Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 9. Februar 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 73
(Nachricht vom zweeten Besuch auf der Insel Tahiti)
„Überhaupt fiel uns bey dem Anblick der Tahitischen Flotte die Seemacht jener alten Republicaner ein, und wir nahmen in der Folge Anlaß, beyde noch näher mit einander zu vergleichen. Das einzige abgerechnet, daß die Griechen Metalle hatten, mochten ihre Waffen sonst wohl eben so einfach, und ihre Art zu fechten, eben so unregelmäßig seyn als die Tahitischen, was auch Vater HOMER, als Dichter, nur immer daran verschönern mag. Die vereinte Macht von ganz Griechenland, die ehemals gegen Troja in See gieng, konnte nicht viel beträchtlicher seyn, als die Flotte, mit welcher O-TU die Insel EIMEO anzugreifen gedachte; und ich kann mir die MILLE CARINÆ* eben nicht viel furchtbarer vorstellen, als eine Flotte Tahitischer Kriegs-Canots, deren eins von funfzig bis zu einhundert und zwanzig Ruderer erfordert. Die Schiffart der alten Griechen erstreckte sich nicht viel weiter, als heut zu Tage die Tahitische. Von einer Insel stach man zur andern herüber, das war alles. Die damaligen Seefahrer im Archipelagus, richteten bey der Nacht ihren Lauf nach den Sternen; und so machen es die auf der Südsee noch jetzt ebenfalls. Die Griechen waren brav; und daß es die Tahitier nicht minder seyn müssen, beweisen die vielen Narben ihrer Befehlshaber. Auch dünkt es mir sehr wahrscheinlich, daß man sich hier zu Lande, wenn es zur Schlacht kommen soll, in eine Art von Raserey zu versetzen sucht, dergestalt, daß die Bravour der TAHITIER blos eine Art von künstlich erregtem Grimm ist. Und, so wie uns HOMER die Schlacht der Griechen beschreibt, scheint es, daß jener Heroismus, der alle die von ihm besungenen Wunder hervorbrachte, im Grunde eben auch nichts anders war. Wir wollen einmal diese Parallele weiter verfolgen. HOMERS Helden werden als übernatürlich große und starke Leute geschildert; auf eben die Art haben die TAHITISCHEN Befehlshaber, der Statur und schönen Bildung nach, so viel vor dem gemeinen Mann voraus, daß sie fast eine ganz andere ART von Menschen zu seyn scheinen. Natürlicherweise wird eine mehr als gewöhnliche Menge von Speise dazu erfordert, um einen mehr als gewöhnlichen Magen zu füllen. Daher rühmt der griechische Dichter von seinen trojanischen Helden, daß sie gar stattliche Mahlzeiten gethan, und eben das läßt sich auch von den TAHITISCHEN Befehlshabern sagen. Überdem haben es beyde Nationen mit einander gemein, daß sie eine wie die andere, am Schweinefleisch Geschmack finden. Beyde kommen in der Einfalt der Sitten überein und ihre eigenthümlichen Charactere sind durch Gastfreyheit, Menschenfreundschaft und Gutherzigkeit, fast in gleichem Grade, vor andern ausgezeichnet. Sogar in ihrer politischen Verfassung findet sich eine Ähnlichkeit. Die Eigenthümer der Tahitischen Districte sind mächtige Herren, die gegen O-TUH nicht mehr Ehrerbietung haben, als die griechischen Helden gegen ihren AGAMEMNON; und vom gemeinen Mann ist in der Iliade so wenig die Rede, daß er unter den Griechen von keiner größeren Bedeutung gewesen zu seyn scheint, als die TAUTAUS in der Südsee. Die Ähnlichkeit beyder Völker ließe sich meines Erachtens noch wohl in mehreren Stücken sichtbar machen; alein es war mit blos darum zu thun, sie durch einen Wink anzudeuten, und nicht durch eine lang gedehnte Vergleichung die Geduld der Leser zu mißbrauchen. Das Angeführte ist wohl Beweis genug, daß Menschen, bey einem gleichen Grade von Cultur, auch in den entferntesten Welttheilen einander ähnlich seyn können. Indessen würde es mir sehr leyd thun, wenn diese flüchtigen Anmerkungen unglücklicherweise einen oder den andern gelehrten Projectmacher auf eine unrechte Spur bringen sollten. Die Thorheit, Stammbäume der Nationen zu entwerfen, hat noch kürzlich viel Unheil in der Geschichte veranlaßt, und die Egypter und Chineser auf eine wunderbare Art zu Verwandten machen wollen. Es wäre daher wohl zu wünschen, daß sie nicht ansteckend werden und weiter um sich greifen mögte.“
(Forster S. 593-5)
*mille carinæ:Ovid Metamorphosen 12, 37-38

Ein kluger Vergleich Tahitis mit Homers Griechenland.

(einen mehr als gewöhnlichen Magen zu füllen, gar stattliche Mahlzeiten)

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