Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 10. Januar 2012
Über Räucherwürste und Polizeidienst
Ich habe ja schon das eine oder andere Mal einen Schwank aus meiner Freiburger Zeit, Mitte der 70er Jahre erzählt.

Als ich letztes Jahr mit meiner Liebsten im Kaiserstuhl zum Wandern, Wurstsalat essen und Wein trinken war, stand natürlich auch ein Abstecher nach Freiburg auf unsrem Programm. Nach einem kleinen Einkauf auf dem Markt am Münster schlenderten wir durch die Altstadt und ich linste in die eine oder andere Gaststätte, sofern sie mir bekannt vorkam. Nun ja, es hat sich sehr vieles verändert und selbst Lokale, die in den 70ern schon seit 300 Jahren Ortsansässig waren, existieren nicht mehr oder sind zu Touristenkaschemmen verkommen. An einer Dönerbude blieb ich stehen und sinnierte in mich hinein.
„Was ist?“ wollte meine Frau wissen.
„Hm? Ich glaube, hier neben dem Dönerladen war mal ein Photo-Porst?“
„Tja und nun nicht mehr oder hast du damals bei Photo-Porst deine erste große Liebe … ?“
„Nein, nein, aber neben Photo-Porst lag damals eine Kneipe, glaube ich.“
Sie sah mich an.
„Also“, sagte ich, „diese Kneipe damals, das war so eine ganz schöne Kneipe, holzgetäfelt und mit großen Tischen und netten Kellnerinnen, zwischen Photo-Porst und einem Durchgang, ich glaube zu einem kleinen Platz, in dem Durchgang war ein Kino, ein wunderschönes Kino, in das wir damals viel gingen und nach dem Film tranken und aßen wir dann noch eine Kleinigkeit in dieser Kneipe. Hm? Aber hier ist kein Durchgang? Dann kann das auch hier nicht gewesen sein.“
„Nein, hier ist kein Durchgang.“
Wir schlenderten weiter.
„Weißt du, diese Kneipe …“
Sie sah mich an.
„Also, eines Abends, als wir aus dem Kino kamen, welcher Film lief weiß ich natürlich nicht mehr. Auf jeden Fall habe ich in dem Kino mal „Jules und Jim“ gesehen, aber wahrscheinlich nicht an diesem Abend? Na egal, auf jeden Fall war – glaube ich – der R. dabei, von dem ich dir schon mal erzählt habe, der bei irgendeiner dieser K-Gruppen und dessen Revolutionslosung „Jägerschnitzel für alle!“ war, weil Jägerschnitzel für ihn das kulinarisch Anspruchsvollste der Welt darstellte. Na egal. Ich glaube, die – wie hieß sie gleich nochmals? – die damals mit diesem einen Kumpel meines Bruders zusammen war, na egal, deren Bruder war auf jeden Fall bei der Polizei von Baden Württemberg und erzählte von seinem Polizeiposten im Hochschwarzwald. Wahrscheinlich gibt es heute gar keine Polizeiposten auf dem Lande mehr?“
„Nein, wahrscheinlich nicht. Was wolltest du von dem Polizisten erzählen?“
„Ja also, ich fragte ihn in der Kneipe, nachdem wir alle unser Viertele und etwas zu essen bekommen hatten, was er denn so mache. Er erzählte dann begeistert, nachdem er mich zunächst kritisch gemustert hatte, von seinem Leben in dem kleinen Ort, von den Besoffenen, die er nach den Festen aus dem Auto holt und wie er den Frauen Bescheid gibt, damit sie ihre besoffenen Männer von der Wache abholen und nach Hause bringen, wie er Jugendliche zusammenstaucht, wenn sie über die Stränge schlagen und davon, dass einige Bauern einmal im Jahr auf der Wache vorbeikämen, um eine Flasche Selbstgebrannten und Schinken und Räucherwürste vorbei brächten. Man kennt sich halt, die Kinder gehen in die gleiche Schule, man ist zusammen bei der freiwilligen Feuerwehr und sofern es nicht um ernste Vergehen ginge, müsse man halt auch mal ein Auge zudrücken. So ein Polizeiposten auf dem Lande wäre ja etwas völlig anderes als in einer größeren Stadt. Er erzählte sich in immer größere Begeisterung und konnte gar nicht mehr aufhören von Räucherwürsten und Dorffesten zu schwärmen.“
„Er scheint ja ein netter Kerl gewesen zu sein?“
„Ja, unbedingt. Irgendwann fragte ich ihn dann, ob es ihm – vor allem im Winter, wenn alles zugeschneit und eine Fahrt nach Freiburg gefährlich und anstrengend würde - nicht manchmal die Decke auf den Kopf fallen würde?“
„Ist das denn schwierig im Winter aus den Bergen nach Freiburg zu kommen?“ wollte meine Liebste wissen.
„Damals schon, damals wurde auf den Nebenstrecken im Schwarzwald nicht gestreut. Eine Fahrt nach Freiburg war im tiefen Winter ein Abenteuer. Heute wird wahrscheinlich für die Wintersportler alles mit Streusalz oder Fahrbahnheizung oder was weiß ich eis- und schneefrei gehalten.“
„Ah ja, aber erzähl weiter.“
„Na ja, auf die Frage, ob es da oben nicht manchmal auch einsam würde, schwieg er eine Weile, trank dann einen großen Schluck Wein und sah mich direkt an: „Weißt du, bevor ich mit meiner Frau – inzwischen haben wir zwei kleine Kinder – in den Schwarzwald gezogen bin, war ich bei der Bereitschaftpolizei. Eines Abends haben sie uns in Mannschaftswagen gesetzt und wir sind mehrere Stunden in Kolonne ins Badische gefahren worden. Wir saßen die ganze Nacht in voller Einsatzausrüstung im Wagen, morgens nur einen Kaffee, kein Frühstück und dann ab auf eine Demonstration. Übernächtigt und hungrig sollst du dann eine Demonstration begleiten und wenn es Ärger gibt, kommt die Anweisung die Demonstranten in Seitenstraßen abzudrängen.“ Er sinnierte einen Moment in sich hinein. „Weißt du, G., da gab es eine Situation, da stand ich plötzlich neben mir und habe gesehen, wie ich mit aller Kraft auf mir völlig unbekannte Leute eingedroschen habe, immer und immer wieder. Da habe ich mich gefragt: was machst du eigentlich hier?“ Er sinnierte wieder in sich hinein. „Na ja, zuhause habe ich das meiner Frau erzählt und sie meinte dann, wenn ich nicht in zehn Jahren mit Magengeschwüren oder einem Alkoholproblem landen wolle, müssten wir uns etwas überlegen. Zwei Monate später habe ich mich auf die freie Stelle oben bei Titisee-Neustadt beworben.“ Wir tranken einen Schluck. „Seit dem habe ich keine Magenprobleme mehr, die Kinder sind glücklich und meine Frau und ich verstehen uns prächtig.“ Er trank einen Schluck. „Es war die beste Entscheidung meines Lebens.“

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Montag, 9. Januar 2012
Zwischen den Jahren
Der schöne 27. September

Ich habe keine Zeitung gelesen.
Ich habe keiner Frau nachgesehen.
Ich habe den Briefkasten nicht geöffnet.
Ich habe keinem einen Guten Tag gewünscht.
Ich habe nicht in den Spiegel gesehen.
Ich habe mit keinem über alte Zeiten gesprochen und
mit keinem über neue Zeiten.
Ich habe nicht über mich nachgedacht.
Ich habe keine Zeile geschrieben.
Ich habe keinen Stein ins Rollen gebracht.
( Thomas Brasch)

Der gleichnamige Gedichtband wurde 1980 veröffentlicht. Als ich das Gedicht kurz nach Weihnachten im Foyer des Berliner Ensembles gelesen habe (über das Publikum im BE sollte man auch mal eine Typologie schreiben), fiel mir als erstes Berthold Brecht ein:
Der Radwechsel

Ich sitze am Strassenhang
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gerne, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gerne, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
Mit Ungeduld?
(Berthold Brecht)
Aus den Buckower Elegien, 1953, wohl nach dem 17. Juni. Als ich Brechts Gedicht zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich, dass es während der Zeit der Emigration geschrieben wurde. Ein durchaus nahe liegender, aber wie gewöhnlich, Brecht unversehens verkürzender Gedanke.

p.s.: Das Stück, Romeo und Julia in der Übersetzung von Thomas Brasch, war übrigens scheußlich inszeniert.
p.p.s.: Und bevor und damit ich es (nicht) vergesse: Brecht schreibt ja nicht: Ich war nicht gerne und auch nicht: Ich werde ...
p.p.p.s.: Thomas Brasch baut sein Gedicht um das Spechen über alte und neue Zeiten herum. Kein, kein, nicht, kein, dann zweimal kein und nicht, kein, kein. Nicht symetrisch, aber vor den Mittelzeilen Außenbezug, danach Innenbezug. Bei Brecht hingegen zwei Subjekte.

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Freitag, 23. Dezember 2011
Den geneigten Leserinnen und Lesern
wünsche ich segensreiche Weihnachten und ein entspanntes Neujahrsfest.



Entschuldigen Sie die Masse an Lesestoff in den Fundstücken, aber über die Feiertage ...

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Fundstücke 48. bis 52.KW

Hintergründe und Sichtweisen:
  • PETER BLASTENBREI zur Studie von John L. Esposito und Dalia Mogahed: Was Muslime wirklich denken.
  • Fahnder fassen mutmaßlichen SS-Kriegsverbrecher
  • via lawblog
  • „Madlene J. (24), die Todesmutter aus Buch. Ob sie ihren neugeborenen Jungen mit den eigenen Händen erstickte, ist dagegen noch nicht geklärt.“ , 01. Dezember 2011, 18.36 Uhr, B.Z.-Online Versuch einer Gegendarstellung
  • via lawblog
  • Die Kunst des Lobbyismus - wie das Image eines Staates aufgehübscht wird
  • die Dogon – die »Kinder der Sonne« (Passt auch gut zum Männer/Frauen-Thema)
  • Pieke Biermann über den Fall Barschel: Ein Mord, der keiner sein durfte.
  • Christian Köllerer über Montaigne
  • Als Bilanz der zehnjährigen Studie über "Deutsche Zustände" konstatiert der Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer eine massive Zunahme von Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus
  • Weihnachten und Chanukka zur Lichtmetapher in jüdischem und christlichem Alltag (Notiz an mich: Mendelssohn daraufhin durchsehen)
  • Rudolf Slansky
  • Tabu oder Ächtung (über die Tradierung von rechtsextremem Gedankengut)
  • Der stellvertretende Staatsanwalt im Eichmann-Prozess im Interview
  • Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy über die Krise
  • Franz Walter über Freundschaftsbündnisse und Skandale in der pragmatischen Gesellschaft.


  • kluges und interessantes:
  • THOMAS ROTHSCHILD über Ulrich Wickerts neuestes Buch
  • Interview mit Werner Seppmann über die Zunahme von Gewalt und Irrationalismus Teil 1 , Teil 2
  • Der Blogger Brian Shimkovitz über seine Mixtapes mit afrikanischer Musik
  • und hier sein Blog
  • Thomas Rothschild über Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny in der Inszenierung von Peter Zadek
  • Jürgen Link über die Rede von Helmuth Schmidt auf dem SPD-Parteitag
  • Annalist über Pfefferspray
  • Franz Walter über die verschiedenen Proteste im Jahr 2011 (Kairo, Stuttgart, Athen, Madrid, London).
  • Herbert Achternbuschs »Susn« im Eggenfeldener Theater an der Rott
  • Bogomir Eckers Schrullige Dingwelten


  • Neue Wörter und Wendungen:
  • Lambordschini
  • schnepfig, schnepfiger, am schnepfigsten
  • autsoßen statt outsourcen und die berühmte Wipplongsch sind auch so Kandidaten für den eigenen Wortschatz (überhaupt: wer kann denn schon die Lounge von der Longe, der Loge oder dem Lunch unterscheiden und vor allem: warum, um Himmels Willen, sollte man das tun?)
  • Schlachtabfälle von manchen auch Döner genannt
  • „Sie Klappstuhl, Sie!“ eine Beleidigung, die man sich merken sollte.
  • Tugendpest
  • Sensibling
  • „Zwischendurch ahnte uns“


  • amüsantes:
  • über Ureinwohner, die sich in einer geheimen Geräuschesprache verständigen und andere schlimme Orte
  • veganes Sexspielzeug
  • über Pissoirs, in denen man mittels des Urinstrahls Videospiele steuern kann
  • Michel Piccoli in Habemus Papam
  • zeiberschpez
  • Klausentreiben
  • Was ist besser: Jesus oder Spiderman?


  • so dies und das:
  • Mathias Greffrath: Ein Rockstar und ein Reporter
  • Walter Benjamins Hausnummer
  • Der Kürpfälzer Architekt Leonhard Krutthofer Hoffnungsträger von Hölderlins Generation und noch eine kleine Notiz dazu
  • Die seltsame Esoterik-Welt der Fraktionsgeschäftsführerin der Berliner Piraten
  • Und noch eine Ergänzung

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    Die Lust am Untergang
    Hatte ich schon mal auf Robert Misik hingewiesen?
    Ja? Na gut, doppelt hält besser:

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    Fundstücke Spezial: Biologisches (und Soziales) zu Männer/Frauen

  • Mann, Frau und das Tabu der Uneindeutigkeit (auch die Kommentare sind lesenswert)
  • Geschlecht und Fortpflanzung (der besprochene Aufsatz ist m. E. interessant, die eingestreuten Kommentierungen weniger und auch sonst ist auf dem Blog bisher nichts Lesenswertes zu finden)
  • Sex und behinderte Körper - ein existentielles Limit
  • Biologie bzw. eigentlich Physis vollständig weg zu diskutieren führt aber auch in die Enge
  • und hier noch viel mehr Interessantes (und natürlich auch weniger Interessantes)
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    Donnerstag, 22. Dezember 2011
    Schlechte Morde 9: altkluges Bürschchen vor Supermarkt
    noch kürzer
    Also wegen rauchen und so. Also: ich aus Supermarkt, heller Wahnsinn, Kaufrausch, aber entkommen. Also: Gemüse, Fleisch, Wein, Obst. Also in Tasche natürlich. Oder Beutel. Auf Boden und erst mal Fluppe, also weil entkommen. Poahh. Dann von unten. Also beinahe übersehen. Also: Rauchen ist gesundheitsschädlich. „Mama warum macht der das?“ Also schnell in Tasche oder Beutel nach Kokosnuss suchen und Zack! Ruhe! Aber: schlecht. Geht nicht. Weil: wenn altkluges Bürschlein: keine Kokosnuss. Oder wenn Kokosnuss kein Bürschlein. Also: Kokosnuss oder Bürschlein, nicht Kokosnuss und Bürschlein. Beides gibt’s nicht, also schlecht. Nächster Plan. Zack!

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    Mittwoch, 21. Dezember 2011
    Schnipsel
    1. Es ist ein großes Vergnügen sich selbst zu widersprechen. Vielleicht sollte ich mir ein Zweitich anschaffen? Das muss dann aber auch ausreichen!
    2. The next big thing nach diesem Internet dürfte die Nanotechnologie sein. (Okay, ein publikumswirksamer Hype wird es wohl nicht werden.)
    3. Westerwelle beherrschte meisterhaft das Ansprechen rechtskonservativer Milieus ohne gemäßigtere Schichten zu verprellen. Sein Pech war, dass das nur in der Opposition funktioniert. In der Regierung muss man Entscheidungen treffen und Klientele bedienen. Das hat er nicht begriffen. Und der Nachfolger?
    4. Der Hungerstreik in Bischofferode war ein völlig anderer symbolischer Akt als die Betriebsbesetzung in Rheinhausen oder Hennigsdorf. Diametral entgegengesetzt.
    5. Parteitag der Grünen in Kiel: „Doch der Weg, griechische und spanische Probleme als europäische Innenpolitik statt als deutsche Außenpolitik zu begreifen und dies gerade in der europäischen Krise zu propagieren, führt weiter.“ Ja, das muss man den Grünen positiv anrechnen. Mal sehen, ob es auch in einer Regierung Bestand hat.
    6. Die Rechten haben bislang als einzige politische Strömung eine große Erzählung von Europa (Mythos): christlich, Bollwerk gegen die Moslems, Aufklärung etc. Müsste man dem nicht mal etwas entgegensetzen? Eine eigene Erzählung?
    7. Als areligiöser Mensch kann ich mit Metaphysik wenig anfangen, ich sehe aber die Verzweiflung.
    8. Wovor ich mich sehr fürchte, ist, in einer ausweglosen Situation von einem Pfaffen belästigt zu werden. Ich möchte in Frieden sterben.
    9. Überhaupt: wieso glauben religiöse Menschen eigentlich, Experten in Sachen Not und Sterben zu sein?
    10. „rohe Bürgerlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer) und krawallige Besinnlichkeit gehören auch in einer Weise zusammen, die einen zweiten Gedanken Wert ist. Komplementär?

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    Dienstag, 20. Dezember 2011
    Naslöcher XIV

    „... und in die Gesindstube gesetzt, allwo sich schon zween Schneider, ein Schuster mit Schuhen, ein Kaufmann mit Hüten und Strümpfen, und ein anderer mit allerhand Gewand eingestellt, damit ich ehest gekleidet würde; da zog man mir den Rock ab, samt der Ketten und dem härenen Hemd, auf daß die Schneider das Maß recht nehmen könnten; folgends erschien ein Feldscherer, mit scharfer Laugen und wohlriechender Seifen, und eben als dieser seine Kunst an mir üben wollte, kam ein anderer Befehl, welcher mich greulich erschreckte, weil er lautet', ich sollte mein Habit wieder anziehen; solches war nicht so bös gemeint, wie ich wohl besorgte, denn es kam gleich ein Maler mit seinem Werkzeug daher, nämlich mit Minien und Zinnober zu meinen Auglidern, mit Lack, Endig und Lasur zu meinen korallenroten Lippen, mit Auripigmentum, Rausch-schütt und Bleigelb zu meinen weißen Zähnen, die ich vor Hunger bleckte, mit Kienruß, Kohlschwärz und Umbra zu meinen gelben Haaren, mit Bleiweiß zu meinen gräßlichen Augen, und mit sonst vielerlei Farben zu meinem wetterfarbigen Rock, auch hatte er eine ganze Hand voll Pinsel. Dieser fing an mich zu beschauen, abzureißen, zu untermalen, den Kopf über eine Seite zu hängen, um seine Arbeit gegen meine Gestalt genau zu betrachten; bald ändert' er die Augen, bald die Haar, geschwind die Naslöcher, und in Summa alles, was er im Anfang nicht recht gemacht, bis er endlich ein natürliches Muster entworfen hatte, wie Simplicius eins war: Alsdann durfte allererst der Feldscherer auch über mich herwischen, derselbe zwagte mir den Kopf, und richtet' wohl anderthalbe Stund an meinen Haaren, folgends schnitt er sie ab auf die damalige Mode, denn ich hatte Haar übrig.“
    (Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus.)

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    Montag, 19. Dezember 2011
    Braucht man unbedingt zu Weihnachten
    den Portionierer und fliegendes Rasenmäher natürlich auch.

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    Freitag, 16. Dezember 2011
    Schlechte Morde 8: Autofahrer viel Lärm
    ein ziemlich kurzer Roman
    Also mit hupen und so. Morgens. Vor dem Haus. Also nicht nur morgens. Eigentlich immer. Morgens, mittags, abends, wenn schöne Frau vorbei oder Hund kackt. Immer. Aber warum? Wegen Gene? Autofahrer so mit Hubgen? Blödes Volk. Egal was, immer hupen. Ne nicht immer. Wenn Araber Benzin nach oben, also Preishub, dann jammern, nicht hupen. Also nervig. Also richtig extrem. Also nervig. Und wenn jetzt so zack? Also nicht auf Straße, sondern von oben. Aus Fenster. Zack. Also so: Unten Auto: vrouuum. Quäck, quäck! Oben: Wasser in Beutel und Zack! Nicht schlecht. Winter, Wasser, Frieren, schlittern und Hausecke im Weg. Zack! Alles Paletti. Ah! Aber schlecht, ganz schlecht. Weil: Autofahrer zwar eklig, wenn also der Parkplatz oder Vorfahrt oder so. Hass! Und: Quäck, quäck, quäck! Aber wenn Wasserbombe, kein Hass, sondern. Herr Wachtmeister, da, da, da oben. Schlecht. Polizei vor Tür und: Oh op, op, hilft nix. Au Weia. Verboten. Zack! Geldstrafe oder wenn Autofahrer kaputt: noch schlimmer. Also Schlecht. Geht nicht. Zack!

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    Donnerstag, 15. Dezember 2011
    Schnipsel
    1. Labskaus soll in Hamburger Kneipen von Gästen und Personal ja schon mal Kellnerkotze genannt werden. Das sind aber sicher nur böswillige Menschen.
    2. Das Abfackeln von Autos und das Plündern von Geschäften gehört nicht zu den erhabensten Mitteln des politischen Diskurses. Ob in GB trotzdem jemand etwas daraus lernen will?
    3. Im Himmel ist Jahrmarkt und die Weihnachtsmärkte sind die Hölle.
    4. Toleranz bedeutet ja, dass man etwas duldet, was eine Last ist. Respekt aber bedeutet Anerkennung. Sind Religionen nun zu tolerieren oder zu respektieren?
    5. Setzkastenfeminismus: vielleicht trifft dieser Ausdruck am Ehesten was ich meine.
    6. „zu viel Nachdenken ist immer nur im Interesse der aktuellen Machthaber“ meinte jemand letztens in diesem Internet da, da fällt mir jetze auch nix mehr zu ein.
    7. Das Abfackeln von Flüchtlingsheimen und das Hören von black music passen offenbar problemlos zusammen.
    8. Wobei dann noch zu fragen wäre, was denn das Schwarze in black music sein soll. Jazz aus dem Senegal wird ja auch nicht so bezeichnet. Black wären dann einige Stilrichtungen afroamerikanischer Musik?
    9. Wasserstandsmeldung: mit dem Agathon und den Abderiten bin ich durch, zurzeit kämpfe ich mit den Texten zu oder eher gegen Rousseau.

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    Mittwoch, 14. Dezember 2011
    Sternstunden des Dialogs 1: Der Zug bremst
    Quietsch, Knartz, Knatter: „Sehr geehrte Fahrgäste, eine Durchsage: unser ICE hat in Braunschweig einen außerplanmäßigen Halt.“

    Ich so: „Entschuldigen Sie, warum hat den der Zug einen außerplanmäßigen Halt in Braunschweig?“
    Der Zugebegleiter so: „Weil er bremst.“
    Ich so: „Aha, aber eigentlich wollte ich den Grund wissen, ich z.B. könnte keinen außerplanmäßigen Halt veranlassen?“
    Er so: „Nein!“
    Ich schwöre: der Mann wollte mich nicht auf den Arm nehmen. Wollte er keine Auskunft geben, konnte er nicht oder durfte er nicht?
    Mein Sitznachbar dreht sich zu mir und sagt lachend: „Eigentlich hat er völlig korrekt geantwortet.“
    In Braunschweig wurde übrigens der Lokomotivführer gewechselt.

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    Dienstag, 13. Dezember 2011
    Georg Stefan Troller zum 90. Geburtstag
    Schon in den 60ern und vor allem in den 70ern habe ich kaum eine seiner Reportagen versäumt. Es waren Nachrichten aus einer anderen Welt, eine Art des Umgangs mit Unbekanntem, die mich immer gefesselt hat.

    Berühmt waren seine Pariser Geschichten und natürlich seine Porträts, hier ein Ausschnitt des Interviews mit Edith Piaf:


    Später dann die Personenbeschreibungen:



    Ein Interview von Gero von Boehm:




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    Montag, 12. Dezember 2011
    Über Päpste, Fahrradkuriere und gewisse Erscheinungen
    In Kreuzberg, da wo es schon friedrichshainig wird, machen sich immer mehr gastronomische Erscheinungen breit, die einen fuchtig machen können.

    In eine dieser Erscheinungen war ich eingeladen, freiwillig wäre ich wohl nicht hingegangen.

    Als ich fragte, ob sich denn der Name englisch, französisch oder deutsch ausspräche, erntete ich von der Kellnerin einen Blick als hätte ich ihr unter den Rock gegriffen. Nun ja, ich wurde kellnerhöflichst knapp belehrt, die dazu servierte Miene sagte: wie kann man so etwas Blödes fragen?

    Nun ja, könnte man natürlich denken, wenn man das Wort in einem englischen oder französischen Wörterbuch nachschlüge, ob man weise und klug oder brav und artig als Name für eine gastronomische Erscheinung wählt oder sogar noch etwas unsägliches aufgetischt bekommt, das ist doch eine Nachfrage wert?

    Weise und klug war es jedenfalls nicht ‚Wiener Schnitzel mit lauwarmem Kartoffel-Vogerlsalat‘ auf die Speisekarte zu setzen und Schnitzel und Salat dann in der Mikrowelle so lange zu lassen bis sich der Gast – in diesem Fall ich – an Salat und Schnitzel den Mund verbrennt. Man hätte das Wiener Schnitzel vielleicht nicht original nennen sollen sondern ‚Kalbsschnitzel aus der Mikrowelle- all well done‘ oder so ähnlich. Außerdem will ich für 19 Euro auf einem Wienerschnitzel die klassische Garnitur mit Zitronenscheibe, Sardelle und Kapern.

    Nun ja, diese gastronomische Erscheinung liegt in jenem Teil Kreuzbergs, der früher als die Mieten noch billig und die Frauen schön waren, direkt an der Mauer lag und damit so angenehm weit ab vom Schuss, dass sich die Kreuzberger Alternativmafia erst sehr spät dafür interessierte. Auf der Straße spielten die Kinder und die Anwohner waren mehrheitlich aus der Türkei und stellten gerne einen Tisch und mehrere Stühle vor ihre Haustür, um abends mit der Familie noch einen Tee zu trinken und mit den Nachbarn zu plauschen. Heute ist es eine Durchgangsstraße mit Schwerlastverkehr und die Maueridylle ist passé.

    Nun ja, was es noch immer gibt, sind Fahrradkuriere, die in einer irren Geschwindigkeit durch die Stadt rasen. Wenn sie auf dem Bürgersteig knapp an einem vorbeidüsen überkommt mich ja immer die unbändige Lust mal einen vom Rad zu treten. Aber das gehört nicht hierher.
    Vor einiger Zeit war ich mal wieder in der Gegend, sah mich um, registrierte die Veränderungen und kramte in meinem Gedächtnis. Irgendwo hier hatte ich doch mal eine Kurzzeitbekanntschaft? Oder war es doch weiter östlich in der Eisenbahnstraße?

    Nun ja, plötzlich hörte ich hinter mir brüllen:

    „… von hinten. Du musst von hinten kommen!“

    Der Kurier bretterte an mir vorbei und sein stetes Brüllen:

    „… von hinten. Da ist keine Straße. Du musst von hinten kommen!“

    verliert sich mit der Entfernung.

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    Freitag, 9. Dezember 2011
    Schlechte Morde 7: Rentner, Rolltreppe und BGS
    ein noch kürzerer Roman
    Also Rentner oder heutzutage: Senior, aber steht auch auf Katzenfutter drauf. Darüber muss man mal nachdenken, weil: Juniorkatzenfutter gibt es auch, aber Pisastudie und Junioren: kennt kein Mensch, also Junior nur bei Katzen, aber Senior auch bei Rentner. So, und warum Rentner am Ende von Rolltreppe stehen bleiben und gucken? Weiß kein Mensch! Aber nervt, weil Rolltreppe immer weiter und weiter und bäng und „können sie nicht aufpassen“ aber Rolltreppe doch immer weiter und weiter, also aufpassen: geht nicht! Und wenn so Zack! Gehhilfe mitnehmen und auf die Gleise werfen? Geht nicht, ganz schlecht, weil gefährlich. Zug auf Gehhilfe, Entgleisung und quietschen und Feuer oder Tohuwabohu oder BGS und eins aufs Maul: Gefährdung des Schienenverkehrs. Durchsage: technische Störung, Zugverkehr unregelmäßig. Fahrgäste sauer, und mobiltelefonieren. Also schlecht, ganz schlecht. Blöder Plan. Nächster Plan. Zack!

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    Donnerstag, 8. Dezember 2011
    vom Zauber des seitlich dran vorbeigehens ...

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