Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 17. November 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 56
(Reise von den Societäts-Inseln nach den freundschaftlichen Inseln; und Nachricht von unserm Aufenthalt daselbst)
“Nachdem wir auf solche Art die Küste erreicht hatten, versammelten sie sich mit allen ersinnlichen Zeichen der Freundschaft um uns her, und bothen uns etwas Früchte, Waffen und Hausgeräth zum Geschenk an. Das Volk hätte uns gar nicht besser aufnehmen können, wenn es von unsern friedfertigen Gesinnungen schon durch eigne Erfahrung überzeugt, und gewohnt gewesen wäre, von Zeit zu Zeit europäische Schiffe bey sich zu sehen: Allein dies verhielt sich gerade umgekehrt, denn bisher hatten sie wohl noch keinen Europäer unter sich gesehen, auch konnten sie von Tasmans ehemaliger Anwesenheit auf der benachbarten Insel AMSTERDAM, höchstens nur von Hörensagen etwas wissen. Bey so bewandten Umständen, waren wir allerdings berechtigt, uns nach dieser Aufnahme von ihrer Gemüthsart die vortheilhaftesten Begriffe zu machen. Sie mußten von Natur offenherzig und edelmüthig gesinnt und über alles niedrige Mißtrauen weit erhaben seyn. Was dieses günstige Urtheil noch mehr bestätigte war, daß sich auch eine große Anzahl von Frauenspersonen unter ihnen befand, welche die indianischen Nationen sonst mehrentheils von den Fremden entfernt zu halten pflegen. Diese hier waren von den Hüften an bis auf die Füße bekleidet, und schienen uns durch ein gutherziges freundliches Lächeln einzuladen, daß wir getroßt näher kommen möchten. Herr HODGES entwarf von dieser merkwürdigen freundschaftlichen Aufnahme ein schönes Gemälde, welches zu Capitain COOKS Nachricht von dieser Reise gestochen ist. Allein, so geneigt ich sonst auch bin, den Arbeiten dieses geistreichen Künstlers das gebührende Lob wiederfahren zu lassen, wenn sie der Wahrheit ganz treu sind; so wenig kann ich doch bey dieser Gelegenheit umhin, zu bemerken, daß vorgedachte Platte von den Einwohnern auf EA-UWHE und TONGATABU gar keinen richtigen Begriff giebt; so meisterhaft sie übrigens auch von Herrn SHERWIN in Kupfer gestochen worden. Der Vorwurf, welchen man denen zu Capitain COOKS voriger Reise in Kupfer gestochnen Platten mit Recht gemacht hat, daß sie nemlich, statt indianischer Gestalten, nur schöne Figuren vorstellten, die sowohl der Form als der Drapperie nach, im Geschmack der Antike gezeichnet wären; eben dieser Vorwurf trift auch die vorgedachte Kupfertafel DIESES Werks. Ja man sollte fast glauben, daß Herr Hodges seine zu diesem Stück nach der Natur gemachte Original-Skizze verloren und bey Entdeckung dieses Verlusts, aus eleganter mahlerischer Fantasie eine neue Zeichnung bloß idealisch entworfen habe. Kenner finden in dieser Platte griechische Conturen und Bildungen, dergleichen es in der Südsee nie gegeben hat; und sie bewundern ein schönes fließendes Gewand, das Kopf und Cörper bedeckt, da doch in dieser Insel, die Frauensleute Schulter und Brust fast niemals bedecken. Die Figur eines alten ehrwürdigen Mannes mit einem langen weißen Barthe ist vortrefflich; allein die Leuthe auf EA-UWHE lassen den Barth nicht wachsen, sondern wißen ihn mit Muschelschaalen kurz zu scheeren.“
(Forster S. 375 - 377)
Der Übergang von der idealisierten zur detailgetreuen Darstellung; aufkommender Positivismus.

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