Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Donnerstag, 3. September 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 46
(Aufenthalt in Matavai-Bay)
Über den König O-TU:
“Nicht nur als Regent, sondern auch der Statur nach war er, wenigstens so viel WIR sahen, der größte Mann auf der Insel, denn er mas völlige 6 Fus 3 Zoll. Er hatte starke und wohlproportionierte Gliedmaßen, war überhaupt wohl gemacht, und hatte auch vor der Hand noch keinen Ansatz zu übermäßiger Corpulenz. Ohnerachtet etwas finsteres, und vielleicht schüchternes in seinem Ansehen war, so leuchtete doch übrigens Majestät und Verstand daraus hervor, gleichwie auch in seinen lebhaften schwarzen Augen viel Ausdruck war. Er hatte einen starken Knebel-Bart, der gleich dem Unterbart und dem starken lockigten Haupt-Haar pechschwarz war.“
(Forster S. 299/300)
Mal ausprobieren: eine Beschreibung einer Person oder einer Szenerie in diesem Duktus und in modernerem, um zu testen, ob der Zauber durch den zeitlichen Abstand oder die Art der Beschreibung entsteht. Elemente: lange Perioden, Adjektive und Adverbien, naive Vergleiche, vergangene Wortbedeutungen, Motive mit Tradition.

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Mittwoch, 2. September 2009
Mein Nachbar, der Herr S.
kämpft aufopferungsvoll gegen die Obrigkeit und dies begab sich so: bei uns in der Straße wurde der Bürgersteig erneuert. Neue Bordsteine, neue Schweinebäuche, neue Berliner aus Grauwacke und neue Katzenköpfe in den Hofeinfahrten.
Die Bezirksverwaltung hatte entsprechend Parkverbotsschilder aufgestellt, damit die Firmen Schuttcontainer aufstellen und mit ihren kleinen Kränen die Bordsteine heraushieven können. Auch vor der Fahrschule. Aber das kann man mit Herrn S. nicht machen und so sah ich ihn, wie er munter die Schilder einige Meter versetzte.
“N’Abend, das könnte aber Ärger geben, wenn die Straßenbauer morgen früh ihre Steine abladen wollen.“
„Ah ja, und wer zahlt mir den Verdienstausfall?“
„Ich verstehe nicht?“
„Ist doch ganz einfach: hier stehen meine Fahrzeuge. Wenn die Kunden sehen, dass sie durch den Dreck laufen müssen, bleiben sie weg. Die Konkurrenz schläft nicht.“
„Ja schon, vielleicht, aber irgendwann muss die Straße doch gemacht werden?“
„Klar, schließlich habe ich den Baustadtrat lange Jahre angeschrieben, dass das nicht so weiter gehen kann. Wenn ich denke, wie glatt das im Winter ist, von den abgebrochenen Absätzen meiner Schüler ganz zu schweigen.“
„Äh, ja?“
„Aber doch nicht so!“
„Ich verstehe nicht?“
Inzwischen war ein Polizist in Sichtweite gekommen. Er rückte gelegentlich eine Absperrung gerade, verbreiterte eine Zugang zu einem Haus oder notierte sich etwas.
„Das bringt doch nix, jetze machen sie neue Steine rein, aber in ein paar Jahren ist das wieder genau so krumm und bucklig wie jetzt.“
„Nun, ich bin kein Straßenbauer, aber so weit ich weiß, muss der Sand zwar ein- oder zweimal verdichtet werden, dann ist aber auch gut.“
„Ich kann es beim Telefonieren hören. Mit diesen großen Rüttlern bringen sie das Haus zum vibrieren. Verdammt noch mal.“
Ich nickte dem Polizisten zu. Er grüßte zurück und stellte das Parkverbotsschild wieder an seinen ursprünglichen Platz.
„Was machen sie da?“ blaffte Herr S. los. „Eins kann ich ihnen sagen, wenn eines meiner Schulfahrzeuge ein Knöllchen bekommt, ist aber was los!“
„Wenn die Pflasterer morgen nicht an den Bordstein kommen, ist noch viel mehr los.“
„Sie können doch nicht die Schilder so aufstellen, wie es ihnen gerade passt.“
„Ich stelle ja auch keine Schilder auf, ich stelle sie nur an den Platz zurück, an dem sie vorgesehen waren. Ich kenne meine Pappenheimer.“
Heute versprach die Begegnung mit meinem Nachbarn amüsant zu werden.
Herr S. fixierte den Polizisten und redete sich in Rage.
„Sie glauben wohl, nur weil sie eine Uniform tragen, können sie mit den Bürgern umspringen wie sie wollen? Aber nicht mit mir!“
„Wissen sie, wie viel Steuern ich zahle?“ konterte der Polizist.
„Was? Ach papperlapapp, statt hier Verbotsschilder herum zu tragen, sollten sie ...“
„Richtig, wenn nicht immer jemand die Aufsteller versetzen würde, könnte ich mich um etwas anderes kümmern.“
Ich musste grinsen, Herr S. ärgerte sich und wollte zu einer längeren Rede, vermutlich über Bürokratie und ..., ansetzen.
„So ich muss dann mal weiter,“ sagte der Polizist, nickte mir zu und verschwand um die Ecke.
„Das war noch nicht das letzte Wort“, sagte Herr S. und wollte das Parkverbotsschild wieder versetzten. Der freundliche Polizist sah noch einmal kurz um die Häuserecke und sagte: „Das Schild bleibt wo es ist!“

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Dienstag, 1. September 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 45
>(Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
“Während daß wir uns in diesem Hause in diesem Hause allerseits ausruhten, fragte E-TIE (ETI) der dicke Mann, den wir für den vornehmsten Rath des Königs ansahen, ob wir in unserm Lande einen Gott (EATUA) hätten, und ob wir ihn anbetheten? (EPUHRE?) Als wir ihm antworteten, daß wir einen Gott erkennten, der alles erschaffen habe, aber unsichtbar sey, und daß wir auch gewohnt wären, unsre Bitten und Gebethe an ihn zu richten, schien er höchlich darüber erfreuet und wiederholte es mit einigen, vermuthlich erläuternden, Zusätzen gegen verschiedene von seinen Landesleuten, die zunächst um ihn saßen. Hierauf wandte er sich wieder gegen uns und sagte, so viel wir verstehen konnten, daß seiner Landsleute Begriffe mit den unsrigen in diesem Stück übereinstimmten. Und in der That läßt sich aus mehreren Umständen abnehmen, daß dieser einfache und einzige richtige Begrif von der Gottheit, in allen Zeiten und Ländern bekannt gewesen ist, und daß jene verwickelten Lehrgebäude von ungereimter Vielgötterey, die man fast bey allen Völkern der Erden angetroffen hat, nur der Kunstgriff einiger verschlagener Köpfe gewesen, die ihr Interesse dabey fanden dergleichen Irrthümer allgemein zu machen. Herrschsucht, Wollust und Faulheit scheinen dem zahlreichen Haufen der heidnischen Pfaffen den teuflischen Gedanken eingegeben zu haben, den Geist der Völker durch Aberglauben zu fesseln und zu blenden. Es ist ihnen auch nicht schwer geworden, diesen Entwurf durchzusetzen, weil der Mensch von Natur so sehr zum Wunderbaren geneigt ist, und eben diese Neigung ist Schuld daran, daß jene damit übereinstimmende Vorurtheile sich so fest und so tief in die Systeme menschlicher Kenntniß hineingeschlungen hatten, daß sie bis auf diesen Augenblick noch in Ehren gehalten werden, und daß der größte Theil des menschlichen Geschlechts sich in DEM Punkt noch immer auf die gröbste Weise blindlings hintergehen läßt.“
(Forster S. 285/6)
Monotheismus als Norm, Polytheismus als Betrug. Nach modernem Verständnis ist die polynesiche Religion von Totemismus, Animismus und Ahnenkult geprägt.

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Montag, 31. August 2009
Naslöcher IV
N.nbluten ist gesund. Wer aus dem linken Nasloch blutet, dem mißlingt sein Vorhaben. In der Pfalz betrachtet man in hitzigen Krankheiten das N.nbluten als ein schlimmes Vorzeichen. Der Kranke, glaubt man, lebe nur noch so viele Tage, als er Tropfen Blutes verliere. In Franken dagegen gilt es als gutes Zeichen. Nach dem Glauben der Romänen im Harbachtal stirbt jemand aus der Familie, wenn die Nase aus der linken Seite blutet, bedeutet es dagegen etwas Gutes, wenn sie aus der rechten blutet.“
(Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 1927-42 Bd. 6, S. 972-973,digitale Bibliothek bd. 145)

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Freitag, 28. August 2009
Fundstuecke 34. - 35. KW 2009
Hintergründe und Sichtweisen:
  • Die Stadt, das Geld und die Krise
  • Zeitempfinden: Jugendgefängnis [via nightline]
  • Neonazis in der DDR

    Kluges und Interessantes:
  • Daniel Siemes im Interview über sein Buch "Horst Wessel: Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten"
  • Die Dummheitsvermutung [via Citronengras]
  • Bettina von Arnim: genialisch, poetisch und nervtötend
  • Andrzej Stasiuk: Licheń lässt mir keine Ruhe [via stralau]
  • Übersetzung vom Deutschen ins Deutsche: der abenteuerliche Simplicissimus


  • schönes:
  • creative wonders around the world [via Astrid Paprotta]


  • Nachträge:
  • "Ostzeit - Geschichten aus einem vergangenen Land" in der Kongreßhalle im Haus der Kulturen der Welt

  • Ich war am letzten Sonntag in der Ausstellung: ein bemerkenswerter Blick auf die DDR
  • Peter Zadek: Trailer zu 'Ich bin ein Elefant, Madame
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    Donnerstag, 27. August 2009
    Georg Forster: Reise um die Welt 44
    (Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
    Fortsetzung von Reise um die Welt 43
    “Die träge Üppigkeit dieses Insulaners glich gewissermaßen dem Luxus dieser Art, der in Indien und andern östlichen Ländern unter den Großen so allgemein im Schwange ist, und über den sich SIR JOHN MANDEVILLE, in der Beschreibung seiner asiatischen Reisen, mit gerechtem Unwillen ausläßt. Dieser brave Rittersmann, dessen Denkungsart und Heldenmuth ganz auf den ritterhaften Ton seiner Zeiten gestimmt waren, brachte sein Leben in beständiger Thätigkeit hin, und gerieth in herzlichen Eifer, als er irgendwo ein Ungeheuer von Faulheit antraf, das seine Tage verstreichen ließ, »ohne einziges ritterliches Ebentheuer und so immerfort faullenzte als ein Schwein, das auf dem Stalle gefüttert wird, um gemästet zu werden.«“
    (Forster S. 276)
    Mandeville als Zeugen anzuführen erstaunt etwas, galt er doch seitens der Aufklärung als ‚Lügner‘ und ‚Betrüger‘. Ihm wurde vorgehalten, dass seine Informationen unzuverlässig oder gar frei erfunden seien und dass er selbst nie auf Reisen war, mithin ohne eigene Erfahrung persönliche Beobachtungen behauptete. Dies musste auch Forster bekannt sein.
    Mandeville war im 18. Jahrhundert zwar in der Form der ‚Volksbücher‘, vulgo Groschenhefte, allseits präsent, allerdings waren diese (Kinder-)Lesestoff des gehobenen Bürgertums, wenn man Goethe glauben darf, der dieses berichtet. Es war also zumindest in Teilen das gleiche aufgeklärte Bürgertum an das sich auch die Aufklärung richtete. Auch wenn man die Passage als Zugeständnis an den Geschmack des Publikums liest, bleibt sie erstaunlich, zumal sich Forster als Naturforscher sah.

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    Mittwoch, 26. August 2009
    Bionade oder Bastonade
    schoss mir letztens durch den Kopf. Und die Geschichte dazu geht so:
    Ich kaufe ja ganz gerne im Biosupermarkt ein. Weil: a bisserl weniger Gift ist ja nicht völlig verkehrt und meistens schmeckt das Zeug einfach besser und Supermarkt, weil man da nicht so ‚Grün im Gesicht’ wird und meistens untertourige Zeitgenossen vermeiden kann. Aber eben nicht immer.
    Eine Herr Mitte Zwanzig, Fusselfrisur war durstig und ist mit Kind und Kinderwagen in den Bioladen gegangen, um sich ein Erfrischungsgetränk zu kaufen. Ist ja auch völlig in Ordnung, Durst hat schließlich jeder. Er ist vor mir in der Kassenschlange und nimmt annähernd drei Meter Raum ein.

    Haben sie sich schon mal gefragt, warum die Kindertransportmittel nicht mehr klein und praktisch, zusammenklappbar und ruckzuck im Auto verstaubar sind? Ich denke, es hat mit dem Personalabbau bei Rüstungsfirmen zu tun. So ein Ingenieur baut jahrelang Panzer und Haubitzen, landet dann bei einer Firma für Kinderwagen und soll sich plötzlich umstellen? Der Geist lebt fort, sage ich ihnen. Und warum die Panzerkonstrukteure im Kinderbusiness gelandet sind? Zufall ist das sicher nicht ...

    „Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“
    Das Kind guckt verwirrt, die Schlange wurde länger.
    „Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“
    Das Kind strahlt, die Schlange wurde länger.
    „Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“
    Das Kind lächelt ihren Papa an, die Schlange wurde länger, die Kassiererin ruft:
    „Könnte mal jemand kommen und eine weitere Kasse aufmachen?“
    „Gleich“, tönt es dumpf aus dem Lager. Die Schlange wurde länger.
    „Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“ Das Kind ist verwirrt, die Schlange wurde länger.
    „Ähem,“ hob ich an.
    „Mein Gott, nun hab‘ dich doch nicht so, es ist doch noch ein Kind!“
    „Schon, nur …“ versuchte ich zu argumentieren. Es sollte etwa so aussehen: Es sei heiß und ich käme von der Arbeit und ich hätte Hunger und meine Frau käme dann auch in einer Stunde und die sei auch müde und verschwitzt und hätte Hunger und ob er nicht so freundlich sein könnte … und im Übrigen ginge es ja nicht um das Kind, sondern darum, dass er mit seinem riesigen Gefährt, und Duziduziduzi könne er auch noch später und überhaupt draußen? So ungefähr, aber ich kam ja nicht dazu.
    „Typisch deutsch, völlig uncool. Kein Wunder, dass immer weniger Leute Kinder haben wollen. Darüber solltest du mal nachdenken!“
    Ja is klar, nachdenken. Vielleicht darüber, dass es mir unangenehm ist von fremden, sehr unsympathischen Leuten geduzt zu werden? Oder über Coolness?

    Es sind ja nicht nur die Grüngesichtigen, die Hobbymusiker (früher waren die Bob-Marley-Fans und heute?), die Freizeitpunks und die Pendler (wo sind die Energieströme?) die ‚cool’ sein müssen oder wollen, auch die Alkoholleichen, die am Sonnabend über den Boxhagener Markt nach Hause wanken und selbst die freidemokratischen Minderleister mit ihren Konfirmationsanzügen und die kaugummikauenden Rotzgören aus Reinickendorf wollen ‚cool’ sein. Coole sind eine Plage. Hier ist es vielleicht angebracht innerhalb der Abschweifung abzuschweifen. Vor langer Zeit war ich mal auf der schönen Insel San Andrés in der Karibik: Palmenstrände, Musik und scharf gewürztes Essen, eben ganz so wie man sich die Karibik vorstellt. Und richtig coole Leute, genauer gesagt: Männer, den irgendwer muss auch in der Karibik arbeiten und das sind hier die Frauen. Als wir am frühen Nachmittag im Hotel ankamen, hielten die Damen ein Mittagschläfchen und die Herren saßen in ihren Hängematten und beobachteten die Welt. Die Luft hatte gefühlte 50 Grad, wir waren seit sechs Uhr auf den Beinen, hatten uns durch den Zoll gequält, waren eine Stunde mit unseren Rucksäcken durch die Mittagshitze gestiefelt, weil das einzige Taxi der Insel auf Tour war und stanken wie die Iltisse. Wir wollten ein Zimmer, wir wollten etwas zu trinken und wir wollten duschen. Die fünf Herren von 15 bis 75 Jahren waren außerstande, sich zu erheben oder Auskunft zu geben, ob und wann ein Zimmer zur Verfügung steht. „Cool down, man!“ Ja, Ne, is klar, aber... „Just wait, my daughter will manage later.“ Ach ja, gut, aber ist denn noch ein Zimmer frei? “We will see later, cool down.” Coole Jungs sind etwas für ausgeruhte Menschen. Als wir am nächsten Tag am frühen Nachmittag mit einem Drink in der Hand in unseren Hängematten saßen und der nächste Touristenschub dreckig, erschöpft und verschwitzt ankam, konnten wir vieles entspannter sehen.

    „1,49“ sagte die Kassiererin. 1,49? Da war doch noch was? Ach richtig, bezahlen, Geld, wo isses denn? Es war doch irgendwo? In der Buxe? Nein, es ist im Laderaum seine Hummer. Dabei musste er sich zu dem Kind hinab beugen, das inzwischen wieder verstaut war. Sie ahnen es: „Duziduziduzi“ und das war der Moment in dem mir Kara Ben Nemsi und sein Gleitbrief des Padischah einfiel, der es ihm ermöglichte im Namen von Frieden und Gerechtigkeit einen grässlichen Schurken, dessen Namen und Verfehlung ich vergessen habe, mit der Bastonade zu beglücken.

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    Dienstag, 25. August 2009
    Georg Forster: Reise um die Welt 43
    (Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
    “… kamen wir zu einem hübschen Hause, in welchem ein sehr fetter Mann ausgestreckt da lag, und in der nachläßigsten Stellung, das Haupt auf ein hölzernes Kopfküssen gelehnt, faullenzte. Vor ihm waren zwey Bediente beschäftigt seinen Nachtisch zubereiten. Zu dem Ende stießen sie etwas Brodfrucht und Pisange in einem ziemlich großen hölzernen Troge klein, gossen Wasser dazu und mischten etwas von dem gegohrnen, sauren Teige der Brodfrucht darunter, welcher MAHAI genannt wird, bis das Gemische so dünn als ein Trank war. Das Instrument, womit sie es durchrieben, war eine Mörser-Keule von einem schwarzen polirten Steine, der eine Basalt-Art zu seyn schien. Inmittelst setzte eich eine Frauernsperson neben ihn und stopfte ihm von einem großen gebacknen Fische und von Brodfrüchten jedesmal eine gute Hand voll ins Maul, welches er mit sehr gefräßigem Appetit verschlang. Man sahe offenbar, daß er für nichts als den Bauch sorge, und überhaupt war er ein vollkommnes Bild phlegmatischer Fühllosigkeit. Kaum würdigte er uns eines Seitenblicks und einsylbigte Wörter, die er unterm Kauen zuweilen hören ließ, waren nur eben so viel Befehle an seine Leute, daß sie überm Hergucken nach uns, das Futtern nicht vergessen mögten. Das große Vergnügen, welches wir auf unsern bisherigen Spatziergängen in der Insel, besonders aber heut, empfunden hatten, ward durch den Anblick und durch das Betragen dieses vornehmen Mannes nicht wenig vermindert. Wir hatten uns bis dahin mit der angenehmen Hoffnung geschmeichelt, daß wir doch endlich einen kleinen Winkel der Erde ausfündig gemacht, wo eine ganze Nation einen Grad von Civilisation zu erreichen und dabei doch eine gewisse frugale Gleichheit unter sich zu erhalten gewußt habe, daß alle Stände mehr oder minder, gleiche Kost, gleiche Vergnügungen, gleiche Arbeit und Ruhe mit einander gemein hätten. Aber wie verschwand diese schöne Einbildung beym Anblick dieses trägen Wollüstlings, der sein Leben in der üppigsten Unthätigkeit ohne allen Nutzen für die menschliche Gesellschaft, eben so schlecht hinbrachte, als jene priviligirten Schmarotzer in gesitteten Ländern, die sich mit dem Fette und Überflusse des Landes mästen, indeß der fleißigere Bürger desselben im Schweiß seines Angesichts darben muß.“
    (Forster S. 275/6)

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    Montag, 24. August 2009
    An einen politischen Dichter
    Du singst wie einst Tyrtäus sang,
    Von Heldenmut beseelet,
    Doch hast du schlecht dein Publikum
    Und deine Zeit gewählet.

    Beifällig horchen sie dir zwar,
    Und loben schier begeistert:
    Wie edel dein Gedankenflug,
    Wie du die Form bemeistert.

    Sie pflegen auch beim Glase Wein
    Ein Vivat dir zu bringen,
    Und manchen Schlachtgesang von dir
    Lautbrüllend nachzusingen.

    Der Knecht singt gern ein Freiheitslied
    Des Abends in der Schenke:
    Das fördert die Verdauungskraft
    Und würzet die Getränke.

    Heinrich Heine

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    Freitag, 21. August 2009
    Herabwürdigungen für jede Gelegenheit,
    heute: Der Schuirabrutzler

    Schuirabrutzler, der von Schuira (pl. für Scheune) und brutzeln (braten, grillen) ist im Süddeutschen ein windiger Geschäftsmann, einer der auf Kosten anderer seinen Vorteil sucht und dabei wenig Rücksicht auf Sitte oder Recht nimmt.



    Reich sind sie geworden, die Bäuerlein, in den 50er und 60er Jahren durch das Abfackeln ihrer Scheunen und dem anschließenden Einkassieren der Entschädigungen. Man erzählt sich, dass die Bauern chronisch erkältet waren in dieser Zeit, weil sie bei jedem Sturm draußen waren, um beim ersten Blitzschlag in interessanter Nähe mit dem Feuerzeug das Stroh in Brand zu setzen. So etwas setzt der Gesundheit zu, keine Frage. Dann kam der Bauboom und man konnte die Äckerlein als Bauland teuer verkaufen. Versicherungsbetrug kam aus der Mode. Das Wort ist geblieben.

    In der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, gab es einen örtlichen Baulöwen, wie in jeder kleineren oder größeren Stadt, und der war im Gemeinderat, wie in jeder größeren oder kleineren Stadt, und der wollte Bürgermeister werden, weil als Gemeinderat kam es doch vor, dass ihm ein öffentlicher Auftrag flöten ging.
    Das Blöde war nur, dass der Bürgermeister direkt gewählt wurde und dass in einer Kleinstadt jeder jeden kennt und in den 70er Jahren ein hohes Interesse an Kommunalpolitik (und Politik überhaupt) bestand. Und so musste er einen großen Wahlkampf führen und viel Geld in zukünftige Aufträge investieren. Die Stadt wurde umfassend plakatiert, Diskussionen veranstaltet, wie das damals Mode war, und auf jeder Veranstaltung wurde er gefragt, warum er denn Bürgermeister werden wolle und er hub an zu rhabarbern und immer war jemand da, der leise, aber vernehmlich „Schuirabrutzler“ tuschelte. Und so wurde es eine Fehlinvestition.

    Heute wird das Gleiche in großem Maßstab betrieben. Es gibt sogar einige größere und kleinere Parteien, nicht nur auf kommunaler Ebene, denen man nachsagt, dass das Spitzenpersonal nur Politik betreibt, um sich und ihren Kumpels (Pierre Bourdieu nannte das ‚kulturelles Kapital‘) einen millionen- oder milliardenschweren Vorteil zu verschaffen. Manchen ist das klar und egal und manche haben sich eine wohlklingende Fertigung zu Recht gelegt. Ich nenne sie nach wie vor Schuirabrutzler.

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    Donnerstag, 20. August 2009
    Georg Forster: Reise um die Welt 42
    (Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
    “In diesem friedlichen Aufzuge gelangten wir nun an eine geräumige Hütte, in welcher eine zahlreiche Familie beysammen war. Ein alter Mann, aus dessen Blicken Friede und Ruhe hervorleuchtete, lag auf einer reinen Matte und sein Haupt ruhte auf einem Stuhle, der ihm zum Küssen diente. Es war etwas sehr Ehrwürdiges in seiner Bildung. Sein silbergraues Haar hieng in vollen Locken um das Haupt her, und ein dicker Bart, so weiß als Schnee, lag auf der Brust. In den Augen war Leben, und Gesundheit sas auf den vollen Wangen. Der Runzeln, welche unter UNS das Antheil der Greise sind, waren wenig; denn Kummer, Sorgen und Unglück, die UNS so frühzeitig alt machen, scheinen diesem glücklichen Volke gänzlich unbekannt zu seyn. Einige Kinder, die wir für seine Gros-Kinder ansahen, der Landesgewohnheit nach ganz nackend, spielten mit dem Alten, dessen Handlungen, Blicke und Minen augenscheinlich bewiesen, wie Einfalt des Lebens, die Sinnen bis ins hohe Alter bey vollen Kräften zu erhalten vermag. Einige wohlgebildete Männer und kunstlose Dirnen hatten sich um ihn her gelagert und bey unserm Eintritt schien die ganze Gesellschaft, nach einer ländlich frugalen Mahlzeit, im vertraulichen Gespräch begriffen zu seyn. Sie verlangten, daß wir uns auf die Matten neben sie setzen mögten, wozu wir uns nicht zeymal nöthigen ließen. Es schien, als hätten sie noch keinen Europäer in der Nähe gesehen, wenigstens fiengen sie sogleich an, unsre Kleidungen und Waffen neugierigst zu untersuchen, doch ließ ihr angebornes flatterhaftes Wesen nicht zu, länger als einen Augenblick bey einerley Gegenstande zu verweilen. Man bewunderte unsre Farbe, drückte uns die Hände, konnte nicht begreifen, warum keine Puncturen darauf waren und daß wir keine langen Nägel hätten. Man erkundigte sich sorgfältig nach unsern Namen und machte sich eine Freude daraus, sie mehrmalen nachzusprechen. Dies kam aber, der indianischen Mundart nach, allemal so verstümmelt heraus, daß selbst Etymologisten von Profeßion Mühe gehabt haben würden, sie wieder zu erathen. FORSTER ward in MATARA verändert; HODGES in OREO; GRINDALL in TERINO; SPARMANN in PAMANI, und GEORG1 in TEORI. An der Gastfreyheit, die wir in jeder Hütte fanden, fehlte es auch hier nicht; man both uns Cocos-Nüsse und E-VIHS an, um den Durst zu löschen, und der Alte ließ uns oben drein eine Probe von den musicalischen Talenten seiner Familie hören. Einer von den jungen Männern blies mit den Nasenlöchern eine Flöte von BAMBUSROHR, die drey Löcher hatte und ein andrer sang dazu. Die ganze Music war, sowohl von Seiten des Flötenspielers als auch des Sängers, nichts anders als eine einförmige Abwechslung von drey bis vier verschiednen Tönen, die weder unsern ganzen, noch den halben Tönen ähnlich klangen, und dem Werth der Noten nach, ein Mittelding zwischen unsern halben und Vierteln seyn mochten. Übrigens war nicht eine Spur von Melodie darinn zu erkennen; eben so wenig ward auch eine Art von Tact beobachtet, und folglich hörte man nichts als ein einschläferndes Summen. Auf diese Weise konnte die Music das Ohr freylich nicht durch falsche Töne beleidigen, aber das war auch das beste dabey, denn lieblich war sie weiter eben nicht zu hören. Es ist sonderbar, daß, da der Geschmack an Music unter alle Völker der Erde so allgemein verbreitet ist, dennoch die Begriffe von Harmonie und Wohlklang bey verschiednen Nationen so verschieden seyn können.“

    1 “Der jüngere Herr FORSTER ließ sich, zum Unterschied von seinem Herrn Vater bey diesem Vornamen nennen. A.d.V.”
    (Forster S. 271/2)
    Zuerst der edle, dann der pittoreske Wilde, unzivilisiert aber glücklich.

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    Mittwoch, 19. August 2009
    Wenn man in der S-Bahn
    zwischen der Avonberaterin und einem Herrn in H&M-Anzug steht, bei dem alle zwei Minuten die Winde abgehen, werden einem die Nachteile der derzeit häufig überfüllten Züge doch sehr deutlich. Die Mischung macht's, meine Damen und Herren!

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    Dienstag, 18. August 2009
    Georg Forster: Reise um die Welt 41
    (Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
    “Das Ufer, dessen schlängelnder Krümmung wir aufwärts folgten, brachte uns zu einem senkrecht stehenden und mit mancherley wohlriechendem Gebüsch behangenen Felsen, von welchem sich eine Crystallhelle Wasser-Säule in einen glatten klaren Teich herabstürzte, dessen anmuthiges Gestade überall mit bunten Blumen prangte. Dies war eine der schönsten Gegenden die ich in meinem Leben gesehen. Kein Dichter kann sie so schön mahlen. Wir sahen von oben auf die fruchtbare überall angebaute und bewohnte Ebene herab, und jenseits dieser in das weite, blaue Meer hinaus! Die Bäume, welche ihre dickbelaubten Zweige gegen den Teich hin ausbreiteten, gewährten uns kühlen Schatten, und ein angenehmes Lüftchen welches über das Wasser her wehete, milderte die Hitze des Tages noch mehr. Hier legten wir uns auf den weichen Rasen hin, um beym feierlich einförmigen Geräusch des Wasserfalls, dazwischen dann und wann ein Vogel schlug, die eingesammelten Pflanzen zu beschreiben, ehe sie verwelkten.“
    (Forster S. 270)
    schlängelnder Krümmung, kristallhell, anmutiges Gestade, dickbelaubte Zweige

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    Montag, 17. August 2009
    Steinklops
    Die Steinklopse beim Curling heißen rocks und dürfen nur aus einem bestimmten schottischen Granit sein. Da sollte sich die EU mal drum kümmern, Monopole so weit das Auge reicht.

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