Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Montag, 10. November 2008
Wilhelm Krützfeld (9.12.1880 – 31.10.1953)

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, also vor 70 Jahren, verhinderte der Vorsteher des Polizeirevieres 16 am Hackeschen Markt das Niederbrennen der Synagoge in der Oranienburger Straße.

Sein Name war Wilhelm Krützfeld. Heinz Knobloch schrieb einen lesenswerten kleinen Band über ihn:
Der beherzte Reviervorsteher

Wilhelm Krützfeld war kein politisch aktiver Mensch, er war nur ein Mensch, ein Polizist, der sich seine Würde durch Pogrome, durch Morde, nicht nehmen lassen wollte. Er stellte sich mit seinen Beamten vor die brennende Synagoge, rief die Feuerwehr, die den Brand löschte und hinderte die SA daran die Synagoge zu zerstören und auszuplündern.

Gedenktafel für Wilhelm Krützfeld (1880-1953) an der Neuen Synagoge, Oranienburger Strasse

Er war mit der Verfolgung seiner Nachbarn nicht einverstanden und warnte jüdische Bekannte und Freunde. Er duldete es nicht, dass in seinem Revier Gesetze verletzt werden.
Am Gebäude Oranienburger Straße 29 ist eine Gedenktafel für ihn angebracht:

Sein Sohn, Walter Krützfeld, berichtete:


"Als mein Vater im Laufe des Jahres 1942 in Andeutungen höherer Vorgesetzter etwas über die Beschlüsse der Wannsee-Konferenz erfuhr, reichte er sofort seine vorzeitige Pensionierung ein. Man gewährte sie ihm gern, weil man froh war, den alten Querkopf los zu sein."

Schade, dass keine Stiftung ihm zu Ehren gegründet wurde.

Der Historiker Christoph Spieker konnte in der Polizei mit etwa 2,8 Millionen Beschäftigten bisher lediglich 47 Männer identifizieren, die politisch oder rassisch Verfolgten geholfen haben. Dies ist eine beschämend geringe Zahl.

Sein Stellvertreter im Revier, Polizeimeister Willi Steuck, wurde zusammen mit einem weiteren Polizisten namens Trischak - sein Vornahme ist nicht bekannt - am 23. April 1945 von einem fliegenden Standgericht der SS in den Hackeschen Höfen erschossen.

Ach ja, am 9. November 1918 wurde in Berlin von Philip Scheidemann und Karl Liebknecht die Republik ausgerufen.
Die Republiken waren natürlich unterschiedlich.

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Freitag, 7. November 2008
Komantschen
Beim Brantschen denken die Komantschen:
das Pemikan ist nicht so recht vegan.
Drum ist veganes Brantschen
auch wirklich nichts für die Komantschen.

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Donnerstag, 6. November 2008
Chatanooga Choo Choo
Hohenschönhausen_Gertrudstrasse


Und nun alle zusammen:
"Pardon me, boy
Is that the Chatanooga Choo-Choo
Track twenty nine,
Boy, you can give me a shine,
I can afford"

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Mittwoch, 5. November 2008
Eine kleine Belehrung über das richtige Verhalten auf Rolltreppen
Max Goldt hatte vor Jahren bereits mit seinem Diktum “rechts stehen, links gehen” darauf hingewiesen, dass der Großstädter immer in Eile und dass dies auch völlig in Ordnung sei. Seine Benimmschule ist allerdings ergänzungsbedürftig:
  1. rechts stehen, links gehen: wie gesagt, Großstädter sind in Eile und wollen eventuell ihren Zug noch erwischen.
  2. nach dem Transport nicht am Ende der Rolltreppe stehen bleiben, um sich zu orientieren, sondern zwei Schritte gerade aus und einen zur Seite: so vermeiden sie das Aufrollen der Treppennutzer.
  3. Herrschaften, die mit einem Rentnerbaggi behaftet sind, diesen nicht neben sich abstellen, sondern vor oder hinter den eigenen Füßen.
  4. Gruppen, insbesondere jüngerer Leute, sollten auf Rolltreppen nicht schupsen und infernalisch brüllen.
  5. Mit geöffneter Bierflasche etc. nicht gestikulieren: Einige ihrer Mitreisenden sind dankbar, wenn sie zu Hause nicht gefragt werden, ob sie noch schnell im ‚Bierhimmel' waren.
  6. Wenn sie sich durch eine aggressiv-laute Stimme mit den Worten "Hey! Baby!" an eingehende Anrufe mahnen lassen, bitte das Taschentelefon vor Benutzung der Rolltreppe abschalten.
  7. Nach Fußballspielen nicht unvermittelt "Ole, ole, oleeeeH" brüllen. Ihre Mitreisenden erschrecken zu Tode.
  8. Bitte nicht mit ihrem Regenschirm oder dem Gestänge ihrer Fahne, Demonstrationstransparent o.ä. herumfuchteln: sie könnten jemand die Brille abfegen.
  9. Wenn sie den Benutzerstrom kreuzen wollen, halten sie mindestens drei Meter Abstand zu den ankommenden Rollgästen: es müssen dann nicht zehn Leute auf der Stelle hüpfen, um eine Karambolage zu vermeiden.
  10. Die Nutzung von Rolltreppen mit vier Koffern, zwei Reisetaschen, diversen Kleinstrucksäcken und Beutelchen sowie zwei Kindern, ist keine gute Idee für ein übermüdetes Paar.

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Dienstag, 4. November 2008
Jean Paul Seebuch
Vierte Fahrt,
worin das Liebesglück eines Zensors im ästhetischen Fache geschildert wird.
„Der ganze Tag verdiente überhaupt gar nicht, dass man ihn durchlebte; und am Abend ärgerte mich noch dazu der Abend.“


( Jean Paul Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch
1. 2. 3. 4. 5. 6.7. 8. 9. 10. 11. 12.13. letzte Fahrt)

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Montag, 3. November 2008
Der Haider Jörg,
weg isser, mit 142 km/h besoffen aufn Betong gebrezelt, wie man hört. Schad' isses nich grad.

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Freitag, 31. Oktober 2008
Was einem frühmorgens so durch die Birne rauscht
Ist ein Einwohner von London eigentlich ein capitalist?

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Donnerstag, 30. Oktober 2008
Der amerikanische Traum
Vom Tellerwäscher zum Autowäscher, vom Millionäre zum Multimillionär: jeder kann es schaffen!

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Mittwoch, 29. Oktober 2008
Schöne, neue, alte Wörter, heute: schüttern
Victor Klemperer verzeichnet am 6. Juni 1920:
„Der Zug schütterte, so dass man beim Lesen die Zeile verliert.“


( Victor Klemperer Tagebücher)
Damit ist wohl gemeint: der Wagon ruckte von links nach rechts. Ein schöner, treffender Ausdruck, auch wenn versetzte Gleise heute eher selten anzutreffen sind, weil Eisenbahnschienen inzwischen, selbst auf den Nebenstrecken, miteinander verschweißt werden und der Schotter beim Bau und bei Erneuerungen oder Reinigungen so zu Recht gerüttelt wird, dass Verschiebungen und Absetzungen nicht mehr oder nur noch selten vorkommen.
Man könnte das Verb aber im übertragenen Sinne verwenden und so für unseren Wortschatz erhalten:

„Die Diskussion schütterte“,
im Sinne von: Der Faden ging immer mal wieder verloren. Das versteht dann kaum jemand, aber das ist ja nicht immer so schlimm.

„Sein Gefühl schütterte“:
Mal entbrennt er in Liebe, mal geht sie ihm auf die Nerven. Mit vertauschten Rollen geht es natürlich auch.

„Die Hand schütterte“.
Auf der Boxhagener Strasse lief einmal ein Mann vor mir, der seine rechte Hand, die Handfläche nach hinten geöffnet in unmotivierten Zuckungen bewegte. Eine Krankheit? Die linke Hand schwang, ganz üblich, am Bein.

Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache:
schüttern

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Dienstag, 28. Oktober 2008
Jean Paul Seebuch
Dritte Fahrt, die ihn von Haifischen träumen lässt und ihn ins Saturnianer Land führt.
„„Ich machte die Sänftenfenster dem frischen Luftzug auf und blies vor Lust mit meinem Posthörnchen hinaus. Drunten auf meinem zurückgelassenen Meersboden stieg ein Dieb in eine Kirche ein – unweit davon stieg ein Mönch aus einem Kloster als Selbstdieb heraus – in den Wald liefen Wilddiebe – auf dem Felde Wächter gegen das diebische Wild – ferner Reisende – Sentimetalisten usw. Was ging mich das tiefe Volk an? Ich ging zu Bette.“


( Jean Paul Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch
1. 2. 3. 4. 5. 6.7. 8. 9. 10. 11. 12.13. letzte Fahrt)

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Montag, 27. Oktober 2008
Wortspiele
„Wer Wortspiele anfertigt und in Umlauf bringt oder Wortspiele von Dritten fahrlässig oder in humoristischer oder sonstewie Absicht verbreitet, wird mit Wortspielhölle nicht unter fünf Jahren bestraft. Auch die Beihilfe ist strafbar. In besonders schweren Fällen kann auch eine unbefristete Strafe ausgesprochen werden.“
In der Wortspielhölle sitzen Werbetexter und müssen bis in alle Ewigkeit ihre Verfehlungen büßen, indem sie
”Was die Spitzin für den Spitz, das ist für den Berliner das Blub in Britz.”
aufsagen müssen. Dort gibt es keine Redefreiheit zu einem besonders günstigen Tarif, sondern Redezwang ohn‘ Unterlass. Eine kaugummikauende 16jährige leiert 24 Stunden affige Friseurnamen herunter, als Hintergrundmusik jault „Cherry, cherry lady ...“ als Video in Endlosschleife. Überlebensgroße Poster von Stars aus Vorabendserien zieren die Wände. Zu jeder vollen Stunde muss man neue Klingeltöne herunterladen. Überhaupt: Es wird viel, sehr viel telefoniert in der Wortspielhölle.

Also Vorsicht.

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Freitag, 24. Oktober 2008
Karl Marx „Das Kapital“
Im gestrigen Tagesspiegel wurde gemeldet, dass der Karl Dietz Verlag die Bände 23 bis 26 der MEW-Ausgabe nachdrucken muss, weil die Nachfrage durch die Bankenkrise deutlich gestiegen sei.
Es wäre zu wünschen, dass die nachwievor einzige, kritische Analyse kapitalistisch produzierender Gesellschaften nicht nur Käufer, sondern insbesondere Leser findet.
In besonderem Maße wäre das Ostdeutschen, die Karl Marx häufig nur in der verquasten, bis zur Unkenntlichkeit entstellten Deutung des Marxismus-Leninismus (ML) kennen gelernt haben, zu gönnen.

Ach ja, und die Grundrisse müsste man auch mal wieder lesen, vielleicht erhellt sich dann die ägyptische Finsternis ein wenig:
„Persönliche Abhängigkeitsverhältnisse (zuerst ganz naturwüchsig) sind die ersten Gesellschaftsformen, in denen sich die menschliche Produktivität nur in geringem Umfang und auf isolierten Punkten entwickelt. Persönliche Unabhängigkeit auf sachlicher Abhängigkeit gegründet ist die zweite große Form, worin sich erst ein System des allgemeinen gesellschaftlichen Stoffwechsels, der universalen Beziehungen, allseitiger Bedürfnisse, und universeller Vermögen bildet. Freie Individualität, gegründet auf die universelle Entwicklung der Individuen und die Unterordnung ihrer gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität, als ihres gesellschaftlichen Vermögens, ist die dritte Stufe.“

( Grundrisse S. 75)
Nicht fürs Gemüt, sondern um die Möglichkeit einer begründeten Utopie herrschaftsarmer oder gar herrschaftsfreier Verhältnisse überhaupt wieder denken zu können.
Nach der Fron, Aspekt für Aspekt von Produktion und Zirkulation zur Kenntnis zu nehmen, die „Grundrisse“, um zu verstehen für was die Mühen notwendig sind: ›to have the egg and also the halfpenny that you buy it with‹ wird’s wohl niemals geben, Schade eigentlich.

Fürs Gemüt empfehle ich Friedrich Hölderlin, der 50 Jahre vor Karl Marx, so sagen zumindest einige, sich ähnliche Gedanken über geschichtliche Prozesse gemacht hat:
„Von heute aber nicht, nicht unverkündet ist er;
Und einer, der nicht Flut noch Flamme gescheuet,
Erstaunet, da es stille worden, umsonst nicht, jetzt;
Da Herrschaft nirgend ist zu sehn bei Geistern und Menschen.“
(aus: Die Friedensfeier)

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Donnerstag, 23. Oktober 2008
„Das ist Kresse, näh?“
Vorgestern im Supermarkt. Ein Azubi an der Kasse. Während ich noch über die Einkäufe meiner Vorgängerin grüble:
„Das ist Kresse, näh?“
Er deutet mit dem Finger auf mein Kräutersträußchen.

Schnittlauch oder Kresse?


Was will er bloß?
„Wie?“
„Das ist Kresse, näh?“
Ich begreife immer noch nichts.
„Äh, ich habe nicht auf den Preis geachtet, irgendwas mit 1, irgendwas pro Bund“
„Ja, Ja.“
Er blättert wild in seinen Preislisten. Endlich rastet es bei mir ein.
„Ach so, Entschuldigung, ich habe nicht verstanden, was sie meinen.“
„Ist ja nicht so schlimm.“
Er sucht immer noch in seinen Listen.
„Ach so, und nein, das ist keine Kresse, das ist ...“
Ich hatte einen harten Tag hinter mir und der junge Mann hat mich geschafft.

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Mittwoch, 22. Oktober 2008
Träume
Heute, vier Uhr dreissig. Ein kräftiger Stoß. Ich schlage die Augen auf. Madame Lilly liegt auf dem Rücken, schläft tief und zuckt mit dem linken Hinterlauf. Sie träumt, von aufregenden Jagden, vom Anschleichen, vom Sprung, vom zupacken. Ich streichle ihr sanft den Bauch. Das Zucken hört auf. Sie öffnet ein Auge, zur Hälfte, und brummt kaum merklich, dann schließt sie das Auge wieder.

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