Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Donnerstag, 6. Juni 2013
Sprechaktereien
Einer der berühmtesten deklaratorischer Sprechakte war: „Hiermit erkläre ich die Olympischen Spiele von 1936 als eröffnet.“
Die Folge war, dass die Spiele tatsächlich eröffnet waren und die Wettkämpfe beginnen konnten. (und auch noch so einiges andere, aber darum soll es hier nicht gehen) Ein gleichartiger Sprechakt, der aufgrund mangelnder Voraussetzungen ins Leere läuft, ist: „I declare this bazar open!“ von Habichvergessen in Diner for one.
Das Aufsagen eines Satzes führt also zu einem Ereignis, dass von diesem einen Satz abhängig ist. Kein abhängiges Ereignis, kein Sprechakt.

Etwas völlig anderes ist der folgenden Sprechakt: Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
Ob man nun glaubt, dass dieser Sprechakt so stattgefunden hat oder nicht, sei dahin gestellt, die Folge dieses Befehls an die Wirklichkeit war eine Veränderung der Wirklichkeit. (Das die Wirklichkeit unseren Befehlen nicht so einfach gehorcht ist betrüblich und kommt auch in dem uralten Witz zum Ausdruck: „Und Osram sprach es werde Licht – doch die Birne brannte nicht.“)

Wie ist das nun, wenn man durch Reden ein Ideengebäude, eine Vorstellungswelt durch ein anderes, eine andere ersetzen will? Ist es sinnvoll hier von einem Sprechakt zu reden? Oder doch besser von Agitation und Propaganda? Von Aufklärung und Debatte?
Diese Begriffe hätten den Vorteil, dass nicht das Missverständnis auftauchen könnte, dass man durch vieles Reden und noch mehr Reden – egal ob einem zugehört wird oder nicht, egal ob man jemand überzeugen kann oder nicht - irgendwann mal schon zum gewünschten Ergebnis kommen werde. Bei einem deklaratorischen Sprechakt hängt es ja auch nicht davon ab, dass die Anwesenden zustimmen, noch nicht einmal davon, dass sie anwesend sind.
Diskurse, um mal den Boden noch etwas weiter zu spannen, sind ja nicht nur sprachliche Äußerungen und definitiv keine Sprechakte, sondern die Gesamtheit usw. Ist es statthaft, wenn man Diskurse oder gesellschaftliche Verhältnisse verändern will, in diesem Zusammenhang von Sprechakten zu reden? Oder steht man da bewusst oder unbewusst auf dem Boden der Religion: Die Welt so zu erschaffen wie sie einem gefällt, indem man sie entsprechend zusammenredet.

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