Georg Forster: Reise um die Welt 33
(Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
(Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
g. | Donnerstag, 16. Juli 2009, 07:20 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
“Ein Morgen war’s, schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, an welchem wir die Insel O-TAHITI, 2 Meilen vor uns sahen. Der Ostwind, unser bisheriger Begleiter hatte sich gelegt; ein vom Land wehendes Lüftchen führte uns die erfrischendsten und herrlichsten Wohlgerüche entgegen und kräuselte die Fläche der See. Waldgekrönte Berge erhoben ihre stolzen Gipfel in mancherley majestätischen Gestalten und glühten bereits im ersten Morgenstrahl der Sonne. Unterhalb derselben erblickte das Auge Reihen von niedrigern, sanft abhängenden Hügeln, die den Bergen gleich, mit Waldung bedeckt, und mit verschiednem anmuthigen Grün und herbstlichen Braun schattirt waren. Vor diesen her lag die Ebene, von tragbaren Brodfrucht-Bäumen und unzählbaren Palmen beschattet, deren königliche Wipfel weit über jene empor ragten. Noch erschien alles im tiefsten Schlaf; kaum tagte der Morgen und stille Schatten schwebten noch auf der Landschaft dahin. Allmählig aber konnte man unter den Bäumen eine Menge von Häusern und Canots unterscheiden, die auf den sandichten Strand heraufgezogen waren. Eine halbe Meile vom Ufer lief eine Reihe von niedrigen Klippen parallel mit dem Lande hin, und über diese brach sich die See in schäumender Brandung; hinter ihnen aber war das Wasser spiegelglatt und versprach den sichersten Ankerplatz. Nunmehro fing die Sonne an die Ebene zu beleuchten. Die Einwohner erwachten und die Aussicht begonn zu leben.Ob Forster die Meuterei auf der Bounty gesehen hat?
Kaum bemerkte man die großen Schiffe an der Küste, so eilten einige ohnverzüglich nach dem Strande herab, stießen ihre Canots ins Wasser und ruderten auf uns zu. Es dauerte nicht lange, so waren sie durch die Öffnung des Riefs, und eines kam uns so nahe, daß wir es abrufen konnten. Zwey fast ganz nackte Leute, mit einer Art von Turban auf dem Kopfe und mit einer Scherfe um die Hüften, saßen darinn. Sie schwenkten ein großes grünes Blatt in der Luft und kamen mit einem oft wiederholten lauten TAYO! heran, 1 ein Ausruf, den wir ohne Mühe und ohne Wörterbuch als einen Freundschafts-Gruß auslegen konnten. Das Canot ruderte dicht unter das Hintertheil des Schiffs, und wir ließen ihnen sogleich ein Geschenk von Glas-Corallen, Nägeln und Medaillen herab. Sie hinwiederum reichten uns einen grünen Pisang-Schoß zu, der bey ihnen ein Sinnbild des Friedens ist, und baten solchen dergestalt ans Schiff zu befestigen, daß er einem jeden in die Augen fiele. Dem zufolge ward er an die Wand (das Tauwerk) des Hauptmasts fest gemacht; worauf unsre Freunde sogleich nach dem Ufer zurückkehrten. Es währete nicht lange, so sahe man das Ufer mit einer Menge Menschen bedeckt, die nach uns hinguckten, indessen daß andere, voll Zutrauens auf das geschloßne Friedens-Bündniß, ihre Canots ins Wasser stießen und sie mit Landes-Producten beladeten. In weniger als einer Stunde umgaben uns Hunderte von dergleichen Fahrzeugen in deren jedem sich ein, zwey, drey zuweilen auch vier Mann befanden. Ihr Vertrauen zu uns gieng so weit, daß sie sämtlich unbewafnet kamen. Von allen Seiten erschallte das willkommne TAYO! und wir erwiederten es mit wahrhaftem und herzlichen Vergnügen über eine so günstige Veränderung unsrer Umstände. Sie brachten uns Coco-Nüsse und Pisangs in Überfluß, nebst Brodfrucht und andern Gewächsen, welche sie sehr eifrig gegen Glas-Corallen und kleine Nägel tauschten. Stücken Zeug, Fisch-Angeln, steinerne Äxte, und allerhand Arten von Werkzeugen wurden gleichfalls zum Verkauf angebothen und leicht angebracht. Die Menge von Canots, welche zwischen uns und der Küste ab- und zu giengen, stellte ein schönes Schauspiel, gewissermaßen eine neue Art von Messe auf dem Wasser dar.“
1 Bougainvilles Reisen.
(Forster S. 241/2)
Aber was ein locus amoenus ist, dürfte ihm bekannt gewesen sein.
Hier sehen wir wohl die Geburt eines modernen Mythos.
jean stubenzweig,
Donnerstag, 16. Juli 2009, 07:57
Moderner Mythos
im Sinne von Tourismus in aufgehobener Zeit, sprich Idylle? Dann wäre es ja eine Renaissance.
Oder ist's (heute) für mich noch zu früh zum Lesen ud Verstehen?
Oder ist's (heute) für mich noch zu früh zum Lesen ud Verstehen?
g.,
Montag, 20. Juli 2009, 07:37
Meine Gedanken waren folgende: Zunächst ist mir der literarische Aufbau der Szene ins Auge gesprungen: die Morgenstimmung, Berge und eine beschattete Ebene mit Brotfruchtbäumen und Palmen, schlafende, friedliche Eingeborene, die dann einen Markttag veranstalten. Der Drehbuchschreiber für die ‚Meuterei auf der Bounty’ hat sich möglicherweise an dieser Schilderung orientiert, zumindest sind die beiden Szenen fast identisch. Und dieses Bild der Südsee scheint auch heute noch allerorten in den Köpfen herum zu spuken. Wer in die Südsee fährt erwartet pittoreske Eingeborene, die einem Blumenkränze um den Hals legen und nicht wilde Maorikrieger. Da die ‚Reise um die Welt’ im 18. und 19. Jahrhundert ein echter Bestseller war (und wohl auch in mehrere europäische Sprachen übersetzt wurde) scheint mir hier die Geburtsstunde dieser Vorstellungen zu liegen.
An die Idyllen von Theokrit oder Vergil dachte ich dabei nicht. Wenn ich mir die beiden verlinkten Beispiele ansehe scheint mir die Unterschiedlichkeit der Naturvorstellungen größer als die Gemeinsamkeiten zu sein, aber ich kenne mich mit der Antike nicht gut aus. Wenn man sich allerdings die poetischen Ergüsse von Johann Heinrich Voß ansieht, der ja einer der wirkungsmächtigsten Vermittler griechischer und römischer Dichtung im 18. und 19. Jahrhundert war, könnte man durchaus zu dem Schluss kommen, dass hier der Versuch einer Anknüpfung vorliegt. Aus heutiger Sicht würde man vielleicht nicht von Wiedergeburt reden, da zur antiken „schönen“ Naturvorstellung, sprich befriedeter Natur, wohl sehr viel stärker das Gegenbild der wilden, ungezähmten Natur gehörte: auch in den idyllischen Hainen der Götter musste man jederzeit damit rechnen, dass Pan aus den Büschen hervorbricht und Schrecken verbreitet. Bei Voß und, so denke ich, auch in der oben zitierten Stelle von Forster zeigt sich eher die idyllische Natursehnsucht des aufgeklärten Bürgertums.
Der Tourist des 20. und 21. Jahrhunderts sucht, sei es in der gebildeten Variante oder als Ballermann, glaube ich, weniger die idyllische Natur, eher geht es um das Erhabene, das aus dem Alltagsfron erlöst.
An die Idyllen von Theokrit oder Vergil dachte ich dabei nicht. Wenn ich mir die beiden verlinkten Beispiele ansehe scheint mir die Unterschiedlichkeit der Naturvorstellungen größer als die Gemeinsamkeiten zu sein, aber ich kenne mich mit der Antike nicht gut aus. Wenn man sich allerdings die poetischen Ergüsse von Johann Heinrich Voß ansieht, der ja einer der wirkungsmächtigsten Vermittler griechischer und römischer Dichtung im 18. und 19. Jahrhundert war, könnte man durchaus zu dem Schluss kommen, dass hier der Versuch einer Anknüpfung vorliegt. Aus heutiger Sicht würde man vielleicht nicht von Wiedergeburt reden, da zur antiken „schönen“ Naturvorstellung, sprich befriedeter Natur, wohl sehr viel stärker das Gegenbild der wilden, ungezähmten Natur gehörte: auch in den idyllischen Hainen der Götter musste man jederzeit damit rechnen, dass Pan aus den Büschen hervorbricht und Schrecken verbreitet. Bei Voß und, so denke ich, auch in der oben zitierten Stelle von Forster zeigt sich eher die idyllische Natursehnsucht des aufgeklärten Bürgertums.
Der Tourist des 20. und 21. Jahrhunderts sucht, sei es in der gebildeten Variante oder als Ballermann, glaube ich, weniger die idyllische Natur, eher geht es um das Erhabene, das aus dem Alltagsfron erlöst.
jean stubenzweig,
Montag, 20. Juli 2009, 08:04
Schlüssig
haben Sie nachgedacht. So scheint es mir. Aber es ist schon wieder so früh am Morgen. Für mich heißt das (jetzt) Sandmännchen. Und auch dann fällt mir das Denken schwer. Wie überhaupt. Ich lese das später nochmal. Vielleicht wird's ja noch was mit dem Denken. Bei mir.