Zur Pataphysik des Geschlechtlichen II
g. | Dienstag, 4. Juni 2013, 06:49 | Themenbereich: 'so dies und das'
Nachdem wir nun zum Thema Gehörgangsforschung und Geschlechterdifferenz bestens informiert sind (Sie seit kurzem, ich bin ja schon seit Jahren Experte auf dem Gebiet) wollen wir uns heute einem weit grundsätzlicheren Thema zuwenden: der Wissenschaftstheorie.
Nach dem Germanistikstudium musste ich mir verschärft Gedanken machen, was nun werden sollte. Eines war sofort klar: an der Uni zu bleiben war aussichtslos. Noch vor dem Examen hatte ich als studentischer Vertreter in einer Auswahlkommission für einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, einer Mitarbeiterin vor Augen geführt bekommen, wie das Ganze funktioniert. Auf eine Stelle, die wissenschaftspolitisch auch für mich nach dem Studium in Frage gekommen wäre, bewarben sich eine Fülle von Leuten. Darunter waren auch zwei Frauen, die deutlich besser waren als ich es in den nächsten vier oder fünf Jahren werden würde. Eine der beiden kam auch in die engere Auswahl, am Ende wurde es dann eine Bewerberin, die der Professorin keine Konkurrenz zu machen versprach. That’s life. In den nächsten fünf Jahren würden noch zwei passende Stellen frei werden. Waija, glänzende Aussichten. Dazu kam, dass mir Zusehens klar wurde, dass ich für wissenschaftliches Arbeiten schlicht zu faul war. Monate- oder gar jahrelang in der Bibliothek zu brüten war dann doch nichts für mich. Na ja, ein halbes Jahr später, nach dem Examen überlegte ich mir einige Berufsfelder, die realistischerweise Wurstsalat und Schnitzel täglich sichern könnten und im gleichen Zug versprachen, die nächsten vierzig Jahre genug Reiz bieten würden, dass ich nicht dauerfrustriert vor mich hin leben würde. Die übliche Suchbewegung eben. Realistischerweise prüfte ich mehrere Perspektiven, darunter auch ein Promotionsstipendium. (Näheres lasse ich jetzt mal beiseite.) In diesem Zusammenhang schrieb ich mich auch für einen Aufbaustudiengang „Qualitative Methoden in der Sozialforschung“ (Den grundsätzlichen Methodenstreit dazu halte ich übrigens für eine große Kinderei. Es kommt einfach auf den Gegenstand der Forschung an.) ein. Dass der Studiengang allerdings federführend von den Pädagogen verantwortet wurde, hätte mich schon misstrauisch stimmen sollen. Der Aufbaustudiengang war in Vorlesungen zur Theorie qualitativer Methoden und praktischen Übungen dazu gegliedert. Die Vorlesungen waren eine Katastrophe und die Übungen brachten nicht viel. Nach einem Semester war ich mit dem Scheiß durch und ließ Zertifikat Zertifikat sein. (Wenn Sie sich für qualitative Sozialforschung interessieren: Hermann Bausinger, etwa hier und Lutz Niethammer sind da gute Adressen zum Einstieg).
Nun, in einer der Übungen übten wir die Transkription von Befragungen (jetzt schießt mir andauernd der Begriff „Proband“ in den Kopf. Na, lassen wir Wissenschaftskritik mal kurz beiseite.). Das war eine nützliche Erfahrung. Was hat sie gerade gesagt, während sie einen Schluck Kaffee trank? Wie geht man mit den sinnlosen oder sinnentstellenden Einschüben von Befragten um? Wie mit falschen Wortverwendungen? Wie transkribiert man ironische Aussagen, die wesentlich durch den Tonfall als solche gekennzeichnet wurden? (spannendes Problem, vor allem für Pädagogen, deren Textverständnis mehrheitlich durch den Umstand geprägt ist, dass sie ihr Vorverständnis von Situation und erwarteter Aussage nicht eine Sekunde beiseite schieben können.) Und während wir vor uns hinwerkelten, ich mich ärgerte, dass das Forschungsdesign der Studie, dessen Material wir zum üben erhalten hatten, nicht näher beschrieben wurde (in den Vorlesungen wurde dieses Methodenproblem von Vorverständnis aufgrund des Forschungsgegenstandes, den Fragen und dem Erzählhorizont der Befragten auch nicht groß reflektiert), hörte ich, wie unser Professor zu meinem Nebenmann sagte: „Wichtig ist, dass Sie einen Unterscheidung machen. Wenn Sie nicht zwischen irgendetwas unterscheiden, können sie nicht vergleichen. Wenn Ihnen keine Unterscheidung einfällt, nehmen Sie einfach das Geschlecht.“ Während mir der Mund offen blieb und ich dachte: ‚Wie? Was? Mann und Frau geht immer? Egal, was man untersucht? Egal was man herausfinden will?‘ redete der Professor fröhlich weiter, plauderte über seine Forschungsvorhaben und die Schwierigkeiten Personen zu finden, die man befragen könne. („Vielen Menschen ist es unangenehm befragt zu werden. Universität ist für viele etwas sehr Fremdes.“ Na usw.)
Seit damals sehe ich immer, wenn ich eine Studie lese oder einen Experten im Interview sehe, den Professor neben mir auftauchen und freundlich sagen: „Wenn Ihnen keine Unterscheidung einfällt, nehmen Sie einfach das Geschlecht.“
Nach dem Germanistikstudium musste ich mir verschärft Gedanken machen, was nun werden sollte. Eines war sofort klar: an der Uni zu bleiben war aussichtslos. Noch vor dem Examen hatte ich als studentischer Vertreter in einer Auswahlkommission für einen wissenschaftlichen Mitarbeiter, einer Mitarbeiterin vor Augen geführt bekommen, wie das Ganze funktioniert. Auf eine Stelle, die wissenschaftspolitisch auch für mich nach dem Studium in Frage gekommen wäre, bewarben sich eine Fülle von Leuten. Darunter waren auch zwei Frauen, die deutlich besser waren als ich es in den nächsten vier oder fünf Jahren werden würde. Eine der beiden kam auch in die engere Auswahl, am Ende wurde es dann eine Bewerberin, die der Professorin keine Konkurrenz zu machen versprach. That’s life. In den nächsten fünf Jahren würden noch zwei passende Stellen frei werden. Waija, glänzende Aussichten. Dazu kam, dass mir Zusehens klar wurde, dass ich für wissenschaftliches Arbeiten schlicht zu faul war. Monate- oder gar jahrelang in der Bibliothek zu brüten war dann doch nichts für mich. Na ja, ein halbes Jahr später, nach dem Examen überlegte ich mir einige Berufsfelder, die realistischerweise Wurstsalat und Schnitzel täglich sichern könnten und im gleichen Zug versprachen, die nächsten vierzig Jahre genug Reiz bieten würden, dass ich nicht dauerfrustriert vor mich hin leben würde. Die übliche Suchbewegung eben. Realistischerweise prüfte ich mehrere Perspektiven, darunter auch ein Promotionsstipendium. (Näheres lasse ich jetzt mal beiseite.) In diesem Zusammenhang schrieb ich mich auch für einen Aufbaustudiengang „Qualitative Methoden in der Sozialforschung“ (Den grundsätzlichen Methodenstreit dazu halte ich übrigens für eine große Kinderei. Es kommt einfach auf den Gegenstand der Forschung an.) ein. Dass der Studiengang allerdings federführend von den Pädagogen verantwortet wurde, hätte mich schon misstrauisch stimmen sollen. Der Aufbaustudiengang war in Vorlesungen zur Theorie qualitativer Methoden und praktischen Übungen dazu gegliedert. Die Vorlesungen waren eine Katastrophe und die Übungen brachten nicht viel. Nach einem Semester war ich mit dem Scheiß durch und ließ Zertifikat Zertifikat sein. (Wenn Sie sich für qualitative Sozialforschung interessieren: Hermann Bausinger, etwa hier und Lutz Niethammer sind da gute Adressen zum Einstieg).
Nun, in einer der Übungen übten wir die Transkription von Befragungen (jetzt schießt mir andauernd der Begriff „Proband“ in den Kopf. Na, lassen wir Wissenschaftskritik mal kurz beiseite.). Das war eine nützliche Erfahrung. Was hat sie gerade gesagt, während sie einen Schluck Kaffee trank? Wie geht man mit den sinnlosen oder sinnentstellenden Einschüben von Befragten um? Wie mit falschen Wortverwendungen? Wie transkribiert man ironische Aussagen, die wesentlich durch den Tonfall als solche gekennzeichnet wurden? (spannendes Problem, vor allem für Pädagogen, deren Textverständnis mehrheitlich durch den Umstand geprägt ist, dass sie ihr Vorverständnis von Situation und erwarteter Aussage nicht eine Sekunde beiseite schieben können.) Und während wir vor uns hinwerkelten, ich mich ärgerte, dass das Forschungsdesign der Studie, dessen Material wir zum üben erhalten hatten, nicht näher beschrieben wurde (in den Vorlesungen wurde dieses Methodenproblem von Vorverständnis aufgrund des Forschungsgegenstandes, den Fragen und dem Erzählhorizont der Befragten auch nicht groß reflektiert), hörte ich, wie unser Professor zu meinem Nebenmann sagte: „Wichtig ist, dass Sie einen Unterscheidung machen. Wenn Sie nicht zwischen irgendetwas unterscheiden, können sie nicht vergleichen. Wenn Ihnen keine Unterscheidung einfällt, nehmen Sie einfach das Geschlecht.“ Während mir der Mund offen blieb und ich dachte: ‚Wie? Was? Mann und Frau geht immer? Egal, was man untersucht? Egal was man herausfinden will?‘ redete der Professor fröhlich weiter, plauderte über seine Forschungsvorhaben und die Schwierigkeiten Personen zu finden, die man befragen könne. („Vielen Menschen ist es unangenehm befragt zu werden. Universität ist für viele etwas sehr Fremdes.“ Na usw.)
Seit damals sehe ich immer, wenn ich eine Studie lese oder einen Experten im Interview sehe, den Professor neben mir auftauchen und freundlich sagen: „Wenn Ihnen keine Unterscheidung einfällt, nehmen Sie einfach das Geschlecht.“
damals,
Donnerstag, 6. Juni 2013, 12:33
Wunderbarer Text, der zeigt, weshalb Bloggen sinnvoll ist: Manchmal übertrifft das individuelle, erlebte Beispiel die Argumentationskraft der Schreibprofis bei weitem.