Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Montag, 3. August 2009
„Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit, ...“
Der französische Apotheker Émile Coué bereiste in den 20er Jahren europäische und amerikanische Großstädte, um seine neue Lehre zu verkünden. Zur Verbesserung des Wohlbefindens sollten sich die Menschen, gemäß seiner auto-sugestiven Psychologie, jeden Morgen und jeden Abend etwa 20 mal vorsagen:
„Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser!“
Dabei sollte es völlig unerheblich sein, ob man an seine Lehre glaubt oder nicht. Damit war sie auch agnostikertauglich und sehr praktisch.

Wohlan, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn sie sich in der Frühe etwas antriebslos fühlen, wenn ihnen die Aussicht, sagen wir mal, in einem Schlachthof acht Stunden Schweinedärme zu säubern, nicht behagt, dann stellen sie sich beim Zähneputzen vor den Spiegel, verneigen sich auf japanische Art fortwährend vor sich selbst und sagen halblaut zu ihrem Spiegelbild:
„Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,
Ich gehe gern zur Arbeit, ich gehe gern zur Arbeit,...“

Probieren sie es doch einfach mal aus.

Als vor einigen Jahren ein großer Pillendreher unseren kleineren Berliner Pillendreher übernahm, brachte er auch seine Unternehmenskultur mit und so darf die nun gemeinsame Marketingabteilung ihre neuesten Kreationen auch in Berlin an den Mitarbeitern ausprobieren.
Da kann es ihnen passieren, dass sie zu Arbeitsbeginn an einem kleinen Ratespiel teilnehmen dürfen: Welche Antibabypille passt zu welchem Frauentypus? Sie wussten bislang nicht, dass die Pille ein Lifestyleprodukt ist? Na egal, sie haben ja vor der Arbeit genug Zeit zum üben.

Klaglos erdulden die Mitarbeiter die morgendliche Prozedur.

Vor einiger Zeit nun entwickelte die Marketingabteilung einen Bildschirmschoner, der die Vorzüge eines sehr bekannten Schmerzmittels darstellt und kam dabei auf die Idee nicht nur grafische Elemente zur Gestaltung einzusetzen. Immer wenn das Schmerzmittel in einem Glas Wasser aufschäumt, ertönt ein leises (britzel, britzel) . Das Wasser schäumt und schäumt, (britzel, britzel) die Vorzüge des Medikaments werden eingeblendet, (britzel, britzel) , verschiedene Situationen, in denen das Mittelchen hilfreich ist, werden geschildert, (britzel, britzel) so weit, so gut.
Der Schoner wurden allen Mitarbeitern automatisch aufgespielt.
Wenn sie über lange Stunden am Rechner sitzen und Text schreiben oder Daten eingeben, ist der Bildschirmschoner nicht aktiv.
Dies ist jedoch nicht bei jedem Mitarbeiter und nicht jeden Tag der Fall. Sie lesen einen längeren Text, sanft ertönt im Hintergrund (britzel, britzel) , sie lesen weiter, (britzel, britzel) sie lesen den Text von neuem, (britzel, britzel) sie konzentrieren sich, (britzel, britzel) sie gehen entnervt zu ihrem Kollegen, hinter ihnen ertönt es leise (britzel, britzel) . Ihr Kollege hat schlechte Laune (britzel, britzel) , er kann sich nicht konzentrieren (britzel, britzel) . Sie gehen zurück in ihr Büro. (britzel, britzel)

Noch nie in der Unternehmensgeschichte wurde ein Bildschirmschoner schneller entfernt. (britzel, britzel)

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