Es stört Herrn S. nicht, wenn man nur einsilbig antwortet.
Störend findet er Widerspruch und ich habe meist eine andere Meinung. Dann zieht er seine Augenbrauen hoch und starrt einem auf die Nasenwurzel: „Blödsinn! Ihr Linken glaubt ja immer ...“
Ich widerspreche nicht mehr so häufig.
„’n Abend, ganz schöner Verkehr heute?“
„Guten Abend, Herr S., ja der Verkehr ist heftig. Jeden Morgen und jeden Abend brettern hier bei uns die Autos über das Kopfsteinpflaster. Was ich ja nicht verstehe, ist, warum sich alle bei uns, in einer Tempo 30 Zone, durchquälen, wenn einen Block weiter eine gut ausgebaute Straße parallel verläuft und ...“

„Na ja, Ampel hin oder her. Wenn die Leute die X-Straße nehmen würden, wären sie schneller.“
„Zeit braucht man so und so. Und hier muss man halt nicht dumm rum stehen.“
„Aber Herr S., sehen sie doch, hier stehen die Autos doch auch. Die Straße ist doch viel zu eng für die Massen im Berufsverkehr. Und eine Menge Sprit und Nerven kostet es doch auch, wenn man hier fünfzig Meter beschleunigt, bremst, wieder aufs Gas und so weiter.“
„Wer tankt schon hier in Berlin? Ich lege meine Stunden immer so, dass ich mit dem Wagen schnell über die Grenze komm. Ich bin doch nicht blöd und tanke für den Finanzminister.“
„Sie fahren extra die hundert Kilometer nach Polen?“
„Ich lasse fahren. He He He! Bevor ich hier mein Geld dem Staat in den Rachen werfe!“
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(Aufenthalt in Dusky-Bay – Beschreibung derselben – Nachricht von unsern Verrichtungen)
”Es war mir bey dieser Gelegenheit besonders auffallend, daß auch diese Nation, gleich wie fast alle Völker der Erden, als hätten sie es abgeredet, die weiße Farbe oder grüne Zweige für Zeichen des Friedens ansieht, und daß sie, mit einem oder dem anderen Versehen, den Fremden getrost entgegen gehen. Eine so durchgängige Übereinstimmung muß gleichsam noch VOR der allgemeinen Zerstreuung des menschlichen Geschlechts* getroffen worden seyn, wenigstens siehet es einer Verabredung sehr ähnlich, denn an und für sich haben weder die weiße Farbe, noch grüne Zweige, eine selbständige unmittelbare Beziehung auf den Begrif von Freundschaft.”*Für nicht Bibelfeste: Der Turmbau zu Babel.
(Forster S. 172)
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„Diese Frau Klump is‘ ja jetzt dauernd inner Zeitung und im Fernsehen.“
„Ja, zum Glück is‘ die andere, wie heißt die noch gleich, ... also die sehn ja alle gleich aus, ... also die, die für den mit ‘m Zopf immer gelaufen ist?“
„Östergaard?“
„Ne, der war ja noch früher. Mensch wie heißt ’n der noch?“
„Lagerfeld?“
„Lagerfeld? Nee? Oder so ähnlich. Na ja, ist ja auch egal. Auf jeden Fall ist die nicht mehr überall zu sehen.“
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„Schnurgerade Straßen, Palais an Palais,
Füße und Augen tun einem hier weh.
Hübsche Soldaten – der erste schien mir
Mitten durchs Herz zu gehen schier.
»Nie sah ich Schöneres!« rief ich laut,
»Gott, wie ist es doch prächtig gebaut!«

Unter den Linden ging alle Welt
(Am schönsten als Kupferstich dargestellt).
Schmutzig die Straßen, die Jungen sind,
Ach, dafür wäre man lieber Blind!
Echten Berliner Witz finden man kann,
Und der ist kostbar, insonderheit dann,
Wenn er per Schnellpost reiset fürbaß,
Ist er, weil zu schwer, ein teurer Spaß!
R wird gerollt hier, man sagt: »Mein Jott!«
Sonst aber sind diese Leute sehr gut.
Sieht man die Stadt jedoch kreuz und quer,
Paßt ihre Größe in Verse nicht mehr.
Moral
Merk dir: Berlin ist mitnichten klein
Und die Moral davon überaus fein.
(Hans Christian Andersen: Tagebücher, S. 43)
Na gut, vielleicht hätte er das Dichten besser unterlassen.
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(Aufenthalt in Dusky-Bay – Beschreibung derselben – Nachricht von unsern Verrichtungen)
”Als wir weiter heran kamen, entdeckte man, daß es ein Indianer war, der mit einer Keule oder Streit-Axt bewafnet, auf der Felsenspitze stand, und hinter ihm erblickte man in der Ferne, am Eingang des Waldes, zwo Frauenspersonen, deren jede einen Spieß in der Hand hielt. Sobald wir mit dem Boot bis an den Fus des Felsen hingekommen waren, rief man ihm in der Sprache von TAHEITI zu: TAYO HARRE MAÏ, d.i. Freund komm hier! Allein das that er nicht, sondern blieb an seinem Posten, auf seine Keule gelehnt stehen und hielt in dieser Stellung eine lange Rede, die er bey verschiednen Stellen mit großem Nachdruck und Heftigkeit aussprach, und alsdenn zugleich die Keule um den Kopf schwenkte. Da er nicht zu bewegen war näher zu kommen, so gieng Capitain COOK vorn ins Boot, rief ihm freundlich zu und warf ihm sein und andrer Schnupftücher hin, die er jedoch nicht auflangen wollte. Der Capitain nahm also etliche Bogen weiß Papier in die Hand, stieg unbewaffnet auf dem Felsen aus und reichte dem Wilden das Papier zu. Der gute Kerl zitterte nunmehro sichtbarerweise über und über, nahm aber endlich, wiewohl noch immer mit vielen deutlichen Merkmalen von Furcht, das Papier hin. Da er dem Capitain jetzt so nahe war, so ergrif ihn dieser bey der Hand umarmete ihn, indem er des Wilden Nase mit der seinigen berührte, welches ihre Art ist sich untereinander zu begrüßen. Dieses Freundschaftszeichen benahm ihm mit einemmale alle Furcht, denn er rief die beyden Weiber zu sich, die auch ungesäumt herbey kamen, indeß daß von unsrer Seite ebenfalls verschiedne ans Land stiegen, um dem Capitain Gesellschaft zu leisten. Nunmehro erfolgte zwischen uns und den Indianern eine kleine Unterredung, wovon aber keiner etwas rechtes verstand, weil keiner in des andern Sprache hinreichend erfahren war. Herr HODGES zeichnete gleich auf der Stelle einen Umriß von ihrer Gesichtsbildung und aus ihren Minen ließ sich abnehmen, daß sie begriffen was er vor hatte. Sie nannten ihn desfalls TÓA-TÓA, welches Wort vermuthlich eine Beziehung auf die bildenden Künste haben mußte. Der Mann hatte ein ehrliches gefälliges Ansehen, und die eine von den beyden Frauenspersonen, die wir für seine Tochter hielten, sahe gar nicht so unangenehm aus als Man in Neu-Seeland hätte wohl vermuthen sollen, die andre hingegen war ausnehmend häßlich und hatte an der Ober-Lippe ein ungeheures garstiges Gewächs.Die erste Begegnung mit den sterblichen Menschen.Sie waren alle dunkelbraun oder Olivenfarbicht, hatten schwarzes und lockichtes Haar, das mit Öhl und Rothstein eingeschmiert, bey dem Mann oben auf dem Wirbel in einen Schopf zusammen gebunden, bey den Weibern aber kurz abgeschnitten war. Den Obertheil des Cörpers fanden wir wohl gebildet; die Beine hingegen außerordentlich dünne, übel gestaltet und krumm. Ihre Kleidung bestand aus Matten von Neu-Seeländischen Flachs und war mit Federn durchwebt. In den Ohren trugen sie kleine Stücke von Albatros-Haut, mit Röthel oder Ocher gefärbt. Wir boten ihnen einige Fische und Endten an, sie warfen solche aber zurück und gaben uns zu verstehen, daß sie keinen Mangel an Lebensmitteln hätten. Die einbrechende Nacht nöthigte uns von unsern neuen Freunden Abschied zu nehmen, wir versprachen ihnen aber, sie morgen wieder zu besuchen. Der Mann sahe uns bey der Abfahrt in ernsthafter Stille und mit einer Aufmerksamkeit nach, die tiefes Nachdenken anzuzeigen schien; die jüngste Frauensperson hingegen, die während unsrer Anwesenheit in einem fort und mit so geläufiger Zunge geplaudert hatte, als sich keiner von uns je gehört zu haben erinnern konnte, fieng nunmehro an zu tanzen, und fuhr fort eben so laut zu seyn als vorher. Unsre Seeleute erlaubten sich dieses Umstandes halber einige grobe Einfälle auf Kosten des weiblichen Geschlechts, wir aber fanden durch dieses Betragen die Bemerkung bestätigt, daß die Natur dem Manne nicht nur eine Gespielinn gegeben, seine Sorgen und Mühseligkeiten zu erleichtern, sondern daß sie dieser auch, durchgehends, die Begierde eingepflanzt habe, vermittelst eines höheren Grades von Lebhaftigkeit und Gesprächigkeit zu gefallen.“
(Forster S. 147-149)
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(Aufenthalt in Dusky-Bay – Beschreibung derselben – Nachricht von unsern Verrichtungen)
„Wir ließen es unsre erste Arbeit seyn einen nahe gelegenen Hügel, vom Holz kahl zu machen, um die Sternwarthe und Schmiede daselbst aufzustellen, denn unser Eisenwerk hatte einer schleunigen Ausbesserung nöthig. Zu gleicher Zeit wurden für die Seegelmacher, Böttiger, Wasserträger und Holzhauer am Wasserplatze Zelte aufgeschlagen. Bey Gelegenheit dieser Arbeiten verringerte sich schon die hohe Meynung, welche unsre Leute von diesem Lande gefaßt hatten; denn die ungeheure Menge von Schling-Stauden (CLIMBERS) Dornen, Strauchwerk und Farrenkraut*, womit die Wälder durchwachsen und überlaufen waren, machte es ungemein mühsam ein Stück Land zu reinigen, und ließ uns schon zum voraus sehen, daß es äußerst schwer, wo nicht unmöglich seyn werde, tief in das Innre des Landes einzudringen. Und in der That ist es nicht nur historisch wahrscheinlich, daß in diesem südlichen Theile von Neu-Seeland die Wälder noch unangetastet, in ihrem ursprünglich wilden, ersten Stande der Natur geblieben sind, sondern der Augenschein beweiset solches beynahe unleugbar. Wir fanden es z.E. nicht nur des obgedachten überhand genommenen Unkrauts wegen, fast unmöglich darin fortzukommen, sondern es lag auch überall eine Menge von verfaulten Bäumen im Wege, die entweder vom Winde umgeworfen oder vom Alter umgefallen, und durch die Länge der Zeit zu einer fetten Holzerde geworden waren, aus welcher bereits neue Generationen von jungen Bäumen, parasitischen Pflanzen, Farn-Kräutern und Moosen reichlich aufsproßten. Oft bedeckte eine täuschende Rinde, das innere verfaulte Holz eines solchen umgefallnen Stammes und wer es wagte darauf zu treten, fiel gemeiniglich bis mitten an den Leib hinein.“
(Forster S. 138/9)
* Farrenkraut, auch Farrenmoos oder Farrensamen genannt:
„Das Farnkraut, des -es, plur. von mehrern Arten, die -kräuter, eine Art Pflanzen mit unkenntlichen Geschlechtern, welche dem Linné zu Folge, eine zahlreiche Menge von Unterarten unter sich begreift, Filix; zu welchem Geschlechte das Equifetum, Ophioglossum, Osmunda, Pteris, Asplenium, Polypodium, Adiantum, Isoetes u.s.f. gehören. S. Brachsenfarn, Pillenfarn, Flügelfarn u.s.f. In engerer Bedeutung, führen besonders zwey Pflanzen dieses Geschlechtes mit doppelt gefiederten Blättern den jetzt gedachten Nahmen, davon die eine klein gekerbte stumpfe Federn und einen Spreu besetzten Stamm hat, und Farnkrautmännlein, Polypodium fronde pinnata mas L. genannt wird. Die andere hat lanzettförmige Federn, welche in spitzige Querstücke getheilet sind; Farnkrautweiblein, Polypodium fronde pinnata femina L. In den gemeinen Mundarten lautet dieser Nahme auch nur Farn, Engl. Fern oder Fearn, Angels. Fearn, Holl. Vaeren -kruyd. Er soll von fahren abstammen, weil dieses Kraut sich sehr weit und geschwinde ausbreitet. Der Aussprache nach schreibt man es billig Farnkraut, indem das a, welches in fahren gedehnt wird, hier wegen des folgenden n, geschärft wird, welches auch in fertig, Furt u.s.f. geschiehet, ungeachtet sie gleichfalls von fahren abstammen. Die Schreibart Farrenkraut hat nichts zu ihrer Entschuldigung aufzu weisen. In Niedersachsen heißt diese Pflanze Snakenkrud, und in andern Gegenden Herenkraut, weil man deren Wurzel zu vielerley Aberglauben gebrauchte. S. Jesus-Christ-Wurzel und Johannis-Händchen; ingleichen Eichfarn, Flügelfarn, Steinfarn u.s.f.“ ( Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Leipzig 1793-1801)
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... 531 x aufgerufen
Warum passiert immer mir so etwas: Arztroman mit Musik schoss mir durch den Kopf. Dazu dann die schaurig schöne Naive rechts hinter mir, die vulgärfeministisch einzelne Aussagen von Figuren kommentierte. Manche Opern sollte man sich erst ansehen, wenn man das 80. Lebensjahr vollendet hat. Man fällt dann auch nicht so aus dem Rahmen.
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... 622 x aufgerufen
"Wenn die Physiognomik das wird, was Lavater von ihr erwartet, so wird man die Kinder aufhängen ehe sie die Taten getan haben, die den Galgen verdienen, es wird also eine neue Art von Firmelung jedes Jahr vorgenommen werden. Ein physiognomisches Auto da Fe."
(Lichtenberg: Sudelbücher F 864)
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(Aufenthalt in Dusky-Bay – Beschreibung derselben – Nachricht von unsern Verrichtungen)
„Nach einer Fahrt von einhundert und zwei und zwanzig Tagen, auf welcher wir ohngefähr dreitausend fünfhundert Seemeilen in ofner See zurückgelegt hatten, kamen wir endlich am 26sten März zu Mittage in DUSKY-BAY an. Diese Bay, welche an der Nordseite des Cap West liegt, hatte Captain COOK auf seiner vorigen Reise in der ENDEAVOR bereits entdeckt, ihr auch damahls schon einen Nahmen gegeben, ohne sie jedoch selbst zu besuchen. Aus großer Ungedult bald vor Anker zu kommen, wünschten wir, daß solches gleich an der Mündung der Bay thunlich seyn möchte: Allein da das Senkbley dort eine allzu große Tiefe, nemlich von vierzig Faden anzeigte, und etwas weiter hin gar mit sechzig Faden kein Grund mehr zu finden war, so mußten wirs uns gefallen lassen, noch ungleich weiter hinein zu seegeln. Das Wetter war indeßen schön und in Verhältniß zu demjenigen, das wir bisher hatten empfinden müßen recht erquickend warm. Sanft wehende Winde führten uns nach und nach bey vielen felsichten Inseln vorbei, die alle mit Bäumen und Buschwerk überwachsen waren, deren mannigfaltiges, dunkleres Immergrün, (EVERGREEN) mit dem Grün des übrigen Laubes, welches die Herbstzeit verschiedentlich schattirt hatte, malerisch vermischt war und sehr angenehm von einander abstach. Ganze Schaaren von Waßervögeln belebten die felsigten Küsten und das Land ertönte überall vom wilden Gesang der gefiederten Waldbewohner. Je länger wir uns nach Land und frische Gewächsen gesehnt hatten, desto mehr entzückte uns nun dieser Prospect, und die Regungen der innigsten Zufriedenheit, welche der Anblick dieser neuen Scene durchgängig veranlaßte, waren in eines jeglichen Augen deutlich zu lesen.

Um drei Uhr Nachmittags kamen wir endlich unter der Spitze einer Insel vor Anker, woselbst wir einigermaßen gegen die See gedeckt und der Küste so nahe waren, daß man sie mit einem kleinen Taue erreichen konnte. Kaum war das Schif in Sicherheit, als unsre Matrosen ihre Angeln auswarfen, und in wenigen Augenblicken sahe man an allen Seiten des Schifs eine Menge vortreflicher Fische aus dem Wasser ziehen, deren viel versprechender Anblick die Freude über unsre glückliche Ankunft in der Bay ungemein vermehrte. Wir fanden sie von vortreflichen Geschmack und da wir zumahl so lange darauf gefastet hatten, so war es kein Wunder daß uns diese erste Neu-Seeländische Mahlzeit als die herrlichste in unserm ganzen Leben vorkam. Zum Nachtisch ergötze sich das Auge an der vor uns liegenden, wildnißartigen Landschaft, die SALVATOR ROSA* nicht schöner hätte mahlen können. Sie war ganz im Geschmack dieses Künstlers und bestand aus Felsen, mit Wäldern gekrönt, deren Alter in die Zeiten vor der Sündfluth hinauf zu reichen schien, und zwischen welche sich aller Orten Wasserbäche mit schäumenden Ungestüm herabstürzten. Zwar hätte es bey weiten nicht so vieler Schönheiten bedurft um uns zu entzücken, denn nach einer langen Entfernung vom Lande ist es warlich sehr leicht, selbst die ödeste Küste für das herrlichste Land in der Schöpfung anzusehen.“*Salvator Rosa war ein Barockmaler aus Neapel. Das Metropolitan Museum of Art in New York zeigt ein Bild online: Bandits on a Rocky Coast, dass m. E. die Szenerie, wie sie Georg Forster vielleicht vorschwebte, ganz gut illustriert.
(Forster S. 136/7)
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„Berlin, den 26. Januar 1822
Folgen Sie mir nur ein paar Schritte, und wir sind schon auf einem sehr interessanten Platze.Wir stehen auf der Langen Brücke. Sie wundern sich: »Die ist aber nicht sehr lang?« Es ist Ironie, mein Lieber. Laßt uns hier einen Augenblick stehenbleiben und die große Statue des Großen Kurfürsten betrachten.
Er sitzt stolz zu Pferde, und gefesselte Sklaven umgeben das Fußgestell. Es ist ein herrlicher Metallguß und unstreitig das größte Kunstwerk Berlins. Und ist ganz umsonst zu sehen, weil es mitten auf der Brücke steht.
...
Wir können durch das Schloß gehen und sind augenblicklich im Lustgarten. »Wo ist aber der Garten?« fragen Sie. Ach Gott! merken Sie denn nicht, das ist wieder die Ironie. Es ist ein viereckiger Platz, der von einer Doppelreihe Pappeln eingeschlossen ist.
Hier stehen wir just vor der Domkirche, die ganz kürzlich von außen neu verziert wurde und auf beiden Seiten des großen Turms zwei neue Türmchen erhielt. Der große, oben geründete Turm ist nicht übel. Aber die beiden jungen Türmchen machen eine höchst lächerliche Figur. Sehen aus wie Vogelkörbe. Man erzählt auch, der große Philolog W. sei vorigen Sommer mit dem hier durchreisenden Orientalisten H. spazierengegangen, und als letzterer, nach dem Dome zeigend fragte: »Was bedeuten denn die beiden Vogelkörbe da oben?«, habe der gelehrte Witzbold geantwortet: »Hier werden Dompfaffen abgerichtet.«
...
Doch vorwärts! Wir müssen über die Brücke. Sie wundern sich über die vielen Baumaterialien, die hier herumliegen, und die vielen Arbeiter, die hier sich herumtreiben und schwatzen und Branntewein trinken und wenig tun. Hier nebenbei war sonst die Hundebrücke; der König ließ sie niederreißen und läßt an ihrer Stelle eine prächtige Eisenbrücke verfertigen. Schon diesen Sommer hat die Arbeit angefangen, wird sich noch lange herumziehn, aber endlich wird ein prachtvolles Werk dastehen. Schauen Sie jetzt mal auf. In der Ferne sehen Sie schon – die Linden!Wirklich, ich kenne keinen imposantern Anblick, als, vor der Hundebrücke stehend, nach den Linden hinaufzusehen. Rechts das hohe, prächtige Zeughaus, das neue Wachthaus, die Universität und Akademie. Links das königliche Palais, das Opernhaus, die Bibliothek usw. Hier drängt sich Prachtgebäude an Prachtgebäude. Überall verzierende Statuen; doch von schlechtem Stein und schlecht gemeißelt. Außer die auf dem Zeughause. Hier stehn wir auf dem Schloßplatz, dem breitesten und größten Platze in Berlin.
...
Wie gefällt Ihnen aber die Universität? Fürwahr, ein herrliches Gebäude! Nur schade, die wenigsten Hörsäle sind geräumig, die meisten düster und unfreundlich, und, was das schlimmste ist, bei vielen gehen die Fenster nach der Straße, und da kann man schrägüber das Opernhaus bemerken. Wie muß der arme Bursche auf glühenden Kohlen sitzen, wenn die ledernen, und zwar nicht saffian- oder maroquinledernen, sondern schweinsledernen Witze eines langweiligen Dozenten ihm in die Ohren dröhnen und seine Augen unterdessen auf der Straße schweifen und sich ergötzen an das pittoreske Schauspiel der leuchtenden Equipagen, der vorüberziehenden Soldaten, der dahinhüpfenden Nymphen und der bunten Menschenwoge, die sich nach dem Opernhause wälzt.
...
Aber ich sehe, Sie hören schon nicht mehr, was ich erzähle, und staunen die Linden an. Ja, das sind die berühmten Linden, wovon Sie soviel gehört haben. Mich durchschauert's, wenn ich denke: Auf dieser Stelle hat vielleicht Lessing gestanden, unter diesen Bäumen war der Lieblingsspaziergang so vieler großer Männer, die in Berlin gelebt; hier ging der große Fritz, hier wandelte – Er! Aber ist die Gegenwart nicht auch herrlich? Es ist just zwölf und die Spaziergangszeit der schönen Welt. Die geputzte Menge treibt sich die Linden auf und ab. Sehen Sie dort den Elegant mit zwölf bunten Westen? Hören Sie die tiefsinnigen Bemerkungen, die er seiner Donna zulispelt? Riechen Sie die köstlichen Pomaden und Essenzen, womit er parfümiert ist? Er fixiert Sie mit der Lorgnette, lächelt und kräuselt sich die Haare. Aber schauen Sie die schönen Damen! Welche Gestalten! Ich werde poetisch!
![]()
Ja, Freund, hier unter den Linden
Kannst du dein Herz erbaun,
Hier kannst du beisammen finden
Die allerschönsten Fraun.
Sie blühn so hold und minnig
Im farbigen Seidengewand;
Ein Dichter hat sie sinnig
Wandelnde Blumen genannt.
Welch schöne Federhüte!
Welch schöne Türkenschals!
Welch schöne Wangenblüte!
Welch schöner Schwanenhals!
Nein, diese dort ist ein wandelndes Paradies, ein wandelnder Himmel, eine wandelnde Seligkeit. Und diesen Schöps mit dem Schnauzbarte sieht sie so zärtlich an! Der Kerl gehört nicht zu den Leuten, die das Pulver erfunden haben, sondern zu denen, die es gebrauchen, d.h. er ist Militär.
...
Jetzt sehen Sie mal rechts und links. Das ist die große Friedrichstraße. Wenn man diese betrachtet, kann man sich die Idee der Unendlichkeit veranschaulichen. Laßt uns hier nicht zu lange stehenbleiben. Hier bekömmt man den Schnupfen. Es wehet ein fataler Zugwind zwischen dem Hallischen und dem Oranienburger Tore.
...
Hier rechts können Sie etwas Neues sehen. Hier werden Boulevards gebaut, wodurch die Wilhelmstraße mit der Letzten Straße in Verbindung gesetzt wird. Hier wollen wir stillestehn und das Brandenburger Tor und die darauf stehende Viktoria betrachten. Ersteres wurde von Langhans nach den Propyläen zu Athen gebaut und besteht aus einer Kolonnade von zwölf großen dorischen Säulen. Die Göttin da oben wird Ihnen aus der neuesten Geschichte genugsam bekannt sein. Die gute Frau hat auch ihre Schicksale gehabt; man sieht's ihr nicht an, der mutigen Wagenlenkerin. Laßt uns durchs Tor gehen. Was Sie jetzt vor sich sehen, ist der berühmte Tiergarten, in der Mitte die breite Chaussee nach Charlottenburg.
( Heinrich Heine Briefe aus Berlin)
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(Reise vom Cap nach dem antarctischen Zirkel – Erste Fahrt in höhere südliche Breiten – Ankunft auf der Küste von Neu-Seeland)
* Robert Boyle (1626-1692), irischer Naturforscher.„Nachmittags fuhren wir bey einer andern viereckigten, ungeheuren Eiß-Masse vorbey, die ohngefähr zweytausend Fuß lang, vierhundert breit, und wenigstens noch einmal so hoch als unser höchster mittelster Braam-Mast, das ist, ohngefähr zwey hundert Fuß hoch war. Da sich nach BOYLENS* und MAIRANS** Versuchen die Masse des Eises zum Seewasser ohngefähr wie 10. zu 9. verhält; so muß, nach bekannten hydrostatischen Gesetzen, die Masse des Eises über dem Wasser zu jener, die sich unterm Wasser befindet, wie 1 zu 9 seyn. Wenn nun das Stück Eis, welches wir vor uns sahen, von ganz regelmäßiger Gestalt gewesen ist, welches wir einmal annehmen wollen, so muß es 1800 Fuß tief im Wasser gegangen und im Ganzen 2000 Fuß hoch gewesen seyn. Rechnen wir nun seine Breite auf obige 400 Fuß und für seine Länge 2000; so muß dieser einzige Klumpen ein tausend sechs hundert Millionen Cubic-Fuß Eiß enthalten haben.“
(Forster S. 112)
** Jean Jaques d'Ortous de Mairan (1678-1771), Physiker und Mathemathiker.
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Hintergründe und Sichtweisen:
Sonstiges:
bei 13:36 „halte den deutschen Boden rein“
bei 17:00 Rousseaus Naturvorstellungen und das 3. Reich
bei 31:10 Göbbels: „der Bolschewismus ist nicht nur antibürgerlich, sondern antikulturell“
bei 44:40 Schleierwörter
bei 49:00 Schimpfarmut
bei 53:15 die „Judenstunde“ zum einkaufen
bei 103:10 „asozialer Raub“, Entfernung ex libris
bei 110:10 „Terroristen im französischen Raum liquidiert“
bei 113:16 „sie haben allen gegenüber ihr Wort gebrochen, nur den Juden nicht“
bei 115:00 „wir kämpfen siegesgewiss: Freiheit!“
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(Reise vom Cap nach dem antarctischen Zirkel – Erste Fahrt in höhere südliche Breiten – Ankunft auf der Küste von Neu-Seeland)

„Am 8ten, da die See noch immer sehr unruhig und der Wind sehr heftig war, hatten wir auf allen Seiten um uns her eine Menge Vögel von den vorgedachten Arten, auch ließen sich heute zum erstenmal Pinguins1 und Hauffen von See-Gras welches See-Bambu genannt wird (fucus buccinalis Linn.) ohnweit dem Schiffe sehen. Diese Umstände begünstigten unsere Hofnung Land zu finden, denn bishero wards für ausgemacht gehalten, daß See-Gras, besonders solch Felsenkraut als dieses, und Pinguins, niemals fern von der Küste angetroffen würden.* Sir John Narborough war von 1669 bis 1671 auf einer Forschungsmission in der Südsee, 1694 erschien in London sein Reisebericht ‚An Account of several late Voyages and Discoveries to the South and North’.
1 Diesen Vogel hat, seit Sir JOHN NARBOROUGHS* Zeit, fast ein jeder Seefahrer erwähnt, der das südliche Ende von Amerika berührt hat; und sie sind den Lesern aus Ansons**, Byrons***, Bougainvilles****, Pernetty’s***** und andern Nachrichten so bekannt, daß es kaum nöthig seyn möge, sie hier zu beschreiben. Man kann sie auf gewisse Weise als Amphibia ansehen, denn ihre Flügel sind nicht zum Fliegen, sondern bestehen nur aus starken fleischigten Membranen, welche sie zugleich als Flos-Federn gebrauchen. Den Naturkundigen sind jetzt schon zehn verschiedene Arten bekannt worden.“
(Forster S. 110)
** George Anson war Kommandant des britischen Geschwaders, dass in den Jahren 1740 – 1744 den Seehandel der Spanier behindern sollte. Über die Reise verfasste Richard Walter, nach Anweisungen von Anson, eine Reisebeschreibung (Voyage round the world, in London 1748 erschienen)
*** John Byron, der Schiffeversenker, umsegelte von 1764–1766 die Welt (John Byron: Des Commodore Johann Byron Erzählung der grossen Unglücksfälle, die er nebst seiner Gesellschaft von dem Jahre 1740 an, bis zu seiner Ankunft in England 1746 auf der Küste von Patagonien ausgestanden hat. Nürnberg 1769). Er ist der Großvater von Lord Byron.
**** Louis Antoine de Bougainville unternahm im Auftrag der französischen Regierung eine Weltreise (1766 – 1769), 1771 erschien sein Reisebericht ‚Voyage autour du monde par la frégate du roi La Boudeuse et la flûte L'Étoile’.
***** Antoine-Joseph Pernetty, Benediktinermönch, begleitete Bougainville auf seiner Weltreise (Journal hist. d'un voyage aux îles Malouines, Berlin 1769, Paris 1770, 2 Bde.).
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