Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben XX
Die Häuser mit ihren erleuchteten Fenstern kamen ihm außerordentlich schön und freundlich vor; er grüßte ein paar Vorübergehende sehr höflich, ohne sie zu kennen, stand auf einer Brücke still, und lachte gewaltig über einen Kahn, der mit einer kleinen Kette an einer Waschbank befestigt war und hin und her schwankte. Er trug gar kein Bedenken, einen Mann mit einem Kuckkasten anzuhalten, und in seinen Schauplatz bei dem kreischenden Gesange des Alten hineinzusehn und sich von Herzen zu amüsieren. Als das Schauspiel geendigt war, wollte er sich ohne Bezahlung heimlich davonmachen, bloß um mit dem Direktor des Nationaltheaters zanken zu können. Als dieser Streit über das usurpierte Freibillet geendigt war, gab er dem Manne zwölfmal soviel als er verlangte.
Handlungsarme und handlungsreiche Sequenzen wechseln sich ab: Beschleunigung und Verzögerungen.
Die freie Luft nahm nach und nach den Taumel von seinen Sinnen hinweg; es herrschte nun in ihm jene frohe Laune, die kälter und eben deswegen angenehmer ist. Die Umrisse der verschiedenen Gegenstände waren nicht mehr ineinander verflossen, er ging langsamer, und alles, was er sah, machte ihn froh und heiter. Das warme, frohmachende Klima, der helle Sonnenschein und der blaue Himmel werden gleichsam verkörpert in den Weinfässern nach unserm Norden hergefahren; durch den Genuß des Weins wird der Mensch auf einzelne Stunden der Bewohner jener schönen Länder, und kehrt nur ungern in sein kaltes Klima nach den verflogenen Dünsten zurück. Siegmund nahm sich in dieser Stimmung vor, eine große und poetische Apologie des Weins und der Trunkenheit zu schreiben, zu beweisen, wie mit dem Rausche das Herz erwärmt und gehoben wird, wie unbemerkte geistige Kräfte des Menschen sich aus ihrem Hinterhalte hervorschleichen, und das Gehirn zum bunten Tanzplatz der schönsten und feinsten Gedanken machen. – Um sich nicht selbst Lügen zu strafen, gab er einem alten Krüppel alles Geld, das er bei sich trug, ohne es auch nur vorher zu zählen. »Da ich mich glücklich fühle«, sagte er, »so nimm, und sei es auch heute abend, und meine Augen sollen nicht wissen, was meine Hände tun.«


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