Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Boston, Massachusetts
Von meinem Reverend hatte ich ja letztens erzählt, heute soll es nun um den Abend des gleichen Tages gehen (wenn ich mich recht erinnere).

Wir hatten an diesem Tage keine große Strecke zurücklegen können und waren am späten Abend an einem Rastplatz mit Diner. Als wir schon in die Büsche linsten, um Terrain und mögliche Pissecken zu sondieren, nahm uns ein junges Paar mit. Sie würden aber nur bis Boston fahren. Kein Problem, ein Stück in die richtige Richtung. Nach den üblichen Eingangsfragen, wer wir seien und aus welchem Land wir kämen, kamen wir ganz nett ins Plaudern über die unterschiedlichen Systeme der Bildung, Gymnasium vs. High School sozusagen. Das Paar schien an einer High School zu arbeiten, sie kannten sich auf jeden Fall im amerikanischen Bildungssystem besser aus als wir im deutschen. Je nun, wir näherten uns Boston, Massachusetts, und sie fragten uns, ob wir bei ihnen zu Abend essen wollten. Ein Gästezimmer hätten sie auch und am nächsten Morgen würden sie uns wieder an den Highway fahren. Ein Gästezimmer eröffnete die Aussicht auf eine Dusche, was will man mehr.

Gesagt, getan. Nach einer weiteren Stunde saßen wir geduscht am Abendbrottisch, ihre Kinder und die Großeltern und einige Freunde und Nachbarn kamen kurz vorbei, um ihre Neugier zu befriedigen und einen kurzen Plausch mit den Germans zu halten. Das Essen war warm, kam zwar aus Tüte & Büchse, schmeckte aber sehr gut.
Aus irgendwelchen Gründen kamen wir auch auf das Thema Rassismus zu sprechen und ich erzählte von meiner Begegnung mit dem Reverend.
Tja und das inspirierte unsere Gastgeberin und sie erzählte uns, dass vor einigen Wochen ein übler Rassist aus den Südstaaten bei ihnen zu Besuch gewesen sei. An diesem Abend sei auch ein schwarzer Kollege von ihr da gewesen. Bei seinem Anblick habe der Südstaatler vor sich hin gemurmelt, was denn der Nigger hier wolle. Man stelle sich nur vor, sagte unsere Gastgeberin, in seinem Beisein, so dass er es hören konnte und überhaupt so etwas über ihren Kollegen zu sagen, der doch ‚such a sweet person‘ sei.
Nun, ich war damals jung und hatte wenig Lebenserfahrung, aber bei dieser Erzählung fiel mir doch fast das Essen aus dem Mund.

Seit dieser Zeit denke ich darüber nach, wer – wenn diese Szene bei mir zu Hause stattgefunden hätte – als erstes rausgeflogen wäre: Die charmant-liberale Dame oder der Südstaatler.

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