Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Montag, 13. Juli 2009
Wie ich ums Haar einem östlichen Nachbarn einen freundschaftlichen Hinweis gab
Lehrter Bahnhof, Hauptbahnhof, früher Abend:
Schrumps, die Tür der S-Bahn öffnet sich. Eine Frau, ein Mann, beide Anfang 20. Die Frau erzählt dem jungen Mann etwas.

„Ahnha?“ sagt er. Die Frau redet und redet. Ich kann kein Polnisch, der Tonfall und die Melodie ist einem aber in Berlin im Ohr. Quietsch, Schmatz, die Tür schließt sich. Nächste Stationen: Friedrichstraße, Hackescher Markt, Alexanderplatz lese ich, die Frau redet.

„Ahnha!“ sagt er, die Frau redet. Ich verstehe kein Wort. „Nächster Halt: Friedrichstraße, Ausstieg links.“ „Pah Pah Pah Pah, Pah Pah“, die Frau redet. Tür auf, Menschen strömen herein. Tür zu: Quietsch, Schmatz! Nächste Stationen: Hackescher Markt, Alexanderplatz, Jannowitzbrücke. „Pah Pah Pah Pah, Pah Pah“:

„Ahnha?“ sagt er. Sie redet engagiert, mustert ihn dabei von oben nach unten. „Pah Pah Pah Pah, Pah Pah.“ „Ausstieg links“, höre ich. Quietsch, Schmatz! Der Zug hat sich mit Studenten gefüllt. Die junge Frau redet und redet. Nächste Stationen: Alexanderplatz, Jannowitzbrücke, Ostbahnhof.

„Ahnha!“ Nicht auf die Brüste starren, junger Mann. Das tut man nicht, oder höchstens so, dass es keiner sieht und die Angebetete es bestenfalls erahnen kann. „Pah Pah Pah, Pah Pah...“ Schrumps: die Tür öffnet sich, Studenten raus, Touristen rein. Quietsch, Schmatz! Nächste Stationen: „Pah Pah Pah, Pah Pah!“ Nächster Halt: Jannowitzbrücke. Schrumps, Touristen raus, Malocher rein. Quietsch, Schmatz! „Pah Pah Pah, Pah Pah“:

„Ahnha!“ ‚Das wird nix!’ denke ich, ihr hättet schon längst aussteigen müssen, an die Spree, spazieren gehen oder in einen Biergarten. Sie redet zu viel, lass es. Stell dir doch mal vor: Wenn sie immer so viel redet? Nächste Stationen: Ostbahnhof, Warschauer Straße, Ostkreuz. Sie redet und redet: „Ahnha?“ „Pah Pah, Pah Pah!“

„Ahnha!“ „Pah Pah, Pah Pah!“ Irgendwann höre ich nicht mehr zu, gelegentlich weht ein „Ahnha!“ nach Lüdenscheid in die Reaktionen auf Marcel Hai Precht hinein. „Ausstieg links“, „Pah Pah Pah, Pah Pah.“ Schrumps, Quietsch, Schmatz! Ich muss aussteigen. „Pah Pah Pah, Pah Pah.“ Der junge Mann aus Polen hört immer noch zu und bevor ich meine Fuß auf den Bahnsteig setze, drehe ich mich um, sehe ihm ins Gesicht und beinahe hätte ich gesagt:
„Lass es, das wird nix! Glaub’ mir!“

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