Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Donnerstag, 11. Februar 2010
Georg Forster: Reise um die Welt 74
(Nachricht vom zweeten Besuch auf der Insel Tahiti)
„Einer unserer Seeleute suchte sich diese unruhigen Augenblicke zu Nutze zu machen, um unbemerkt nach der Insel zu entwischen. Man ward ihn aber gewahr, als er darnach hinschwamm und sahe zugleich einige Canots herbeyrudern, die ihn vermuthlich aufnehmen wollten; der Capitain ließ ihm also gleich durch eins von unsern Booten nachsetzen, ihn mit Gewalt zurückbringen und zur Strafe für diesen Versuch vierzehn Tage lang in Ketten legen. Allem Anschein nach, war die Sache zwischen ihm und den Insulanern förmliche verabredet; denn sie hätten vielleicht eben so viel Nutzen davon gehabt, einen Europäer unter sich zu behalten, als dieser gefunden haben würde, unter IHNEN zu bleiben. Wenn man erwägt, wie groß der Unterschied ist, der zwischen der Lebensart eines gemeinen Matrosen am Bord unsers Schiffes, und dem Zustande eines Bewohners dieser Insel statt findet; so läßt sich leicht einsehen, daß es jenem nicht zu verdenken war, wenn er einen Versuch wagte, den unzählbaren Mühseligkeiten einer Reise um die Welt zu entgehen, und wenn er, statt der mancherley Unglücksfälle die ihm zur See droheten, ein gemächliches, sorgenfreyes Leben in dem herrlichsten Clima von der Welt, zu ergreifen wünschte. Das höchste Glück, welches er vielleicht in Engelland hätte erreichen können, versprach ihm lange nicht so viel Annehmlichkeiten, als er, bey der bescheidenen Hoffnung, nur so glücklich als ein ganz gemeiner Tahitier zu leben, vor sich sahe. Er durfte sich nicht schmeicheln, bey seiner Zurückkunft nach England von den MÜhseligkeiten der Reise um die Welt in Frieden ausruhen zu können, sondern mußte sich vielmehr gefaßt machen, sogleich wieder auf ein andres Schiff abgegeben zu werden, und bey eben so ungesunder, elender Kost, eben solchen Mühseligkeiten, eben solchen Nachtwachen und Gefahren, als er kaum überstanden hatte, von neuem wieder entgegen zu gehen. Sollte es ihm aber auch wirklich geglückt seyn, auf eine oder die andere Art zum ruhigen Genuß des Lebens zu gelangen; so mußte er doch immer besorgen, mitten in seinen Freuden, gewaltsamerweise zum Dienst geworben, und wider seinen Willen zum Streit fürs Vaterland gezwungen zu werden, mithin. Entweder sein Leben in der Blüthe seiner Jahre zu verlieren, oder das traurige Schicksal eines elenden Krüppels zu haben. Gesetzt aber, er hätte das alles vermeiden können, so mußte er sich in England doch wenigstens dahin bequemen, sein tägliches Brod im Schweiß seines Angesichts zu verdienen, und die Wirkung jenes allgemeinen Fluchs zu empfinden, die TAHITI nicht erreichet zu haben scheint, oder wenigstens fast gar nicht daselbst gefühlet wird. Unser gemeines Volk ist nun einmal zu lauter Plackereyen und zu beständigen Arbeiten bestimmt. Ehe man den geringsten Gebrauch vom Korne machen kann, muß erst gepflügt, geerndtet, gedroschen und gemahlen, ja es muß hundertmal mehr davon gebauet werden, als der Ackersmann selbst verbrauchen kann, theils um das Vieh zu erhalten, ohne dessen Hülfe kein Feldbau bestehet, theils auch, um das Ackergeräth und viel andre Dinge dafür anzuschaffen, die jeder Landwirth selbst verfertigen könnte, wenn die Weitläufigkeit des Feldbaues ihm Zeit und Muße dazu übrig ließe. Der Kaufmann, der Handwerksmann, der Künstler, müssen alle eben so arbeitsam seyn, um dem Landmanne das Korn und Brod wieder abzuverdienen. Wie ist hingegen beym Tahitier das alles so ganz anders! Wie glücklich, wie ruhig lebt nicht der! Zwey oder drey Brodfruchtbäume, die beynahe ohne alle Handanlegung fortkommen, und fast eben so lange tragen, als der, welcher sie gepflanzt hat, leben kann; drey solche Bäume sind hinreichend, ihm drey Viertheile des Jahres hindurch, Brod und Unterhalt zu geben! Was er davon nicht frisch weg essen kann, wird gesäuert, und als ein gesundes, wohlschmeckendes Nahrungsmittel, für die übrigen Monathe aufbewahret.“
(Forster S. 595-7)

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