Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Bahnhof Zoo, der Zug fährt ein ...
Aus der S-Bahn steigt eine Frau, Ende 50, Pagenfrisur, verhärtetes Gesicht und eine 17jährige, eher unbedarft wirkend. Ihre Nichte vermute ich.
Sie trug ein isabellenfarbiges, schusssicheres Kostüm aus Naturfasern und ebensolchen Knöpfen. Ihr Schneider war reich.

‚isabellenfarben’ werden sie sich wahrscheinlich fragen, was soll das sein? Nun, dazu müssen wir etwas ausholen, gar in der europäischen Geschichte einige hundert Jahre zurückgehen, doch zunächst muss ich sie an Albert Vigoleis Thelen (1, 2) erinnern,

der nach dem Krieg, also nach dem vorletzten oder vorvorletzten? lassen sie mich überlegen: aktuell sind wir in Afghanistan im Kriege, wobei ich nicht so genau weiß warum, denn die Afghanen sind eigentlich netten Leute, sie haben uns nicht angegriffen, daran könnte ich mich erinnern. Und vor dem Afghanistankrieg haben wir gegen die Serben Krieg geführt, die zwar schlecht kochen, aber das ist eigentlich kein Grund jemand mit Bomben zu bewerfen? Zumindest hätte man viele Kriege zu führen, wenn man alle die schlecht kochen ... Ob jetzt davor oder danach noch ein Krieg war, kann ich ihnen so spontan aus dem Gedächtnis auch nicht sagen, insofern könnte es auch der vorvorletzte Krieg gewesen sein?

Je nun, also nach dem zweiten Weltkrieg schrieb Albert Vigoleis Thelen „Die Insel des zweiten Gesichts, Aus den angewandten Erinnerungen des Vigoleis“. Es ist eine Geschichte über Albert Thelen, genannt Vigoleis, seine Gefährtin Beatrice und Zwingli auf Mallorca während des Krieges, der Nazizeit, dem spanischen Bürgerkrieg und der Francodiktatur.

Also ihren Bruder Zwingli, nicht den Schweizer Reformator, der sich 1522 mit seiner Schrift »Von erkiesen und fryheit der spysen« gegen das Fastengebot aussprach, obwohl Beatrice und Zwingli Schweizer sind und da es sich um angewandte Erinnerungen handelt, kann man natürlich nicht so genau sagen, ob nicht doch der Reformator ... aber lassen wir das.

Im zweiten Gesicht geht es dem Zwingli ziemlich schlecht, er hat sich in Palma de Mallorca in eine Dame von zweifelhaften Ruf verliebt, seine Stellung als Hotelmanager und insbesondere auch sein Äußeres vernachlässigt, so dass sein Hemd isabellenfarbig wurde. Um zu erklären, was es mit dem isabellenfarbigen auf sich hat, muss der Vigoleis historisch werden und weil wir hier von einem isabellenfarbigen Kostüm reden, müssen wir’s eben auch:

„Als Erzherzog Albrecht von Österreich, Statthalter der spanischen Niederlande, im Sommer des Jahres 1601 die Stadt Ostende zu belagern begann, gelobte Isabella, die Tochter Philipps II., welche dem Gemahl die Niederlande als Brautschatz zubrachte, daß sie ihr Hemd nicht eher wechseln wolle, bis sich der Platz den Spaniern übergeben habe. Am 30. September A.D. 1604 erfolgte die Einnahme der Feste. Mehr als drei Jahre hat Isabella ihr Hemd auf dem Leibe getragen, ohne sich durch eine Verletzung des Gelübdes den Vorwurf der sittlichen Untreue zugezogen zu haben. Der Sporn für den Gemahl war natürlich groß, aber die Königstochter hatte die Widerstandskraft des Gegners unterschätzt. Als sie unter den Klängen der Siegesfanfaren das Hemd in die Wäsche gab, bot es sich in einer Tinte dar, die heutzutage ihren Namen trägt: bräunlich-weißlich-gelb, wie Milchkaffee, das nennt man isabellenfarben. An der Wahrheit der Überlieferung wird wohl niemand zweifeln wollen, soweit es die Tönung betrifft. Ich selbst halte auch die Hintergründe für echt. Wer sollte schon ein Interesse haben, so etwas zu erfinden?“
(Thelen S. 43)

also nicht Isabella von Kastilien, wie es in dem Lied heißt, ist gemeint, sondern die Tochter von Philipp II., König von Spanien, der insbesondere durch den Verlust seiner Armada in die Weltgeschichte einging.

Das Lied über die schöne Isabella von Kastilien kenn sie doch?

„Schöne Isabella von Kastilien,
pack deine ganzen Utensilien
und komm zurück zu mir nach Spanien!

Du weißt doch, nur im schöne Lande der Toreros
bist du dein Herzchen und noch mehr los.
Drum komm zurück zu mir nach Spanien.
Kommst du nicht bald, mein Schatz,
brauch ich Gewalt, mein Schatz.
Ich mach es Halt, mein Schatz,
wenn du mich küßt, und du wieder bei mir bist,
also bitte, bitte!

Schöne Isabella von Kastilien,
pack deine ganzen Utensilien
und komm zurück zu mir nach Spanien!“

...

Aber, wie schon gesagt, um Isabella von Kastilien geht es nicht und über unsere Isabella weiß ich nichts weiter.
Unreinlichkeit will ich jetzt aber unserer flüchtigen Bekanntschaft vom Bahnhof Zoo nicht unterstellen, zumal mir spontan die Sekte der Geschruppten, die Anhänger des Backzwang, in den Sinn kamen und diese waren eher für ihre Reinlichkeit und Geschäftstüchtigkeit gerühmt, wenn auch nicht von jedermann geachtet.
Die beiden unterhalten sich angestrengt.
Plötzlich der Satz: “Ich habe die ganze Welt gesehen!” Das Ganze fast gebrüllt, mit einer mühsam beherrschten Aggressivität, die mich aufhorchen ließ. Sie verschwinden Richtung Ausgang. Beinahe wäre ich den Beiden hinterher geschlichen, um zu erlauschen, wie es weiter ging.

Was geschah vorher? Was anschließend? Warum ist das Gespräch zwischen den Beiden so entglitten und vor allem: Hat die Kleine noch eine geschallert bekommen?
So etwas interessiert einen doch!

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jean stubenzweig, Freitag, 22. Januar 2010, 13:00
Solche Farbbestimmungen
sind wohlleserlich. Nicht so farbtheorieüberfrachtet. Eher für die Sendung mit der Maus für sogenannte Erwachsene (gucken da überhaupt andere zu?): Kinder, wo kommen die Farben her?

Und: Ach, wären Sie doch hinterher. So etwas interessiert einen doch!

g., Samstag, 23. Januar 2010, 05:52
Irgendwann
lege ich mir so einen Tarnumhang zu, wie ihn Harry Potter hat und dann stiefle ich den Leuten hinterher, stelle mich neben sie und lausche. Dann wird's was geben!

g., Montag, 25. Januar 2010, 05:45
Sie bringen mich immer auf Sachen ...
eine literarische Farbenkunde wäre auch noch mal ein schönes Thema.