Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Ich und der KBW
Von allen K-Gruppen ist mir der KBW der Liebste. Aber vielleicht sollten man für die jüngeren Zuschauer (oder Zuleser?) erstmal kurz erklären, wer das den ist, der KBW?
Also das war so: Zuerst gab es die sogenannten 68er, die dann von der sogenannten APO etwas verdeppt und dann von der sozial-liberalen Koalition überholt wurden und weil plötzlich, wenn auch nur für wenige Jahre, die Regierung das machte, was man eigentlich selbst bewirken wollte, sagten sich diese etwas verwirrten jungen Leute: okay, wir sind noch radikaler oder so und werden Leninisten und schrecklicher als die judäische Befreiungsfront ist auf jeden Fall die Befreiungsfront von Judäa, alles klar?
Und dann kam Helmuth Schmidt, aber das ist eine andere Geschichte.
Es begab sich also zu dieser Zeit, dass eine Gruppe von zehn jungen Männern ihren Zivildienst ableisteten und zum ersten Mal in ihrem Leben weg von zu Hause waren und das Leben genießen wollten, als ein Mitglied des KBW in die Wohngemeinschaft zog und schon am ersten Abend verkündete:
„Wir vom KBW sind der Auffassung, dass man das Waffenhandwerk erlernen sollten. Wir treten aber auch für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein!“
‚Waffenhandwerk erlernen’ aha, sowieso, genau! dachten wir.
"Apropos Waffenhandwerk. Mein Bruder war in seiner Bundeswehrzeit auf der Schreibstube. Wenn der Russe kommt, verweigert er ihnen einfach die Urlaubsscheine, dann sind sie aufgeschmissen!"
wusste ich beizutragen. Ein anderer meinte:
Ist das nicht ein Widerspruch?
Nein, wurden wir belehrt, das wäre nämlich so ... und der Redefluss plätscherte über ein oder zwei Stunden auf uns ein und wir bekamen Durst und wollten die Debatte in den Reichsadler, eine damals sehr beliebte Kneipe in Freiburg, verlagern. Unser neuer Mitbewohner war aber von seinem Umzug zu erschöpft und von der Erfolglosigkeit seiner Rede vielleicht auch zu frustriert? Wie dem auch sei, er ging ins Bett und wir in die Kneipe. Es wurde dann etwa später.

Einige Tage danach hing ein 2x2 Meter großes Transparent in unserer Küche, das in verschiedenen Farben für die FRELIMO oder die FNL oder eine andere Befreiungsbewegung warb, so genau weiß ich das nicht mehr. Nun war es so, dass wir den Befreiungsbewegungen der dritten Welt durchaus aufgeschlossen gegenüber standen, aber jeden morgen beim Frühstück und in Form von Parolen?

Einige waren dafür, unserem Neuen Prügel anzudrohen. Da ich als besonders ausgeglichen, zurückhaltend und freundlich galt, wurde ich schließlich beauftragt mit ihm zu reden.
Also, ich muss noch ein ganzes Jahr und wenn ich mir vorstelle ...
Die Diskussion ...
“Sag ihm, über politische Themen zu diskutieren ist o.k., aber Agitation und Propaganda am Frühstückstisch geht zu weit!"
wogte hin ...
“Genau, wir wollen keine Plakate und Flugblätter in der Wohnung!”
und her.
“Klappe, sonst Beule! ist der Kompromiss!”
Und so ging ich mit diesen Argumenten ausgestattet ans Werk. Am Abend nahm ich mir den Neuen beiseite und suchte unverfänglich das Gespräch:
“Heh, aus welcher Ecke kommst du eigentlich?“
Unverfänglich zu beginnen schien mir eine gute Idee zu sein.
“Aus dem Markgräfler Land.“
Ich war elektrisiert, das Markgräfler Land war eine tolle Gegend. Ich hatte schon viel davon gehört.
Er schien sich gut auszukennen und wusste Interessantes darüber zu erzählen...

Irgendwie lief unser Gespräch ganz gut, nur zum eigentlichen Thema „Agitation und Propaganda“ waren wir noch nicht vorgedrungen.
“Was macht eigentlich dein Vater?“
Ich versuchte dem Gespräch eine Wendung zu geben.
“Er ist Winzer!“
Ich stockte, ein wohliges Gefühl durchströmte mich. Ich war sicher: alles würde gut werden!
“Winzer?“
“Ja. Er baut hauptsächlich Burgunder an. Es ist nur ein kleiner Betrieb, nicht dass du denkst, ...“
“Aber nein, aber nein. Ich will dir doch keinen Vorwurf machen, dass dein Vater kein Proletarier ist. Schließlich kann niemand etwas für seine Eltern und Winzer ist ein schöner, altehrwürdiger Beruf!“
Und so kam es zu einem historischen Kompromiss zwischen dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands und der gutbürgerlichen Linken: er durfte einmal in der Woche an uns ran agitieren und wir bekamen lecker Stoff.

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jean stubenzweig, Montag, 8. Februar 2010, 06:45
Ai weh!
Ist das schön. Ein janzer Balin-Film saust durch meinen Kopf.

nnier, Montag, 8. Februar 2010, 09:40
Auch ich habe das mal wieder gerne gelesen.

jean stubenzweig, Montag, 8. Februar 2010, 15:06
Ich vermute mal,
bester Nnier, weil da irgendwie so bekannte Gefühle aufkommen. Der Gegend wegen. Da unten, meine ich. Oder kommen Sie nicht mehr so weit runter?

frankh, Montag, 8. Februar 2010, 16:57
Nicht nur die Jüngeren ...
auch die Ossis benötigen eine Aufklärung über das Kürzel KBW. Bei uns gab es auch keine 68er und APO.

jean stubenzweig, Montag, 8. Februar 2010, 18:06
Als etwas Älterer
greife ich dem Hausherrn vor: Komischer Bund Westberlins (das hatte Wikipedia da oben vergessen). Aber da gab's noch viel besseres. Die aus dem Osten. Die sind rüber in den Westen und haben dort aus der anderen Ostperspektive agitiert. Irgendwas mit SEW, meine ich. Sozialistische Einheitspartei Westberlin. Auf jeden Fall saß ich mal in einer solchen trauten Runde. Über Markgräfler Wein wurde da aber nicht gesprochen.

g., Dienstag, 9. Februar 2010, 06:04
Den Komischen Bund Westberlins haben Sie aber jetzt gerade erfunden?
Ach ja, und die S-E-Wisten aus der besonderen politischen Einheit, deren Studentenorganisation ADS (heute bezeichnet man so eine Kinderkrankheit) als Bündnisorganisation gedacht war. Nur wollten sich keiner mit ihnen verbünden und so gründeten sie eine weitere Bündnisorganisation, deren Namen ich vergessen habe, und so ging es weiter und weiter ...

Lieber frankh, dann hoffe ich, dass meine kurze Geschichte der 60er und 70er Jahre zur Aufklärung beigetragen hat. Wenn sie sich für diese Zeit interessieren, können Sie sich bei Gerd Könen m. E. gut informieren. Hier ist z.B. ein Interview mit ihm, das als Einstieg ganz gut ist.
Zum Thema 68 in der DDR: Ich kenne mich da nicht sehr gut aus, aber vielleicht waren ja die jugendkulturellen Initiativen rund um DT 64 und der Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings in einigen Aspekten der 68er-Zeit und der APO vergleichbar?
Was Sie aber, denke ich, wirklich nicht nachvollziehen können: „Der Russe“ war eine mythische Figur des Kalten Krieges. Dem zugrunde lag die Vorstellung von wilden asiatischen Reiterhorden, die unter Absingen schmutziger Lieder marodierend durch Weinberge und Dörfer ziehen und den Jahreswagen in eine Kolchose entführen.

vert, Montag, 8. Februar 2010, 22:02
auch ein historischer kompromiss zwischen dialekt und dialektik.

g., Dienstag, 9. Februar 2010, 06:14
Wein und Geist
standen schon immer in einem dialektischen Verhältnis oder wie man da unten sagt:
Aus der Kehle tönt ein dumpfer Schrei:
“Schütts nei, schütts nei!“