelten Hass hinweg zu pädagogisieren, während wir dachten: Was für ein Hass? Was will er bloß? Und als wir älter wurden, hatten wir mit unserer Elterngeneration ein noch größeres Hühnchen zu rupfen, da blieb für den nationalistischen Irrsinn von 1870 und 1914 kein Raum

jean stubenzweig, Montag, 27. April 2009, 08:54
Das haben Sie
jetzt aber schön gesagt. Da geht einem das Herz auf.

Aber mit anderem war auch kaum zu rechnen. Zumal ich eigentlich da auch nicht hinzielen wollte; ich kann's mir allerdings nicht verkneifen.

g., Montag, 27. April 2009, 09:17
Das ist nun wirklich kein Problem!
Zielen sie, worauf ihnen der Sinn steht. Ich bin zwar nicht frankophil; dazu muss man wohl sehr viel unvertrauter mit Frankreich und den Franzosen sein, denn, um ein Faible für etwas zu entwickeln, ist ein hohes Maß an Idealisierung nötig und das ist mir aufrund der unmittelbaren Nachbarschaft, dem Kennenlernen im Alltäglichen, nicht gegeben.
Wenn ich da nur an die armen Schweine von Wehrpflichtigen denke, die abends ohne Geld aus ihren Kasernen strömten und sich noch nicht mal ein Glas Wein leisten konnten. Die Jungs waren in einem fremden Land, ohne jemanden zu kennen aber voller Testosteron. Ach und die Austauschschüler, die radebrechend ...

jean stubenzweig, Montag, 27. April 2009, 09:53
Das leuchtet mir
nicht so recht ein: «... dazu muss man wohl sehr viel unvertrauter mit Frankreich und den Franzosen sein ... hohes Maß an Idealisierung nötig»

Wie meinen Sie das – im Zusammenhang mit mir?

g., Montag, 27. April 2009, 10:37
Oh, das ist ein Mißverständnis.
Ich meinte es ganz allgemein. Oder genauer gesagt, glaube ich an mir festgestellt zu haben, dass ich immer dann ein Faible für andere Kulturen entwickelt habe, wenn ich mit einem idealisierten Bild versorgt wurde, bevor ich tatsächlichen Kontakt mit dieser Kultur hatte.
Ich habe z.B. ein Faible für Spanien. Das hat m.E. mit meiner Hemingwaylektüre zu tun. Bevor ich jemals in Spanien war, hatte ich schon eine Vorstellung, die ich mir dann weiter ausimaginierte.
Von Ihnen anzunehmen, sie hätten ein uniformiertes Bild von Frankreich und den Franzosen, wäre natürlich reiner Unsinn.

jean stubenzweig, Dienstag, 28. April 2009, 02:03
Nochwas zu Frankreich
(ohne daß ich das ausweiten möchte): Auch nach 1918 gab es da Ereignisse, die die deutsch-französische Freundschaft nicht eben förderte. Interessanterweise erlebte ich es einige Male, daß es ausgerechnet die Älteren waren, die, obwohl sie in den Krieg mußten, sich um Ausgleich bemühten (fast wie Jean Giraudoux, der das 14/18 ja alles mitmachte), durchaus in der Normandie, was nun wirklich die Hölle war. Und die Jungen, mal so nebenbei als Freund des guten Essens angemerkt, die hatten ihre Casinos – mit Sicherheit um einige Klassen besser als Bundeswehrkantinen. Das meint nicht nur den Wein. Den einer deutschen Kneipe – wer wollte den trinken?

Aber Sie haben schon recht: Der französische Militärdienst war (und ist) schon übel. Im Vergleich dazu hatte (und hat) der deutsche Soldat paradiesische Verhältnisse. Bis vor einem Jahr hatte ich einen Sohn dort, bin also einigermaßen im aktuellen Lauf.

vert, Sonntag, 26. April 2009, 17:36
ma/fn läuft wohl an so einigen hochschulen so nebenher.
wobei sie ja tatsächlich mal ein wirklich interessantes thema im angebot hatten; schade, dass die kleinen macker es so hübsch vergeigt haben.
ich hätte an ihrer stelle laut losgeprustet.

g., Montag, 27. April 2009, 07:39
Als unbeamtete Hilfskraft
kann man nicht einfach so im Seminar losprusten.
Mir gingen die Jungs in ihrer selbstgefälligen Ignoranz auch eher auf die Nerven. Aber als unsere Chefin ihre abschließende Bemerkung flüsterte, da musste ich an mich halten.