Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Freitag, 14. August 2009
schikanöse Verschattung
Die Wendung tauchte meines Wissens vor ein paar Jahren in einem Schriftsatz eines Amtsgerichtes auf. Der Kläger beschuldigte seinen Nachbarn, einen Baum exakt so gepflanzt zu haben, dass nach einigen Jahren seine Terrasse vollständig im Schatten läge. Der Kläger unterstellte dem Nachbarn Absicht; der Nachbar als Sonnenräuber, als Schikaneur. Vielleicht war es auch eine Schikaneuse, eine schikanöse Verschatterin (Die Nachbarin oder die gepflanzte Robinie). Ob die Klägerin oder der Kläger die Alliteration bewusst gewählt hatte oder von der Erregung über die vermeintliche Gemeinheit in die Höhen lautlicher Schöpfung getragen wurde, ist nicht bekannt.
Schirkan, der Tiger aus Disneys Dschungelbuch oder andere Affineure des Dunkels, Verwandte des Sonnenräubers, könnten sich die schikanöse Verschattung zu Nutze machen. Dunkle Gestalten in dunklen Gassen, Garotteure, betrügerische Gasableser, Vaganten, Granatapfeldiebe und anderes inkurables, lichtscheues Gesindel könnten im Gefolge der schikanöse Scheinakazienpflanzerin in das nachbarliche Haus einsteigen. Es geschehen ja so viele schreckliche Dinge heutzutage.

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Donnerstag, 13. August 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 40
(Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
“Die erste Bitte bestand gewöhnlich darinn, daß wir ein Gewehr abfeuern mögten; und das thaten wir unter der Bedingung, wenn sie uns einen Vogel zum Ziel zeigen könnten. Doch waren wir dabey mehr als einmal in Verlegenheit, weil sie uns oft Vögel zeigten, die vier bis fünfhundert Schritte weit von uns saßen. Sie wußten nicht, daß die Würkung unsers Gewehrs nur bis auf gewisse Entfernungen reicht; und da es eben nicht rathsam war, sie das Geheimniß zu lehren, so stellten wir uns gemeiniglich als könnten wir den Vogel nicht gewahr werden, bis wir unter diesem Vorwande so nahe heran gekommen, daß er zu erreichen war. Der erste Schuß machte immer großes Schrecken; einige fielen darüber platt zur Erde oder rannten ohngefähr zwanzig Schritt weit zurück, bis wir ihnen durch freundliches Zureden die Furcht genommen, oder ihre herzhafteren Landsleute den geschoßnen Vogel aufgelangt hatten. Sie gewöhnten sich indessen bald besser daran, und wenn sie gleich noch bey jedem neuen Schusse zusammen fuhren, so ließen sie ihre Furcht wenigstens zu keinem weitern Ausbruche kommen“
(Forster S. 268)

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Mittwoch, 12. August 2009
Fahrradfahrergeschichten 3
Vor mir in der Boxhagener Straße: Hundescheiße soweit das Auge reicht. Verdammt, wann kommt die BSR und saugt das weg? Ein Radfahrer kurvt langsam den Bürgersteig entlang, erwischt mit dem Hinterrad die Scheiße. Das Schutzblech ist nicht vorschriftsmäßig und streift sie ab. Sie fliegt in Stücke zerteilt auf das Klemmbrett eines Polizisten, der gerade einen Verkehrsunfall aufnimmt.
Da ich es nicht eilig habe, betrachte ich mir die Auslage eines Plattenladens sehr ausgiebig: hauptsächlich Heavy Metal. Nun gut, ist ja auch nicht wirklich wichtig. Nach einer mittelgroßen Brüllerei fragt der Beamte: „Sind sie mit einem Verwarnungsgeld von 10 Euro einverstanden?“

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Dienstag, 11. August 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 39
(Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
“Ein Mann von mittlern Alter, der in dieser Hütte seiner ruhe pflegte, nöthigte uns Platz bey ihm zu nehmen, und so bald dieses geschehen, untersuchte er meine Kleidung mit vieler Aufmerksamkeit. Er hatte sehr lange Nägel an den Fingern, worauf er sich nicht wenig zu gut that. Ich merkte auch bald, daß dies ein Ehrenzeichen ist, in so fern nemlich nur solche Leute DIE NICHT ARBEITEN, die Nägel so lang wachsen lassen können. Eben diese Gewohnheit findet man unter den Chinesern, und auch die sind sehr stolz darauf. Ob aber die Einwohner von TAHITI sie aus China her bekommen, oder ob zufälligerweise beyde Völker, ohne einige Gemeinschaft mit einander zu haben, auf solcherley Einfall gerathen seyn mögen? Das dünkt mich selbst für den Scharfsinn eines NEEDHAM* oder DES GUIGNES** zu hoch. In verschiednen Winkeln der Hütte saßen, hier die Mannsleute, dort die Frauenspersonen beysammen und nahmen so von einander abgesondert ihr Mittagsmahl zu sich, das in Brodfrucht und Pisangen bestand. Beyde Partheyen schienen, je nachdem wir uns einer oder der andern näherten, zu wünschen, daß wir mitessen mögten. Es ist eine sehr sonderbare Gewohnheit, daß sich hier zu Lande beyde Geschlechter beym Essen von einander trennen müssen; warum dies aber geschiehet, oder was Veranlassung zu diesem Gebrauch gegeben haben mag? Konnten wir eben so wenig als Capitain COOK auf seiner vorigen Reise in Erfahrung bringen.“
(Forster S. 265/6)
* John Turberville Needham (* 10. September 1713 in London; † 30. Dezember 1781 in Brüssel) hatte eine These zur Verwandtschaft der Völker aufgestellt.
** Joseph de Guignes 1721-1800), vertrat die Auffassung, dass die Chinesen von den Ägyptern abstammen.

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Montag, 10. August 2009
Herabwürdigungen für jede Gelegenheit,
heute: Der Gimpel
„Aus dem »Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung« von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller


Gimpel, die: nomadisierendes Wüstenvolk, beheimatet in der süßen Wüste Zamoniens; eine vom Zufall zusammengewürfelte Notgemeinschaft von gesellschaftlichen Aussteigern und Außenseitern, die ihr Heil in der Einsamkeit suchen, dann aber wahrscheinlich nicht damit zurechtkamen und eine wandernde Stammesgemeinde gebildet haben, die immer noch im Wachstum begriffen ist. Finden die Gimpel in der Wüste eine notleidende oder orientierungslose Person, so nehmen sie sich ihrer an und in ihren Stamm auf, ohne Ansehen von Stand, Vermögen, Geschlecht oder Dimensionszugehörigkeit. Die Gimpel möchten erklärtermaßen nicht am sogenannten geregelten bürgerlichen Lebenswandel teilhaben, sondern einem eigenen Ideal von Freiheit und Müßiggang ohne Bevormundung nachhängen, unter möglichst hohen Temperaturen.
Die Gimpel sind erklärte Gegner jeglicher Auseinandersetzung, tierlieb, umgänglich und gastfreundlich, teilen leicht wirre gesellschaftspolitische Vorstellungen und haben eine Vorliebe für bizarre Namensgebung.“
(Walter Moers Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär)
Mein Gott, ja, durchaus, die Gimpel, was soll man dazu sagen? Das sie leichtgläubig sind? Das sie einem den letzten Nerv rauben können?
Die größten Gimpelvorkommen existieren meines Wissens auf der schönen Insel Gomera im Atlantik, im Valle Gran Rey. Im Ortsteil Vueltas gibt es eine Strandbar mit einem Gimpelanteil von sicher 98%, die umfassende Detailstudien erlaubt. Allabendlich treffen sich hier die Schmuckverkäufer, Apfelkuchenbäcker, Spanischlehrerinnen, Fu-Gong-Experten ( heißt das so?) aus Deutschland und bringen sich in Gespräche ein, oder so.
Nun werden sie entgegnen, dass es Juweliere, Konditoren, Sprachlehrer und Einrichtungsberater in jeder deutschen Kleinstadt gibt. Richtig, aber manche zumindest verstehen etwas von ihrem Beruf, hier auf Gomera machen sie es ohne bestimmte Kenntnisse, alternativ.
In dieser Kneipe hat man ein Problem, wenn man kein Gimpel ist. Man muss beim Bestellen sehr hartnäckig sein. Verstehen sie mich recht, man wird nicht ausgegrenzt, wenn man den Anschein erweckt, nicht ausreichend gimpelig zu sein. Jeder, ohne Ansehen der Person, wird schlecht behandelt.
»Tut mir leid, daß Sie warten mußten«, versetzte der Gimpel; »aber Nickleby ist so erstaunlich spaaßhaft gewesen, daß ich mich nicht von ihm losreißen konnte.«

Man kann natürlich auch in eine andere Kneipe gehen.

Gimpel gibt es auch in anderen Ländern.
„Nach einem saumäßigen Warten unter einer schändlichen Sonne stieg ich endlich in einen unsauberen Autobus, in dem eine Bande Arschlöcher zusammengepfercht stand. Das größte Arschloch unter diesen Arschlöchern war ein Finnengesichtiger mit unmäßiger Kehle, der einen grotesken Speckdeckel mit einem Schnürchen anstelle des Bandes zur Schau trug. Dieser Gimpel fing an zu krakeelen, weil ihm ein altes Arschloch mit seniler Wut auf die Plattfüße trat; doch wurde er bald kleinlaut und verdrückte sich in Richtung eines leeren Platzes, der vom Schweiß der Arschbacken des zuvor dort Gesessenen noch feucht war.
Zwei Stunden später widerfährt mir das Mißgeschick, wieder an das gleiche Arschloch zu geraten, das eben mit einem andern Arschloch vor diesem Scheißmonument, das man Gare Saint-Lazare nennt, gespreizt daherquatschte. Sie tratschten wegen eines Knopfs. Ich sage mir: ob er sein Furunkel nun rauf oder runter setzen läßt, er wird immer so doof bleiben, wie er ist, das dreckige Arschloch.“
aus: Raymond Queneau: Stilübungen. Frankfurt am Main 1968 (BS 148, zuerst 1947) via Physiologus
„So muß mein Narr mir stets zum Seckel werden:
Mein reifes Urteil würd' ich ja entweihn,
Vertändelt' ich den Tag mit solchem Gimpel,
Mir ohne Nutz und Spaß. – Den Mohren hass' ich;
Die Rede geht, er hab' in meinem Bett
Mein Amt verwaltet – möglich, daß es falsch:
Doch ich, auf bloßen Argwohn in dem Fall,
Will tun, als wär's gewiß.“
(Shakespeare: Othello)

Im Schwäbischen nennt man die Gimpel übrigens Doig (Teig).

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Freitag, 7. August 2009
Fundstuecke 31. - 33. KW 2009
Hintergründe und Sichtweisen:
  • Friederike Beck: Das Guttenberg-Dossier
  • via Nachdenkseiten

    Sonstiges:
  • Die Gärten des Monsieur Kahn
  • Hans Fallada: In meinem fremden Land: Gefängnistagebuch 1944
  • Die deutsche Gedichtbibliothek mit Dank an Herrn Fluechtig
  • eine sorgfältige Analyse reaktionären Geschwätzes


  • Kluges und Interessantes:
  • Thomas Rothschild über Daniel Kehlmanns Abrechnung mit dem Regietheater
  • Carl Wilhelm Macke über Oscar Negt zum 75. Geburtstag
  • Apokalypsen

    Amüsantes
  • Abmahnen leicht gemacht
  • via Im Namen des Volkers

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    Donnerstag, 6. August 2009
    Georg Forster: Reise um die Welt 38
    (Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
    “Das einzige, woran es uns noch fehlte, war frisches Schweinefleisch. Es kam uns desto härter an, desselben zu entbehren, da wir dergleichen Thiere, auf allen unsern Spatziergängen, in Menge antrafen, ob sich gleich die Leute immer Mühe gaben, sie für uns versteckt zu halten. Zu dem Ende sperrten sie solche in kleine Ställe ein, die ganz niedrig gebauet und oben flach mit Brettern belegt waren, so daß eine Art von Platteform daraus entstand, auf welche sie sich selbst setzten oder niederlegten. Wir suchten sie durch aller ersinnliche Mittel dahin zu bewegen, daß sie uns welche ablassen mögten. Wir bothen ihnen Beile, Hemden und andre Waaren an, die hier zu Lande in hohem Werth standen; aber alles war umsonst. Sie blieben dabey, die Schweine gehörtem dem ÄRIH oder König. Anstatt mit dieser Antwort zufrieden zu seyn und dem guten Willen der Leute Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, die uns, wenn gleich nicht mit Schweinen, doch mit andern Lebensmitteln versorgten, denen unsre Kranken ihre Wiederherstellung, und wir alle unsre Erquickung zu verdanken hatten, ward den Capitains von einigen Leuten an Bord der Vorschlag gemacht, mit Gewalt eine hinlängliche Anzahl Schweine zu unserm Gebrauche wegzunehmen, und hernachmals den Einwohnern so viel an europäischen Waaren zu geben, als das geraubte Vieh, dem Gutdünken nach, werth seyn mögte. Da aber ein solches Verfahren ganz und gar tyrannisch, ja auf die niederträchtigste Weise eigennützig gewesen wäre; so ward der Antrag mit aller gebührenden Verachtung und Unwillen verworfen.“

    (Forster S. 264/5)

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    Mittwoch, 5. August 2009
    Leicht verkürzt
    "Guten Morgen!"
    "Guten Morgen, wie geht's? Geht's gut? Ja, Danke, prima, mir auch, gleichfalls. Bis später!"

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    Dienstag, 4. August 2009
    Georg Forster: Reise um die Welt 37
    (Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
    “Als wir am folgenden Tag früh aufs Verdeck kamen, um die kühle Morgenluft zu genießen, fanden wir die herrlichste Aussicht vor uns; und der Morgenglanz der Sonne breitete gleichsam doppelte Reitze über die natürlichen Schönheiten der Landschaft aus. Der Haven, in welchem wir lagen, war nur klein, dergestalt, daß unsre beyden Schiffe ihn fast gänzlich ausfüllten; das Wasser aber war in selbigem so klar als ein Cristall, und so glatt als ein Spiegel. Indeß sich um uns her, die See an der äußern Felsen in schneeweißschäumenden Wellen brach. Auf der Landseite erblickte das Auge vor den Bergen her, eine schmale Ebene, deren fruchtbares Ansehen, all ihren Bewohnern Überfluß und Glückseligkeit zu gewähren schien. Dem Schiffe gerade gegen über öfnete sich, zwischen den Bergen, ein enges wohlbebauetes Thal, das voller Wohnungen und auf beyden Seiten mit Wald bedeckten Hügeln eingefaßt war, die längst der ganzen weiten Strecke desselben in mannigfaltig gebrochnen Linien hinauf liefen und sich in verschiednen Farben und Entfernungen zeigten. Über diese und das Thal hinaus, ragten aus dem Innern des Landes, mancherley romantischgeformte, steile Berg-Gipfel hervor, davon besonders der eine auf eine mahlerisch-schöne, aber fürchterliche Weise überhieng und gleichsam den Einsturz drohte. Der Himmel war heiter und die Luft erquickend warm; kurz alles flößte uns neues Leben und neuen Muth ein.“
    (Forster S. 253)

    Habe ich schon erwähnt, dass ich Landschaftsbeschreibungen, vielleicht weil sie heutzutage so selten sind, sehr mag?

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    Montag, 3. August 2009
    „Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit, ...“
    Der französische Apotheker Émile Coué bereiste in den 20er Jahren europäische und amerikanische Großstädte, um seine neue Lehre zu verkünden. Zur Verbesserung des Wohlbefindens sollten sich die Menschen, gemäß seiner auto-sugestiven Psychologie, jeden Morgen und jeden Abend etwa 20 mal vorsagen:
    „Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser!“
    Dabei sollte es völlig unerheblich sein, ob man an seine Lehre glaubt oder nicht. Damit war sie auch agnostikertauglich und sehr praktisch.

    Wohlan, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn sie sich in der Frühe etwas antriebslos fühlen, wenn ihnen die Aussicht, sagen wir mal, in einem Schlachthof acht Stunden Schweinedärme zu säubern, nicht behagt, dann stellen sie sich beim Zähneputzen vor den Spiegel, verneigen sich auf japanische Art fortwährend vor sich selbst und sagen halblaut zu ihrem Spiegelbild:
    „Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
    Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
    Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
    Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
    Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,...“

    Probieren sie es doch einfach mal aus.

    Als vor einigen Jahren ein großer Pillendreher unseren kleineren Berliner Pillendreher übernahm, brachte er auch seine Unternehmenskultur mit und so darf die nun gemeinsame Marketingabteilung ihre neuesten Kreationen auch in Berlin an den Mitarbeitern ausprobieren.
    Da kann es ihnen passieren, dass sie zu Arbeitsbeginn an einem kleinen Ratespiel teilnehmen dürfen: Welche Antibabypille passt zu welchem Frauentypus? Sie wussten bislang nicht, dass die Pille ein Lifestyleprodukt ist? Na egal, sie haben ja vor der Arbeit genug Zeit zum üben.

    Klaglos erdulden die Mitarbeiter die morgendliche Prozedur.

    Vor einiger Zeit nun entwickelte die Marketingabteilung einen Bildschirmschoner, der die Vorzüge eines sehr bekannten Schmerzmittels darstellt und kam dabei auf die Idee nicht nur grafische Elemente zur Gestaltung einzusetzen. Immer wenn das Schmerzmittel in einem Glas Wasser aufschäumt, ertönt ein leises (britzel, britzel) . Das Wasser schäumt und schäumt, (britzel, britzel) die Vorzüge des Medikaments werden eingeblendet, (britzel, britzel) , verschiedene Situationen, in denen das Mittelchen hilfreich ist, werden geschildert, (britzel, britzel) so weit, so gut.
    Der Schoner wurden allen Mitarbeitern automatisch aufgespielt.
    Wenn sie über lange Stunden am Rechner sitzen und Text schreiben oder Daten eingeben, ist der Bildschirmschoner nicht aktiv.
    Dies ist jedoch nicht bei jedem Mitarbeiter und nicht jeden Tag der Fall. Sie lesen einen längeren Text, sanft ertönt im Hintergrund (britzel, britzel) , sie lesen weiter, (britzel, britzel) sie lesen den Text von neuem, (britzel, britzel) sie konzentrieren sich, (britzel, britzel) sie gehen entnervt zu ihrem Kollegen, hinter ihnen ertönt es leise (britzel, britzel) . Ihr Kollege hat schlechte Laune (britzel, britzel) , er kann sich nicht konzentrieren (britzel, britzel) . Sie gehen zurück in ihr Büro. (britzel, britzel)

    Noch nie in der Unternehmensgeschichte wurde ein Bildschirmschoner schneller entfernt. (britzel, britzel)

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    Freitag, 31. Juli 2009
    Friedrichstraße,
    gegenüber ein großer Buchladen, dessen Besitzer durch unterbezahlte Reinigungskräfte reich geworden ist:
    Eine Stadtstreicherin undefinierbaren Alters, sie riecht schlecht und trägt ein selbstgekritzeltes Schild auf der Brust: Geld.
    Neben sich hat sie einen, schon etwas ramponierten Gettoblaster zu stehen, aus dem chinesische Opern vor sich hinscheppern. Sie sagt kein Wort, starrt nur auf einen Punkt auf dem Asphalt.

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    Donnerstag, 30. Juli 2009
    Georg Forster: Reise um die Welt 36
    (Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
    “Sogar auf den Verdecken wimmelte es von Indianern, und unter selbigen gab es verschiedne Frauenspersonen, die sich ohne Schwierigkeiten den Wünschen unsrer Matrosen überließen. Einige von denen, die dieses Gewerbe trieben, mochten kaum neun oder zehn Jahre alt seyn und hatten noch nicht das geringste Zeichen von Mannbarkeit an sich. So frühzeitige Ausschweifungen scheinen einen sehr hohen Grad von Wollust anzudeuten und müssen im Ganzen allerdings Einfluß auf die Nation haben. Die natürlichste Folge davon, die mir auch sogleich in die Augen fiel, bestand darinn, daß das gemeine Volk, zu welchem all diese liederlichen Weibsbilder gehören, durchgehends von KLEINER STATUR war. Nur wenige einzelne Leute aus demselben, waren von mehr als mittlerer Größe; die übrigen waren alle darunter – ein Beweis, daß die Meynung des Grafen Büffon, über die frühzeitige Vermischung beyder Geschlechter (S. dessen HIST. NATURELLE) sehr gegründet ist.“
    (Forster S. 250)

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    Mittwoch, 29. Juli 2009
    Fahrradfahrergeschichten 2
    Ich schlendere so vor mich hin. Ein Radfahrer in voller Fahrt begegnet mir auf dem Bürgersteig, er weicht aus, fährt direkt auf einen losen Pflasterstein, das Vorderrad verkanntet sich und das Hinterrad samt Radler schnellt nach vorne. Der Radfahrer fällt im Bogen auf einen Kneipentisch auf dem Bürgersteig. Er landet mit dem Gesicht in einem Teller Spagetti Carbonara. Der Fahrer sieht mich mit seinem sahnigen Gesicht an.
    “Oh, haben Sie sich weh getan?”

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    Dienstag, 28. Juli 2009
    Georg Forster: Reise um die Welt 35
    (Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
    “Da sie merkten, daß wir Lust hätten ihre Sprache zu lernen, weil wir uns nach den Benennungen der gewöhnlichsten Gegenstände erkundigten, oder sie aus den Wörterbüchern voriger Reisenden hersagten, so gaben sie sich viel Mühe uns zu unterrichten, und freuten sich, wenn wir die rechte Aussprache eines Wortes treffen konnten. Was mich anlangt, so schien mir keine Sprache leichter als diese. Alle harte und zischende Consonanten sind daraus verbannt, und fast jedes Wort endigt sich mit einem Selbstlauter. Was dazu erfordert ward, war blos ein scharfes Ohr, um die mannichfaltigen Modificationen der Selbstlauter zu unterscheiden, welche natürlicherweise in einer Sprache vorkommen müssen, die auf so wenig Mitlauter eingeschränkt ist, und die, wenn man sie einmal recht gefaßt hat, die Unterredung sehr angenehm und wohlklingend machen. Unter andern Eigenschaften der Sprache bemerken wir sogleich, daß das O und E, womit sich die mehresten Nennwörter und Namen in Herrn COOKS erster Reise anfangen, nichts als Artickel sind, welche in vielen morgenländischen Sprachen, vor den Nennwörtern herzugehen pflegen, die ich aber im Verfolg dieser Erzählung entweder weglassen oder durch einen Strich von dem Nennwort trennen werde. Ich habe bereits im vorhergehenden angemerkt, daß Herr von BOUGAINVILLE das Glück hatte, den wahren Namen der Insel, ohne Artikel, sogleich ausfündig zu machen, er hat ihn auch, so weit es die Beschaffenheit der französischen Sprache erlauben will, in der Beschreibung seiner Reise, vermittelst des Worts TAÏTI, ganz richtig ausgedruckt, doch sprechen es die Indianer mit einer leichten Aspiration, nemlich TAHITI aus.“
    (Forster S. 244)

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