Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Mittwoch, 10. Februar 2010
Sprachspiele 9
Spiele mit dem Klang von Sprache können auch sehr komplex sein:
Die Dchinns

Wall, Hafen
und Stadt,
alle schlafen,
und glatt
zerschellen
die Wellen,
sie schwellen
nur matt.

Und ein Tönen
fern erwacht,
banges Stöhnen
ist’s in der Nacht.
Erde zittert
angsterschüttert,
denn sie wittert
böse Macht.

Ein Geisterflüstern
berührt das Ohr.
Es taucht im Düstern
Ein Zwerg empor.
Die Flut bezwingt er
und überspringt er,
auf Wogen schwingt er
sich mählich vor.

Tiefe Bässe brummen!
Echo trägt es fort.
Dumpf, wie Glockensummen
an verwunschnem Ort, –
wie der Menge Surren,
wie des Pöbels Knurren,
das mit wirrem Murren
tötet jedes Wort.

Das sind die Grabesstimmen
der Dschinns! O welch ein Graus!
Entflieht! Entflieht dem schlimmen
Gezücht! Ins Kellerhaus!
Daß keiner Zeit verscherze!
Denn schon erlischt die Kerze,
des Schattens frost’ge Schwärze
dehnt sich gespenstisch aus.

Seht ihr, wie sich’s wirbelnd, rasselnd
schemenhaft heranbewegt?
Horch! Der Taxus wird wie prasselnd’
Dürrholz splitternd weggefegt.
Durch das Grausen, durch die nächt’ge,
wächst die Horde, die verdächt’ge,
wie die fahle, unheilträcht’ge
Wolke, die den Zunder trägt.

Da sind sie! Laßt uns Allah loben,
daß uns beschützt dies Erdgeschoß.
Welch ein Getös! Welch wütig Toben
von dieser Drachen eklem Troß!
Des Giebels Balken muß sich biegen,
wie Halme, die im Winde fliegen.
Es knarren Täfelung und Stiegen.
Am Tor klirrt das rost’ge Schloß.

Ein Höllenlärm! Dies Heulen und Gezeter!
Weh uns! Jetzt trifft der Polterschlag aufs Dach!
Das dröhnt! Erbarm dich, Gott meiner Väter!
Dem Schreckensheer weicht das Meer selbst willensschwach.
Es ächzt der Bau in allen Balkenlagen.
Das Haus scheint wie vom Sturme weggetragen,
als sollt’ es straks in wildem Strudel jagen.
Und wieder donnert jählings Krach auf Krach!

O Muhamed! Laß der Dämonen
ungläubige Schar vorüberziehen.
Mit heil’gem Eifer will ich’s lohnen,
an deinem Grabe will ich knien.
Gib, daß der Spuk mich nicht bedränge,
daß mich der Gluthauch nicht versenge.
Laß mich der Tollwut ihrer Fänge,
laß ihren Krallen mich entfliehn.

Ah! Sie wenden! Andre Wege
nimmt der Rotte Sturmgebraus.
Schwächer wird die Wucht der Schläge
gegen das bedrohte Haus.
Wie sie klirrend, kreischend weichen
und am Forst vorüberstreichen,
wanken selbst die stolzen Eichen
vor dem satanstollen Saus.

Noch rauscht es her, verschwommen
wie aus entlegner Welt.
Will’s gehen – will’s wiederkommen?
Es wogt und kämpft im Feld.
Wie Zirpen schwirrt’s, von großen
Heuschrecken ausgestoßen,
wie Hagel, der in Schloßen
aufs Zinkdach niederfällt.

Fremde Laute hallen,
weit uns hergesandt,
wie ein Hörnerschallen
von Arabiens Land,
wie ein seltsam Singen
will es zu uns dringen, -
traumverlor’nes Klingen,
das im Traum uns bannt.

Die Dschinns, der Öde
toddüstres Heer,
ziehn wild und schnöde
in Nacht daher.
Es ist ihr Grollen
wie Wellenrollen
in unruhvollen
tiefinnern Meer.

Auch das Gelle
sänftigt sich,
wie die Welle
formlos wich, -
wie die leise
Seufzerweise,
dem zum Preise,
der verblich.

Und droben
kein Schall!
Zerstoben
der Schwall.
So gehen
Ideen,
verwehen
im All.
(Victor Hugo, in der Übersetzung/Nachdichtung von Sigmar Mehring)
Übrigens, wenn sie Lust haben, schreiben sie doch das Gedicht ab und sprechen es Silbe für Silbe halblaut nach. Sie werden sehen, es ist ein völlig anderes Empfinden, wenn sich die Klänge und Bedeutungen Wort für Wort und Zeile für Zeile entfalten, die Klang- und Sinneinheiten strukturieren.

Für Eilige: dschinn1 (htm, 2 KB)

(Mit Dank an Kristof)

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