Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Sprechaktereien
Einer der berühmtesten deklaratorischer Sprechakte war: „Hiermit erkläre ich die Olympischen Spiele von 1936 als eröffnet.“
Die Folge war, dass die Spiele tatsächlich eröffnet waren und die Wettkämpfe beginnen konnten. (und auch noch so einiges andere, aber darum soll es hier nicht gehen) Ein gleichartiger Sprechakt, der aufgrund mangelnder Voraussetzungen ins Leere läuft, ist: „I declare this bazar open!“ von Habichvergessen in Diner for one.
Das Aufsagen eines Satzes führt also zu einem Ereignis, dass von diesem einen Satz abhängig ist. Kein abhängiges Ereignis, kein Sprechakt.

Etwas völlig anderes ist der folgenden Sprechakt: Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
Ob man nun glaubt, dass dieser Sprechakt so stattgefunden hat oder nicht, sei dahin gestellt, die Folge dieses Befehls an die Wirklichkeit war eine Veränderung der Wirklichkeit. (Das die Wirklichkeit unseren Befehlen nicht so einfach gehorcht ist betrüblich und kommt auch in dem uralten Witz zum Ausdruck: „Und Osram sprach es werde Licht – doch die Birne brannte nicht.“)

Wie ist das nun, wenn man durch Reden ein Ideengebäude, eine Vorstellungswelt durch ein anderes, eine andere ersetzen will? Ist es sinnvoll hier von einem Sprechakt zu reden? Oder doch besser von Agitation und Propaganda? Von Aufklärung und Debatte?
Diese Begriffe hätten den Vorteil, dass nicht das Missverständnis auftauchen könnte, dass man durch vieles Reden und noch mehr Reden – egal ob einem zugehört wird oder nicht, egal ob man jemand überzeugen kann oder nicht - irgendwann mal schon zum gewünschten Ergebnis kommen werde. Bei einem deklaratorischen Sprechakt hängt es ja auch nicht davon ab, dass die Anwesenden zustimmen, noch nicht einmal davon, dass sie anwesend sind.
Diskurse, um mal den Boden noch etwas weiter zu spannen, sind ja nicht nur sprachliche Äußerungen und definitiv keine Sprechakte, sondern die Gesamtheit usw. Ist es statthaft, wenn man Diskurse oder gesellschaftliche Verhältnisse verändern will, in diesem Zusammenhang von Sprechakten zu reden? Oder steht man da bewusst oder unbewusst auf dem Boden der Religion: Die Welt so zu erschaffen wie sie einem gefällt, indem man sie entsprechend zusammenredet.

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damals, Donnerstag, 6. Juni 2013, 12:29
Natürlich ist es statthaft, bei jedem Sprechen von einem Sprechakt zu reden, da durch dieses Sprechen irgendetwas Außersprachliches passieren kann.
Worauf sich Ihre berechtigten Zweifel vermutlich beziehen, das ist die Anmaßung mancher Sprecher, die glauben, sie hätten die Kontrolle über die Wirkung ihrer Sprechakte. Oft passiert aber weniger oder überhaupt völlig anderes, als der Sprecher intendierte.

g., Sonntag, 9. Juni 2013, 08:22
In einem sehr allgemeinen Sinne kann man selbstverständlich bei jedem Reden von einem Sprechakt ausgehen. Selbst eine höfliche Äußerung wie ‚Guten Morgen‘ wäre dann ein Sprechakt, da der Angesprochene zumindest die Botschaft empfängt, dass der Sprecher gewillt ist, im Rahmen mitteleuropäischer Umgangsformen mit ihm umzugehen. Die Frage wäre dann, mit welchem Begriff man die Spezifik sprachlicher Handlungen, die nur oder zumindest wesentlich durch das Sprechen erfolgen bezeichnen will.
Ich versuche gerade den Gedanken zu formulieren, zu erhaschen, dass es vermutlich ein großer Unfug ist, gesellschaftliche Verhältnisse durch ‚unmittelbar‘ zu verändern. Soll heißen: ist es tatsächlich sinnvoll durch Veränderungen in der Sprechweise auf die Anschauungen der Menschen über diese Verhältnisse diese auch zu verändern. Polemisch ausgedrückt: Lassen sich Verhältnisse anders zusammenquatschen.
Na okay, so fürchterlich klar habe ich mich jetzt auch nicht geäußert. Ich denke gerade an so alternativwissenschaftlichen Thesen herum, wenn bei fremden Völkern allerlei zusätzliche ‚Geschlechter‘ „entdeckt“ werden, ohne das hinreichend klar gestellt wird, was den nun unter Geschlecht zu verstehen sei. Geht es um ‚role models‘ oder um andere Bilder von gleichgeschlechtlichem Begehren oder und das ist meine These, um den Wunsch gesellschaftliche Verhältnisse durch den Verweis auf ‚es geht auch irgendwie anders‘, z. B. bei bolivianischen Stammeskulturen, ändern zu können. Wenn der Wunsch: es möge nicht so sein, dass Frauen als eine leicht depperte Subspezies angesehen werden, so übermächtig ist, dass man keinen Gedanken mehr daran verschwendet, welche ‚role models‘ denn gesellschaftspolitisch sinnvoll wären und wie diese gegebenenfalls aussehen könnten. Und natürlich, wie man dann in der Folge solcher Überlegungen es anstellt, dass sie sich durchsetzen.
Dann wäre man bei ihrer letzten Anmerkung, was bei unklaren Intentionen denn die Folge sein könnte.
Na, ich muss da noch ein bischen daran herumdenken. Mein Post zu den, ohne Bodenhaftung, herumirrenden Diskursen, den Sprechaktereien war da nur das Festhalten eines Gedankens, der Versuch, mir darüber klar zu werden, was mich an diesem ganzen ‚sprachanalytischen‘ Theoretisieren so stört.

Wenn man die Kategorien, wenn man Begriffe wie Sprechakt oder auch die Sprecherposition über die Wolken dropst, landet man genau da: über den Wolken. Da nich für.

Ich versuche einfach, mir Klarheit darüber zu verschaffen, ob dieses sprachanalytische Herumphilosophieren mehr als begriffs- und substanzloses Geschwätz ist.

damals, Dienstag, 11. Juni 2013, 13:01
Und ich wollte andeuten, dass ich es nicht für substanzlos halte - aber für überschätzt.
Theorien sind doch dazu da, die Welt zu verstehen - nicht sie zu verändern. Verändernd wirken kann man aber nicht, indem man versteht oder benennt.
Ein Beispiel: Gestern sah ich einen Film über Fritz Bauer, in welchem er auch als Talkshow-Gast auftrat. Ich war genervt von seinem pathetischen Geseiere. Aber was er getan hat (eben weil das für ihn nicht Geseiere war, sondern ehrliche Überzeugung) - das wirkt bis heute und wir betrachten es mit Hochachtung.
Ein anderes Beispiel: Ich hab mich vor Jahren einer Psychoanalyse unterzogen, die ganz enorm wirkte (ohne sie wär ich heute vermutlich nichtarbeitende Bevölkerung, Alkoholiker oder wie mans nennt). Ich habe aber in den ganzen ellenangen Gesprächen und Träumen über mich und meine Vergangeheit nichts erfahren, was ich nicht schon gewusst hätte. Weder als Erkenntnis noch als Benennung war das neu - wohl aber als Erlebnis, als etwas, was man ehrlich ernst nimmt und entsprechend handelt. Vielleicht ist das der Punkt.
... vielleicht aber auch nicht. Jetzt werd ich selbst unsischer ...

g., Mittwoch, 12. Juni 2013, 07:34
Als Auseinanderhalter bin ich ja immer dafür, die Ebenen zu trennen. Erkenntnis ist Erkenntnis und Handeln ist Handeln und politisches Handeln ist etwas anderes als Achtung gegenüber den Erfahrungen und dem Leid von Menschen. Die Funktion solchen Theoretisierens für die Nöte von Menschen kann ich durchaus sehen: von Trost bis zum Wunsch nach (Selbst-)Heilung. Das will ich auch nicht als unerheblich unter den Tisch wischen. Problematisch wird es dann, wenn ihm die Funktion der Rechtfertigung des aktuellen, leidvollen Zustandes zukommt. Zumindest, wenn man andere Möglichkeiten hätte.

Und zur Psychoanalyse: Die Erfahrung, die sie schildern kenne ich von Menschen, die eine Gesprächstherapie machten. Dass solche Erfahrungen auch in einer Psychoanalyse möglich sind, überrascht mich. Bei näherem Überlegen, frage ich mich aber: warum überrascht es mich? Schließlich ist es eine nahezu identische Situation. Da ist es eigentlich nicht unwahrscheinlich, dass es mit fast jeder Therapieform funktionieren kann. Eine Psychologin erzählte mir mal, dass das Setting – wie das im Psychologendeutsch wohl heißt – das Entscheidende sei und nicht das therapeutische Handeln (bei Traumata ist das wohl anders?). Aber davon verstehe ich nun schlicht zu wenig, um weiter diskutieren zu können.