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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 32
g. | Mittwoch, 4. Dezember 2013, 06:37 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Die Wette
Seit Mangogul Cucufas Zaubergeschenk erhalten hatte, waren die Lächerlichkeiten und Laster der Weiber der ewige Gegenstand seines Spottes. Darin konnte er sich gar nicht genug tun, und das langweilte die Favorite oftmals. Aber Langeweile brachte bei der Sultanin, sowie bei sehr vielen andern Damen zwei grausame Wirkungen hervor: sie ward verdrießlich und mischte Bitterkeit in ihre Reden. Dann wehe denen, die ihr zu nahe kamen; sie machte keinen Unterschied und verschonte selbst den Sultan nicht.
»Gnädigster Herr,« sagte sie eines Tages in solch einem Anfall von Verdruß, »Sie wissen so vieles, aber vielleicht wissen Sie nicht die Neuigkeit des Tages.« – »Was wäre das?« fragte der Sultan. – »Man sagt, Ihre Hoheit lernten alle Morgen drei Seiten Histörchen aus Brantôme oder Quville: denn noch ist man nicht einig, welches klassische Werk bei Ihnen den Vorzug hat.« – »Man irrt sich, Madam,« sagte Mangogul, »ich lese meinen Crébillon ...« – »O Sie dürfen sich jener Leserei nicht schämen,« unterbrach ihn die Favorite. »Die neuen Bosheiten, die man über uns schreibt, sind so geschmacklos, daß man weit besser tut, die alten aufzuwärmen. Es stehn wahrlich sehr hübsche Sachen in diesem Brantôme: verbinden Sie mit diesen Geschichten drei oder vier Kapitel aus Bayle, und Sie werden sich augenblicklich ebensowitzig finden, als den Marquis D .... und den Chevalier de Mouhi. Das würde eine erstaunliche Mannigfaltigkeit in Ihre Unterhaltung bringen. Wenn Sie die armen Weiber ganz in die Pfanne gehauen hätten, so würden Sie auf die Pagoden verfallen, von den Pagoden kämen Sie auf die Weiber zurück. Wahrlich, Ihnen fehlt nichts als eine kleine Sammlung Gotteslästerungen, um ein vollkommen guter Gesellschafter zu sein.«
»Sie haben ganz recht, Madame,« antwortete Mangogul, »und ich werde sie mir kommen lassen. Wer in dieser und jener Welt nicht betrogen sein will, kann gegen die Macht der Pagoden, die Rechtschaffenheit der Männer und die Sittsamkeit der Weiber nicht genug auf seiner Hut bleiben.«
»Diese Sittsamkeit,« versetzte Mirzoza, »ist nach Ihrer Meinung also wohl etwas Zweideutiges?« »Weit mehr, als Sie glauben,« antwortete Mangogul.
»Fürst,« erwiderte Mirzoza, »Sie haben mir Ihre Minister hundertmal als die rechtschaffensten Männer von Congo angepriesen. Ich habe die Lobreden auf Ihren Seneschall, auf die Statthalter Ihrer Provinzen, auf Ihre Geheimschreiber, auf Ihren Schatzmeister, kurz auf alle Ihre Staatsdiener, so oft anhören müssen, daß ich sie Ihnen Wort für Wort wiederholen kann. Es ist sonderbar, daß der Gegenstand Ihrer Zuneigung, unter allen, die die Ehre haben, sich Ihnen zu nähern, allein von Ihrer guten Meinung ausgeschlossen sein soll.«
»Wer hat Ihnen das gesagt?« versetzte der Sultan. »Bedenken Sie doch, Madame, daß alles, was ich Wahres oder Falsches von den Weibern behaupte, Sie nichts angeht; Sie müßten sich denn einfallen lassen, Ihr ganzes Geschlecht darzustellen.«
»Das wollt' ich der gnädigen Frau nicht raten,« sagte Selim, der bei dem Gespräch zugegen war, »dabei könnte sie nichts gewinnen als Fehler.«
»Ich nehme keine Schmeichelei an,« erwiderte Mirzoza, »die man auf Kosten meines Geschlechts macht. Wer mich loben will, muß keine andre deswegen herabsetzen. Die meisten schönen Worte, die man an uns verschwendet, gleichen den kostbaren Festen, die Ihrer Hoheit Paschas Ihnen geben: das Publikum muß sie immer bezahlen.«
»Reden wir nicht davon,« sprach Mangogul. »Aber gestehen Sie aufrichtig, sind Sie noch nicht überzeugt, daß die weibliche Tugend in Congo ein Hirngespinst sei? Sehn Sie nur, Wonne meines Lebens, auf die heutige Erziehung, auf das Beispiel, das die jungen Mädchen von ihren Müttern erhalten, auf das Vorurteil, das man einer hübschen Frau beibringt, als führe sie ein trauriges Leben, als sterbe sie vor Langeweile und begrabe sich lebendig, wenn sie sich fein zu Hause hält, um die Wirtschaft bekümmert und nur für ihren Mann da ist. Und dann sind wir Männer so unternehmend, und ein junges Kind ohne Erfahrung ist außer sich vor Freuden, daß ihr jemand nachstellt. Ich habe behauptet, sittsame Weiber wären selten, außerordentlich selten: und so weit bin ich entfernt, das zurückzunehmen, daß ich gern hinzusetze, es ist zu verwundern, daß sie nicht noch seltener sind. Fragen Sie Selim, was er davon denkt.«
»Fürst,« antwortete Mirzoza, »Selim ist unserem Geschlecht zu viel Dank schuldig, um es ohne Erbarmen zu verlästern.«
»Gnädige Frau,« sagte Selim, »Seine Hoheit konnte unmöglich eine Dame unerbittlich finden, und muß also natürlicherweise so von den Weibern denken, wie er denkt. Sie aber haben die Güte, andre nach sich zu beurteilen, und können also keine andre Meinung haben, als die Sie verteidigen. Ich muß indessen gestehn, ich bin geneigt zu glauben, daß es verständige Frauenzimmer gibt, denen die Vorzüge der Tugend aus Erfahrung bekannt sind, und denen ihr Nachdenken die unangenehmen Folgen eines Fehltritts gezeigt hat. Sicherlich finden sich Frauenzimmer, glücklich organisiert und wohlerzogen, die ein Gefühl für ihre Pflicht haben, zu lieben, und nie von ihr ablassen werden.« »Was brauchen wir uns in Abstraktionen zu verlieren?« setzte die Favorite hinzu, »ist nicht die lebhafte, liebenswürdige, reizende Aglae gleichzeitig ein Muster von Sittsamkeit? Fürst, daran können Sie nicht zweifeln, ganz Banza weiß es aus Ihrem Munde. Gibt es aber eine sittsame Frau, so mag es ihrer tausend geben.«
»O!« sagte Mangogul, »gegen die Möglichkeit hab' ich nichts einzuwenden.«
»Gestehn Sie diese Möglichkeit ein,« versetzte Mirzoza, »wer offenbart Ihnen dann, daß sie nicht wirklich vorhanden sind?«
»Niemand als ihr Kleinod,« antwortete der Sultan. »Ich gebe allerdings zu, dieses Zeugnis ist minder stark als Ihr Beweisgrund. Ich will zum Maulwurf werden, wenn Sie den nicht einem Brahminen ablernten! Lassen Sie den Kaplan der Manimonbonda rufen, und er wird Ihnen sagen, daß Sie mir das Dasein der sittsamen Frau ungefähr ebenso bewiesen haben, wie die Brahminologie das Dasein Brahmas beweist. Wurden Sie vielleicht in dieser erhabnen Schule erzogen, ehe Sie in den Harem kamen?«
»Bitte, keine schlechten Scherze,« erwiderte Mirzoza. »Ich berufe mich ja nicht bloß auf die Möglichkeit, sondern auf eine Tatsache der Erfahrung.«
»Ja,« fuhr Mangogul fort, »auf eine verstümmelte Tatsache, auf eine Erfahrung, die einzeln dasteht. Und ich habe eine Menge Versuche für mich, die Ihnen bekannt sind. Aber ich will Ihren Unwillen durch langen Widerspruch nicht vermehren.«
»Es ist ein Glück,« sagte Mirzoza verdrießlich, »daß Sie nach Verlauf von zwei Stunden müde werden, mich zu verfolgen.«
»Hab' ich diesen Fehler begangen,« antwortete Mangogul, »so will ich versuchen, ihn wieder gut zu machen. Ich begebe mich aller meiner vergangenen Siege, Madame, und findet sich in der Reihe der Prüfungen, die ich noch anstellen werde, eine einzige Frau, die wahrhaftig und anhaltend sittsam ist ...« – »Was wollen Sie dann tun?« unterbrach ihn Mirzoza hastig.
»So werde ich, wenn Sie wollen, öffentlich bekanntmachen, daß mich Ihr Beweis über die Möglichkeit sittsamer Weiber entzückt; so unterstütz' ich Ihre Logik mit aller Macht; so schenk ich Ihnen mein Lustschloß Amana nebst allem sächsischen Porzellan, womit es geziert ist, ohne den emaillierten Wickelschwanzaffen auszunehmen und all den übrigen Kram dazu, den ich von Madame de Véru gekauft habe.«
»Fürst, ich werde mich mit dem Porzellan des Schlosses und dem kleinen Wickelschwanzaffen begnügen.«
»Es gilt,« sagte Mangogul, »Selim sei Schiedsrichter. Ich verlange nur einige Zeit, um selbst Aglaens Kleinod zu befragen. Man muß doch der Hofluft und der Eifersucht des Mannes etwas Zeit lassen zu wirken.«
Mirzoza gestand dem Sultan einen Monat zu; er hatte nur halb so viel begehrt, und beide schieden voller Hoffnung voneinander. Ganz Banza hätte für und wider sie gewettet, wenn des Sultans Versprechen ruchbar geworden wäre. Aber Selim schwieg, und Mangogul schickte sich heimlich an, zu gewinnen oder zu verlieren. Er verließ eben das Gemach der Favorite, als sie ihm aus dem Zimmer nachrief: »Fürst ...! Und den kleinen Wickelschwanzaffen!« »Und den kleinen Wickelschwanzaffen,« antwortete Mangogul, indem er sich entfernte. Er begab sich von da in das kleine Haus eines Senators, wohin wir ihm folgen.
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„Warum gießen Sie das Verkehrsschild?“
HERBERT ACHTERNBUSCH wurde am 23. November 75!
HERBERT ACHTERNBUSCH wurde am 23. November 75!
g. | Dienstag, 3. Dezember 2013, 06:18 | Themenbereich: 'so dies und das'
Ein Kurzporträt im Bayrischen Rundfunk.
"So ein kleines Volk am Nordalpenrand hat Angst vor anderen und vor allem aber vor sich selber. Bei den Österreichern ist es ja noch schlimmer. Die sind ja völlig vertrottelt in den Bergen."
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 31
g. | Montag, 2. Dezember 2013, 05:54 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Zweites Bändchen
Motto
Non sine diis animosus
(Horaz)
Nicht ohne göttliche Leidenschaft (wenn jemand einigermaßen Latein beherrscht: bitte korrigieren)
Motto
Non sine diis animosus
(Horaz)
Nicht ohne göttliche Leidenschaft (wenn jemand einigermaßen Latein beherrscht: bitte korrigieren)
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 30
g. | Freitag, 29. November 2013, 06:09 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Das stumme Kleinod
Unter allen Damen, die am Hofe des Sultans glänzten, hatte keine mehr Anmut und Witz, als die junge Aglae, Gemahlin des Ober-Mundschenks Seiner Hoheit. Sie war immer bei Mangoguls Gesellschaften, der ihre gefällige Unterhaltung liebte; und als ob Freude und Vergnügen nur da wohnten, wo sich Aglae befände, ward auch Aglae bei jeder Gesellschaft der Großen seines Hofes zugezogen. Bei Bällen, Schauspielen, Versammlungen, Gastmählern, Abendmahlzeiten, Jagden, Spielen, überall wollte man Aglae haben, und man traf sie auch überall. Es schien, als ob der Geschmack an Unterhaltung sie so allgegenwärtig machte, als das Verlangen nach ihr. Ich darf also nicht erst sagen, daß kein Frauenzimmer so überall gesucht und so überall zu finden war als Aglae.
Immer ward sie von einer Menge Anbeter verfolgt, und man war überzeugt, sie habe nicht alle verschmachten lassen. Aus Unvorsichtigkeit oder Gefälligkeit sah das, was sie als bloße Höflichkeit meinte, oftmals einer ausgezeichneten Achtung ähnlich; und die, welche ihr zu gefallen strebten, redeten sich zuweilen ein, ihr Blick sei zärtlich, wo sie an weiter nichts dachte, als sich freundlich zu erweisen. Sie war weder bissig noch schadenfroh und öffnete den Mund nur, um etwas Verbindliches zu sagen. Das geschah aber mit so vieler Empfindung und Lebhaftigkeit, daß ihre Lobsprüche mehrmals den Verdacht erregten, als habe sie eine Wahl zu rechtfertigen.
Das heißt, diese Welt, deren Zierde und Freude Aglae ausmachte, war ihrer nicht wert.
Man konnte glauben, ein Frauenzimmer, an der man vielleicht nur ein Übermaß von Gutherzigkeit aussetzen durfte, müsse keine Feinde gehabt haben. Und doch hatte sie welche, und zwar grausame. Die Betschwestern von Banza fanden ihr Betragen zu frei, ihr Benehmen ein wenig zu ausgelassen, ihre ganze Aufführung ein ewiges Streben nach den Freuden der Welt: schlossen daraus, ihre Sitten müßten wenigstens zweideutig sein, und waren so menschenfreundlich, das einem jedem zuzuflüstern, der es hören wollte.
Die Hofdamen behandelten sie nicht besser. Sie dachten Arges von Aglaes Verbindungen, meinten, sie hätte Liebhaber, ließen sie gar in einigen Abenteuern eine Hauptrolle, in anderen eine Nebenrolle spielen. Man wußte die kleinsten Umstände, man nannte Zeugen. »Jaja,« so raunte man sich ins Ohr, »neulich wurde sie bei einem Stelldichein mit Melraim in einem Boskett des großen Parks überrascht.« »Aglae hat Verstand,« setzte man hinzu, »aber Melraim noch viel mehr, um sich mit bloßen Worten zu begnügen um zehn Uhr abends in einem Boskett.« – »Da irren Sie sich,« antwortete ein Stutzer, »ich bin wohl in der Dämmerung mit ihr hundertmal spazieren gegangen und habe mich ganz gut dabei unterhalten. Wissen Sie übrigens, daß Sulemar immer in ihrem Ankleidezimmer sitzt?« – »Freilich wissen wir das, und daß sie sich immer nur anzieht, wenn ihr Gemahl beim Sultan Dienst hat.« – »Der arme Celebi,« fuhr eine andre fort, »wahrhaftig, seine Frau bringt ihn ins Gerede mit dem Diadem und dem Ohrgehänge, das ihr der Pascha Ismael geschenkt hat.« – »Wissen Sie das gewiß, gnädige Frau?« – »Ganz gewiß, von ihr selbst. Aber um Brahmas willen, nichts weitersagen! Aglae ist meine Freundin, es sollte mir sehr leid thun.« – »Ach,« rief eine dritte bekümmert aus, »das arme kleine Weibchen rennt mutwillig in ihr Verderben. Es ist doch schade! Aber zwanzig Liebhaber auf einmal! Wer kann das aushalten?«
Die Stutzer schonten ihrer ebensowenig. Einer erzählte von einer Jagd, auf der sie sich zusammen verirrt hätten. Ein andrer verschwieg aus Achtung für ihr Geschlecht die Folgen eines sehr lebhaften Gesprächs, das er auf einem Maskenballe mit ihr geführt hatte. Ein dritter lobte ihren Witz und ihre Reize und zeigte schließlich ein Miniaturbild von ihr, das ihm, wie er zu verstehn gab, aus den besten Händen kam. »Es ist viel ähnlicher,« sagt' er, »als das, was sie Jenaki gegeben hat.«
Diese Reden kamen endlich vor ihren Gemahl. Celebi liebte seine Frau, aber freilich mit Anstand, und ohne daß man das geringste dabei fand. Den ersten Nachrichten maß er keinen Glauben bei. Aber man wiederholte sie so oft und von so vielen Seiten, daß er endlich glaubte, seine Freunde seien scharfsichtiger als er. Je mehr Freiheit er Aglaen verstattet hatte, desto leichter argwöhnte er, daß sie ihrer mißbraucht habe. Eifersucht bemächtigte sich seiner Seele. Er fing an seine Frau einzuschränken. Aglae ertrug dieses veränderte Verfahren um so ungeduldiger, als sie sich unschuldig fühlte. Ihre Lebhaftigkeit und guter Freundinnen Rat bewogen sie zu unüberlegten Schritten, so daß sie sich scheinbar ins Unrecht setzte und beinahe ums Leben gekommen wäre. Der heftige Celebi überlegte heimlich tausend Anschläge der Rache durch Stahl, Gift oder Strang und entschloß sich endlich, sie eine langsamere, grausamere Strafe erdulden zu lassen: Verbannung auf seine Güter. Das ist der wahre Tod für eine Dame vom Hofe. Kurz und gut, der Befehl ist bald gegeben, eines Abends erfährt Aglae ihr Schicksal; man bleibt unempfindlich gegen ihre Tränen, taub gegen ihre Rechtfertigung, und so wird sie achtzig Meilen weit von Banza in ein altes Schloß verbannt, wo man ihr keine andre Gesellschaft läßt, als zwei alte Weiber und vier schwarze Verschnittene, die sie nicht aus den Augen verlieren.
Kaum war sie entfernt, so war sie unschuldig. Die Stutzer vergaßen ihre Liebeshändel, die Damen verziehen ihrem Witz und ihren Reizen, die ganze Welt beklagte sie. Mangogul erfuhr aus Celebis' eignem Munde, warum er ein so schreckliches Urteil gesprochen habe, und war der einzige, der ihm recht zu geben schien.
Seit sechs Monaten schmachtete die unglückliche Aglae in ihrer Verbannung, als sich das Abenteuer mit Kersael ereignete. Mirzoza wünschte sie unschuldig zu finden, wagte es aber kaum zu hoffen. Doch sprach sie eines Tages zum Sultan: »Fürst, Ihr Ring hat Kersaels Leben erhalten, vielleicht könnt' er Aglaens Verbannung ein Ende machen? Aber was fällt mir ein! Da müßten Sie ja ihr Kleinod befragen, und die arme Gefangene stirbt achtzig Meilen von hier vor langer Weile.« »Geht Ihnen Aglaes Schicksal sehr zu Herzen?« fragte Mangogul. »Ja, gnädigster Herr, vornehmlich, wenn sie unschuldig sein sollte,« antwortete Mirzoza. »Das sollen Sie wissen, ehe eine Stunde vorüber ist,« erwiderte Mangogul. »Erinnern Sie sich nicht an die Eigenschaften meines Ringes?« Mit diesen Worten begab er sich in seinen Garten, drehte den Ring und befand sich fünfzehn Minuten darauf in dem Lustwäldchen des Schlosses, das Aglae bewohnte.
Dort sah er Aglae einsam und in Gram versunken. Ihr Kopf stützte sich auf ihre Hand, sie nannte zärtlich den Namen ihres Gemahls, ihre Tränen strömten auf den Rasen, worauf sie saß. Mangogul nahte sich ihr und drehte seinen Ring. Traurig sprach Aglaens Kleinod: »ich liebe Celebi.« Der Sultan erwartete, was noch kommen würde, aber es kam nichts weiter. Deswegen hielt er sich an seinen Ring, rieb ihn einigemal gegen seinen Turban und kehrte ihn dann wieder gegen Aglae. Aber seine Mühe war vergebens. Das Kleinod sprach wieder: »ich liebe Celebi,« und schwieg. »Ist das ein verschwiegenes Kleinod!« sagte der Sultan. »Wir müssen doch noch einmal sehen und den Stein etwas fester reiben.« Zu gleicher Zeit gab er seinem Ring allen Nachdruck, dessen er fähig war, und drehte ihn plötzlich auf Aglae, aber ihr Kleinod blieb stumm. Und so schwieg es beständig fort, oder wiederholte höchstens im Klageton: »ich liebe Celebi, und nie hab‹ ich einen andern geliebt!«
Mangogul fand sich darein und kehrte in fünfzehn Minuten zur Favorite zurück. »Wie, gnädigster Herr,« sagte sie, »Sie sind schon wieder da? Was haben Sie erfahren? Gibt es Stoff für unsre Unterhaltung?« »Ich bringe nichts mit,« antwortete der Sultan. – »Nichts. – Ganz und gar nichts. Ein so stummes Kleinod ist mir niemals vorgekommen. Kein Wort ist aus ihm herauszubringen als: ich liebe Celebi, und nie hab' ich einen andern geliebt'.« »Ach! gnädigster Herr,« erwiderte Mirzoza lebhaft, »was sagen Sie mir da? welche fröhliche Nachricht! Das also ist endlich eine sittsame Frau! Soll sie länger unglücklich bleiben?« »Nein,« antwortete Mangogul, »ihre Verbannung wird ein Ende nehmen; aber fürchten Sie nicht, daß ihre Tugend darunter leiden werde? Aglae ist sittsam, aber, Wonne meines Herzens, sehn Sie, was Sie verlangen? ich soll sie zurückberufen, und sie soll es bleiben? Doch Ihr Wille geschehe!«
Sogleich ließ der Sultan Celebi vor sich kommen und sagte ihm, er habe den über Aglae verbreiteten Gerüchten nachgeforscht und sie alle als falsch und verleumderisch erkannt; er befehle ihm, sie an seinen Hof zurückzubringen. Celebi gehorchte und stellte seine Frau dem Sultan vor. Sie wollte sich Seiner Hoheit zu Füßen werfen, aber Mangogul tat ihr Einhalt: »Madam,« sagte er, »Ihr Dank gebührt Mirzoza. Ihre Freundschaft für Sie hat mich vermocht, die Wahrheit der Tatsachen zu untersuchen, die man Ihnen zur Last legte. Fahren Sie fort, meinen Hof zu verschönern, aber erinnern Sie sich, daß eine hübsche Frau sich durch Unvorsichtigkeit zuweilen ebensosehr schadet, als durch wirkliche Abenteuer.«
Tags darauf erschien Aglae bei der Manimonbanda, die sie mit einem Lächeln empfing. Die Stutzer taten noch einmal so albern gegen sie als zuvor; die Damen eilten sie zu umarmen, ihr Glück zu wünschen, und fingen wieder an, sie zu zerpflücken.
Vor böswilligem Tratsch ist auch die Liebe nicht gefeit. Die Geschichte scheint auf eine Sittenlehre, eine Sexualmoral hinauszulaufen.
Ende des ersten Bändchens
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Wortspielchen
g. | Donnerstag, 28. November 2013, 06:45 | Themenbereich: 'auf Reisen'
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 29
g. | Mittwoch, 27. November 2013, 07:04 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Träume eines Geistersehers
»Ach!« sagte Mangogul, gähnte und rieb sich die Augen, »mir tut der Kopf weh! Daß sich keiner wieder unterstehe, mir etwas vorzuphilosophieren! Solche Gespräche sind ungesund. Gestern leg ich mich mit solchen krausen Gedanken nieder, und anstatt zu schlafen wie ein Sultan, hat mein Gehirn mehr gearbeitet, als die meiner Staatsminister in einem Jahre. Sie lachen, aber ich will Ihnen beweisen, daß ich nicht übertreibe! Ich will mich für die üble Nacht rächen, die Ihre Vernünfteleien mir zugezogen haben. Sie sollen meinen ganzen Traum zu hören bekommen. So wie ich anfing einzuschlafen, erwachte meine Einbildungskraft. Ich sah ein seltsames Tier mir zur Seite sich tummeln. Es hatte den Kopf des Adlers, die Füße des Greifen, den Leib des Pferdes und den Schweif des Löwen. Ich ergriff es trotz seiner Sprünge, hielt mich an seine Mähne und schwang mich leicht auf seinen Rücken. Sogleich breitete es lange Fittige aus, die aus seinen Seiten drangen, und ich fühlte mich mit unglaublicher Geschwindigkeit durch die Luft getragen.
Wir waren schon lange unterwegs, als ich mitten im freien luftigen Raum ein Gebäude sah, als schwebt' es durch Zauberkraft. Es war sehr groß. An seiner Grundlage konnte man nichts aussetzen, denn es stand auf nichts. Seine Säulen, die nur einen halben Fuß dick waren, erhoben sich so hoch, daß man ihr Ende nicht absehen konnte, und unterstützten Gewölbe, die man nicht mehr erkannt haben würde, wenn nicht durch ihre gleichmäßigen Öffnungen Licht gefallen wäre.
Am Eingange dieses Gebäudes hielt mein Träger still. Anfangs schwankte ich, abzusteigen; denn wirklich schien es mir minder gefährlich, auf diesem Pferdegreif herumzufliegen, als in jenen Hallen zu lustwandeln. Indessen die Volksmenge, die ich dort erblickte, und das hohe Bewußtsein von Sicherheit, das ich auf ihren Gesichtern las, ermutigten mich. Ich steige ab, gehe näher, mische mich in das Gedränge und betrachte die, woraus es bestand.
Es waren aufgedunsene Greise ohne festes Fleisch, ohne Kraft und beinahe alle mißgestaltet. Einer hatte einen zu kleinen Kopf, ein anderer zu kurze Arme, dem fehlte es an Rumpf, jenem an Beinen. Die meisten hatten keine Füße und gingen auf Krücken. Ein Hauch warf sie um, und dann blieben sie auf der Erde liegen, bis es einem Neuangekommenen gefiel, sie aufzuheben. Trotz aller dieser Fehler gefielen sie beim ersten Anblick. Sie hatten in ihren Gesichtszügen etwas Anziehendes und Kühnes. Sie waren fast nackend, denn ihre ganze Kleidung bestand aus einem kleinen Tuchlappen, der nicht ein Hundertteilchen ihres Körpers bedeckte.
Ich dränge mich weiter durch und gelange endlich zu den Füßen einer Tribüne, der ein großes Spinnengewebe zum Baldachin diente. Übrigens war sie nicht minder kühn aufgeführt als das Gebäude, zu dem sie gehörte. Sie schien mir auf einer Nadelspitze zu ruhen und sich im Gleichgewicht darauf zu erhalten. Hundertmal zitterte ich für den, der darauf stand. Es war dies ein Greis mit langem Bart, ebenso hager und viel nackter noch als seine Schüler. Er tauchte einen Strohhalm in einen Becher voll feiner flüssiger Materie, setzte ihn an den Mund und blies Blasen auf eine Menge Zuschauer hinab, die ihn umgaben und sich abmühten, diese Blasen hoch in die Wolken zu treiben.
›Wo bin ich?‹ fragte ich mich, durch solche Kindereien verwirrt. ›Was will dieser Bläser mit seinen Blasen? Was all diese verlebten Knaben, die sie in die Höh treiben? Wer wird mir dies alles erklären?‹ Auch die kleinen Tuchfetzen hatten mich in Erstaunen versetzt. Je größer sie waren, hatt' ich beobachtet, desto weniger bekümmerten sich die, welche sie trugen, um die Blasen. Diese sonderbare Wahrnehmung gab mir den Mut, denjenigen anzureden, der mir am wenigsten unbekleidet scheinen würde.
Einen erblickt' ich, dessen Schultern durch so künstlich zusammengenähte Lappen halbbedeckt waren, daß man es gar nicht sah. Er ging im Gedränge hin und her und bekümmerte sich wenig um das, was geschah. Sein Ansehn war freundlich, sein Mund lachend, sein Gang edel, sein Blick sanft. Ich trat gerade auf ihn zu. ›Wer sind Sie? Wo bin ich, und wer sind alle diese Leute?‹ fragt' ich ihn ohne alle Umschweife ... ›Ich bin Plato,‹ antwortete er. ›Sie sind im Reich der Hypothesen. Jene Leute sind Systematiker.‹ ›Aber durch welchen Zufall‹, fragt' ich, ›befindet sich der göttliche Plato hier? Was sucht er unter den Unsinnigen?‹ ›Rekruten,‹ antwortete er mir. ›Weit von dieser Halle hab' ich ein kleines Heiligtum, wohin ich diejenigen führe, die von den Systemen zurückkommen.‹ – ›Und womit beschäftigen Sie sie?‹ –›Den Menschen kennenzulernen, Tugenden zu üben und den Grazien zu opfern.‹ – ›Das ist schön. Aber was bedeuten alle diese kleinen Tuchlappen, wodurch Sie mehr Bettlern als Philosophen ähnlich sehen?‹ – ›Was fragen Sie mich?‹ sprach er seufzend. ›Welche Erinnerung wecken Sie in mir? Dies war vormals der Tempel der Philosophie. Leider ist jetzt die Stätte sehr verändert. Hier stand einst der Lehrstuhl des Sokrates.‹ – ›Was sagen Sie?‹ unterbrach ich ihn. ›Hatte auch Sokrates einen Strohhalm? und blies er gleichfalls Seifenblasen?‹ – ›Nein, nein,‹ antwortete Plato. ›Nicht auf die Art verdiente er sich von den Göttern den Namen des weisesten Menschen. Solang' er lebte, beschäftigte er sich damit, Köpfe zu machen und Herzen zu bilden. Mit seinem Tode ging sein Geheimnis verloren. Sokrates starb, und das schöne Zeitalter der Philosophie war zu Ende. Diese Stoffteilchen, die zu tragen selbst die Systematiker sich zur Ehre anrechnen, sind Fetzen seines Gewandes. Kaum hatte er die Augen geschlossen, als die, welche auf den Titel Philosophen Anspruch machten, sich über seinen Mantel herwarfen und ihn zerrissen.‹ ›Ich verstehe,‹ sagt' ich, ›und diese Lappen dienten ihnen und ihrer Nachkommenschaft zum Abzeichen.‹ ›Wer wird diese Stücke zusammenlesen,‹ fuhr Plato fort, ›und Sokrates' Mantel uns wiedergeben?‹
So rief er feierlich, als ich in der Ferne ein Kind sah, das mit langsamen, aber sichern Schritten auf uns zuging. Sein Kopf war klein, sein Leib dünn, die Arme schmächtig, die Beine kurz. Aber alle seine Gliedmaßen wurden stärker und länger, wie es näher trat. In diesem Fortschritt seines allmählichen Wachstums erschien es mir unter hunderterlei Gestalten. Ich sah es ein langes Sehrohr gegen den Himmel richten, mit einem Pendel den Fall der Körper bestimmen, mit einer quecksilbergefüllten Röhre die Schwere der Luft abmessen und durch ein Prisma in seiner Hand die Lichtstrahlen zerlegen. Dann ward es ein ungeheurer Koloß; sein Haupt reichte zum Himmel, seine Füße verloren sich in den Abgrund, seine Arme umfaßten beide Pole. In der Rechten schwang es eine Fackel, deren Glanz sich weit in die Luft verbreitete, tief unten die Gewässer erhellte und in die Eingeweide der Erde drang. ›Wer ist diese Riesengestalt,‹ fragt' ich den Plato, ›die auf uns zukommt?‹ ›Erkennen Sie die Erfahrung,‹ erwiderte er. ›Sie ist es selbst.‹ Kaum hatte er diese kurze Antwort gegeben, als ich die Erfahrung näher treten sah. Und die Säulen der Hypothesenhalle wankten, ihr Gewölbe senkte sich, ihr Fußboden öffnete sich unter unseren Füßen. ›Fliehn wir,‹ sagte Plato wieder ›dies Gebäude steht keinen Augenblick länger!‹ Er geht, ich folge ihm. Der Koloß kommt an, zertrümmert die Halle, sie stürzt mit schrecklichem Geräusch zusammen, und ich erwache.«
»O Fürst,« rief Mirzoza, »wer kann träumen wie Sie? Ich hätte Ihnen gern eine geruhige Nacht gegönnt, aber jetzt, da ich Ihren Traum weiß, täte es mir sehr leid, wenn Sie nicht geträumt hätten.« »Madame,« sagte Mangogul, »ich habe doch bessere Nächte verbracht, als mit diesem Traum, der Ihnen so sehr gefällt. Hätte ich meine Reise bestimmen können, so würde ich meinen Lauf schwerlich in das Land der Hypothesen gerichtet haben, wo ich nicht hoffen durfte, Ihnen zu begegnen. Dann empfänd' ich auch die Kopfschmerzen nicht, die mir jetzt zu schaffen machen, oder wenigstens hätt' ich Ursache, mich darüber zu trösten.«
»Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »es steht zu hoffen, die werden nicht viel zu sagen haben, und ein oder zwei Versuche Ihres Ringes werden Sie davon befreien.« »Das wird die Zukunft lehren,« sagte Mangogul. Die Unterhaltung zwischen dem Sultan und Mirzoza dauerte noch einige Augenblicke. Er verließ sie erst gegen elf Uhr, um sich dahin zu begeben, wo wir ihn im folgenden Abschnitt antreffen werden.
Erfahrung und Spekulation. Erkenntnistheorie unterum.
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Körpergefühl und Abenteuerlust
g. | Dienstag, 26. November 2013, 06:39 | Themenbereich: 'Begegnungen'
Sie kennen das, wahrscheinlich. Nach fast fünf Stunden Flug und nervtötendem Einchecken, schlechtem Essen und shoppen über den Wolken, ist man als Erwachsener genervt und ausreichend gestresst, um dem Warten auf das Gepäck nicht mehr mit Gelassenheit begegnen zu können. Man erträgt es nur, weil einem nichts anderes übrig bleibt.
Die Geschwister am Flughafen in Funchal, ein Junge und ein Mädchen, noch im Vorschulalter, versuchten ihren Stress und ihre Müdigkeit zu verarbeiten. Der Junge entdeckte dann das Gepäckförderband und war fasziniert von der Vorstellung, sich davon forttragen zu lassen. Das Mädchen schloss sich sofort an. Die Eltern mussten sich um das Gepäck kümmern. Die Plagen waren in der Obhut der Großmutter.
Sie versuchte die Beiden davon abzuhalten und warnte vor den Gefahren. Das Mädchen ließ sich kurzzeitig davon beeinflussen, folgte aber nach zehn Sekunden ihrem Bedürfnis, sich abzureagieren und dem Bruder in seiner Abenteuerlust zu folgen.
Die Oma, statt den Jungen anzupfeifen, traktierte ihn mit schwarzer Pädagogik:
„Wenn du nicht aufhörst, hat Oma dich nicht mehr lieb!“
Der Junge konnte sich wohl nicht beherrschen und entwandt sich dem Klammergriff und stürmte immer und immer wieder zum Förderband. Das Mädchen gab schnell ihren Widerstand auf und blieb bei Oma. Sie fing hektisch an, um Oma herum zu spielen. Der Bewegungsdrang musste ja irgend ein Ventil finden.
Ich sehe meine Liebste an und murmle: „Der Junge ist noch widerständig, dem Mädchen haben sie es schon ausgetrieben.“
Sie sah mich nur müde an.
Die Geschwister am Flughafen in Funchal, ein Junge und ein Mädchen, noch im Vorschulalter, versuchten ihren Stress und ihre Müdigkeit zu verarbeiten. Der Junge entdeckte dann das Gepäckförderband und war fasziniert von der Vorstellung, sich davon forttragen zu lassen. Das Mädchen schloss sich sofort an. Die Eltern mussten sich um das Gepäck kümmern. Die Plagen waren in der Obhut der Großmutter.
Sie versuchte die Beiden davon abzuhalten und warnte vor den Gefahren. Das Mädchen ließ sich kurzzeitig davon beeinflussen, folgte aber nach zehn Sekunden ihrem Bedürfnis, sich abzureagieren und dem Bruder in seiner Abenteuerlust zu folgen.
Die Oma, statt den Jungen anzupfeifen, traktierte ihn mit schwarzer Pädagogik:
„Wenn du nicht aufhörst, hat Oma dich nicht mehr lieb!“
Der Junge konnte sich wohl nicht beherrschen und entwandt sich dem Klammergriff und stürmte immer und immer wieder zum Förderband. Das Mädchen gab schnell ihren Widerstand auf und blieb bei Oma. Sie fing hektisch an, um Oma herum zu spielen. Der Bewegungsdrang musste ja irgend ein Ventil finden.
Ich sehe meine Liebste an und murmle: „Der Junge ist noch widerständig, dem Mädchen haben sie es schon ausgetrieben.“
Sie sah mich nur müde an.
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 28
g. | Montag, 25. November 2013, 06:06 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Die kleine Stute
Ich bin kein großer Porträt-Maler. Die Schilderung der Favoritsultanin hab' ich dem Leser erlassen, aber die Schilderung der Stute des Sultans kann ich ihm unmöglich schenken. Sie war von mittlerer Größe und trug sich sehr gut, nur fand man an ihr auszusetzen, daß sie den Kopf ein wenig vornübersenkte. Sie war blondhaarig, blauäugig, die Füße klein, die Beine mager, die Schenkel fest, die Kruppe leicht. Sie hatte lange tanzen gelernt und machte ihre Verbeugung wie ein Weihbischof. Kurz, es war ein ganz niedliches Tier, besonders sehr sanft, ließ gut aufsitzen, aber man mußte ein vortrefflicher Reiter sein, um nicht von ihr aus dem Sattel geworfen zu werden. Sie gehörte vordem dem Senator Aaron; aber an einem schönen Nachmittage nimmt der kleine Eigensinn den Zaum zwischen die Zähne, wirft Seine Wohlweisheit ab in die Luft, daß er alle viere von sich streckte, und jagt mit verhängtem Zügel in die Stuterei des Sultans. Sie trug auf ihrem Rücken Sattel, Zaum, Geschirr, Schabracke und Fliegennetz mit sich fort. Das war alles sehr kostbar und stand ihr so wohl, daß man nicht für gut fand, es zurückzuschicken.
Mangogul ging in seinen Marstall hinab. Sein Geheimschreiber Zikzak begleitete ihn. »Hören Sie aufmerksam zu,« sprach der Sultan, »schreiben Sie!« Sogleich drehte er seinen Ring gegen die Stute. Sie fing an zu springen, die Beine übereinanderzuwerfen, hinten auszuschlagen, sich im Kreise herumzudrehen und unter dem Schweif zu wiehern. »Worauf warten Sie?« sagte der Sultan zu seinem Geheimschreiber. »Schreiben Sie doch!« »Sultan,« antwortete Zikzak, »ich warte nur auf Ew. Hoheit ...« »Meine Stute,« sagte Mangogul, »wird Ihnen diesmal statt meiner diktieren.« »Schreiben Sie!« Zikzak hielt sich durch diesen Befehl zu sehr herabgesetzt. Er wagte dem Sultan vorzustellen, er werde sich immer sehr geehrt finden, sein Geheimschreiber zu sein, aber nicht der seiner Stute. »Schreiben Sie, sag ich,« wiederholte der Sultan. »Ich kann nicht, gnädigster Herr,« antwortete Zikzak. »Ich kann nicht die Rechtschreibung dieser Art Worte.« »Schreiben Sie immer!« sagte der Sultan. »Ich möchte verzweifeln, daß ich Ihrer Hoheit nicht gehorchen kann,« erwiderte Zikzak, »aber ...« »Sie sind ein Hundsfott,« unterbrach ihn der Sultan, voll Zorn über die übel angebrachte Weigerung. »Packen Sie sich fort aus meinem Palast und kommen Sie mir nie wieder herein.«
Der arme Zikzak verschwand und lernte durch Erfahrung, daß ein Mann, dem das Herz auf dem rechten Flecke sitzt, sich den meisten Großen nicht nahen darf, oder seine Grundsätze vor ihrer Tür zurücklassen muß. Man rief den zweiten Kanzelisten. Es war ein offenherziger, ehrlicher, besonders aber sehr uneigennütziger Provenzale. Er eilte, wohin er glaubte daß Pflicht und Glück ihn beriefen, beugte sich tief in den Staub vor dem Sultan, noch tiefer vor der Stute und schrieb alles nieder, was der Mähre einfiel, ihm in die Feder zu sagen.
Man wird mir erlauben, die neugierigen Leser deshalb an das Archiv von Congo zu verweisen. Der Sultan ließ sogleich Abschriften dieser Aussage an alle Dolmetscher und Lehrer ausländischer alter und neuer Sprachen verteilen. Einer sagte, es wären Auftritte aus alten griechischen Trauerspielen, die ihm ungemein rührend schienen. Ein anderer brachte es mit vielem Kopfzerbrechen so weit, ein wichtiges Bruchstück alter ägyptischer Glaubenslehren darin zu entdecken. Dieser behauptete, es sei der Eingang einer punischen Leichenrede auf Hannibal. Jener versicherte, es sei ein Gebet an Confuzius' altchinesischer Schrift.
Über diese gelehrten Mutmaßungen verlor der Sultan die Geduld, erinnerte sich an Gullivers Reisen und zweifelte nicht, daß ein Mann, der so lange wie dieser Engländer auf einer Insel lebte, wo die Pferde eine Staatsverwaltung haben, Gesetze, Könige, Götter, Priester, Gottesdienst, Tempel und Altäre, der von ihren Sitten und Gebräuchen so vollkommen unterrichtet scheine, auch ihre Sprache vollkommen verstehen müßte. In der Tat, Gulliver las und erklärte die Aussage der Stute sehr geläufig, wiewohl sie von Schreibfehlern wimmelte. Seine Übersetzung ist die einzig gute, die man in Congo findet. Mangogul erfuhr zu seiner Befriedigung und zur Ehre seines Systems, daß es ein kurzer historischer Abriß der Liebesgeschichte eines dreischweifigen Paschas mit einer kleinen Stute war, die schon eine unendliche Menge Esel vor ihm besprungen hatten. Die Nachricht klingt sonderbar, aber daß sie wahr sei, wußte der Sultan, der Hof, ganz Banza und das ganze Reich ohnedem.
A bisserl Schweinöses zwischendurch, je nach Fantasie des geneigten Lesers, der geneigten Leserin. (An die neue Schreibweise der Fantasie kann ich mich nur schwer gewöhnen, schließlich ist die Phantasie eine Himmelsmacht, da darf sie schon ein wenig fremd erscheinen.)
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Fundstücke 40. - 47. KW 2013
g. | Freitag, 22. November 2013, 06:30 | Themenbereich: 'Fundstuecke'
Hintergründe und Sichtweisen:
Das Reichsarbeitsministerium nahm im „Dritten Reich“ eine bedeutende Rolle ein.
Robert Misik: Finanzmärkte müssen extrem reguliert sein, um stabil zu funktionieren.
Michael Meyen, Anke Fiedler: Wer jung ist, liest die Junge Welt. Die Geschichte der auflagenstärksten DDR-Zeitung
Kleine Geschichte der Aborte, Toiletten und Bäder - Teil 1 , Teil 2
Charles C. Mann: Kolumbus' Erbe. Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen
Egon Krenz (Hg.): Walter Ulbricht. Zeitzeugen erinnern sich
Vor vierzig Jahren begann der Jom-Kippur-Krieg
„80 Prozent Armut, 18 Prozent Balkan, 2 Prozent Roma“.
Konfessionslose in Deutschland
KZ-Aufstand Sobibor: Ausbruch aus dem Konzentrationslager
Feministinnen als Eisbrecher der Sexualrepression?
kluges und interessantes:
Man sagt in Mauretanien: Du bist eine Frau, also bist du schön.
Verfassungsschutz abschaffen? Ja, aber…
Franz Walter porträtiert Jürgen Trittin
Foucault und die Revolution
Friedhelm Grützner über “1968″ und dessen politisches Erbe.(sehr lesenswert!)
Die Huffington Post als Schrecken für die deutsche Medienlandschaft
Potenziale und Probleme internetgestützter Demokratiereformen
Kathrin Passig: Kontextfusion und Konsensillusion
Man muss offen damit umgehen, dass es das Phänomen der Pädophilie gibt.
Imad Mustafa: Der Politische Islam. Zwischen Muslimbrüdern, Hamas und Hisbollah
Kitty Koma: Alice Schwarzer – Risiken und Nebenwirkungen
Zu Literatur und Sprache
„Starkfrauen“ aus „Koppstoff“. (über Feridun Zaimoglu)
Katy Derbyshire geht mit deutschen Schriftstellern einen heben und schreibt darüber: In which I go out drinking with German writers
Jana Simon: Sei dennoch unverzagt. Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf.
die Comic-Künstlerin Kati Rickenbach
Siegfried Zimmerschied zum Sechzigsten
Diderot: unerschöpflich aktuell (sehr lesenswert)
Der Aufklärer Diderot
Entschlüsselungen zum Werk Georg Büchners
Michael Hofmann / Rita Morrien (Hg.): Deutsch-afrikanische Diskurse in Geschichte und Gegenwart.
Über Lesezeichen und Bücher als Deko in Möbelhäusern
Neue Wörter und Wendungen:
„Eigenbürzelverehrer“
„verkatzenbergern“
„plöm-plöm-plöm“
President of the United States (PotUS)
“unverwitterlicher Tausendsassa“
“ arroganter Problemschüler“
Frau Ödenthal und Herr Klopper
Die Last des »belästigten Subjektes«
Triolismus (= Geschlechtsverkehr zwischen drei Menschen)
„hochwertiges Premiumabwarten“
“behufs”
Trötpotenz
Amüsantes:
Boris Becker im Slip.
Tod durch Marihuana
Die wundersame Welt der Werbung
die Ostdeutschen, die lecken tatsächlich immer.
sexistisches oder so
ein Scherz für Tierrechtler
Berlin, Berlin:
„Berlin doesn’t love you“
Polizeigewalt in Berlin
„Tour de Toilette“
so dies und das:
Schon vor drei Milliarden Jahren begann eine schleichende Vergiftung der Erdatmosphäre, die schließlich in katastrophaler Form fast sämtliches Leben vernichtete
Die Neos (aus Österreich) vermarkteten sich als „jung“, „unideologisch“ und „lösungsorientiert“, und gerade das zog.
Kracauers Original – Adornos Variation
Sie säen aufdringliche Reklame und ernten nackten Hass.
Fiese Frauen, fiese Männer, fiese Foren (man weiß nix, aber das sehr bestimmt- mal abgesehen, dass man Gewalt und Aggression trennen sollte)
kluges und interessantes:
Zu Literatur und Sprache
Neue Wörter und Wendungen:
Amüsantes:
Berlin, Berlin:
so dies und das:
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 27
g. | Donnerstag, 21. November 2013, 06:38 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Mangoguls Kritik der reinen Vernunft
Mangogul hatte Mirzozens philosophische Vorlesung angehört, ohne ihr zu widersprechen. Darüber war sie erstaunt, da er doch sonst gern widersprach. »Sollte der Sultan mein System von Anfang bis zu Ende annehmen?« sprach sie zu sich selbst. »Nein, das ist nicht wahrscheinlich. Sollte er es zu schlecht befunden haben, um es seiner Bekämpfung zu würdigen? Das könnte eher sein. Zugestanden: meine Gedanken sind wohl nicht die richtigsten, die man bisher gehabt hat; sie sind doch aber auch nicht die falschesten, und ich meine, es mag noch ungereimtere Meinungen geben.«
Um aus diesem Zweifel herauszukommen, entschloß sich die Favorite, Mangogul zu befragen: »Nun, Fürst, was denken Sie von meinem System?« »Es ist bewundernswert,« antwortete der Sultan, »es hat nur einen Fehler.« – »Welcher Fehler wäre das?« – »Es ist falsch, grundfalsch. Waren Ihre Vermutungen richtig, so müßten wir alle Seelen haben; aber sehen Sie, Wonne meines Lebens, diese Folgerung widerspricht dem gesunden Menschenverstand: Ich habe eine Seele; da ist ein Wesen, das sich mehrenteils beträgt, als ob es keine hätte, und vielleicht hat es auch keine, selbst dann nicht, wenn es so handelt, als ob es eine hätte. Aber dieses hat eine Nase wie ich; ich fühle, daß ich eine Seele habe und denke. Folglich hat auch das Wesen eine Seele und denkt auch. Seit tausend Jahren macht man diese Folgerung und ebensolange schon ist man anmaßend.«
»Ich gestehe,« sagte die Favorite, »es ist nicht immer klar, daß andre Leute denken.« »Sagen Sie lieber,« erwiderte Mangogul, »in hundert Fällen ist es klar, daß sie nicht denken.« »Dennoch,« versetzte Mirzoza, »wäre der Schluß ein wenig voreilig, daß sie nie gedacht haben und niemals denken werden. Man ist nicht immerein Tier, weil man es zuweilen gewesen ist, und Ihre Hoheit ...«
Mirzoza fürchtete, den Sultan zu beleidigen, und verstummte. »Fahren Sie fort, Madam,« sagte Mangogul, »ich verstehe Sie. ›Und ist meine Hoheit niemals wie ein Tier gewesen, wollen Sie sagen, nicht wahr?‹ Darauf antwort' ich, ja, ich war manchmal so, und dann verzieh ich andern gern, wenn Sie mich dafür hielten. Sie können sich wohl denken, daß sie das auch taten, obgleich sie nicht das Herz hatten, es mir zu sagen.« »Ach! Fürst,« rief die Favorite, »wenn die Menschen dem größten Monarchen der Erde eine Seele absprächen, wem könnten sie eine zugestehn?«
»Keine Schmeicheleien,« sagte Mangogul. »Für diesen Augenblick hab' ich Krone und Zepter niedergelegt. Jetzt bin ich nicht Sultan, sondern Philosoph und kann die Wahrheit hören und sagen. Von jenem hab' ich Ihnen, glaub' ich, Beweise gegeben. Sie sehn, ich ließ mir geduldig und nach Ihrem Gefallen den Vorwurf machen, daß ich zuweilen nur ein Tier bin. Erlauben Sie aber auch, daß ich die Pflichten meiner neuen Rolle ganz erfülle.
Weit entfernt,« fuhr er fort, »Ihnen zuzugeben, daß das alles, was Füße, Arme, Hände, Augen und Ohren hat wie ich, auch eine Seele besitzt wie ich, erkläre ich Ihnen vielmehr, daß nach meiner Überzeugung, von der mich nichts abbringen soll, drei Vierteile der Männer, und alle Weiber nur Automaten sind.«
»Ihre Worte sind am Ende vielleicht gerade so höflich wie wahr,« antwortete die Favorite.
»Oh!« sagte der Sultan, »die gnädige Frau wird wohl gar böse? Warum auch zum Teufel, lassen Sie sich beikommen, eine Philosophin zu werden, wenn Sie die Wahrheit nicht hören wollen? Sucht man denn Höflichkeit auf der hohen Schule? Ich habe Ihnen freie Hand gelassen, gönnen Sie nun auch mir gefälligst Spielraum Ich sagte Ihnen also, Ihr alle seid Tiere..«
»Ja Fürst,« antwortete Mirzoza, »dafür eben blieben Sie mir den Beweis schuldig.«
»Der ist leicht geführt,« erwiderte der Sultan. Darauf kramte er all die Frechheiten aus, die man so oft, ohne Witz und Anmut, gegen ein Geschlecht vorgebracht hat, das diese beiden Eigenschaften im höchsten Grade besitzt. Nie ward Mirzozas Geduld auf eine härtere Probe gestellt, nie in Ihrem Leben würden Sie so viel Langeweile empfunden haben, als wenn ich ihnen Mangoguls Vernunftsgründe vorlegen wollte. Dieser Fürst, dem es sonst nicht an gesundem Menschenverstande fehlte, war an jenem Tage von einer schier unbegreiflichen Geschmacklosigkeit. Urteilen Sie selbst: »Zum Teufel!« sagte er, »das Weib ist so wahrhaftig nur ein Tier, daß ich wette, wenn ich Cucufas Ring gegen eine Stute kehre, so laß ich sie plaudern wie ein Frauenzimmer.«
»Das ist ohne Zweifel,« antwortete Mirzoza, »das stärkste Beweismittel, das man bisher gegen uns aufgeführt hat und aufführen wird.« Darauf lachte sie wie eine Närrin. Mangogul ward empfindlich, daß das Gelächter kein Ende nahm, und ging plötzlich hinaus mit dem Entschluß, den seltsamen Versuch anzustellen, der seiner Phantasie vorschwebte.
Nach der Kritik der praktischen Vernunft nun die Kritik der reinen Vernunft. Wie weit war Kant in Frankreich bekannt? Ob die Überschriften vom Übersetzer Johann Baptist von Knoll (1748- ?, Jurist; Übersetzer): Augsburg 1776 stammen?)
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Kleiner Urlaubstipp
g. | Mittwoch, 20. November 2013, 06:53 | Themenbereich: 'auf Reisen'
Wenn man die Landessprache nicht beherrscht und sich deshalb aus verschiedenen romanischen Sprachen etwas zusammenklöppelt wie:
„Dos biglietti à …“
um sich so zwar nicht richtig aber immerhin verständlicher äußern zu können, ist das zwar ein Schritt (oder ein Schrittchen?) in die richtige Richtung. Wenn man dann aber den Namen des Ortes vergessen hat, in den man will und der Satz dann notgedrungen mit:
„Dos biglietti à … äh? Dingenskirchen?“
vollendet, überfordert das selbst die tourismusgestählten Busfahrer in Funchal.
Bliebe noch die Frage, ob dieses Gestammel sinnreicher ist - wie meine Liebste meint - als ohne Angabe des Fahrziels, einfach „Zwei Erwachsene, ein Kind!“ zu trompeten? Mer was et net.
„Dos biglietti à …“
um sich so zwar nicht richtig aber immerhin verständlicher äußern zu können, ist das zwar ein Schritt (oder ein Schrittchen?) in die richtige Richtung. Wenn man dann aber den Namen des Ortes vergessen hat, in den man will und der Satz dann notgedrungen mit:
„Dos biglietti à … äh? Dingenskirchen?“
vollendet, überfordert das selbst die tourismusgestählten Busfahrer in Funchal.

Bliebe noch die Frage, ob dieses Gestammel sinnreicher ist - wie meine Liebste meint - als ohne Angabe des Fahrziels, einfach „Zwei Erwachsene, ein Kind!“ zu trompeten? Mer was et net.
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 26
g. | Dienstag, 19. November 2013, 06:23 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Mirzozens Seelenlehre
Während Mangogul die Kleinode Harias, der Witwen und Fatmes ausfragte, hatte Mirzoza Zeit genug, ihre philosophische Vorlesung zu bereiten. Eines Abends hielt die Mamimonbanda ihre Andacht, es gab weder Spiel noch Gesellschaft bei ihr, und die Favorite war beinahe gewiß, der Sultan werde sie besuchen. Da nahm sie zwei schwarze Unterröcke, legte einen an wie gewöhnlich, hing sich den andern um die Schultern, steckte beide Arme durch die Schlitzen, setzte die Allongen-Perücke von Mangoguls Seneschall auf und die Kappe seines Kaplans. So sah sie einer Fledermaus nicht unähnlich, sie aber hielt das für die Kleidung eines Philosophen.
In diesem Anzuge spazierte sie durch ihre Zimmer hin und her, wie ein Professor des Collège Royal, der auf Hörer wartet. Sie nahm sogar die finstere nachdenkliche Miene eines meditierenden Gelehrten an. Mirzozas erzwungener Ernst hielt nicht lange vor. Der Sultan trat mit einigen seiner Hofleute herein und machte dem neuen Philosophen eine tiefe Verbeugung, dessen Gravität seine Zuhörer um ihre würdige Haltung brachte. Und diese ihrerseits durch ihr lautes Lachen brachten wiederum den Philosophen aus der Fassung. »Gab Ihnen Geist und Gestalt nicht Überlegenheit genug, Madame,« fragte Mangogul, »brauchten Sie noch diese Robe? Auch ohne sie würden Ihre Worte alles Gewicht haben, das Sie nur wünschen könnten.« – »Es scheint mir, gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »Sie ehren diese Robe sehr wenig. Ein Schüler sollte mehr Achtung für das haben, worin wenigstens die Hälfte des Verdienstes seines Meisters besteht.« – »Ich merke,« erwiderte der Sultan, »Sie besitzen schon den Geist und die Sprache Ihres neuen Standes. Jetzt zweifle ich auch gar nicht mehr, daß Ihre Gelehrsamkeit der Würde Ihres Anzuges entspricht, und erwarte den Beweis davon mit Ungeduld.« – »Sie sollen noch in dieser Minute befriedigt werden,« antwortete Mirzoza und setzte sich mitten auf ein großes Sofa. Der Sultan und die Höflinge nahmen um sie herum Platz, und sie begann:
»Gnädigster Herr, haben die Philosophen von Monoemugi, denen Ihre Erziehung anvertraut war, Ihre Hoheit nie von der Natur der Seele unterhalten?« – »O, sehr oft,« antwortete Mangogul, »aber alle ihre Systeme brachten mir am Ende nur sehr ungewisse Vorstellungen bei; und hätt' ich nicht ein inneres Gefühl, das mir zuzuflüstern scheint, sie sei ein von der Materie verschiedenes Wesen, so würd' ich ihr Dasein leugnen oder mit dem Körper für einerlei halten. Wollen Sie es übernehmen, dieses Chaos zu entwirren?«
»Das will ich wohl bleiben lassen,« erwiderte Mirzoza. »Darüber gesteh' ich nicht mehr zu wissen als Ihre Erzieher. Der einzige Unterschied zwischen Ihnen und mir besteht darin, daß ich das Dasein einer von der Materie unabhängigen Substanz nur vermute, die Sie für erwiesen halten. Wenn aber diese Substanz da ist, so muß sie irgendwo ihren Sitz haben. Haben sie Ihnen nicht auch darüber viel Seltsames vorerzählt?«
»Nein,« sagte Mangogul, »alle stimmten so ziemlich darin überein, daß ihr Wohnsitz der Kopf sei, und diese Meinung schien mir wahrscheinlich. Der Kopf denkt, dichtet, überlegt, urteilt, ordnet, befiehlt; und man hört alle Tage von einem Menschen, der nicht denkt, daß er kein Hirn habe, daß es ihm an Kopf fehle.«
»Das also,« erwiderte die Sultanin, »ist Ihrer langen Studien und Ihrer ganzen Philosophie kurzer Sinn, daß Sie die bloße Vermutung einer Tatsache mit alltäglichen Redensarten zu stützen suchen? Gnädigster Herr, was würden Sie von Ihrem ersten Geographen sagen, wenn er Ihrer Hoheit die Karte Ihrer Staaten vorlegte und Osten mit Westen oder Süden mit Norden vertauschte?«
»Der Irrtum wäre zu grob,« erwiderte Mangogul, »den hat noch kein Geograph begangen.«
»Das mag sein,« versetzte die Favorite, »also waren Ihre Philosophen ungeschickter, als der allerungeschickteste Geograph es sein kann. Sie hatten kein großes Reich aufzunehmen, sie brauchten nicht die Grenzen der vier Weltteile bestimmen, sie sollten nur in sich selbst hinabsteigen und den wahren Sitz ihrer Seele erforschen. Sie aber nennen Osten Westen und Süden Norden. Sie verkünden, daß die Seele im Kopfe sitze, während die meisten Menschen sterben, ohne daß die Seele diesen Aufenthalt genommen hat, da sie immer noch ihren ersten Wohnsitz innehat, nämlich in den Füßen.«
»In den Füßen?« unterbrach sie der Sultan. »Das ist der sonderbarste Gedanke, der mir jemals vorgekommen ist.«
»Jawohl, in den Füßen,« erwiderte Mirzoza; »und diese Meinung, die Ihnen so närrisch dünkt, braucht nur tiefer begründet zu werden, um für vernünftig zu gelten. Gerade umgekehrt verhält es sich mit den Meinungen, die Sie für wahr annehmen, und die man für falsch erkennt, wenn man sie tiefer ergründet. Ihre Hoheit gaben mir eben zu, das Dasein unserer Seele gründe sich nur auf das innere Zeugnis, das sie sich von sich selbst gibt, und ich will Ihnen beweisen, daß alle erdenklichen Gefühle an der Stelle zustande kommen, die ich ihr anweise.«
»Das bin ich begierig zu hören,« sagte Mangogul.
»Ich verlange keine Schonung,« fuhr sie fort. »Ich bitte Sie alle, mir Ihre Bedenken zu äußern. Also, wie gesagt, der erste Wohnsitz der Seele sind die Füße. Dort beginnt ihr Dasein, denn durch die Füße geht sie in den Körper über. Ich berufe mich mit dieser Tatsache auf die Erfahrung und lege vielleicht in diesen meinen weiteren Ausführungen den Grund zu einer Experimental-Metaphysik.
Wir alle erfuhren in unsrer Kindheit, daß die unentwickelte Seele ganze Monate hindurch in einem Zustande des Schlafes verweilt. Unsre Augen öffnen sich, ohne zu sehn, unser Mund, ohne zu reden, unsre Ohren, ohne zu hören. Die Seele regt sich und erwacht an einer ganz andern Stelle. Ihre ersten Kräfte zeigen sich an andern Gliedern. Durch die Füße verkündigt das Kind seine Ausbildung. Leib, Kopf und Füße ruhn unbeweglich im Schoß der Mutter. Aber seine Füße werden lang und beweglich und offenbaren sein Dasein, vielleicht seine Bedürfnisse. Rückt die Stunde der Geburt heran, was würde aus Kopf, Leib und Armen werden? Sie blieben ewig in ihrem Gefängnisse, wenn die Füße ihnen nicht zu Hülfe kämen. Hier spielen die Füße die Hauptrolle und treiben den übrigen Leib hinaus. Dies ist die Ordnung der Natur, und will irgendwo ein andres Glied befehlen, tritt zum Beispiel der Kopf an die Stelle der Füße, so geht alles verkehrt, und Gott weiß, was dann zuweilen aus der Mutter und dem Kinde wird.
Ist das Kind geboren, so bewegen sich wiederum an ihm vorzüglich die Füße. Man wird genötigt, sie zur Ruhe zu bringen, und dabei bezeigen sie sich immer etwas widerspenstig. Der Kopf ist ein Klotz. Aus ihm macht man, was man will. Aber die Füße fühlen, schütteln das Joch ab und scheinen die Freiheit verteidigen zu wollen, die man ihnen raubt.
Kann das Kind endlich stehn, so strengen die Füße sich auf tausenderlei Art an, um sich fortzubewegen. Sie setzen alles in Tätigkeit. Sie befehlen den andern Gliedmaßen. Und die gehorsamen Hände stützen sich gegen die Wand und halten sich vor, um einen Fall zu vermeiden und den Fortschritt der Füße zu erleichtern.
Worauf richten sich alle Gedanken eines Kindes, was sind seine Vergnügungen, wenn es sich fest auf den Beinen fühlt und seine Füße die Geschicklichkeit erlangt haben, sich zu bewegen? Es übt sich im Gehen, im Kommen, im Laufen, im Springen, im Hüpfen. Diese Unruhe gefällt uns, wir halten sie für ein Zeichen des Verstandes und erklären ein Kind für einfältig, wenn wir es träge und traurig sehn. Wollen Sie ein vierjähriges Kind betrüben, so lassen Sie es eine Viertelstunde lang sitzen, oder halten es zwischen vier Stühlen gefangen. Dann wird es verdrießlich und ärgerlich. Denn Sie berauben damit nicht bloß die Beine ihrer Bewegung, Sie kerkern auch seine Seele ein. Bis ins zweite oder dritte Jahr bleibt die Seele in den Füßen. Im vierten steigt sie in die Beine. Im fünfzehnten kommt sie in die Knie und Lenden. Dann mag man tanzen, fechten, wettrennen und andere heftige Leibesbewegungen gern leiden. Das ist die herschende Leidenschaft aller jungen Leute. Bei einigen steigert sie sich bis zur Raserei. Und die Seele sollte nicht an der Stelle wohnen, wo sie sich fast allein offenbart, wo sie ihre angenehmsten Empfindungen erfährt? Wohnt sie aber in der Jugend an einem andern Ort, als in der Kindheit, warum sollte sie nicht das ganze Leben lang ihren Wohnsitz ändern?«
Mirzoza hatte dieses alles so geschwinde hergesagt, daß sie fast darüber außer Atem gekommen war. Selim, ein Günstling des Sultans, benutzte den Augenblick, wo sie Luft schöpfte, und sprach zu ihr: »Gnädige Frau, ich mache von Ihrer gütigen Erlaubnis, Einwände zu äußern, hiermit höflichst Gebrauch: Ihr System ist geistreich. Sie haben es eben so anmutig als klar vorgetragen. Aber so sehr hat es mich doch nicht verführt, daß ich es für erwiesen annehmen sollte. Mir scheint, man könne Ihnen sagen, daß selbst in der Kindheit der Kopf den Füßen befehle, und daß von dort aus sich die Geister mit Hilfe der Nerven in alle Glieder verbreiten, sie anhalten oder bewegen, nach Willkür der Seele, die auf der Zirbeldrüse sitzt. Gleichermaßen, wie man von der Hohen Pforte die Befehle des Großherrn ausgeben sieht, die alle seine Untertanen in Bewegung setzen.«
»Das kann man freilich,« erwiderte Mirzoza, »aber man würde damit eine sehr dunkle Sache behaupten, auf die ich mit einer Tatsache der Erfahrung antworten möchte: Kein Kind weiß mit Gewißheit, daß sein Kopf denkt, und selbst Sie, edler Herr, so tüchtig der Ihrige auch ist, und obwohl Sie bereits im zartesten Alter für ein Wunder von Verstand galten, entsinnen Sie sich vielleicht, damals gedacht zu haben? Aber dessen können Sie sich wohl versichert halten, daß, als Sie mit Ihren Füßen zur Verzweiflung Ihrer Gouvernanten wie ein kleiner Satan strampelten, eben diese Füße den Kopf regierten.«
»Das beweist gar nichts,« sagte der Sultan. »Selim war lebhaft, wie es tausend Kinder sind. Sie überlegen nicht, aber sie denken. Die Zeit verfliegt, das Gedächtnis verliert sich, sie erinnern sich nicht mehr gedacht zu haben.«
»Aber womit dachten sie?« versetzte Mirzoza. »Das ist die Frage.«
»Mit dem Kopf,« antwortete Selim.
»Gehen Sie mir mit diesem Kopfe, an dem man gar nichts sieht,« erwiderte die Sultanin. »Lassen Sie diese Blendlaterne, die nur für den ein Licht hat, der sie trägt. Hören Sie meine Erfahrung und bekehren Sie sich zur Wahrheit meiner Hypothese. Es ist so ausgemacht, daß die Seele ihre Wanderschaft durch den Körper bei den Füßen beginnt, daß es Männer und Weiber gibt, in denen sie niemals höher stieg. Edler Herr, Sie haben tausendmal Ninis Leichtigkeit und Saligos Sprünge bewundert. Antworten Sie mir offenherzig, glauben Sie, daß diese Geschöpfe ihre Seele anderswo haben als in ihren Beinen? Haben Sie nicht selbst bemerkt, daß Volucers und Zelindors Kopf den Füßen untergeordnet ist? Ein Tänzer hat beständig Lust, auf seine Beine zu sehn. Er tut keinen Schritt, bei welchem nicht das Auge die Spur des Fußes aufmerksam verfolgt. Sein Haupt neigt sich so ehrfurchtsvoll vor seinen Füßen, als die unüberwindlichen Paschas vor Seiner Hoheit.«
»Diese Beobachtung ist richtig,« sagte Selim, »aber sie trifft nicht immer zu.«
»Ich behaupte ja auch nicht,« erwiderte Mirzoza, »daß die Seele immer in den Füßen wohnt. Sie dringt weiter, sie wandert umher, sie verläßt einen Teil, kehrt dahin zurück, verläßt ihn wieder. Aber das behaupt' ich: alle andern Teile sind dem Teile untergeordnet, den sie bewohnt. Das ändert sich je nach den Jahren, nach dem Temperament des Bluts, nach den Umständen. Daher entsteht die Verschiedenheit des Geschmacks, der Neigungen, der Eigenschaften. Bewundern Sie nicht die Reichhaltigkeit meines Prinzips? Spricht die Menge der Erscheinungen, die es erklärt, nicht für seine Gewißheit?«
»Madame,« antwortete Selim, »wenn Sie die Anwendung auf nur einige machten, so gäbe das uns vielleicht einen Grad von Überzeugung, den wir noch nicht besitzen.«
»Sehr gern,« versetzte Mirzoza, die ihre Überlegenheit zu fühlen anfing. »Sie sollen zufrieden sein. Folgen Sie nur meiner Gedankenreihe. Ich versteife mich nicht auf große Beweisführung. Ich spreche mit dem Herzen. Das ist für uns Frauen Philosophie, und die verstehn Sie beinahe eben so gut wie wir. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Seele bis zum achten oder zehnten Jahre in Füßen und Beinen bleibt. Dann, oder vielleicht etwas später, verläßt sie dies Quartier, entweder aus eignem Antriebe, oder aus Not. Aus Not, wenn ein Lehrmeister gewisse Werkzeuge gebraucht, um sie aus ihrem Heimatlande herauszujagen und in das Gehirn zu treiben, wo sie sich gewöhnlich in Gedächtnis verwandelt und beinahe niemals in Urteilskraft. Das ist der Fall mit Knaben, die zur Schule gehn. Gleicherweise, wenn eine dumme Gouvernante sich abmüht, ein junges Mädchen zu bilden, ihr den Geist mit Kenntnissen vollpfropft und Herz und Sitten vernachlässigt. Dann steigt die Seele schnell zu Kopf, verweilt auf der Zunge oder tritt in die Augen. So wird die Schülerin eine langweilige Schwätzerin oder ein gefallsüchtiges Frauenzimmer. So auch wohnt der Wollüstigen Seele in ihrem Kleinod und weicht nimmer von dannen.
Die Seele der galanten Frau wohnt bald in ihrem Kleinod, bald in ihren Augen.
Die Seele der Zärtlichen ist gewöhnlich in ihrem Herzen, doch zuweilen auch im Kleinod.
Die Seele der Tugendhaften ist bald im Kopf, bald im Herzen und niemals anderswo.
Wohnt die Seele im Herzen, so formt sie die empfindsamen, mitleidigen, wahrheitsliebenden, edelmütigen Charaktere. Verläßt sie das Herz, um nie zurückzukehren, und verbannt sie sich in den Kopf, so wird der Mensch hart, undankbar, betrügerisch und grausam.
Zahlreich ist die Menschenklasse, deren Seele den Kopf nur als Sommerwohnung besucht und nicht lange darin verweilt. Dahin gehören die Stutzer, die Gefallsüchtigen, die Tonkünstler, die Dichter, die Romanschreiber, die Höflinge, und was man hübsche Frauen nennt. Hören Sie diese Leute reden, und Sie werden sogleich erkennen, daß ihre Seele umherirrt, daß sie von jedem verschiedenen Himmelsstriche, den sie durchwanderte, etwas angenommen hat.«
»Wenn dem so ist,« sprach Selim, »so hat die Natur viel Überflüssiges getan. Und doch behaupten unsre Weisen steif und fest, sie habe nichts vergebens hervorgebracht«.
»Lassen wir Ihre Weisen und deren hohe Worte beiseite,« antwortete Mirzoza. »Und was die Natur anbelangt, so wollen wir sie bloß mit den Augen der Erfahrung betrachten, dann werden wir lernen, daß sie die Seele in den Leib des Menschen versetzt, wie in einen geräumigen Palast, dessen schönstes Gemach nicht immer sie bewohnt. Kopf und Herz sind ihr vorzüglich bestimmt als Mittelpunkt der Tugenden und Aufenthalt der Wahrheit. Aber sehr oft bleibt sie unterwegs und bevorzugt einen Keller, einen zweideutigen Ort, eine armselige Herberge, wo sie in immer währenden Rausch einschlummert! Ach! könnte ich die Welt nur vierundzwanzig Stunden lang nach meiner Laune einrichten, so wollt' ich Ihnen ein seltsames Schauspiel geben. Ich nähme jeder Seele auf einmal alle Teile ihrer Wohnung, die sie nicht braucht, und dann würden Sie den Charakter jeder Person aus dem übrigbleibenden Teile erkennen. Dann beständen die Tänzer nur aus zwei Füßen, bestenfalls aus zwei Beinen, die Sänger aus einer Kehle, die meisten Weiber aus einem Kleinod, die Helden und Fechter aus einer bewaffneten Faust, gewisse Gelehrte aus einem hirnlosen Schädel. Eine Spielerin behielte nichts als zwei Hände, um ihre Karten zu mischen, ein Vielfraß aus zwei beständig kauenden Kinnbacken, eine Gefallsüchtige aus zwei Augen, ein Wüstling aus dem bloßen Werkzeug seiner Begierden, Unwissende und Faulenzer aus gar nichts mehr.«
»Wenn Sie den Weibern freie Hand ließen,« sagte der Sultan, »so würde man den Männern, denen nichts als das Werkzeug ihrer Begierden bliebe, schön nachlaufen. Das gäbe eine feine Jagd, und stellte man diesen Vögeln überall ebensosehr nach als in Congo, so stürbe die Gattung bald aus.«
»Was bliebe aber von den zarten gefühlvollen Seelen, den beständigen treuen Liebenden übrig?« fragte Selim die Favorite.
»Ein Herz,« antwortete Mirzoza, »und ich weiß wohl, wem das meinige zufliegen würde,« sagte sie mit einem zärtlichen Blick auf Mangogul. Der Sultan konnte dieser Rede nicht widerstehn, er verließ seinen Lehnstuhl, um auf die Favorite zuzueilen, die Hofleute verschwanden, und der Lehrstuhl des neuen Philosophen ward der Schauplatz ihrer Freuden. Er bewies ihr zu wiederholten Malen, daß er nicht minder bezaubert sei von ihren Gefühlen, als von ihren Vorlesungen, und der professoralische Anzug geriet dadurch in Unordnung. Mirzoza gab ihrem Frauenzimmer die schwarzen Unterröcke wieder, sandte dem Lord Seneschall seine ungeheure Perücke zurück und dem Herrn Abbé seine viereckige Mütze mit der Versicherung, daß er sich als Kandidat auf der Liste der nächsten Rangerhöhung befände. Wie weit hätte er es nicht gebracht, wenn er ein schöner Geist gewesen wäre! Ein Sitz in der Akademie war die geringste Belohnung, die er erwarten durfte, aber unglücklicherweise wußte er nur zwei- oder dreihundert Worte und hatte es nie so weit gebracht, sich damit auch nur einige Male zu wiederholen.
Mirzozens Experimental-Metaphysik ist ganz allerliebst.
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g. | Montag, 18. November 2013, 07:30 | Themenbereich: 'auf Reisen'

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g. | Freitag, 18. Oktober 2013, 08:25 | Themenbereich: 'so dies und das'

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