Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 14. Juli 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 31
( Reise von Dusky-Bay nach Charlottensund – Wiedervereinigung mit der Adventure – Verrichtungen daselbst)
“Unsre Matrosen hatten seit der Abreise vom Cap mit keinen Frauenspersonen Umgang gehabt; sie waren also sehr eifrig hinter diesen her, und aus der Art wie ihre Anträge aufgenommen wurden, sahe man wohl, daß es hier zu Lande mit der Keuschheit so genau nicht genommen würde, und daß die Eroberungen eben nicht schwer seyn müßten. Doch hiengen die Gunstbezeigungen dieser Schönen nicht blos von ihrer Neigung ab, sondern die Männer mußten, als unumschränkte Herren, zuerst darum befragt werden. War deren Einwilligung durch einen großen Nagel, ein Hemd oder etwas dergleichen erkauft; so hatten die Frauenspersonen Freiheit mit ihren Liebhabern vorzunehmen was sie wollten, und konnten alsdenn zusehen noch ein Geschenk für sich selbst zu erbitten. Ich muß indessen gestehen, daß einige derselben sich nicht anders als mit dem äußersten Wiederwillen zu einem so schändlichen Gewerbe gebrauchen ließen, und die Männer mußten oft ihre ganze Autorität ja sogar Drohungen anwenden, ehe sie zu bewegen waren, sich den Begierden von Kerlen preis zu geben, die ohne Empfindung ihre Thränen sehen und ihr Wehklagen hören konnten. Ob unsre Leute, die zu einem gesitteten Volkgehören wollten und doch so viehisch seyn konnten, oder jene Barbaren, die ihre eigenen Weibsleuthe zu solcher Schande zwungen, den größten Abscheu verdienen? Ist eine Frage, die ich nicht beantworten mag. Da die Neu-Seeländer fanden, daß sie nicht wohlfeiler und leichter zu eisernem Geräthe kommen konnten, als vermittelst dieses niederträchtigen Gewerbes; so liefen sie bald genug im ganzen Schiffe herum und bothen ihre Töchter und Schwestern ohne Unterschied feil. Den VERHEIRATHETEN Weibern aber, verstatteten sie, so viel wir sehen konnten, nie die Erlaubniß, sich auf ähnliche Weise mit unsern Matrosen abzugeben. Ihre Begriffe von weiblicher Keuschheit sind in diesem Betracht so sehr von den unsrigen verschieden, daß ein unverheirathetes Mädchen viele Liebhaber begünstigen kann, ohne dadurch im mindesten an ihrer Ehre zu leiden. So bald sie aber heirathen, wird die unverbrüchlichste Beobachtung der ehelichen Treue von ihnen verlangt. Da sie sich solchergestalt, aus der Enthaltsamkeit unverheiratheter Frauenspersonen nichts machen, so wird man vielleicht denken, daß die Bekanntschaft mit ausschweifenden Europäern den moralischen Character dieses Volkes eben nicht verschlimmert haben könne: Allein wir haben alle Ursach zu vermuthen, daß sich die Neu-Seeländer zu einem dergleichen schändlichen Mädchen-Handel nur seitdem erst erniedrigt hatten, seitdem vermittelst des Eisengeräthes neue Bedürfnisse unter ihnen waren veranlaßt worden. Nun diese einmal statt fanden, nunmehro erst verfielen sie, zu Befriedigung derselben, auf Handlungen an die sie zuvor nie gedacht haben mochten und die nach unsern Begriffen auch nicht einmal mit einem Schatten von Ehre und Empfindsamkeit bestehen können.
Es ist Unglücks genug, daß alle unsere Entdeckungen so viel unschuldigen Menschen haben das Leben kosten müssen. So hart das für die kleinen, ungesitteten Völkerschaften seyn mag, welche von Europäern aufgesucht worden sind, so ists doch warlich nur eine Kleinigkeit in Vergleich mit dem unersetzlichen Schaden, den ihnen diese durch den Umsturz ihrer sittlichen Grundsätze zugefügt haben. Wäre dies Übel gewissermaßen dadurch wieder gutgemacht, daß man sie wahrhaft nützliche Dinge gelehrt oder irgend eine unmoralische und verderbliche Gewohnheit unter ihnen ausgerottet hätte; so könnten wir uns wenigstens mit dem Gedanken trösten, daß sie auf einer Seite wieder gewonnen hätten, was sie auf der andern verlohren haben mögten. So aber besorge ich leyder, daß unsre Bekanntschaft den Einwohnern der Süd-See DURCHAUS nachtheilig gewesen ist; und ich bin der Meinung, daß gerade diejenigen Völkerschaften am besten weggekommen sind, die sich immer von uns entfernt gehalten und aus Besorgniß und Mistrauen unserm Seevolk nie erlaubt haben, zu bekannt und zu vertraut mit ihnen zu werden. Hätten sie doch durchgängig und zu jeder Zeit in den Minen und Gesichtszügen derselben den Leichtsinn lesen und sich vor der Liederlichkeit fürchten mögen, welche den See-Leuten und mit Recht zur Last gelegt wird!-„
(Forster S. 206 - 8)
Selbst die Begründung für Prostitution hat sich bis heute erhalten. Ob in späteren Schriften von Forster Überlegungen zu Herrschaft oder Machtverhältnissen beim Aufeinandertreffen von Gruppen und Gesellschaften eine Rolle spielen?

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