Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Donnerstag, 26. November 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 59
(Reise von den Societäts-Inseln nach den freundschaftlichen Inseln; und Nachricht von unserm Aufenthalt daselbst)
“Die Gebräuche und Sprache dieser Insulaner scheinen überhaupt eine große Ähnlichkeit mit den tahitischen zu haben; warum sollten sie also nicht auch bey ihren Tänzen statt finden? Beyde Nationen müssen doch im Grunde von einem gemeinschaftlichen Stamm-Volke herkommen; auch siehet man, selbst in denen Stücken wo sie am merklichsten von einander abweichen, daß der Unterschied bloß von der Verschiedenheit des Bodens und des Clima beyder Inseln veranlaßt worden ist. Auf den Societäts-Inseln giebts z. E. viel Holz, denn die Spitzen der Berge sind dort mit unerschöpflichen Waldungen bedeckt. Auf den FREUNDSCHAFTLICHEN INSELN hingegen ist dieser Artickel schon seltener, weil das Land fast durchaus mit Fruchtbäumen besetzt, oder mit nährendem Wurzelwerk bepflanzt ist. Eine natürliche Folge dieser Verschiedenheit ist, daß in ersteren die Häuser ungemein räumlich und groß sind; kleiner aber und unbequemer in letzeren. Dort giebts eine fast unzählbare Menge und zum Theil sehr große Canots; hier, sind sie sowohl an Zahl als Größe ungleich geringer. Auf den SOCIETÄTS-INSELN sind die Berge hoch und ziehen folglich die Dünste der Atmosphäre beständig an sich; daher findet man dort so viel Bäche, die sich von den Bergen herab in die See ergießen, und den Einwohnern auf vielfältige Art Vortheil schaffen. Vermittelst derselben haben sie nicht nur reichliches und gesundes Trinkwasser, sondern auch Gelegenheit sich oft zu baden, und sind folglich für alle Krankheiten der Haut, die aus Unreinlichkeit entspringen, ziemlich gesichert. Ganz anders muß es dagegen bey einem Volk aussehen, dem es an diesem Vortheil fehlt, und das sich gleich den Bewohnern von TONGATABU, entweder mit faulem stinkenden Regenwasser aus etlichen wenigen schlammigen Pfützen, oder gar mit salzigem Wasser behelfen muß. Um sich nur einigermaßen reinlich zu erhalten, und dadurch gewissen Krankheiten vorzubeugen, sind sie genöthigt ihre Zuflucht zu andern Hilfsmitteln zu nehmen: Sie stutzen sich also die Haare, zwicken sich den Bart, etc. und werden folglich schon dadurch den Tahitiern im Äußeren unähnlicher, als sie ohne das nicht seyn würden. Gleichwohl sind in Ermangelung genugsamen und guten Wassers, alle diese künstlichen Hülfsmittel zur Reinlichkeit nicht hinreichend, sie für den Aussatz zu sichern, der vielleicht, durch den Gebrauch des Pfefferwassers, noch nebenher begünstigt wird. Zu Verhütung oder Heilung desselben schien jenes Mittel gebraucht zu werden, dem wir die wundgemachten Flecke auf den Backenknochen zuschrieben, die so allgemein unter ihnen sind, daß fast kein einziger ohne dergleichen Merkmahl war. Auf den SOCIETÄTS-INSELN ist das Erdreich in den Ebenen und Thälern so fett und reich und bekömmt durch die vielen Bäche so viel Zufluß an gehöriger Feuchtigkeit, daß die mehresten Gewächse fast ohne alle Cultur gedeihen. Diese ungemeine Fruchtbarkeit veranlaßt und unterhält dann auch die Üppigkeit und Schwelgerey unter den dortigen Vornehmen. Davon aber findet man auf TONGATABU keine Spur. Auf dieser Insel ist der Coral-Felsen blos mit einer dünnen Schicht von Erde bedeckt, in welcher die Bäume nur kümmerliche Nahrung finden und der nützlichste von allen, der Brodtfrucht-Baum, kommt fast gar nicht fort, weil er keine andere Wässerung als Regen findet. Au solche Art erfordert die Bearbeitung des Landes hier weit mehr Mühe als auf TAHITI. Daher kommts denn, daß die Leute mehr Fleis auf ihre Pflanzungen wenden, denenselben eine regelmäßige Form geben, und daß jeder das seinige genau einzäunt. Aus eben dieser Ursach läßt sich auch begreifen, warum sie auf die Lebensmittel immer einen höheren Wert legten, als auf ihre Geräthe, Kleider, Schmuck und Waffen (ob ihnen diese gleich in manchen Fällen unsägliche Arbeit müssen gekostet haben): Sie sehen nemlich wohl ein, daß Lebensmittel ihr größter Reichthum sind, deren Abgang schwer zu ersetzen ist. Daß sie von Person schlanker, und muskulöser sind als die Tahitier, rührt natürlicher Weise davon her, daß sie mehr arbeiten und ihren Cörper mehr anstrengen als jene. Durch die Beschaffenheit des Erdreichs zu vieler Arbeit genöthigt, ist ihnen die Arbeitsamkeit endlich dermaaßen zur Gewohnheit geworden, daß sie nicht nur die vom Ackerbau übrige Zeit zur Verfertigung von mancherley Handwerkszeug und Geräthen anwenden, die viel Mühe, Geduld und Geschicklichkeit erfordern; sondern auch selbst bey ihren Ergötzlichkeiten, Thätigkeit und Erholung mit einander zu verbinden wissen. Diese Arbeitsamkeit ist auch Schuld daran, daß sie nach und nach auf neue Erfindungen gefallen sind und es in den Künsten ungleich weiter gebracht haben als die TAHITIER. -“
(Forster S. 414 - 416)
Anfänge einer vergleichenden Anthropologie und Ethnologie.

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