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Die Heimsuchung
g. | Dienstag, 7. Januar 2014, 07:04 | Themenbereich: 'auf Reisen'



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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 39
g. | Montag, 6. Januar 2014, 07:26 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Schweigen ohne Unschuld
Der gelehrte Afrikaner sagt uns nicht, was Mangogul tat, während Bloculocus auf sich warten ließ. Wahrscheinlich ging er hinaus, um einige Kleinode zu befragen, war zufrieden mit dem, was er von ihnen erfuhr, und kehrte wieder zur Favorite mit dem Freudengeschrei zurück, womit dieser Abschnitt anhebt: »Sieg! Sieg! Sie triumphieren, Madam! Das Schloß, das Porzellan und der kleine Wickelschwanzaffe gehören Ihnen!«
»Sie sahen Aglae?« fragte die Favorite. »Nein, Madame, nicht Aglae,« unterbrach sie der Sultan, »eine andre!« »O Fürst,« sagte die Favorite, »entziehn Sie mir nicht länger dies Vergnügen, diesen Phönix zu kennen.« – »Sie werden mir nicht glauben, wenn ich ihn nenne ...« »Nun, wer denn ...?« fragte die Favorite. »Fricamone,« antwortete der Sultan. »Fricamone?« versetzte Mirzoza, »ich sehe darin nicht Unmögliches. Die Frau hat den größten Teil ihrer Jugend im Kloster zugebracht, und seit sie es verließ, ein sehr erbauliches, eingezogenes Leben geführt. Kein Mann setzt einen Fuß in ihr Haus. Sie ist gleichsam die Priorin einer Herde frommer Jungfrauen, die sie zur Vollkommenheit heranbildet und von denen ihr Haus nicht leer wird. Da war nichts für Euch Männer zu holen,« setzte die Favorite hinzu und schüttelte lächelnd den Kopf.
»Sie haben recht, Madam,« sagte Mangogul. »Ich fragte ihr Kleinod; es gab keine Antwort. Ich verdoppelte die Kraft meines Ringes und rieb ihn einmal über das andre. Es kam nichts. ›Das Kleinod muß taub sein,‹ sprach ich bei mir selbst und war schon im Begriff, Fricamone auf dem Ruhebette zu verlassen, wo ich sie gefunden hatte, als sie anfing zu reden, nämlich durch den Mund:
›Teure Acaris!‹ rief sie, ›wie glücklich bin ich in den Augenblicken, die ich allem Lästigen entziehe, um dir anzugehören. Die Augenblicke, die ich in deinen Armen zubringe, sind das Glück meines Lebens! Nichts zerstreut mich, alles ist still um mich her. Die halbgeöffneten Vorhänge lassen vom Tage nur so viel herein, als nötig ist, mich zärtlich über dein Bild zu beugen. Ich befehle meiner Phantasie, sie ruft dich herbei, und ich sehe dich leibhaftig vor mir. Teure Acaris! wie schön bist du! Ja, das sind deine Augen, das ist dein Lächeln, dein Mund! Verbirg mir nicht diesen werdenden Busen! Laß ihn mich küssen. Ich kann mich nicht satt an ihm sehen. Noch einen Kuß! O, laß mich sterben an ihm! Was für eine Raserei packt mich! Acaris, teure Acaris, wo bist du? Komm doch, teure Acaris! O liebe, teure Freundin, ich schwöre dir, ein nie gekanntes Gefühl bemächtigt sich meiner Seele. Es füllt mich ganz, es setzt mich in Erstaunen, es überwältigt mich. Fließt, o kostbare Tränen, fließt und kühlt die Glut, die mich verzehrt! Nein, teure Acaris, nein, dieser Alicali, den du mir vorziehst, liebt dich nicht wie ich! ... Aber ich höre ein Geräusch ... Das ist Acaris, das ist Acaris! Komm, o komm, teure Seele ...«
»Fricamone täuschte sich nicht,« fuhr der Sultan fort, »es war wirklich Acaris. Ich überließ sie ihrer freundschaftlichen Unterhaltung, und in der festen Überzeugung, das Fricamonens Kleinod fortfahren würde, zu schweigen, eilte ich her, um Ihnen anzukündigen, daß ich verloren habe.«
»Aber ich verstehe diese Fricamone nicht,« sagte die Sultanin. »Sie ist entweder verrückt oder hat erschreckliche Nervenkrämpfe. Nein, Fürst, ich bin gewissenhafter, als Sie glauben. Zwar hab' ich nichts gegen diese Prüfung einzuwenden, aber ein inneres Gefühl erlaubt mir nicht, Vorteil daraus zu ziehen, und so werde ich mir's auch nicht zunutze machen. Das steht fest. Ich entsage Ihrem Schloß und Ihrem Porzellan oder ich gewinne sie durch ein besseres Recht.«
»Ich verstehe Sie nicht, Madam,« antwortete Mangogul. »Das ist ja eine unbegreifliche Bedenklichkeit. Sie müssen wohl den kleinen Wickelschwanzaffen nicht recht betrachtet haben.«
»Ich habe ihn genau betrachtet,« erwiderte Mirzoza. »Ich weiß, wie schön er ist. Aber ich hege einen Argwohn, daß diese Fricamone nicht mein Fall ist. Wollen Sie, daß ich Ihre Wette einmal gewinnen soll, so klopfen Sie an andre Türen.«
»Meiner Treu, Madam,« versetzte Mangogul, »ich habe reiflich nachgedacht und wüßte nur noch Mirolos Geliebte, die Ihnen zum Gewinn verhelfen könnte.«
»Was fällt Ihnen ein?« sagte die Favorite. »Zwar kenn' ich den Mirolo nicht, wenn er aber eine Geliebte hat, so ist sie's doch nicht umsonst.«
»Wahrhaftig nicht,« antwortete Mangogul, »und doch wett' ich, so hoch man will, Callipigiens Kleinod hat kein Wort zu sagen.«
»Seien Sie nur mit sich selbst einig,« sagte die Favorite. »Es sind doch bloß zwei Fälle möglich. Entweder Callipigiens Kleinod ... Aber ich hätte mich da beinahe auf einen lächerlichen Streit eingelassen. Tun Sie, was Sie für gut halten, Fürst. Befragen Sie Callipigiens Kleinod. Bleibt es stumm, um so schlimmer für Mirolo, um so besser für mich.«
Mangogul verließ sie und befand sich im Augenblick zur Seite des dunkelfarbigen, silbergestickten Sofas, auf welchem Callipigia ruhte. Kaum drehte er seinen Ring gegen sie, als eine dumpfe Stimme folgende Worte murmelte: »Was wollen Sie von mir? Ich verstehe Ihre Fragen nicht. An mich denkt überhaupt keiner. Und doch halt' ich mich nicht für schlechter, als irgendein anderes Kleinod. Freilich kommt Mirolo oft bei meiner Tür vorbei, aber ...«
An dieser Stelle befindet sich eine beträchtliche Lücke. Der würde sich um die gelehrte Republik sehr verdient machen, der uns die Rede des Kleinods der Callipigia wieder ergänzte, von welcher uns nur die beiden letzten Zeilen noch übrig sind. Wir ersuchen alle Gelehrte, darüber nachzusinnen und zu erwägen, ob nicht der Verfasser vielleicht diese Lücke vorsetzlich gelassen habe; weil er nicht zufrieden mit dem war, was er gesagt hatte und nichts Besseres zu sagen wußte. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
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»Meinem Nebenbuhler, sagt man, würden jenseits der Alpen Altäre errichtet. Ach, gäbe es keinen Mirolo, mir errichtete die gesamte Welt welche!«
Mangogul kehrte sogleich zum Harem zurück und wiederholte der Favorite die Klage des Kleinods der Callipigia, Wort für Wort; denn er hatte ein bewundernswürdiges Gedächtnis. »Sie haben jetzt gewonnen Spiel, Madam,« sagte er, »ich überlasse Ihnen alles, und Sie können sich bei Callipigia dafür bedanken, sobald Sie es für gut halten.«
»Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza ernsthaft, »nur der bewährten Tugend will ich meinen Gewinn verdanken und nicht ...«
»Aber Madam,« versetzte der Sultan, »welche Tugend ist mehr bewährt, als die den Feind so in der Nähe erblickte?«
»Ich weiß, was ich sage, Fürst,« antwortete die Favorite. »Da sind Selim und Bloculocus; sie mögen entscheiden.«
Selim und Bloculocus nämlich traten gerade hinein. Mangogul legte ihnen den Fall vor, und sie stimmten beide für die Meinung der Favorite.
In der gleichgeschlechtlichen Abteilung.
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Guten Rutsch
g. | Freitag, 20. Dezember 2013, 05:51 | Themenbereich: 'so dies und das'
und schöne Feiertage, Ihnen allen.
Bis zum 6. Januar.
Bis zum 6. Januar.
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Joan Fontaine ist gestorben.
g. | Donnerstag, 19. Dezember 2013, 06:01 | Themenbereich: 'so dies und das'
1957 drehte sie mit Harry Belafonte "Island in the Sun". Der Film ist heute nur noch durch die Lieder von Belafonte im Gedächtnis.
Damals war der Film ein Skandal, weil im Film eine Affäre mit einem schwarzen Mann gezeigt wurde. Der Ku-Klux-Klan bedrohte Fontaine und Belafonte. Daraufhin wurde der Film in vielen Kinos abgesetzt.
Sie sagte damals:
Damals war der Film ein Skandal, weil im Film eine Affäre mit einem schwarzen Mann gezeigt wurde. Der Ku-Klux-Klan bedrohte Fontaine und Belafonte. Daraufhin wurde der Film in vielen Kinos abgesetzt.
Sie sagte damals:
„Habt Ihr alle eine Macke? Wir sind Menschen, wir sind gleichberechtigt. Was soll dieser Unsinn? Damit muss endlich Schluss sein!“Joan Fontaine: Hitchcocks rebellische Lady
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 38
g. | Mittwoch, 18. Dezember 2013, 06:52 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Mirzoza vom Erhabnen und SchönenEin Gleichnis das der Deutung harrt.
Endlich vollendete Mangogul die akademische Rede der Schönsprecherin; es war spät, man begab sich zur Ruhe.
Diese Nacht konnte sich die Favorite einen tiefen Schlaf versprechen. Aber die Unterhaltung des vergangenen Abends kam ihr im Traum wieder in den Kopf, die Gedanken, die sie beschäftigt hatten, vermischten sich mit andern, und es zeigte sich ihr ein seltsames Gesicht, so daß sie nicht unterließ, dem Sultan davon zu erzählen.
»Ich lag,« sprach sie zu ihm, »im ersten Schlummer, als ich mich in eine Galerie versetzt fühlte, die voll von Büchern war. Was sie enthielten, kann ich Ihnen nicht angeben; sie waren nun für mich, was sie für viele Leute sind, die nicht schlafen. Ich sah keinen Titel an: ein weit auffallenderes Schauspiel zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich.
Von Raum zu Raum zwischen den Schränken, die die Bücher enthielten, erhoben sich Fußgestelle mit schönen marmornen oder erzenen Büsten. Der Zahn der Zeit hatte ihrer geschont, mit Ausnahme einiger Schäden waren sie ganz und vollkommen. Sie trugen den Stempel eines edlen Geschmacks, wie ihn das Altertum seinen Werken zu geben wußte. Die meisten hatten lange Bärte, hohe Stirnen, wie die Ihrige und einen interessanten Gesichtsausdruck.
Ich war neugierig, ihre Namen zu erfahren und ihre Verdienste kennenzulernen, als aus einem Erker ein Frauenzimmer hervortrat und mich anredete. Stolz war in ihrem Wuchs, Majestät in ihrem Schritt, Adel in ihrem Gange. Milde und Hoheit vereinigten sich in ihrem Blick, und in ihrer Stimme lag ein unnennbarer Zauber, der mir ins Herz drang. Ein Helm, ein Brustharnisch, ein flatternder Rock aus weißer Seide waren ihre ganze Kleidung.« »Ich kenne Eure Verlegenheit,« sprach sie, »und will Eure Neugierde befriedigen. Die Männer, deren Büsten Euch auffielen, waren meine Günstlinge. Sie haben ihre schlaflosen Nächte der Vollendung der schönen Künste geweiht, deren Erfindung man mir verdankt; sie bewohnten den gesittetsten Teil der Erde; ihre Schriften wurden das Vergnügen ihrer Zeitgenossen und sind noch die Bewunderung der Jetztzeit. Tretet näher und Ihr werdet in flacher Bildhauerarbeit an den Fußgestellen, die ihre Brustbilder tragen, einige interessante Vorwürfe bemerken, die Euch wenigstens den Charakter ihrer Schriften sollen erkennen lassen.«
»Die erste Büste, die ich betrachtete, war ein majestätischer Greis, der mir blind zu sein schien. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er Schlachten gesungen, denn sie waren der Gegenstand der Seiten seines Fußgestells. Auf der Vorderfläche stand die einzelne Gestalt eines jungen Helden. Seine Hand faßte kühn nach dem Griff seines Schwerts, ein weiblicher Arm hielt ihn bei den Haaren zurück und schien seine Wut zu mäßigen.
Diesem gegenüber stand das Brustbild eines jungen Menschen, er war die Bescheidenheit selbst. Seine Blicke waren mit großer Aufmerksamkeit auf den Greis gerichtet. Auch er hatte Krieg und Schlachten gesungen, aber diese Dinge hatten ihn nicht allein beschäftigt; von den Bildhauerarbeiten, die ihn umgaben, stellten die wichtigsten auf einer Seite Ackersleute dar, über ihren Pflug gebeugt oder ihr Feld bauend, und auf der andern Hirten im Grase liegend und zwischen Schafen und Hunden die Flöte blasend. Die Büste über dem Greis auf der nämlichen Seite zeigte einen verstörten Blick, sein Auge schien einen fliehenden Gegenstand zu verfolgen, und darunter hatte man eine fortgeworfene Leier abgebildet, zerstreute Lorbeerreiser, zertrümmerte Wagen, unbändige Rosse, die ihrem Führer entlaufen, sich in der weiten Ebene tummelten.
Diesem gegenüber stand ein Kopf, der mich ungemein interessierte, ich glaub' ihn noch zu sehen: er hatte ein feines Gesicht, eine starke Adlernase, einen festen Blick und ein spöttisches Lächeln. Die Bildhauerarbeiten, die sein Fußgestell schmückten, waren so überladen, daß ich gar nicht fertig würde, wenn ich sie Ihnen beschreiben wollte.
Noch untersucht' ich verschiedne andre Brustbilder und dann fragt' ich meine Führerin: ›Wer ist dieser hier, der die Wahrheit auf den Lippen und die Rechtschaffenheit im Antlitz trägt?‹ ›Er war,‹ sagte sie zu mir, ›der Wahrheit und der Rechtschaffenheit Freund und Opfer. Solange er lebte, war er einzig bestrebt, seine Mitbürger gebildet und tugendhaft zu machen, und die undankbaren Mitglieder nahmen ihm das Leben.‹ ›Und diese Büste daneben?‹ – ›Welche?‹ – ›Die von den Grazien getragen scheint, die man auf das Untergestell gemeißelt hat?‹ – ›Ja die ...!‹ ›Die stellt den Schüler und Erben der Lehren des tugendhaften Unglücklichen dar, von dem ich Ihnen soeben sprach.‹
›Und jener dicke Pausbäckige da, den man mit Weinlaub und Myrten bekränzt hat, wer ist er?‹ – ›Das ist ein liebenswürdiger Philosoph, dessen einzige Beschäftigung es war, die Freude zu besingen und zu genießen. Er starb in den Armen der Wollust.‹
›Und der andere da, der Blinde?‹ ›Das ist,‹ sagte sie zu mir ... aber ich hörte ihre Antwort nicht mehr. Denn nun kam mir alles bekannt vor, was ich sah. Ich eilte zu dem Kopf, der jenem gegenüberstand. Er ruhte auf einer Trophäe mit den verschiedenen Attributen der Wissenschaften und der Künste: Liebesgötter balgten sich miteinander auf einer Seite seines Untergestells. Auf der anderen hatte man die Genien der Politik, der Geschichte und der Philosophie gruppiert. Auf der dritten sah man zwei Heere in Schlachtordnung aufgestellt: Staunen und Schrecken herrschten auf den Gesichtern; auch Spuren von Bewunderung und Mitleid konnte man gewahren. Diese Gefühle entstanden offenbar aus den Schilderungen, die sich dem Auge darboten. Alles in diesen Gestalten war von höchster Schönheit, sowohl die Verzweiflung der einen als die Todesmüdigkeit, die alle Glieder der anderen befallen zu haben schien. Ich trat näher und las darunter in goldenen Buchstaben: ›Wehe! es war sein Sohn!‹
Auf einer andern Fläche war ein wütender Soldat gemeißelt, der einem jungen Mädchen angesichts einer großen Volksmenge den Dolch ins Herz stieß. Die einen wandten sich ab, die anderen weinten. Um das Bildwerk herum waren die Worte eingegraben: ›Seid Ihres N'rest an?‹
Ich wollte mich gerade zu anderen Büsten wenden, als ein plötzliches Geräusch mich den Kopf drehen ließ. Es ward durch eine Menge schwarzbemäntelter Leute verursacht, die in die Galerie stürzten. Einige trugen Rauchfässer, aus denen ein dicker Dampf aufstieg, andre hatten Kränze von Kuhnelken und anderen wahllos gepflückten und geschmacklos gewundenen Blumen. Sie versammelten sich um die Brustbilder, beräucherten sie und sangen ihnen Gesänge in zwei mir unverständlichen Sprachen. Der Rauch ihrer Weihe hängte sich an die Büsten, denen die aufgesetzten Kränze ein lächerliches Aussehen gaben. Aber bald nahmen die Antiken ihren ursprünglichen Glanz wieder an, der Dampf verzog sich, und die Kränze lagen verwelkt und entblättert am Boden. Unter ihren barbarischen Anbetern entstand ein Zank, weil einige nach der Meinung andrer ihr Knie nicht tief genug gebeugt halten: und schon waren sie nahe daran, deswegen handgemein zu werden, als meine Führerin sie mit einem Blick zerstreute und den Frieden ihrer Wohnung wiederherstellte.
Sie waren kaum verschwunden, als ich durch eine entgegengesetzte Tür eine lange Reihe von Pygmäen hereinkommen sah. Diese kleinen Menschen waren nicht zwei Spannen hoch, dagegen besaßen sie äußerst spitze Zähne und sehr lange Nägel. Sie teilten sich in verschiedene Rotten und bemächtigten sich der Brustbilder. Einige suchten die Bildwerke der Gestelle zu zerkratzen, und der Fußboden war mit den Trümmern ihrer Krallen bedeckt. Andre, unverschämter noch als jene, kletterten einer dem andern auf die Schulter, bis sie so hoch waren wie die Köpfe, denen sie Nasenstüber gaben. Aber was mich belustigte, war die Wahrnehmung, daß diese Nasenstüber, weit entfernt, die Nasen der Brustbilder zu erreichen, auf die Nasen der Zwerge zurückprallten. Auch fand ich bei näherem Anblick, daß sie fast alle stumpfnasig waren.
›Ihr seht,‹ sagte meine Führerin, ›worin die Frechheit und die Strafe dieser Myrmidonen besteht. Der Krieg dauert schon lange und immer zu ihrem Nachteil. Gegen sie verfahr' ich weniger strenge, wie gegen die Schwarzröcke. Der Weihrauch der letzteren könnte die Brustbilder entstellen, die Bemühungen jener haben gemeiniglich den Erfolg, ihren Glanz nur zu mehren. Da Ihr aber ein oder zwei Stunden hier verweilen dürft, so rat ich Euch, weiter Umschau zu halten.‹
Sogleich öffnete sich ein großer Vorhang, und ich erblickte eine Werkstube mit einer andern Zwergenart angefüllt. Diese hatten weder Zähne noch Nägel, dagegen waren sie mit Rasiermessern und Scheren versehen. Sie hielten Köpfe, die Leben zu atmen schienen, in Händen und schnitten sehr eifrig dem einen die Haare weg, einem andern rissen sie Nase und Ohren ab, dem das rechte, jenem das linke Auge, kurz, sie verstümmelten alles. War diese saubere Operation vollbracht, so besahen sie, was sie gemacht hatten und lächelten dazu, als ob sie wunder etwas Schönes daraus gemacht hätten. Die armen Köpfe schrien zwar aus Leibeskräften, aber man würdigte sie keiner Antwort. Einen besonders hört' ich seine Nase wieder fordern und behaupten, es sei ihm unmöglich, sich ohne dieses Glied sehen zu lassen. ›Herzallerliebstes Köpfchen,‹ antwortete der Pygmäe, ›du bist nicht gescheit. Wie kannst du nur deine Nase zurückwünschen? Sie entstellte dich ja. Sie war so lang, so lang! Mit der war kein Glück zu machen. Seit ich dich gestutzt und geschnitten habe, bist du allentzückend; die ganze Welt wird dir nachlaufen.‹
Das Schicksal dieser Köpfe rührte mich, als ich in der Ferne mitleidigere Zwerge entdeckte, die mit Brillen auf der Erde herumkrochen. Sie sammelten Nasen und Ohren auf und paßten sie einigen alten Köpfen an, denen die Zeit sie geraubt hatte. Einigen gelang das wohl, aber nur sehr wenigen: andre setzten die Nase an die Stelle des Ohrs oder das Ohr an die Stelle der Nase, und die Köpfe sahen nur noch häßlicher aus als vorher.
Ich war sehr neugierig, zu wissen, was alles dieses bedeutete: ich befragte meine Führerin darum, sie öffnete schon den Mund, mir zu antworten, und plötzlich erwacht' ich.«
»Das ist grausam,« sagte Mangogul, »dieses Frauenzimmer hätte Ihnen sehr viele Geheimnisse offenbart. Da wir ihrer aber nicht habhaft werden können, so rat' ich Ihnen, sich an meinen Taschenspieler Bloculocus zu wenden.« »An wen? An den Pinsel,« sagte die Favorite, »dem Ihre Hoheit das ausschließende Vorrecht erteilt haben, Ihrem Hofe die Zauberlaterne zu zeigen?« »Gerade an den,« antwortete der Sultan, »er oder keiner kann Ihren Traum deuten. Bloculocus soll kommen,« sprach Mangogul.
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Türschmuck
g. | Dienstag, 17. Dezember 2013, 05:36 | Themenbereich: 'auf Reisen'

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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 37
g. | Montag, 16. Dezember 2013, 06:17 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Die SchönsprecherinVerkopfter Sex?
Manuskript für Freunde
»Das ist sonderbar,« fuhr die Favorite fort. »Bis jetzt glaubt' ich, man könne den Kleinoden keinen andern Vorwurf machen, als den, daß sie zu deutlich gesprochen hätten.« »O wahrhaftig!« antwortete Mangogul, »diese beiden trifft der Vorwurf nicht. Verstehe sie, wer da kann!«
»Sie kennen das kleine kugelrunde Weib, deren Kopf tief in den Schultern steckt. Man wird die Arme kaum gewahr. Die Beine sind ihr so kurz, der Bauch sitzt so tief unten, daß sie aussieht wie ein porzellanener Affe oder wie ein dicker schlecht entwickelter Embryo. Man nennt sie Spheroid, die Abgeplattete. Sie bildet sich ein, Brahma habe sie zur Erlernung der Geometrie ausersehen, weil sie von ihm die Gestalt einer Weltkugel erhielt. Sie hätte sich aber ebenso folgerecht für das Geschützwesen bestimmt halten können, denn nach der Art ihrer Rundung muß sie aus dem Schoß der Natur gekommen sein, wie eine Kugel aus einer Kanone.
Ich wollte doch wissen, wie es um ihr Kleinod stände, und hab' es befragt. Dieser Wirbel aber antwortete mir in so gründlichen geometrischen Ausdrücken, daß ich ihn nicht verstand, und vielleicht verstand er sich selbst nicht. Er sprach von nichts als geraden Linien, konkaven Flächen, gegebenen Größen, von Länge, Breite, Tiefe, festen Körpern, lebendigen Kräften, toten Kräften, Kegeln, Zylindern, Kegelschnitten, Bogen, Spannbogen, Bogen, die in sich selbst zurückkehren mit konjugierter Spitze ...«
»O! erlassen mir Ihre Hoheit das übrige!« rief die Favorite wehklagend. »Sie haben ein grausames Gedächtnis. Das ist zum Umkommen. Davon werd' ich wahrscheinlich acht Tage lang Migräne haben. Ist das andre Kleinod vielleicht ebenso unterhaltend?«
»Darüber urteilen Sie selbst,« antwortete Mangogul. »Bei Brahmas großer Zehe, ich habe ein Wunder zuwege gebracht! Ich habe sein Kauderwelsch Silbe vor Silbe behalten, obwohl es so ganz und gar ohne Sinn und Verstand ist, daß ich es als ein anmutiges Geschenk betrachten würde, Madam, wenn Sie mir eine feine und kritische Auslegung davon geben möchten.«
»Wie haben Sie gesagt, Fürst?« rief Mirzoza. »Ich will des Todes sterben, wenn Sie diese Redensart nicht irgend jemand entlehnt haben!«
»Ich weiß selbst nicht, wie das kommt,« erwiderte Mangogul, »denn die beiden Kleinode sind die einzigen Personen, denen ich heute Audienz gegeben habe.« Als ich gegen das letzte meinen Ring drehte, schwieg es einen Augenblick und sprach dann, als rede es zu einer Versammlung:
»Meine Herren! Ich habe nicht nötig, zur Schande meiner eigenen Vernunft mich nach einem Muster für meine Denk- und Ausdrucksweise umzusehen. Wenn ich dennoch etwas Neues vorbringe, so wird das keinerlei Ziererei sein. Mein Stoff legte es mir in den Mund. Wiederhole ich aber etwas, was schon einmal gesagt worden ist, so hab' ich es eben gedacht wie die anderen.
Möge der Spott sich enthalten, diesen Eingang lächerlich zu finden oder mich anzuklagen, daß ich nichts gelesen oder daß ich umsonst gelesen habe. Ein Kleinod wie ich ist nicht gemacht, um zu lesen, noch um vom Lesen Nutzen zu ziehen, noch um einen Einwand vorher zu merken, noch um darauf zu antworten.
Ich will mich aber keineswegs den meinem Gegenstande angemessenen Betrachtungen und kunstreichen Redewendungen verschließen, und zwar um so weniger, als er in dieser Hinsicht von außerordentlicher Bescheidenheit ist, die weder auf Reichtum noch auf Glanz Anspruch macht. Aber ich will vermeiden, auf geringe und dürftige Einzelheiten einzugehen, die Sache eines unfruchtbaren Redners wären. Der bloße Verdacht eines solchen Fehlers könnte mich zur Verzweiflung bringen.
Nachdem Sie nun wissen, meine Herren, was Sie von meinen Entdeckungen und meiner Beredsamkeit zu erwarten haben, werden wenige Pinselstriche genügen, Ihnen meinen Charakter flüchtig zu zeichnen.
Sie, meine Herren, wissen alle ebensogut wie ich, daß es zweierlei Arten von Kleinoden gibt: hochmütige Kleinode und bescheidene Kleinode. Jene wollen überall die erste Geige spielen. Diese hingegen bemühen sich, nachgiebig zu sein, und setzen immer eine unterwürfige Miene auf. Solche verschiedene Absicht offenbart sich auch in ihrem verschiedenen Betragen und bewegt beide, je nach Maßgabe des Geistes, der sie treibt, zu handeln.
Die Vorurteile meiner ersten Erziehung ließen mich glauben, ich würde mir eine zuverlässigere, leichtere, anmutigere Laufbahn durch das Leben eröffnen, als wenn ich die Rolle der Demut der Rolle des Hochmuts vorzöge: und so bot ich mich allen, denen ich zu begegnen das Glück hatte, mit kindischer Scham, mit freundlichen Bitten dar.
Doch wie ungünstig sind die Zeitläufte! Nach unzähligen Wenn und Wie und Aber, bei denen dem unbeschäftigtsten Kleinod die Geduld vergangen wäre, ließ man sich endlich meine Dienste gefallen. Doch ach, man ward ihrer bald müde. Mein erster Besitzer, dem der schmeichelhafte Ruhm einer neuen Eroberung winkte, ließ mich im Stich, und so verfiel ich wieder in Untätigkeit.
Ich hatte soeben einen Schatz verloren und hoffte nicht, daß das Schicksal mich entschädigen würde. In der Tat aber ward der erledigte Platz durch einen Sechziger wieder besetzt, aber nicht ausgefüllt. Sein Geist war willig, aber das Fleisch war schwach.
Zwar bemühte er sich nach Kräften, mich die Vergangenheit vergessen zu machen. Er versuchte es mit allen Mitteln, die in meiner Laufbahn für höflich und wirksam galten, doch seine Anstrengungen vermochten nicht, meinen Kummer zu beseitigen.
Wenn der Fleiß, der, wie man sagt, nie zu kurz kommt, ihn in den Schätzen der Natur einige Linderung für meine Pein finden ließ, so schien mir solche Entschädigung unzulänglich trotz meiner Einbildungskraft, die sich vergeblich bemühte, neue Beziehungen zu suchen oder auch nur im Geiste sich vorzustellen.
Das ist der Vorzug der ersten Liebe, daß sie Besitz ergreift vom Denken und eine Schranke bildet gegen alles, das sich nachher in anderer Gestalt uns darbietet; das auch ist, zu unserer Schande sei es gestanden, die natürliche Undankbarkeit der Kleinode, daß sie den guten Willen niemals für die Tat nehmen.
Die Bemerkung scheint mir so natürlich, daß, ob ich sie gleich niemand verdanke, sie doch vielleicht auch andre vor mir gemacht haben dürften. Drängte sie sich aber auch schon vor mir jemand auf, so schmeichle ich mir doch, meine Herren, das Verdienst um sie zu besitzen, sie Ihnen zuerst vorgelegt zu haben.
Ich will es wohl bleiben lassen, so undankbar zu sein, denjenigen, welche bislang ihre Stimme erhoben, vorzuwerfen, daß sie diesen Charakterzug übersahen. Meine Eigenliebe ist vollauf befriedigt, nach einer so großen Anzahl von Rednern meine Beobachtung noch als etwas Neues hinstellen zu können.«
»Ach, Fürst,« rief Mirzoza ungeduldig, »mich deucht, ich höre den Chriomanten der Manimonbanda. Wenden Sie sich an den Mann und Sie werden die feine und kritische Deutung bekommen, die Sie als ein anmutiges Geschenk vergebens von jedem andern erwarten würden.«
Mangogul lächelte und fuhr fort: »›Aber‹, sagt der gelehrte Afrikaner, ›ich werde mich wohl hüten, seine Rede weiter zu berichten. Schon der Eingang derselben ist nicht so lustig als die ersten Seiten der Fee Maulwurf, und die Fortsetzung möchte leicht noch langweiliger ausfallen als die letzten der Fee Zwickelbart.‹«
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 36
g. | Freitag, 13. Dezember 2013, 06:08 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Ästhetik
Die Favorite liebte die schönen Geister, ohne selbst schöner Geist sein zu wollen. Man erblickte auf ihrem Nachttische unter Schmuck und Putz die neuesten Romane und die flüchtigen Stücke der Zeit; sie beurteilte sie sehr richtig. Sie ging, ohne sich dabei eine Blöße zu geben, von einer Partie Cavagnol oder Binibi zu der Unterhaltung mit einem Akademiker oder Gelehrten über; und alle gestanden, die bloße Feinheit ihres Gefühls entdeckte ihr zuweilen Schönheiten oder Fehler in deren Werken, die dem Auge der Kenner entgangen wären. Mirzoza setzte sie durch ihren Scharfsinn in Erstaunen, brachte sie durch ihre Fragen in Verlegenheit, aber mißbrauchte den Vorteil niemals, den ihr Witz und Schönheit gaben. Es war durchaus nicht unangenehm, ihr gegenüber unrecht zu haben.
Gegen das Ende eines Nachmittags, den Mangogul bei ihr zugebracht hatte, kam Selim, und sie ließ auch Ricarie rufen. Selims Schilderung hat der gelehrte Afrikaner sich für eine andre Stelle aufgehoben. Hier teilt er uns nur mit, daß Ricarie Mitglied der Akademie von Congo sei, daß seine Gelehrsamkeit ihn nicht verhinderte, viel Verstand zu besitzen, daß er gründlich in die Kenntnis vergangener Dinge eingedrungen sei, einen gewissenhaften Eifer für die Regeln der Alten zeigte, die er beständig im Munde führte, daß er ein Prinzipienreiter war und der eifrigste Anhänger der ersten Congoschen Schriftsteller, vornämlich aber eines gewissen Mirufla, der vor ungefähr 3100 Jahren ein erhabenes Poem in kaffrischer Sprache über die Eroberung eines großen Waldes verfaßte, woraus die Kaffern Affen verjagt hatten, die seit undenklicher Zeit darinnen wohnten. Ricarie hatte ihn ins Congosche übersetzt und eine schöne Ausgabe des Originals besorgt mit Anmerkungen, Scholien, Varianten und allen Verzierungen eines gelehrten Benediktinerkodex. Auch besaß man von ihm zwei nach allen Regeln der Kunst schlechte Trauerspiele, ein Loblied auf die Krokodille und einige Opern.
»Gnädige Frau,« sprach Ricarie mit einer Verbeugung, »hier ist ein Roman, den man der Marquise von Tamazi zuschreibt, unglücklicherweise aber erkennt man Mathazens Hand darin. Dies ist die Antwort unsers Präsidenten Lambadago auf die Rede des Poeten Tuxigraph, sie ist erst gestern herausgekommen. Dies ist Tuxigraphens Tamerlan.«
»Das ist bewundernswert,« sagte Mangogul. »Die Druckerpressen haben weder Ruh noch Rast. Täten die Ehemänner von Congo ebenso ihre Schuldigkeit wie die Schriftsteller, ich könnte in weniger als zehn Jahren sechzehnmal hunderttausend Menschen auf die Beine bringen und Monoemugi erobern. Den Roman lesen wir bei Gelegenheit. Jetzt wollen wir uns die Rede ansehen, vor allem die Stellen, die mich betreffen.«
Ricarie durchlief sie mit den Augen, und dabei fiel sein Blick auf folgende Periode:. »Die Vorfahren unsers erlauchten Kaisers haben sich ohne Zweifel berühmt gemacht. Aber Mangogul, größer als sie, hat den Jahrhunderten der Zukunft weit mehr Gelegenheit gegeben, ihn zu bewundern. Was sag' ich bewundern? Um es genauer auszudrücken: sie werden kaum glauben wollen, was sie hören. Hatten unsere Vorfahren schon recht, zu versichern, die Nachkommenschaft werde die Wunder von Kanoglus Regierung für Märchen achten; wie viel mehr recht haben wir, zu denken, unsre Enkel werden die Weisheit und Tapferkeit, deren Zeugen wir sind, für übernatürlich und unmöglich halten!!!«
»Armer Lambadago,« sagte der Sultan, »was bist du für ein erbärmlicher Phrasenheld! Ich habe recht, zu glauben, daß deine Nachfolger dereinst meine Ehre durch die Ehre meines Enkels verdunkeln lassen werden, wie du jetzt den Ruhm meines Großvaters vor dem meinigen verschwinden läßt. Das wird immer so fortgehen, solang' es Akademiker gibt. Was halten Sie davon, Herr Ricarie?«
»Ich kann weiter nichts sagen, gnädigster Herr,« antwortete Ricarie, »als daß die Periode, die ich Ihrer Hoheit vorgelesen habe, dem Publikum ungemein gefiel.«
»Desto schlimmer,« erwiderte Mangogul. »Ist denn der Geschmack für wahre Beredsamkeit in Congo ganz erloschen? So lobte der erhabene Homilogo den großen Aben nicht.«
»Gnädigster Herr,« antwortete Ricarie, »wahre Beredsamkeit ist nicht anders als die Kunst, in edlen Ausdrücken und zugleich angenehm und überzeugend zu sprechen.«
»Und vernünftig,« sagte der Sultan. »Nun richten Sie über Ihren Freund Lambadago. Ich habe alle Achtung für die neuere Beredsamkeit, aber er ist ein verlogener Deklamator.«
»Aber Fürst,« versetzte Ricarie, »bei aller Eurer Hoheit schuldigen Ehrfurcht möchte ich mir doch erlauben – – –«
»Ich erlaube Ihnen,« fiel Mangogul lebhaft ein, »den gesunden Menschenverstand höher zu achten als meine Hoheit; und mir aufrichtig zu gestehen, ob ein beredter Mann sich erlauben dürfe, diesen Menschenverstand zu verleugnen?«
»Nein, gnädigster Herr,« antwortete Ricarie, und er wollte eben eine lange Reihe von Autoritäten aufzählen und alle Redner von Afrika, Arabien und China anführen, um eine Sache zu beweisen, die sich von selbst verstand, als Selim ihn unterbrach.
»Alle Ihre Schriftsteller,« sprach der Hofmann, »werden mir nie beweisen, daß Lambadago etwas anders, als ein ungeschickter unbescheidner Schwätzer sei. Vergeben Sie mir diese Ausdrücke, Herr Ricarie. Ich schätze Sie ganz besonders, aber alle kollegialen Vorurteile beiseite: müssen Sie uns nicht darin recht geben, daß unser gnädigster Herr, der gerecht, liebenswürdig, wohltätig und ein großer Krieger ist, der Stelzen Ihrer Redner nicht bedarf, um ebensogroß zu sein als seine Vorfahren? Ein Sohn, den man dadurch erhebt, daß man seinen Vater und Großvater herabsetzt, muß wohl lächerlich eitel sein, wenn er nicht fühlt, man entstelle ihn mit einer Hand, indem man ihn mit der andern verschönert. Oder wäre Ihre Meinung: wer beweisen wolle, daß Mangogul einen ebenso ansehnlichen Wuchs habe, als einer seiner Vorgänger, müsse notwendig den Bildsäulen Erguebzeds und Kanoglus die Köpfe herunterschlagen?«
»Herr Ricarie,« sprach Mirzoza dazwischen, »Selim hat recht. Lassen wir jedem, was ihm zukommt, und hüten wir uns, beim Publikum den Verdacht zu erregen, unsre Lobreden seien eine Art heimlichen Diebstahls am Gedächtnis unsrer Väter. Sagen Sie das meinetwegen der versammelten Akademie in der nächsten Sitzung.«
»Man ist seit zu langer Zeit auf diesen Ton gestimmt,« sagte Selim, »als daß ich hoffen könnte, diese Warnung werde etwas nützen.«
»Ich glaube, Sie irren sich, mein Herr,« antwortete Ricarie dem Selim. »Die Akademie ist noch das Heiligtum des guten Geschmacks, und ihr goldnes Zeitalter bietet uns weder Philosophen noch Dichter, denen wir nicht Philosophen und Dichter entgegenzusetzen hätten. Unsre Schaubühne galt für die erste in Afrika und kann noch dafür gelten. Welch ein herrliches Werk ist der Tamerlan des Tuxigraph! Er vereinigt das Pathos des Eurisop mit Asofs Erhabenheit. Das ist reinstes Altertum.«
»Ich war bei der ersten Vorstellung Tamerlans zugegen,« sagte die Favorite, »und fand, wie Sie, das Stück wohlgeführt, die Sprache zierlich und die Regeln gut beobachtet.«
»Wie groß ist der Unterschied, gnädige Frau,« sagte Ricarie, »zwischen einem Dichter wie Tuxigraph, der sich durch die Schriften der Alten nährte, und den meisten Neueren!«
»Aber diese Neueren,« sprach Selim, »denen Sie hier nach Herzenslust hohnsprachen, sind nicht so verächtlich, wie Sie meinen. Können Sie Ihnen Geist, Erfindung, Feuer, seine Züge, Charakter, Sentenzen absprechen? Was kümmern mich die Regeln, wenn man mir nur gefällt? Gewiß sind es nicht die Regeln des weisen Almudir und des gelehrten Abaldok, noch die Dichtkunst des erfahrnen Farcadin, die ich nie gelesen habe, um derentwillen ich Abulcassems, Mubardas, Albabukers und andrer Sarazenen Stücke bewundere. Gibt es eine andre Vorschrift als die Nachahmung der Natur? Und haben wir nicht die nämlichen Augen, wie die, welche sie studierten?«
»Die Natur,« antwortete Ricarie, »zeigt sich uns jeden Augenblick von einer andern Seite. Alle sind wahr, aber nicht alle sind gleich schön. Gerade aus den Schriftstellern, auf die Sie keinen großen Wert zu legen scheinen, muß man lernen, die Wahl zu treffen. Sie sammelten ihre Erfahrungen und die Erfahrungen ihrer Vorgänger. Wenn man noch so viel Verstand hat, so sieht man doch nur einen Gegenstand nach dem andern, und ein Mensch darf sich nicht schmeicheln, in der kurzen Spanne seiner Lebenszeit alles zu sehen, was man in den Jahrhunderten entdeckte, die ihm vorangingen. Sonst müßte man annehmen, eine einzige Wissenschaft dürfe ihre Entstehung, ihre Fortschritte und ihre ganze Vollkommenheit einem einzigen Kopfe verdanken. Dawider streitet die Erfahrung.«
»Herr Ricarie,« versetzte Selim, »aus Ihren Schlüssen folgt weiter nichts, als daß die Neueren, die die Schätze genießen, welche man bis auf ihre Zeit zusammenbrachte, reicher sein müssen als die Alten: oder daß, mißfällt Ihnen dieser Vergleich, wer auf den Schultern des Riesen steht, weiter sehen müsse als der Riese. Und in der Tat, was ist ihre Naturlehre, ihre Sternkunde, ihre Schiffahrt, ihre Mechanik, ihre Rechenkunst gegen die unsrige? Und warum sollten auch unsre Beredsamkeit und unsere Dichtkunst nicht den Vorrang besitzen?«
»Den Grund dieses Unterschiedes, Selim,« antwortete die Sultanin »wird Ihnen Ricarie ein andermal darlegen. Er wird Ihnen sagen, warum unsre Trauerspiele denen der Alten nachstehen. Daß dem also sei, soll mir leicht fallen, Ihnen zu zeigen.« »Nicht,« fuhr sie fort, »als ob ich Ihnen den Vorwurf machen wollte, die Alten nicht gelesen zu haben. Sie haben einen viel zu gebildeten Geist, als daß ihre Schaubühne Ihnen unbekannt wäre. Setzen Sie nur gewisse Begriffe beiseite, die auf ihre Gebräuche, auf ihre Sitten und ihre Religion Bezug haben, und die Sie nur stören, weil sich die Umstände geändert haben: und gestehen Sie, daß ihre Stoffe edel, gut gewählt und anziehend sind; daß sich die Handlung gleichsam durch sich selbst entwickelt, daß ihre einfache Sprache der Natur sehr nahekommt, daß die Auflösung ungezwungen, das Interesse nicht geteilt und die Haupthandlung nicht mit Nebenhandlungen überladen ist. Versetzen Sie sich im Geist auf die Insel Alindala, beobachten Sie alles, was dort vorgeht, hören Sie alles, was dort gesprochen wird von dem Augenblicke an, wo der junge Ibrahim und der listige Forfanti ans Land treten; nähern Sie sich der Höhle des unglücklichen Polipsil; verlieren Sie kein Wort von seinen Klagen und sagen Sie mir dann, ob Sie irgend etwas aus der Illusion reißt? Nennen Sie mir ein neueres Stück, das die nämliche Prüfung besteht, das dieselbe Prüfung aushalten und auf einen gleichen Grad von Vollkommenheit Anspruch machen könnte, und ich will mich für besiegt erklären.«
»Beim Brahma!« rief der Sultan gähnend aus, »Madam hat eine akademische Vorlesung gehalten!«
»Ich verstehe mich nicht auf Regeln,« fuhr die Favorite fort, »und noch weniger auf die gelehrten Ausdrücke, worin sie abgefaßt sind. Aber ich weiß, nur Wahrheit gefällt und rührt. Weiter weiß ich, die Vollkommenheit eines Schauspiels besteht in so genauer Nachahmung einer Handlung, daß der Zuschauer in ununterbrochener Täuschung selbst bei der Handlung gegenwärtig zu sein sich einbildet. Ist das nun der Fall bei den Trauerspielen, welche Sie uns rühmen?«
»Bewundern Sie ihre Szenenführung? Die ist ja gewöhnlich so verwickelt, daß so viele Dinge in so kurzer Zeit nur durch ein Wunder geschehen könnten. Der Sturz oder die Erhaltung eines Reichs, die Vermählung einer Fürstin, der Untergang eines Fürsten, das alles geschieht im Handumdrehen. Soll eine Verschwörung dargestellt werden? Man entwirft sie im ersten Aufzuge; im zweiten verbindet und befestigt man sie; im dritten werden alle Maßregeln ergriffen, alle Hindernisse weggeräumt, jedem Verschworenen sein Posten angewiesen; sogleich folgt ein Aufruhr, Waffengetöse, vielleicht ein Treffen zwischen zwei Heeren; und das nennen Sie Linienführung, Interesse, Wärme, Wahrscheinlichkeit? Nein, das könnt' ich Ihnen nie vergeben! Sie wissen zu genau, wieviel Mühe es zuweilen kostet, eine erbärmliche Intrige zu Ende zu führen; wieviel Zeit mit Maßregeln, Unterhandlungen und Entschließungen über die geringfügigste Staatsangelegenheit vergeht.«
»Es ist wahr, gnädige Frau,« antwortete Selim, »unsre Stücke sind ein wenig überladen; aber das ist ein notwendiges Übel: wenn die Nebenhandlungen uns nicht zu Hilfe kämen, so müßten wir erfrieren.«
»Das heißt: um der Darstellung einer Tatsache Leben einzuhauchen, muß man sie weder wiedergeben, wie sie ist, noch wie sie sein sollte. Kann man sich etwas Lächerlicheres denken? Oder es müßte denn nicht mehr absurd sein, die Geigen ein lebhaftes Stück oder muntere Sonaten spielen zu lassen, während die Gemüter der Zuschauer das Vorgefühl haben, ein Fürst ist nahe daran, seine Geliebte, seinen Thron und sein Leben zu verlieren.«
»Sie haben recht, Madam,« sagte Mangogul, »alsdann muß man Trauermelodien anstimmen, und ich will Ihnen gleich einige bestellen.« Mangogul stand auf, ging hinaus, und die Unterredung wurde nun zwischen Selim, Ricarie und der Favorite fortgesetzt.
»Wenigstens werden Sie nicht leugnen, gnädige Frau,« versetzte Selim, »daß, wenn die Nebenhandlungen uns aus der Täuschung reißen, der Dialog uns wieder hineinversetzt? Darauf aber versteht sich niemand besser, als unsre tragischen Dichter.«
»Dann versteht es also niemand,« versetzte Mirzoza. »Der Schwung, die Geistreicheleien und Geziertheiten, die darin herrschen, sind tausend Meilen entfernt von der Natur! Vergeblich sucht der Dichter sich dahinter zu verstecken, meine Augen dringen hindurch, und ich sehe ihn beständig hinter seinen Gestalten stehen, Cinna, Sertorius, Maximus, Ämilia sind mir in jedem Worte das Sprachrohr Corneilles. So spricht man nicht miteinander bei unseren alten Sarazenen. Herr Ricarie wird Ihnen, wenn Sie wollen, einige Stellen daraus übersetzen, und Sie werden merken, wie in ihrem Munde die reine Natur zum Ausdruck kommt. Gern möchte ich den Neueren zurufen: ›Meine Herren, anstatt bei jeder Gelegenheit eurer Person Geist zu geben, versetzt sie lieber in eine Lage, die ihnen welche gibt.‹«
»Ihro Gnaden,« sagte Selim, »haben über den Verlauf und den Dialog unsrer Dramen sich in einer Weise ausgesprochen, daß die Entwicklungen schwerlich Gnade vor Ihnen finden werden.«
»Nein, gewiß nicht,« antwortete die Favorite. »Es gibt hundert schlechte auf ein gutes. Die eine ist nicht vorbereitet, das andre arbeitet mit Wundern. Weiß ein Dichter nicht, was er mit einem Menschen anfangen soll, den er fünf Aufzüge hindurch von einem Auftritt zum andern schleppte, so befördert er ihn mit einem Dolchstoß ins Jenseits. Dann fängt alles an zu weinen, und ich lache wie toll. Und dann: hat man jemals so gesprochen, wie wir deklamieren? Schreiten Fürsten und Könige anders einher, als jemand, der einen guten Gang hat? Werfen sie die Arme in die Luft wie Besessene oder Rasende? Sprechen die Prinzessinnen, indem sie wie Schlangen zischen? Man nimmt allgemein an, wir hätten die Tragödie auf einen hohen Grad der Vollkommenheit gebracht; und ich halte es beinahe für erwiesen, daß von allen Literaturgattungen, welche die Afrikaner in den letzten zwei Jahrhunderten gepflegt haben, gerade diese die unvollkommenste geblieben ist.«
So weit war die Favorite in ihrem Ausfall gegen unsre Theaterstücke gekommen, als Mangogul wieder hereintrat. »Madam,« sprach er zu ihr, »Sie werden mich verpflichten, wenn Sie fortfahren. Ich habe, wie Sie sehen, das Geheimnis, eine Dichtkunst abzukürzen, wenn sie mir zu lang wird.«
»Ich will einmal annehmen,« fuhr die Favorite fort, »es käme einer soeben frisch aus Angote neuerdings ans Land, der sein Lebtag nichts vom Schauspiel gehört habe, dem es aber weder an Verstand noch Weltkenntnis fehlte, der ein wenig die Fürstenhöfe, die Ränke der Hofleute, die Eifersüchteleien der Minister und die Hetzereien der Weiber kennte. Dem nun sagte ich im Vertrauen: ›Mein lieber Herr, es gehen im Serail schreckliche Bewegungen vor. Der Fürst, unzufrieden mit seinem Sohne, von dem er argwöhnt, daß er in die Mamimonbanda verliebt sei, scheint mir ganz der Mann, an beiden eine grausame Rache zu nehmen. Das Abenteuer wird allem Anscheine nach traurige Folgen haben. Wollen Sie, so werde ich Sie zum Zeugen aller kommenden Ereignisse machen.‹ Er nimmt mein Anerbieten an, und ich führe ihn in seine mit Gitterwerk versehene Theaterloge, von wo er die Bühne erblickt, die er für den Palast des Sultans hält. Glauben Sie, der Mensch werde, wenn ich auch ein noch so ernsthaftes Gesicht dazu mache, sich auch nur einen Augenblick täuschen lassen? Im Gegenteil. Sie werden mir zugeben, daß er bei dem gespreizten Gange der Schauspieler, bei ihrer wunderlichen Tracht, bei ihren höchst seltsamen Gebärden, bei dem merkwürdigen Tonfall ihrer gereimten und gemessenen Sprache mich gleich im ersten Auftritt auslachen und mir sagen wird, entweder wollte ich mich über ihn lustig machen, oder der Fürst und sein ganzer Hof seien verrückt geworden.«
»Ich gestehe Ihnen,« sagte Selim, »dieses Beispiel bringt mich selbst in Verlegenheit; aber könnte man Ihnen nicht dagegen einwenden, daß man nicht ins Schauspiel geht mit der Überzeugung, ein Ereignis an sich, sondern nur seine Nachahmung zu sehen?«
»Und soll diese Überzeugung etwa verhindern,« erwiderte Mirzoza, »daß man die Handlung so natürlich darstelle als möglich?«
»Sieh da, Madame,« sagte Mangogul, »auf einmal sind Sie ja an der Spitze der Tadler?«
»Und wenn man Ihnen glauben wollte,« fuhr Selim fort, »droht dem Reiche der Verfall des guten Geschmacks, feiert die Barbarei ihre Auferstehung, und sind wir auf dem besten Wege, in die Unwissenheit der Zeiten Mamurehas und Orondados zurückzufallen?«
»Hoher Herr, fürchten Sie nichts dergleichen. Ich hasse die Unglückspropheten und werde ihre Zahl nicht noch vermehren. Auch ist mir der Ruhm Seiner Hoheit zu teuer, als daß ich dem Glanz seiner Regierung jemals zu nahe treten möchte. Aber das ist doch wahr, Herr Ricarie: wenn man uns Glauben schenkte, würde die Literatur vielleicht in höherem Glanze strahlen.«
»Wie?« fragte Mangogul. »Sollten Sie dieserhalb etwa meinem Seneschall eine Denkschrift überreichen wollen?«
»Nein, gnädigster Herr,« antwortete Ricarie. »Doch nachdem ich Ihrer Hoheit im Namen aller Literaten für den neuen Aufsichtsrat, den Sie uns gaben, gedankt habe, werde ich vielleicht dem Herrn Seneschall untertänigst vorstellen, daß die Wahl der Gelehrten, die mit der Durchsicht der Handschriften betraut werden sollen, eine sehr heikle Angelegenheit ist, daß man diese Sache Männern überträgt, die der Aufgabe keineswegs gewachsen sind, und daß daraus eine Menge böser Folgen entsteht, wie zum Beispiel die Verstümmelung guter Werke; die Unterdrückung der vorzüglichsten Köpfe, die, weil es ihnen nicht erlaubt ist, nach ihrer Weise zu schreiben, entweder gar nicht mehr schreiben oder ihre Werke im Auslande drucken lassen und ihm dadurch beträchtliche Summen zuführen; die Verbreitung einer schlechten Meinung über die Gegenstände selbst, deren Behandlung man verbietet, und tausend andre Nachteile, die alle der Reihe nach Eurer Hoheit aufzuzählen zu weit führen würde. Ich möchte ihm ferner raten, den Gehalt gewisser schreibseliger Blutegel zu kürzen, die ohne Grund und Unterlaß Geld fordern. Ich meine die Glossatoren, Antiquare, Kommentatoren und andre Leute dieser Art, die sehr nützlich sein würden, wenn sie mit ihrem Handwerk Gutes stifteten, die aber die unglückliche Gewohnheit haben, über dunkle Dinge wegzugehen und klare Stellen zu erklären. Ich wünschte ferner, er überwachte die Unterdrückung fast aller literarischen Nachlasse und litte nicht, daß das Gedächtnis eines großen Schriftstellers durch einen habsüchtigen Verleger besudelt werde, der lange nach dem Tode eines Mannes solche Werke sammelt und herausgibt, die der Lebende zur Vergessenheit verurteilt hatte.« »Und ich,« fuhr die Favorite fort, »möchte ihm eine kleine Anzahl angesehener Männer nachweisen, wie z.B. Herrn Ricarie, die er mit Ihren Wohltaten überhäufen könnte. Ist es nicht erstaunlich, daß dieser arme Junge keinen Heller hat, während der köstliche Chyromant der Manimonbanda jährlich tausend Zechinen aus Ihrer Schatzkammer erhält?«
»Gut, Madam,« antwortete Mangogul, »Herr Ricarie erhält künftig ebensoviel aus meiner Schatulle zum Lohn für die Wunder, die Sie mir von ihm erzählen.«
»Herr Ricarie,« sagte die Favorite, »ich muß auch etwas für Sie tun. Ich opfre Ihnen die kleine Empfindlichkeit meiner Eigenliebe. Ich vergesse, zum Dank für die Belohnung, die Mangogul Ihnen soeben bewilligte, die Beleidigung, die er mir zufügte.«
»Darf man fragen, Madam, worin diese Beleidigung besteht?« sagte Mangogul.
»O, gnädiger Herr, das sollen Sie erfahren. Sie selbst verwickeln uns in ein Gespräch über die schönen Wissenschaften. Sie leiten es ein mit einer kleinen Rede über die neuere Beredsamkeit, die nicht eben schön ist, und da man aus Gefälligkeit gegen Sie sich eifrig bemüht, das triste Gespräch, das Sie angefangen haben, fortzusetzen, überfällt Sie Langeweile und Gähnen. Sie werfen sich auf Ihrem Lehnstuhl hin und her, verändern hundertmal Ihre Lage, ohne eine einzige bequeme zu finden, werden es endlich überdrüssig, die schlechteste Haltung der Welt länger beizubehalten, fassen einen raschen Entschluß, stehen auf und verschwinden. Und wohin gehen Sie wieder? Vielleicht ein Kleinod anzuhören!«
»Ich gebe die Tatsache zu, Madam, finde aber darin keine Beleidigung. Wer bei guten Sachen Langeweile empfindet und sich mit schlechten unterhalten kann, leidet selbst am meisten darunter. Dieser ungerechte Vorzug benimmt dem Verdienste nichts, das er vernachlässigt; er allein erklärt sich dadurch für einen schlechten Richter. Dem könnt' ich noch hinzufügen, Madam, daß, während Sie sich mit Selims Gespräch beschäftigten, ich mir eben so vergebliche Mühe gab, Ihnen ein Schloß zu verschaffen. Muß ich aber dennoch schuldig sein, da Sie es einmal ausgesprochen haben, so erklär' ich Ihnen, daß Sie auf der Stelle gerächt wurden.«
»Wieso?« fragte die Favorite. »Auf folgende Weise,« antwortete der Sultan. »Um mich von der akademischen Sitzung ein wenig zu zerstreuen, die ich aushalten mußte, wollt' ich einmal wieder ein Kleinod hören ...« »Das wissen wir ja, gnädigster Herr ...« »Und bin unglücklicherweise auf zwei verfallen, deren Abgeschmacktheit alles übertrifft, was ich jemals vernahm..«
»Das ist mir unendlich lieb,« erwiderte die Favorite.
»Beide redeten in einer mir unverständlichen Sprache; ich habe alles behalten, was sie sagten, aber ich will auf der Stelle sterben, wenn ich ein Wort davon verstehe.«
Dichtkunst und Poppen. Ich bin gespannt wie die Gemeinsamkeiten bei Hofe weiter charakterisiert werden.
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Schnipsel
g. | Donnerstag, 12. Dezember 2013, 06:38 | Themenbereich: 'so dies und das'
Manchmal lese ich irgendwo etwas und was mir dazu einfällt, schreibe ich dann auf:
Nachtrag:
„Ich komme logisch nicht mehr hinterher. Mädchen beschneiden ist sehr zu Recht geächtet, Jungs beschneiden prima Folklore. Frauen, die Sex an materielle Leistungen knüpfen, sind Opfer. Männer, die Sex kaufen, sind Täter. Das pendelt um den Generalbass, dass am Ende der Abschaffung des alten Sexismus ein neuer steht. Eklig.“ Wenn es Sie tröstet, Herr Küppersbusch, da kommt keiner mehr logisch hinterher.
- Für Freunde des Flachwitzes: Rot-Rot-Grün = Tofuwabohu
- „Die FDP ist zu sozialliberal geworden“ (eine FDP-Funktionärin zum Ergebnis der Bundestagswahl)
So werdet ihr gegen die AfD nicht bestehen können. - Mit meiner Liebsten eine Debatte ohne Ergebnis geführt: Ist Loddamaddäus oder Bumm-Bumm die peinlichere Gestalt?
- „Das Casting, wie es in den USA halt sein muß. Wir brauchen einen Schwarzen in leitender Position, wir dürfen einen Asiaten nicht vergessen, am besten eine Frau, dann haben wir das auch gleich. Das Ermittlerteam beim FBI spiegelt brav die gesellschaftlichen Verhältnisse.“
Ist das nicht furchtbar, schließlich spürt man die Absicht und ist verstimmt. - Aus der Reihe ‚Wie geht es unserer Jugend?‘ „Im Prüfungssaal stinkt es dann nach Red Bull.“
- Für Freunde des flachen Witzes: Was in Limburg passiert ist, ist ziemlicher Käse.
- Da ich noch nichts von Doris Lessing gelesen habe, habe ich mich mal auf die Suche im Netz gemacht. Sie soll eine schrecklich aufrechte Gesinnung gehabt haben. Eine Rezension oder eine Laudatio, die Lust auf ihre Texte macht, konnte ich nicht finden. (z. B. hier) Da ihr Leben anscheinend keineswegs so dröge war, kann ich nicht glauben, dass sie über keinerlei nachdenkenswerte Erfahrungen geschrieben hat.
- „die Heilige Schrift, die – neben Helmut Schmidt – die einzig ewig gültige Wahrheit für sich beansprucht“
Bliebe noch die Frage, was schlimmer ist? - Kritische Theorie: Auseinandersetzung mit Marx, aber ohne Marx.
- ‚Freiheit’ sei die Chance, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten wählen zu dürfen. Je nun, zur Freiheit sollte auch gehören, mehr Wahlmöglichkeiten zu schaffen. Womit wir dann mal wieder bei Karl Marx wären.
- Zum Thema strafrechtliche Verfolgung der Kunden von “Zwangsprostituierten” war das wichtigste Argument, das mir bisher unter gekommen ist:
„rund 30% der Ermittlungsverfahren gegen Menschenhandel [erfolgen] aufgrund von Anzeigen aus dem Umfeld der Opfer […]. Umfeld, das sind im allgemeinen Kolleginnen und Kunden. Welcher Kunde geht denn bei einem Verdacht noch zur Polizei, wenn eine solche Hexenjagd angesagt ist und er befürchten muss, dass man an ihm ein Exempel statuiert?“ - Die Körper einiger Leute sind zu einem ihrer wichtigsten Kleidungsstücke geworden. Hoffentlich können sie es auch aushalten, dass sich ihre Körperwahrnehmung auf Defizite beschränkt.
- Für Freunde des Flachwitzes: Bätscheler und Masterbation
Nachtrag:
„Ich komme logisch nicht mehr hinterher. Mädchen beschneiden ist sehr zu Recht geächtet, Jungs beschneiden prima Folklore. Frauen, die Sex an materielle Leistungen knüpfen, sind Opfer. Männer, die Sex kaufen, sind Täter. Das pendelt um den Generalbass, dass am Ende der Abschaffung des alten Sexismus ein neuer steht. Eklig.“ Wenn es Sie tröstet, Herr Küppersbusch, da kommt keiner mehr logisch hinterher.
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 35
g. | Mittwoch, 11. Dezember 2013, 06:04 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Das SchauspielDie Favorite verliert ihre Wette? Na, wahrscheinlich nicht.
Hätte man in Congo an guter Deklamation Geschmack gehabt, so würde man einiger Komödianten haben entraten können. Die Gesellschaft bestand aus dreißig Personen, worunter kaum ein großer Schauspieler und zwei mittelmäßige Schauspielerinnen waren. Der Geist der Dichter mußte sich zu der Mittelmäßigkeit des großen Haufens herabstimmen, und man durfte sich nicht schmeicheln, daß ein Stück mit nur irgendwelchem Erfolge gespielt werden würde, wenn man nicht so vorsichtig gewesen war, seine Charaktere nach den Untugenden der Komödianten umzumodeln. Das nannte man zu meiner Zeit Theaterpraktik. Vordem modelten sich die Schauspieler nach den Stücken, jetzt machte man Stücke für die Schauspieler. Bot jemand der Bühne ein neues Drama an, so untersuchte man ohne Widerrede, ob der Vorwurf unterhaltsam wäre, der Knoten gut geschürzt, die Charaktere wohlbegründet, die Sprache rein und fließend sei; fand sich aber keine Rolle darin für Roseius und Amiane, so nahm man es nicht.
Der Kissar Agasi, Oberaufseher der Großherrlichen Vergnügungen, hatte die Gesellschaft auf gut Glück verschrieben, und an diesem Tage gab man im Serail die erste Vorstellung eines Trauerspiels. Es war von einem neueren Dichter, der seit so langer Zeit mit Beifall überhäuft war, daß, selbst wenn sein Stück nichts als ein Gewebe von Ungereimtheiten gewesen wäre, man es doch gewohnheitsgemäß beklatscht haben würde. Aber er hatte sich nicht verleugnet. Sein Trauerspiel war gut geschrieben, die Auftritte mit Kunst vorbereitet, die Ereignisse geschickt gesteigert. Die Teilnahme wuchs mit jedem Augenblick, die Leidenschaften entwickelten sich immer mehr, die Akte zwanglos mitsammen verbunden waren voller Handlung; der Zuschauer war unablässig gespannt auf das, was kommen würde, und zufrieden mit dem, was geschehen war. Schon spielte der vierte Akt dieses Meisterwerkes, eine lebhafte Szene diente eben zur Vorbereitung einer wichtigeren, als Mangogul, um sich nicht dadurch lächerlich zu machen, daß er bei rührenden Stellen Achtung gäbe, sein Augenglas hervorzog, und um den Unaufmerksamen zu heucheln, von einer Loge in die andre blickte. Da fiel ihm ein Frauenzimmer auf, das sehr gerührt zu sein schien, aber von einer Rührung, die mit dem Stücke wenig zu tun zu haben, sondern sehr unangebracht zu sein schien. Sogleich drehte er seinen Ring gegen sie, und mitten in einer sehr traurigen Erkennungsszene hörte man ein Kleinod nach Luft schnappen und dem Schauspieler zuseufzen: »Ach! ... Ach! ... Orgoglio, halt ein ... du erschütterst mich zu sehr ... Ach! ... Ach! ... das halt' ich nicht aus!«
Man horchte auf, man sah allenthalben umher, von wannen diese Stimme komme, man sagte sich im Parterre, es habe ein Kleinod geredet. »Welches Kleinod? Was hat's gesagt?« fragte man sich. Während man es zu erfahren suchte, hörte man nicht auf, mit den Händen zu klatschen und »dacapo!« »dacapo!« zu rufen. Der Dichter stand unterdessen hinter den Kulissen, fürchtete, dieser unzeitige Auftritt möchte sein Stück unterbrechen, schäumte vor Wut und wünschte alle Kleinode zum Teufel. Der Lärm war groß und anhaltend. Nur aus Achtung vor dem Sultan blieb es bei diesem Zwischenfall. Aber Mangogul winkte zur Stille, die Schauspieler fuhren fort und kamen zu Ende.
Doch war der Sultan neugierig, die Fortsetzung dieser öffentlichen Liebeserklärung zu erfahren, und ließ dem Kleinod aufpassen, von dem sie kam. Bald erfuhr er, der Schauspieler sei zu Erifilen bestellt. Kraft seines Ringes war er vor ihm da und befand sich im Gemach dieser Dame, als Orgoglio gemeldet wurde.
Erifile war gerüstet, d.h. wollüstig entkleidet, und nachlässig auf einem Ruhelager hingestreckt. Der Schauspieler trat herein, voller Wichtigkeit, stolz, eingebildet und geckenhaft. In seiner Linken schwenkte er einen einfachen, mit einer weißen Feder verzierten Hut und mit den Fingerspitzen seiner Rechten streichelte er sich die Nase. Diese seine theatralische Haltung pflegte von den Kennern sehr bewundert zu werden. Seine Verbeugung war artig, seine Begrüßung vertraulich: »Wie schön Sie sind!« sprach er in geziertem Tone zu Erifilen. »Wissen Sie wohl, daß Sie im Negligé entzückend sind?«
Das Benehmen dieses Windbeutels ärgerte den Sultan. Ein junger Fürst weiß nicht immer, was draußen in der Welt Brauch ist. »So gefall' ich dir also, lieber Junge?« sagte Erifile. – »Über alle Maßen.« – »Das ist mir lieb. Sei doch so gütig, mir die Stelle noch einmal zu wiederholen, die mich heute abend so tief erschütterte. Die Stelle ... ja, ja, die ... Ganz recht ... O, wie der Schelm verführerisch ist! ... Aber weiter! ... weiter ... das rührt mich außerordentlich!«
Und Erifile warf Blicke auf ihren Helden, die mehr als Worte sagten, und reichte ihm eine Hand, die der unverschämte Orgoglio nur obenhin wie zur Quittung küßte. Denn stolzer auf sein Talent als auf seine Eroberung, war seine Seele ganz bei seiner Deklamation, und seine gefühlvolle Zuhörerin beschwor ihn, bald aufzuhören, bald fortzufahren. Mangogul schloß aus allen Bewegungen, daß ihr Kleinod gern eine Rolle spielen würde bei dieser Probe, und er zog es vor, das Ende des Auftritts lieber zu erraten, als ihm beizuwohnen. Er verschwand und begab sich zur Favorite, die seiner wartete.
Der Sultan erzählte ihr den Vorfall. »Was Sie da sagen, Fürst!« rief sie aus. »Sind also die Weiber zum tiefsten Grade der Erniedrigung herabgesunken? Ein Schauspieler! Ein Sklave des Publikums! Ein Lustigmacher! Ja, hätten diese Menschen nur das Vorurteil gegen ihren Stand wider sich! Aber die meisten sind ohne Sitten und Grundsätze, und Orgoglio ist nur ein Klotz unter ihnen. Er hat niemals selbst gedacht, und hätte er nicht Rollen auswendig gelernt, vielleicht würde er nie geredet haben.«
»Wonne meines Herzens,« antwortete Mangogul, »Sie wissen nicht, worüber Sie klagen. Haben Sie denn Hariens Koppel vergessen? Ein Schauspieler scheint mir doch auch so viel wert wie ein Mops.«
»Sie haben recht, Fürst,« versetzte die Favorite. »Ich bin nicht gescheit, daß ich mich um Geschöpfe bekümmere, die der Mühe nicht wert sind. Palabria bete ihre Wechselbälge an; Salica lasse ihre Nervenschwäche durch Farfadi vertreiben, wie sie es versteht; Haria lebe und sterbe mitten unter ihrem Vieh; Erifile gebe sich allen Seiltänzern von Congo preis: was geht das mich an? Ich kann nichts dabei verlieren als ein Lustschloß. Das muß ich aufgeben, seh' ich, und ich bin ganz dazu entschlossen.«
»Ade, kleiner Wickelschwanzaffe!« sagte Mangogul.
»Ade, kleiner Wickelschwanzaffe!« wiederholte Mirzoza, »und ade auch du gute Meinung, die ich von meinem Geschlecht hatte! Die werd' ich wohl niemals wieder finden. Fürst, erlauben Sie mir, daß ich wenigstens vierzehn Tage lang kein Frauenzimmer vor mich lasse?«
»Man muß doch Menschen sehn,« versetzte der Sultan.
»Ich werde Ihrer Gesellschaft genießen oder warten,« antwortete die Favorite, »und sollte ich einige Augenblicke übrig haben, so geb ich sie Ricarie oder Selim, die mir zugetan sind, und deren Umgang mir gefällt. Hab' ich der Gelehrsamkeit meines Vorlesers genug, so wird ihr Kammerherr mich mit den Erfolgen seiner Jugend unterhalten.«
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Unterschiedliche Meinungen
g. | Dienstag, 10. Dezember 2013, 05:43 | Themenbereich: 'auf Reisen'
Meine Frau und ich konnten uns nicht einig werden, ob dieses Gebäude ein Hotel oder eine Jugendstrafanstalt für Freigänger ist:


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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 34
g. | Montag, 9. Dezember 2013, 07:43 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Die Stutzer
Zweimal wöchentlich sah die Favorite große Gesellschaft bei sich. Den Abend vorher nannte sie die Damen, die sie dabei wünschte, und der Sultan gab die Liste der Herren. Man kam sehr geputzt dahin. Die Unterhaltung war allgemein oder geteilt. Wenn die galante Chronik des Hofes keinen Stoff zu unterhaltsamen Abenteuern aus dem Reiche der Liebe darbot, so erfand man dergleichen oder gab sich wohl gar mit elenden Märchen ab und nannte das dann »Tausendundeine Nacht fortsetzen«. Die Herren hatten Erlaubnis, allerlei Seltsamkeiten zu sagen, und die Damen durften sticken beim Zuhören. Der Sultan und die Favorite mischten sich ungezwungen unter ihre Untertanen; ihre Gegenwart stand keiner Unterhaltung im Wege, und Langeweile war sehr selten. Mangogul hatte früh gelernt, daß ein Vergnügen sich nur an des Thrones Stufen fände, und niemand stieg so gern und mit so vielem Anstand herunter als er, niemand wußte besser, zur rechten Zeit die Majestät abzulegen.
Während er des Senators Hippomanes verschwiegenes Heim durcheilte, wartete Mirzoza seiner im Rosen-Saal. Mit ihr waren die junge Zaide, die fröhliche Leokris, die lebhafte Serica, Amine, die an zwei Emirs verheiratete Bensaire, die spröde Orfise und die Groß-Seneschallin Vetula, die weltliche Mutter aller Brahminen. Bald erschien auch der Sultan. Ihn begleitete der Graf Maikäfer und der Chevalier von Flachkopf.
Der alte Wollüstling Trübewasser und sein Schüler, der junge Murmelbach, folgten. Zwei Minuten darauf kamen der Pascha Greifgreif, der Aga Breitschnabel und der Seliktar Sammtpfötchen. Das waren die ausgezeichnetsten Stutzer des Hofes. Mangogul hatte sie mit Fleiß versammelt. Er hatte von ihren ritterlichen Taten gegen die Weiber dermaßen die Ohren voll, daß er sich endlich vornahm, mit Gewißheit zu erfahren, was an der Sache sei: »Nun, Ihr Herren,« sagte er, »Ihr wißt doch alles, was im Gebiet der Liebe vorgeht, was also gibt es neues? Wie steht's mit den redseligen Kleinoden?«
»Gnädigster Herr,« antwortete Trübewasser, »ihre Sprachverwirrung nimmt immer zu. Geht das so fort, so wird bald niemand mehr sein eignes Wort verstehen. Aber unter allen Aussagen ist keine possierlicher, als die von Zobeidens Kleinod. Es hat ihrem Manne eine ganze Liste von Abenteuern geliefert.« »Es übersteigt allen Glauben,« fuhr Murmelbach fort: »Fünf Agas, zwanzig Rittmeister, beinahe eine vollständige Janitscharenkompanie, zwölf Brahminen! Man sagt, es habe auch mich genannt, aber das ist Verleumdung.«
»Das Gute an der Sache ist,« nahm Greifgreif das Wort, »daß der Ehemann erschreckt davonlief und sich beide Ohren zuhielt.«
»Das ist ja abscheulich,« sagte Mirzoza. »Ja, gnädige Frau,« unterbrach sie Breitschnabel, »schrecklich! schändlich! abscheulich!« »Alles das und noch mehr,« sprach die Favorite weiter, »einer Frau auf bloßes Hörensagen die Ehre abzusprechen!«
»Es ist buchstäblich wahr, meine Gnädige, Murmelbach hat nichts übertrieben,« sagte Sammtpfötchen. »Es ist Tatsache,« sagte Greifgreif. »Es ist bereits ein Epigramm darüber im Umlauf,« setzte Maikäfer hinzu, »und Epigramme macht man nicht ohne Grund. Warum sollten die Kleinode nicht von Murmelbach reden dürfen? Hat Cynarens Kleinod doch auch meiner erwähnt und mich unter Leute gebracht, deren Gesellschaft mir gar nicht ansteht! Wie kann man der gleichen vermeiden?« »Man tröstet sich sehr schnell darüber,« sprach Sammtpfötchen. »Sie haben recht,« antwortete Maikäfer und fing an zu singen:
»Das Glück hat mir so wohlgetan,
daß ich es selbst kaum glauben kann!«
»Graf,« sprach Mangogul und wandte sich zu Maikäfer, »Sie haben also Cynaren genau gekannt?«
»Gnädigster Herr,« antwortete Sammtpfötchen, »wer wüßte es nicht? Er ist länger als einen Monat mit ihr herumgezogen, man sang schon Liedchen über sie. Die Liebschaft würde noch andauern, aber er bemerkte endlich, daß sie nicht hübsch sei und einen großen Mund habe.« »Stimmt,« antwortete Maikäfer, »aber dafür besaß sie einen andern Vorzug, der äußerst selten ist.«
»Ist das Abenteuer schon lange her?« fragte die spröde Orfise. »Gnädige Frau,« sagte Maikäfer, »der eigentlichen Zeit kann ich mich nicht genau mehr erinnern, ich muß erst die chronologischen Tabellen meiner Liebschaften nachsehn. Dann läßt sich Zeit und Stunde bestimmen; aber es ist ein dicker Foliant, mit dem sich meine Leute im Vorzimmer die Zeit vertreiben.«
»Warten Sie,« sprach Trübewasser »ich kann Ihrem Gedächtnis zu Hilfe kommen. Gerade ein Jahr später überwarf sich Greifgreif mit der Frau Seneschall. Sie besitzt ein Engelsgedächtnis, sie wird uns gewiß sagen ...« »Daß Ihre Angabe eine Unwahrheit ist,« sprach die Seneschallin würdig. »Die ganze Welt weiß, daß solche Windbeutel nie nach meinem Geschmack waren.« »Dennoch,« versetzte Trübewasser, »werden Ihre Exzellenz uns nicht einreden, daß Murmelbach sehr artig war, als man ihn über eine verborgene Treppe in Ihr Gemach führte, sooft Seine Hoheit den Herrn Groß-Seneschall in den Staatsrat berief.« »Ich finde es höchst abgeschmackt,« setzte Sammtpfötchen hinzu, »sich ohne Grund und Ursache verstohlenerweise bei einer Dame einzuschleichen: denn man hielt Murmelbachs Besuche nur für ... Besuche, und Ihre Exzellenz genossen damals schon den Tugendruf, den Sie in der Folge so gut behauptet haben.«
»Das ist ja aber schon ewig lange her,« sagte Flachkopf. »Um die nämliche Zeit ward Zuleica dem Herrn Seliktar ungetreu, der ihr untertänigster Diener war, und machte Greifgreif glücklich, dem sie sechs Monate später den Laufpaß gab. Jetzt ist Breitschnabel an der Reihe. Ich neide meinem Freunde sein Glück nicht. Ich sehe, bewundere, und mache keine Ansprüche.«
»Und doch ist Zuleica sehr liebenswürdig,« sagte die Favorite. »Sie hat Witz, Geschmack und einen reizenden Ausdruck in ihrem Gesicht, der mir lieber ist als Schönheit.« »Das gebe ich zu,« antwortete Flachkopf, »aber sie ist mager, hat keinen Busen und zum Erbarmen knöcherne Lenden.« »So genau sind Sie mit ihr bekannt?« fragte die Favorite. »Ach, gnädige Frau,« versetzte Maikäfer, »so etwas läßt sich erraten. Ich habe bei Zuleica nur wenig verkehrt und kenne sie nicht besser als Flachkopf.« »Das will ich glauben,« sagte die Favorite.
»Aber,« sprach der Seliktar, »darf man Herrn von Greifgreif fragen, ob er Zirfilen lange für sich allein behalten wird? Das ist eine niedliche Frau. Sie hat einen sehr schönen Leib.«
»Wer zweifelt daran?« setzte Murmelbach hinzu.
»Der Seliktar hat's gut,« fuhr Flachkopf fort. »Und Flachkopf,« unterbrach ihn der Seliktar, »hat am ganzen Hofe das meiste Glück. Er hat, soviel ich weiß, zwei Wessirs-Frauen, die beiden schönsten Opernsängerinnen, und ein allerliebstes Bürgermädchen, das er in einem Häuschen untergebracht hat.« – »Und ich gäbe,« erwiderte Flachkopf, »die Wessirs-Frauen, beide Sängerinnen und das Bürgermädchen mit Freuden um einen einzigen Blick einer Dame, deren Gunst der Seliktar genießt, und die sich nicht einmal beikommen läßt, daß die ganze Welt darum weiß. Wahrhaftig, gnädige Frau,« sagt' er und wandte sich gegen Leokris, »Sie haben Farben zum Entzücken.«
»Maikäfer,« sagte Murmelbach, »hat eine ewige Zeit zwischen Melissen und Fatimen geschwankt. Das sind zwei reizende Frauen. Heute gehört er der blonden Melissa und morgen der braunen Fatima.« »Das ist eine sonderbare Verlegenheit,« fuhr Flachkopf fort, »warum nahm er sie nicht alle beide?« »Das tat er endlich,« sagte Trübewasser.
Unsre Stutzer waren, wie man sieht, auf zu gutem Wege, um stehn zu bleiben, als sich Zobeide, Cynare, Zuleica, Melissa, Fatime und Zirfile anmelden ließen. Das war ihnen für den Augenblick ungelegen und brachte sie aus der Fassung. Doch erholten sie sich bald und kamen auf andre Damen zu reden, die sie mit ihren Lästerungen nur verschont hatten, weil es ihnen an Zeit gebrach, sie zu zerpflücken.
Mirzoza, ihrer Reden ungeduldig, sagte: »Meine Herren, man muß Ihnen Verdienste und besonders Rechtschaffenheit zugestehn. Man darf also nicht zweifeln, daß Sie ganz so glücklich in der Liebe gewesen sind, als Sie sich rühmen. Doch muß ich Ihnen bekennen, ich möchte die Kleinode dieser Damen gern darüber vernehmen und würde Brahma von ganzem Herzen danken, wenn es ihm gefiele, durch ihren Mund der Wahrheit Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.«
»Das heißt,« sagte Maikäfer, »Ihro Gnaden wünschen eine und dieselbe Sache zweimal zu hören. Wir können sie ja nochmals erzählen, wenn Sie befehlen.«
Unterdessen drehte Mangogul seinen Ring nach der Rangordnung des Alters. Er fing bei der Seneschallin an. Ihr Kleinod hustete dreimal und sprach dann mit gebrochener zitternder Stimme: »Dem Groß-Seneschall verdank' ich die Erstlinge meiner Freuden. Doch gehört' ich ihm kaum seit sechs Monaten, als ein junger Brahmine meiner Gebieterin begreiflich machte, sie begehe keine Untreue gegen ihren Gemahl, wenn sie an einen Mann Gottes denke. Seine Moral gefiel mir. In der Folge glaubt' ich mit gutem Gewissen einen Senator zulassen zu können, hernach einen Staatsrat, einen Hohenpriester, ein paar Geheimschreiber, einen Geiger ...« »Und Murmelbach?« ergänzte Flachkopf. »Murmelbach kenn' ich nicht,« antwortete das Kleinod. »Vielleicht ist es der junge Geck, den meine Gebieterin aus dem Hause werfen ließ wegen einiger Frechheiten, deren ich mich nicht mehr genau erinnere.«
Cynarens Kleinod nahm das Wort: »Nach Trübewasser, Greifgreif, Flachkopf fragen Sie mich? Ich habe wohl viel Bekanntschaften gemacht, aber diese Namen hör' ich zum erstenmal. Vielleicht werden der Emir Amalek, der Finanzrat Tenelor oder der Wessir Abdiram mir Nachricht von ihnen geben können. Das sind meine Freunde. Die kennen die ganze Welt!«
»Cynarens Kleinod ist sehr verschwiegen,« sagte Maikäfer. »Es schweigt von Zarafis, Ahiram, dem alten Trebister und dem jungen Mahmud, den man doch nicht so leicht vergißt. Es klagt nicht den kleinsten Brahminen an, ohnerachtet es sich seit zehn oder zwölf Jahren in den Klöstern umhertreibt.«
»Ich habe doch gewiß schon manchen Besuch in meinem Leben empfangen,« sagte Melissens Kleinod, »aber Greifgreif und Breitschnabel, und noch weniger Maikäfer sind jemals zu mir gekommen.«
»Herzens-Kleinodchen,« antwortete Greifgreif, »du irrst. Breitschnabel und mich magst du verleugnen, soviel dir beliebt, aber mit Maikäfer stehst du ein bißchen besser, als du zugeben willst. Er hat mir etwas davon anvertraut, ist der wahrhaftigste Junge in Congo, gilt mehr als einer, den du genannt hast, und kann einem Kleinod nur Ehre machen.«
»Ja, die Ehre eines Betrügers gehört ihm und seinem Freunde Flachkopf,« sprach Fatimens Kleinod schluchzend. »Was hab' ich den abscheulichen Menschen getan, daß sie mir Übles nachreden? Der Sohn des Kaisers von Abessinien kam an Erguebzeds Hof. Ich gefiel ihm. Er bewarb sich um mich, aber es wäre ihm mißlungen, und ich wäre meinem Gemahl treu geblieben, der mir teuer war, hätten der verräterische Sammtpfötchen und sein niederträchtiger Mitschuldiger Flachkopf meine Zofen nicht bestochen und den jungen Prinzen mir im Bade zugeführt.«
Zirfilens und Zuleicas Kleinod hatten sich gegen den nämlichen Vorwurf zu verteidigen und sprachen beide zu gleicher Zeit, aber so hastig, daß es außerordentlich schwer war, jedem das Seine zu geben. »Gunstbezeigungen,« rief das eine. – »An Sammtpfötchen?« das andre ... »Ja! wär' es Zinzim ... Zerbelon ... Benengel ... Agarias ... der welsche Sklave Franz Rikeli ... der junge Ethiope ... Thezaka ... aber der schmacklose Sammtpfötchen ... der unverschämte Flachkopf! ... ich schwöre beim Brahma ... ich rufe die große Pagode und den Genius Cucufa zu Zeugen ... ich kenne diese Menschen nicht – ich habe nie mit ihnen zu tun gehabt!«
Zirfile und Zuleica sprächen noch, hätte Mangogul seinen Ring nicht zurückgedreht. Aber da diese Zauberkraft nicht mehr auf sie wirkte, verstummten ihre Kleinode plötzlich, und eine tiefe Stille folgte dem Geräusch. Dann erhob sich der Sultan und warf den unbesonnenen Buben zornige Blicke zu: »Ihr seid sehr dreist,« sprach er, »Damen zu verleumden, die Euch nie der Ehre würdigten, ihnen nahekommen zu dürfen, und kaum Eure Namen kennen. Wer macht Euch so frech, in meiner Gegenwart zu lügen? Zittert, Nichtswürdige!« Mit diesen Worten legte er Hand an sein Schwert, aber die erschrocknen Frauenzimmer schrien laut auf, und er hielt ein. »Ich wollt' Euch,« fuhr Mangogul fort, »dem Tode übergeben, den Ihr verdient, aber die Damen habt Ihr beleidigt, sie mögen Euer Schicksal entscheiden. Kriechendes Gewürm! von ihnen hängt es ab, Euch zu zertreten oder Euch das Leben zu schenken. Reden Sie, meine Damen, was befehlen Sie?«
»Sie mögen leben,« sprach Mirzoza, »und schweigen, wenn sie können.«
»So lebt denn,« sagte der Sultan, »diese Damen erlauben's. Vergeßt Ihr aber jemals die Bedingung, unter der Ihr lebt, so schwör' ich bei der Seele meines Vaters ...«
Mangogul vollendete seinen Schwur nicht. Einer seiner Kammerherren unterbrach ihn mit der Nachricht, daß die Schauspieler bereit wären. Der Fürst hatte es sich zum Gesetz gemacht, die Zuschauer niemals warten zu lassen. »Man kann anfangen,« sagt' er und gab seine Hand der Favorite, die er bis an ihre Loge begleitete.
„ritterlichen Taten gegen die Weiber“ hübsch. Je größer das Maul, desto kleiner die Heldentaten. Ab wann wurde die Tratschsucht weiblich konnotiert?
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Denis Diderot: "Die geschwätzigen Kleinode" 33
g. | Freitag, 6. Dezember 2013, 06:26 | Themenbereich: 'Aufklärung'
Alfane
Der Sultan wußte gar wohl, daß jeder junge Herr an seinem Hofe ein kleines Häuschen habe; aber man berichtete ihm, daß auch einige Senatoren sich solcher Absteigequartiere bedienten, und das setzte ihn in Erstaunen. »Was machen sie da?« fragte er bei sich. Denn er wird in diesem Bande die Gewohnheit, mit sich selbst zu sprechen beibehalten, die er im ersten Bande angenommen hat. »Es scheint mir, ein Mann, dem ich die Ruhe, das Glück, die Freiheit und das Leben meines Volks vertraue, sollte kein geheimes Häuschen haben. Aber vielleicht ist das Häuschen eines Senators ein ganz ander Ding, als das eines Stutzers. Eine obrigkeitliche Person, die meiner Untertanen wichtigste Angelegenheiten in ihrer Obhut hat, die über das Los der Witwen und Waisen entscheidet, sollte der Würde ihres Standes und der Wichtigkeit ihres Amts vergessen? Und sollte sie, während ein redlicher Sachverwalter umsonst das Geschrei der Unterdrückten an ihre Ohren bringen läßt, unterdessen über den Ankauf wollüstiger Gemälde nachdenken, um die geheime Zuflucht ihrer Ausschweifungen damit auszuschmücken? Das kann nicht sein! Doch muß ich mich überzeugen.«
So sprach er und stand in Alcanto. Dort lag das Häuschen des Senators Hippomanes. Er tritt hinein, durchläuft die Gemächer, prüft die Einrichtung. Alles scheint ihm wollustatmend. Agesilas, der weichlichste, sinnlichste seiner Hofleute, trieb die Üppigkeit nicht weiter. Schon wollt' er wieder gehen, unschlüssig, was er denken sollte; denn am Ende waren die Ruhebetten, die Spiegelzimmer, die Sofas mit Sprungfedern, die Ambradüfte wohlriechender Wasser und alles übrige doch nur stumme Zeugen dessen, was er gern erfahren möchte; als er eine dicke Person, auf ein Sofa gestreckt, in tiefem Schlummer liegen sah. Gegen die drehte er seinen Ring und erfuhr von ihrem Kleinod folgende Nachrichten:
»Alfane ist die Tochter eines Rechtsgelehrten. Wäre ihre Mutter früher gestorben, so befände ich mich nicht hier. Die unermeßlichen Reichtümer ihrer Familie sind der alten Närrin durch die Finger gegangen und sie hat ihren vier Kindern beinahe nichts nachgelassen: dreien Söhnen und einer Tochter, deren Kleinod ich bin. Ach! das bin ich wohl zur Strafe für meine Sünden. Wie viel Schmach ich schon ausgestanden habe! Wie viel ich noch werde erdulden müssen! Die Welt sagt, ein Kloster schicke sich am besten für meiner Herrin Vermögen und Gestalt; aber ich fühlte sehr gut, es schickt sich nicht für mich. Ich zog die Kriegskunst dem Klosterleben vor, und ich machte meinen ersten Feldzug unter dem Emir Asalaf mit. Unter dem großen Nangasaki vervollkommnete ich mich. Aber ich ward des undankbaren Handwerkes überdrüssig, und vertauschte den Degen gegen das Richtergewand. Jetzt werd' ich also einem Schuft von Senator gehören, der sich seiner Verdienste rühmt, seines Witzes, seines Aussehens, seines Postzuges und seiner Ahnen. Ich erwarte ihn seit länger als einer Stunde. Er kommt wahrscheinlich noch, denn sein Kammerdiener hat mir gesteckt, es sei eine Grille von ihm, immer lange auf sich warten zu lassen.«
So weit war Alfanens Kleinod, als Hippomanes hereintrat. Vom Geräusch seines Wagens und dem Gebell eines Windspiels, das sein Liebling war, erwachte Alfane. »Endlich finde ich Sie, meine Königin!« sagte der kleine Präsident. »Es kostet viel Mühe Ihrer habhaft zu werden. Sagen Sie doch, wie gefällt Ihnen mein Häuschen? Nicht wahr, es darf sich sehen lassen?«
»Alfane spielte die einfältige, die furchtsame, die verzweifelte, als hätten wir nie ein heimliches Häuschen gesehn,« sagte ihr Kleinod, »und als hätt' ich nie eine Rolle bei ihren Abenteuern gespielt.« Sie rief mit Tränen: »Herr Präsident, für Sie setz' ich alles aufs Spiel! Meine Leidenschaft muß mich schrecklich verblenden, daß ich die Gefahr nicht sehe, worin ich mich stürze. Was würde die Welt von mir sagen, wenn sie mich hier wüßte?«
»Sie haben recht,« antwortete Hippomanes. »Dies ist ein zweideutiger Schritt. Aber verlassen Sie sich auf meine Verschwiegenheit.«
»Ich verlasse mich auch auf Ihre Bescheidenheit,« versetzte Alfane.
»Allerdings,« sagte Hippomanes grinsend, »werd' ich mich sehr bescheiden aufführen. Wer wird denn in einem heimlichen Häuschen sein und sich nicht fromm betragen? Straf mich Gott! Sie haben einen vollen Busen ...«
»Seien Sie doch artig,« antwortete Alfane, »Sie halten schon nicht Wort.«
»Ich will Wort halten,« erwiderte der Präsident, »aber Sie müssen mir auch Antwort geben. Wie gefällt Ihnen meine Einrichtung?« Dann wandte er sich gegen sein Windspiel: »Komm her, Favorite! Pfötchen, mein Liebling! Favorite ist ein gutes Tier. Wollen das Fräulein meinen Garten besehn? Die Aussicht von der Terrasse ist allerliebst. Es können mir zwar einige Nachbarn hineinsehn, aber denen sind Sie vielleicht nicht bekannt ...«
»Ich bin nicht neugierig, Herr Präsident,« antwortete Alfane empfindlich. »Mich deucht, wir sind hier besser.«
»Wie Sie befehlen,« versetzte Hippomanes. »Sind Sie müde, so ist da ein Bett. Wenn Sie irgend Lust haben, so rate ich Ihnen, es zu versuchen. Die junge Asteria, die kleine Fenisse, verstehn sich auf dergleichen und versichern, es sei gut.« In diesem unverschämten Ton sprach Hippomanes zu Alfane, zog ihr das Gewand über die Schultern, schnürte ihr das Mieder auf, löste die Bänder von ihren Röcken und streifte von zwei dicken Füßen zwei kleine Pantoffel ab.
Alfane war beinahe nackend, als sie bemerkte, daß Hippomanes sie entkleide. »Was tun Sie da?« rief sie erschrocken. »Was fällt Ihnen ein, Präsident? Ich werde im Ernst böse.«
»O! meine Königin,« sagte Hippomanes, »wie könnten Sie gegen einen Mann böse werden, der Sie so liebt wie ich? So wunderlich können Sie nicht denken. Darf ich Sie bitten, sich in dieses Bett zu legen?«
»In dieses Bett?« versetzte Alfane. »Ach! Herr Präsident, Sie mißbrauchen meine Zärtlichkeit. Ich soll mich in ein Bett legen? Ich? in ein Bett?«
»Nun, nun, meine Königin,« antwortete Hippomanes, »Sie sollen sich auch nicht von selbst hineinlegen; aber Sie erlauben schon, daß ich Sie hinführen darf, denn Sie begreifen wohl, daß ich bei Ihrer Figur keine Lust habe, Sie hinzutragen ...« Dennoch faßte er sie um den Leib und machte einen kleinen Versuch – »O, die wiegt!« sagte er. »Mein liebes Kind, wenn du dich nicht etwas leichter machst, so kommen wir nicht vorwärts!«
Alfane fühlte die Wahrheit dieser Worte, machte sich so leicht, wie sie konnte, und so gelang es ihr endlich, sich zu erheben und dem Bette, vor dem sie sich so sehr gefürchtet hatte, halb freiwillig, halb durch Hippomanes gezogen, näher zu treten. Dabei stammelte sie geziert: »Wahrhaftig! ich war wohl nicht gescheit, hierher zu kommen. Ich rechnete auf Ihre Bescheidenheit, und Sie sind so unerhört ausgelassen.«
»Keineswegs,« antwortete der Präsident, »keineswegs! Sie sehn wohl, ich beobachte stets den Anstand, strengsten Anstand.«
Vielleicht sagten sie sich noch tausend artige Sächelchen. Aber der Sultan hielt nicht für ratsam, ihrem Gespräch länger zuzuhören, und so ging es für die Nachwelt verloren. Das ist schade!
Ein ungalanter Richter.
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Ein gemütlicher Abstieg
g. | Donnerstag, 5. Dezember 2013, 06:43 | Themenbereich: 'auf Reisen'

zum Kastanienfest in Cural das Freiras

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