Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

„Mein Kalterer See!“
Als ich etwa einen Meter groß war, fuhren meine Eltern mit dem Brezel-VW mit mir und meinen Brüdern in den großen Ferien nach Österreich oder Südtirol. Meist an einen Badesee.

Brezel-VW sagt ihnen doch sicherlich etwas?
Es handelt sich um den VW Käfer „Export“ mit 1200 ccm Hubraum und geteiltem Heckfenster.
Das schönste an dem Auto war der ausklappbare Richtungsanzeiger an der Seite. Leider brach der Winker irgendwann ab als meine Brüder bei einer Klopperei dagegen kamen und zu reparieren war er nicht mehr, da der damalige Verkehrsminister dann ungerechterweise Blinker für alle PKWs vorschrieb. Wir hatten kein Geld, um einen neuen Käfer zu kaufen, und so wurden die Winker stillgelegt und mit Bohrmaschine und Feile vorne zwei Blinker eingebaut. Bei der Gelegenheit wurde das Fahrzeug dann gründlich modernisiert, das heißt die Brezelscheibe musste einer durchgehend ovalen Rückscheibe weichen und ein Dachgepäckträger wurde installiert. Wir fanden das damals alle toll.

Apropos ‚modern’. Modern war eines der wichtigsten Schlagworte dieser Zeit. Wir kauften damals noch jedes Jahr zwei Apfelbäume und einen Kirschbaum, einen Zwetschgenbaum oder Pfirsiche zum Abernten von der Gemeinde. Die Früchte eines Baumes kosteten 5 DM. Die ganze Familie zog, wenn das Obst reif waren zu unserem Baum. Nach einigen Stunden waren 20 Stiegen gefüllt, die am nächsten Tag zum Entsaften gebracht wurden. Die Früchte wurden gegen Saft getauscht. Aus ein oder zwei Stiegen wurde Kompott und Marmelade gekocht und Obstkuchen satt bestimmte den Speiseplan der nächsten Wochen. Irgendwann erschien das alles zu mühsam und statt Obstsäften wurde TriTop, ein Sirup mit fruchtähnlichem Geschmack (ein Produkt der Bayerforschung?) zum verdünnen beim örtlichen Discounter besorgt. Weil es modern war. Und sehr viel süßer als Fruchtsaft. Aber lassen wir das. Wir wollen ja an den Kalterer See.

Und ab ging es an den Weißensee in Kärnten.
Oder eben an den Kalterer See.
Mir gefiel es da nicht sehr gut, weil mir die Tümelei fremd und seltsam vorkam, mein Vater mochte die Anschläge nicht.

Bald wurde aber Italien („Da ist das Wetter schön.“) zum bevorzugten Ziel der Sommerferien und wir fuhren dann einfach weiter bis Jesolo, genauer zum Lido di Jesolo.
Wir suchten uns einen Zeltplatz aus: „Da Pietro“ wenn ich mich recht erinnere. Pietro war ein kleines, meist aufgeregtes Männlein, seine Frau hingegen eine Matrone, die ich liebte und die mich liebte. Ich liebte sie, weil sie in ihrer kleinen Küche wunderbar duftende Speisen zubereitete und da ich hochblond, sehr dürr und die schärfste Tigerbadehose des ganzen Lidos an hatte, bekam ich meist einen Teller gebratene Sardinen, Soße und Spagetti ab.

Aber zurück zu unserer Geschichte: Auf dem Rückweg von Jesolo machten wir in Kaltern Station und luden zwei bis drei 2-Liter-Flaschen Kalterer See in den Käfer, später dann noch eine kleine Flasche Stroh Rum und ab über die Alpen, an der Iller entlang durchs Allgäu und über die Geislinger Steige ins Neckartal.
Jahre später sah ich diese 2-Liter-Flaschen Kalterer See wieder. Inzwischen schien der Wein zum Preisknüller geworden zu sein. Auf jeden Fall erfreute er sich großer Beliebtheit bei den Berbern, die sich ihren Tag damit versüßten.

Überhaupt: Billigwein!
Es ist nun auch schon einige Jahre her, dass ich mich in meiner alten Heimat mit einem Winzer über den Europäischen Weinmarkt unterhalten habe.

„Früher“ erzählte er mir “Früher ham mer die Trauba unterpflügt, wenns a schlechtes Joahr war ond mer des Zeug net hot saufa könna. Heut du mers ind EU.“

Dabei habe ich mich in jungen Jahren immer gefragt, was das eigentlich für ein Wein ist, dieser „Wein aus Ländern der EWG“. Es ist anscheinend ganz einfach. Aus ganz Europa wird der Wein, den man eigentlich nicht trinken kann, in einen großen Tank gefüllt, mit irgendetwas das ich nicht wissen will versetzt, abgefüllt und mit einem hochtrabenden Etikett versehen in den Handel gebracht, eine Cuvée oder Mariage sozusagen.

Wo waren wir?
Ach ja, beim „Kalterer See“. Genau!
Kennen Sie den U-Bahnhof Thielplatz?
Ist ja eigentlich auch egal, manchen gefällt er und manchen eben nicht. Jedenfalls war ich dort vor ein paar Tagen und vor mir stieg eine junge Frau aus der Bahn. Sie trug einen Dufflecoat und war mit zwei prall gefüllten Einkaufstüten schwer beladen.

Ach, warten Sie! Wir müssen ja erst noch über das Wetter reden!
Das Wetter: Nachdem es eine Zeitlang bitter kalt war und heftiger Schneefall die Stadt wieder mildtätig mit einer weißen Decke zudeckte, begann es zu tauen, dann gefror der angetaute Schnee wieder und schuf eine picklige und spiegelglatte Eisdecke von mehreren Zentimetern. An diesem Tage schneite es wieder und machte die Eisdecke unsichtbar. Ideale Verhältnisse, um auf die Fresse zu fliegen!

Ich weiß natürlich nicht, ob Sie zu den Leuten gehören, die breit und dreckig grinsen, wenn jemand auf die Fresse fällt? So etwas ist ja nicht nett. (Es gab doch mal ein Lied mit dem Refrain: „aber schön ist es doch, wenn jemand auf die Fresse fällt“, Ulrich Roski?) Besonders perfide finde ich ja, wie mir eine Bekannte letztens erzählte, wenn man erst wartet, ob sich der Betreffende nicht doch etwas gebrochen hat. Spontane Heiterkeit ist da doch sehr viel unschuldiger. Na, wie dem auch sei.

Ich folge also der Frau mit den Einkaufstaschen vom Bahnhof in den Landoltweg, dann links in die Hittorfstraße und etwa auf Höhe des Akademischen Auslandsamtes der FU rutschen ihr die Beine nach vorne weg. Es gibt einen sanften Klacks, die Dame ist auf ihrem Hintern gelandet und sitzt mit gestreckten Beinen auf dem Schnee, die beiden Einkaufstüten sind akkurat neben ihren Oberschenkeln auf dem Eis aufgesetzt, ich muss schallend lachen und sie dreht sich mit dem Oberkörper um und brüllt empört:
„Mein Kalterer See!“
Ich komme näher, helfe ihr auf und unterdrücke mein Grinsen. Tatsächlich: In jeder Tüte eine 2-Liter-Bombe, Unmengen an Tiefkühlpizza und allerlei Knabbergebäck. Der Kalterer See schmiegte sich an die Pappe der Pizza und löste sie langsam auf. Einige Tüten Fischli und Engerlinge aus Mais waren geplatzt und wollten sich ebenfalls mit dem Kalterer See vereinigen.

Und seit dem geht mir dieses Lied nicht mehr aus dem Kopf.

Kommentieren




jean stubenzweig, Montag, 15. Februar 2010, 11:40
Künftig mag ich
gerne auch Kalterer See trinken, aber nur in der Cuvéeisierung durch Sie. Mon Dieu ! Quelle Saveur !

Saveur bedeutet (kräftiger) Geschmack oder auch Würze – als Käse bekannt im (Fleur) du maquis. Abe Opincar kam dabei Napoleon in den «Sinn», der in einem Brief an Josephine schrieb, sie möge sich nicht waschen, er komme (in zwei Wochen) heim. «Unsere Nasen sind besonders empfindlich für Ammoniak und andere Nebenprodukte bakterieller Zersetzung wie etwa diejenigen, die Achselgeruch verursachen. Das Jacobson-Organ — zwei winzige Vertiefungen am vorderen unteren Ende der Nasenscheidewand registriert besonders die von Napoleon so geliebten Düfte und leitet die Informationen an die urtümlichsten Teile des Gehirns weiter.»

g., Dienstag, 16. Februar 2010, 05:54
Die besondere Würze, wenn sich Wein aus Ländern der EWG mit der Pappe von Tiefkühlpizza vereinigt, ist sicher in bestimmten Kreisen hochgerühmt. So etwas Leckeres kannten Josephine und Napoleon sicher noch nicht.

vert, Dienstag, 16. Februar 2010, 06:25
der wird eigentlich nur noch getoppt durch den "honig aus eg- und nicht-eg-ländern".
bestimmt antarktis.

monnemer, Mittwoch, 17. Februar 2010, 10:54
Das erinnert mich an die Zeit, in der ich als LKW-Fahrer arbeitete und aktiv am EU-Blödsinn teilnehmen konnte.
Das hatte allerdings auch seine angenehmen Seiten.
Eine Zeit lang lud ich immer Freitags in Mainz Glasteile für Fernsehbildröhren nach Süditalien (wo dann daran irgend etwas billiger rumgefummelt wurde, als es in D möglich war und das Ganze ging dann zurück nach Norddeutschland. Später kamen dann noch Portugal und Schottland ins Spiel, wiel da noch billiger daran rumgefummelt werden konnte und so legte man bis zum fertigen Fernsehapparat eine immer beeindruckendere Anzahl an Kilometern zurück).

Jedenfalls setzte ich mich in der Nacht von Sonntag auf Montag in den LKW und fuhr los. Bis Mühlhausen war´s noch langweilig, aber dann begann die schöne Strecke durch Doubs, Jura, Savoyen und schließlich durch den Mont-Blanc Tunnel (glücklicherweise gab es damals in der Schweiz noch eine Gewichtsbeschränkung und ich mußte außenrum).
Dann ging´s bergab ins Aostatal, in der Nähe von Aosta auf einen kleinen, ruhigen Parkplatz und Feierabend.
Und da stand er schon, der Kollege aus der Pfalz. Auch mit einem LKW, allerdings nicht mit so einer profanen Ladung wie ich.
Sondern ein 6-Kammern Tankzug mit 20.000 Litern Weinüberproduktion aus pfälzischen Weingütern. Und das waren meist nicht die schlechtesten Tropfen und schon gar kein Verschnitt, sondern Kammer für Kammer eine Sorte.
Der Kollege hatte meistens schon Brot, Käse und Schinken besorgt, wir begannen zu vespern und das Angebot der Woche ausgiebig zu sondieren.
Nachdem alle Kammern verkostet und der Sieger der Woche prämiert war, legten wir und satt und beduselt schlafen.

Wenn mich damals jemand nach meiner Meinung zur EU gefragt hätte, ich wäre voll des Lobes gewesen.
Alles eine Frage der Perspektive.

Die Überproduktion aus der Pfalz wurde übrigens in Italien zu Weinessig verarbeitet.

g., Donnerstag, 18. Februar 2010, 04:55
Mich packt schon wieder der Neid.
Ein ganzer Tanklastzug mit lecker Stoff und dann das Wochenende im Aostatal einläuten. Warum habe ich nie so etwas gemacht?