Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Mittwoch, 26. August 2009
Bionade oder Bastonade
schoss mir letztens durch den Kopf. Und die Geschichte dazu geht so:
Ich kaufe ja ganz gerne im Biosupermarkt ein. Weil: a bisserl weniger Gift ist ja nicht völlig verkehrt und meistens schmeckt das Zeug einfach besser und Supermarkt, weil man da nicht so ‚Grün im Gesicht’ wird und meistens untertourige Zeitgenossen vermeiden kann. Aber eben nicht immer.
Eine Herr Mitte Zwanzig, Fusselfrisur war durstig und ist mit Kind und Kinderwagen in den Bioladen gegangen, um sich ein Erfrischungsgetränk zu kaufen. Ist ja auch völlig in Ordnung, Durst hat schließlich jeder. Er ist vor mir in der Kassenschlange und nimmt annähernd drei Meter Raum ein.

Haben sie sich schon mal gefragt, warum die Kindertransportmittel nicht mehr klein und praktisch, zusammenklappbar und ruckzuck im Auto verstaubar sind? Ich denke, es hat mit dem Personalabbau bei Rüstungsfirmen zu tun. So ein Ingenieur baut jahrelang Panzer und Haubitzen, landet dann bei einer Firma für Kinderwagen und soll sich plötzlich umstellen? Der Geist lebt fort, sage ich ihnen. Und warum die Panzerkonstrukteure im Kinderbusiness gelandet sind? Zufall ist das sicher nicht ...

„Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“
Das Kind guckt verwirrt, die Schlange wurde länger.
„Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“
Das Kind strahlt, die Schlange wurde länger.
„Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“
Das Kind lächelt ihren Papa an, die Schlange wurde länger, die Kassiererin ruft:
„Könnte mal jemand kommen und eine weitere Kasse aufmachen?“
„Gleich“, tönt es dumpf aus dem Lager. Die Schlange wurde länger.
„Ah, Duziduziduzi, ah, Duziduziduzi…“ Das Kind ist verwirrt, die Schlange wurde länger.
„Ähem,“ hob ich an.
„Mein Gott, nun hab‘ dich doch nicht so, es ist doch noch ein Kind!“
„Schon, nur …“ versuchte ich zu argumentieren. Es sollte etwa so aussehen: Es sei heiß und ich käme von der Arbeit und ich hätte Hunger und meine Frau käme dann auch in einer Stunde und die sei auch müde und verschwitzt und hätte Hunger und ob er nicht so freundlich sein könnte … und im Übrigen ginge es ja nicht um das Kind, sondern darum, dass er mit seinem riesigen Gefährt, und Duziduziduzi könne er auch noch später und überhaupt draußen? So ungefähr, aber ich kam ja nicht dazu.
„Typisch deutsch, völlig uncool. Kein Wunder, dass immer weniger Leute Kinder haben wollen. Darüber solltest du mal nachdenken!“
Ja is klar, nachdenken. Vielleicht darüber, dass es mir unangenehm ist von fremden, sehr unsympathischen Leuten geduzt zu werden? Oder über Coolness?

Es sind ja nicht nur die Grüngesichtigen, die Hobbymusiker (früher waren die Bob-Marley-Fans und heute?), die Freizeitpunks und die Pendler (wo sind die Energieströme?) die ‚cool’ sein müssen oder wollen, auch die Alkoholleichen, die am Sonnabend über den Boxhagener Markt nach Hause wanken und selbst die freidemokratischen Minderleister mit ihren Konfirmationsanzügen und die kaugummikauenden Rotzgören aus Reinickendorf wollen ‚cool’ sein. Coole sind eine Plage. Hier ist es vielleicht angebracht innerhalb der Abschweifung abzuschweifen. Vor langer Zeit war ich mal auf der schönen Insel San Andrés in der Karibik: Palmenstrände, Musik und scharf gewürztes Essen, eben ganz so wie man sich die Karibik vorstellt. Und richtig coole Leute, genauer gesagt: Männer, den irgendwer muss auch in der Karibik arbeiten und das sind hier die Frauen. Als wir am frühen Nachmittag im Hotel ankamen, hielten die Damen ein Mittagschläfchen und die Herren saßen in ihren Hängematten und beobachteten die Welt. Die Luft hatte gefühlte 50 Grad, wir waren seit sechs Uhr auf den Beinen, hatten uns durch den Zoll gequält, waren eine Stunde mit unseren Rucksäcken durch die Mittagshitze gestiefelt, weil das einzige Taxi der Insel auf Tour war und stanken wie die Iltisse. Wir wollten ein Zimmer, wir wollten etwas zu trinken und wir wollten duschen. Die fünf Herren von 15 bis 75 Jahren waren außerstande, sich zu erheben oder Auskunft zu geben, ob und wann ein Zimmer zur Verfügung steht. „Cool down, man!“ Ja, Ne, is klar, aber... „Just wait, my daughter will manage later.“ Ach ja, gut, aber ist denn noch ein Zimmer frei? “We will see later, cool down.” Coole Jungs sind etwas für ausgeruhte Menschen. Als wir am nächsten Tag am frühen Nachmittag mit einem Drink in der Hand in unseren Hängematten saßen und der nächste Touristenschub dreckig, erschöpft und verschwitzt ankam, konnten wir vieles entspannter sehen.

„1,49“ sagte die Kassiererin. 1,49? Da war doch noch was? Ach richtig, bezahlen, Geld, wo isses denn? Es war doch irgendwo? In der Buxe? Nein, es ist im Laderaum seine Hummer. Dabei musste er sich zu dem Kind hinab beugen, das inzwischen wieder verstaut war. Sie ahnen es: „Duziduziduzi“ und das war der Moment in dem mir Kara Ben Nemsi und sein Gleitbrief des Padischah einfiel, der es ihm ermöglichte im Namen von Frieden und Gerechtigkeit einen grässlichen Schurken, dessen Namen und Verfehlung ich vergessen habe, mit der Bastonade zu beglücken.

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