Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 3. August 2010
Kartoffellied III
Das Lied von der verunglückten Kartoffel

Zur Nacht auf ihrem Lager lag
Eine arme, kranke Kartoffel.
Sie hob sich matt empor und sprach,
Sie sprach zu dem armen Stoffel:

»O Stoffel, unglücklicher Mann,
Ich fühl's, daß ich sterben werde!
Schon kommt der Tod, der schlimme, heran
Und rafft mich von der Erde.

Zwar frag ich nach mir selber nicht,
Nicht will ich mich bedauern.
Doch wenn ich schaue dein bleich Gesicht,
Da muß ich trauern und trauern.

Dir blüht kein Wein und Weizen nicht,
Hast weder Ochs noch Rinder,
O Stoffel, bist ein armer Wicht,
Du hast nur hungrige Kinder.

Was wird aus deinen Kindern nun,
Die fröhlich waren noch gestern,
Wenn ich bald werde im Grabe ruhn
Mit all meinen lieblichen Schwestern?

Sie starben in Ober- und Niederland,
Sie starben mit Weh und Gewinsel,
Sie starben an Englands weißem Strand
Und auf der smaragdenen Insel.

Sie starben, und ach, ich folg ihnen nach!
So sprach die kranke Kartoffel.
Sie schwieg, und das Herz, das Herz ihr brach –
Aufschluchzte der arme Stoffel

Und weinte die Nacht mit Weib und Kind,
Und der Hunger, der wollte nicht weichen.
Dumpf brauste der kalte Novemberwind
In den prächtigen deutschen Eichen.
(Georg Weerth)

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Montag, 2. August 2010
„Entschuldigens?“
Samstags auf dem Boxhagener Markt, vor meinem Zigarettenladen. Ein junger Mann mit unstetem Blick spricht mich in einem österreichischem Dialekt an:
„Entschuldigen S’, aber ich bin heut’ net so gut drauf, könntens mir net einen bloasn?“
„Äh? Nö!“

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Freitag, 30. Juli 2010
“I would prefer not to”
Ist einer jener Sätze, die man sich für das eigene Leben tunlichst merken sollte.
“It was on the third day, I think, of his being with me, and before any necessity had arisen for having his own writing examined, that, being much hurried to complete a small affair I had in hand, I abruptly called to Bartleby. In my haste and natural expectancy of instant compliance, I sat with my head bent over the original on my desk, and my right hand sideways, and somewhat nervously extended with the copy, so that immediately upon emerging from his retreat, Bartleby might snatch it and proceed to business without the least delay.

In this very attitude did I sit when I called to him, rapidly stating what it was I wanted him to do—namely, to examine a small paper with me. Imagine my surprise, nay, my consternation, when without moving from his privacy, Bartleby in a singularly mild, firm voice, replied, “I would prefer not to.”

I sat awhile in perfect silence, rallying my stunned faculties. Immediately it occurred to me that my ears had deceived me, or Bartleby had entirely misunderstood my meaning. I repeated my request in the clearest tone I could assume. But in quite as clear a one came the previous reply, “I would prefer not to.”

“Prefer not to,” echoed I, rising in high excitement, and crossing the room with a stride. “What do you mean? Are you moon-struck? I want you to help me compare this sheet here—take it,” and I thrust it towards him.

“I would prefer not to,” said he.
(Herman Melville: Bartleby)

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Donnerstag, 29. Juli 2010
Familiengeschichten V: Die Tochter des R.
R. habe ich so 1983/84 kennengelernt. Eine Riese mit sanften und mit ungehobelten Seiten. Er konnte zuhören, aufmerksam nachfragen und niederpöbeln gleichermaßen.

Er erzählte mir, wie er 1944 aus der Wehrmacht desertiert ist und nach England ging und wie sie ihn nach dem Krieg deswegen angepöbelt haben. Ob er zu feige gewesen sei, das Vaterland zu verteidigen, wurde er gefragt. Er habe dann immer geantwortet, dass es bedeutend mehr Mut erfordert habe, Befehle zu verweigern und dass er mit der Schlächterei, die auch in seinem Namen betrieben wurde, nicht zu tun haben wollte. Zumindest den Naiven und Dummen habe er so geantwortet, denen die Krieg, Terror und Vernichtung gut geheißen haben, hätte er Prügel angedroht. Menschen, die seine Entscheidung als Jugendlicher sich dem zu verweigern, gut geheißen hätten, habe er nur sehr selten getroffen.

Er hat auch die antikommunistische Hetze der 50er Jahre nicht mitgemacht: „So lange wie alte Nazis in diesem Land an den Schalthebeln der Macht sitzen, werde ich jeden Kommunisten umarmen und als meinen Freund begrüßen.“ Sie sehen, er konnte sich auch theatralisch geben.

Als in 80ern die Solidarność gegründet wurde, war er einer der ersten, die sie unterstützten. Er fuhr immer mal wieder nach Gdańsk und Kraków , brachte Geld vorbei, aß sehr viele polnische Würste und unterhielt sich. Glücklicherweise kam er nie mit dem polnischen Geheimdienst ins Gehege. Später dachte er viel darüber nach, ob der weitere Entwicklungsweg der Solidarność nicht schon damals zu erahnen gewesen war. Im Nachhinein ist man ja immer schlauer, lachte er dann.

Er arbeitete und rauchte, trank und aß mehr, als er es hätte tun sollen und er liebte die Frauen. In Momenten, in denen er sich unbeobachtet wähnte, verfiel sein fröhliches Gesicht und wurde alt und grau.

Wenige Jahre nachdem ich ihn kennengelernt hatte, starb er.

Zwanzig Jahre später traf ich durch Zufall seine Tochter. Wir wurden vorgestellt und ich fragte sie nach einer Weile, ob sie denn mit dem R. etwas zu tun hätte? Ja, das wäre ihr Erzeuger. Ich hatte nicht weiter nachgefragt, sie machte ungeachtet dessen, eine Reihe von abfälligen Bemerkungen über den R.

Unversöhnlich weit über den Tod hinaus.

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Mittwoch, 28. Juli 2010
Kartoffellied II
Die Kartoffelernte

Kindlein, sammelt mit Gesang
Der Kartoffeln Überschwang!
Ob wir voll bis oben schütten
Alle Mulden, Körb' und Bütten;
Noch ist immer kein Vergang!

Wo man nur den Bulten hebt,
Schaut, wie voll es lebt und webt!
O die schöngekerbten Knollen,
Weiß und rot, und dick geschwollen!
Immer mehr, je mehr man gräbt!

Nicht umsonst in bunter Schau
Blüht' es rötlich, weiß und blau!
Ward gejätet, ward gehäufet:
Kindlein, Gottes Segen reifet!
Rief ich oft, und traf's genau!

Einst vom Himmel schaute Gott
Auf der Armen bittre Not:
Nahe ging's ihm; und was that er
Uns zum Trost, der gute Vater?
Regnet' er uns Mannabrot?

Nein, ein Mann ward ausgesandt,
Der die neue Welt erfand!
Reiche nennen's Land des Goldes:
Doch der Arme nennt's sein holdes
Nährendes Kartoffelland!

Nur ein Knöllchen eingesteckt,
Und mit Erde zugedeckt!
Unten treibt dann Gott sein Wesen!
Kaum sind Hände gnug zum Lesen,
Wie es unten wühlt und heckt!

Was ist nun für Sorge noch?
Klar im irdnen Napf und hoch,
Dampft Kartoffelschmaus für alle!
Unsre Milchkuh auch im Stalle
Nimmt ihr Teil, und brummt am Trog!

Aber, Kindlein, hört! ihr sollt
Nicht verschmähn das liebe Gold!
Habt ihr Gold, ihr könnt bei Haufen
Schöne Saatkartoffeln kaufen,
Grad' aus Holland, wenn ihr wollt!

(Johann Heinrich Voß 30. November 1794)

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Dienstag, 27. Juli 2010
Nationen und andere Kleinigkeiten
Patriotismus sei ein Bedürfnis, sagt man.

Man wolle halt für seine Mannschaft jubeln, heißt es.

Wem das unheimlich ist, der wäre eine Spaßbremse, wird allerorten gesagt.

Wer nicht so erfolgreich ist wie wir, habe eben weniger geleistet, ist zu lesen.

Diese Griechen hätten eben ein Korruptionsproblem. Das müssten sie in den Griff kriegen, dann ginge es ihnen auch so gut wie uns, sagen so einige. Sie müssten natürlich auch so tüchtig sein wie wir.

Wir sind Papst und Exportweltmeister und das sei toll, kann man häufig hören.

Fahnenschwenken und Deutschland brüllen hat doch nix mit Nationalismus zu tun, genauso wenig wie öffentliche Gelöbnisse von Bundeswehrsoldaten.

Trauerfeiern von ‚gefallenen‘ Soldaten, deren Särge mit der Fahne bedeckt sind. Hat alles nix mit Nationalismus zu tun, es ginge nur darum den ‚Gefallenen‘ die letzte Ehre zu erweisen, wissen viele.

Wir müssten unsere wirtschaftlichen Interessen auch mit militärischen Mitteln verteidigen und ein Verteidigungsminister ist dafür, dass man Krieg auch Krieg nennt. Warum darum herumreden? Klare Worte, seien das und man dürfe den einen nicht dafür tadeln und den anderen müsse man dafür loben.

Überhaupt: ein unverkrampftes Verhältnis zur Nation, warum sollte ein Entwicklungshilfeminister nicht mit einer Bundeswehrfeldmütze auf dem Kopf ein afrikanisches Land besuchen. Es ist doch nur eine Mütze gegen die Sonne und einen Südwester hat er schließlich nicht getragen.

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Montag, 26. Juli 2010
Kartoffellied I
Kartoffellied

Pasteten hin, Pasteten her,
was kümmern uns Pasteten?
Die Kumme hier ist auch nicht leer
und schmeckt so gut als bonne chere
von Fröschen und von Kröten.

Und viel Pastet und Leckerbrot
verdirbt nur Blut und Magen.
Die Köche kochen lauter Not,
sie kochen uns viel eher tot;
Ihr Herren, laßt Euch sagen!

Schön rötlich die Kartoffeln sind
und weiß wie Alabaster!
Sie däun sich lieblich und geschwind
und sind für Mann und Frau und Kind
ein rechtes Magenpflaster.
(Matthias Claudius)

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Freitag, 23. Juli 2010
Fundstücke 24.KW bis 29.KW
kluges und interessantes:
  • Interview mit Tom Schimmeck über Macht und Ohnmacht der Medien - Teil 1 - Teil 2
  • via
    nachdenkseiten
  • Nationalismus: Ein Stück Volksverdummung
  • Rauf Ceylan: "Die Prediger des Islam. Imame in Deutschland - wer sie sind und was sie wirklich wollen".
  • Die etwas unbekanntere Geschichte vom „Das Lied der Deutschen“
  • Ernst Bloch war ein Ketzer
  • Michael Stausberg: "Religion im modernen Tourismus"
  • Was Wissenschaft, Publizistik und Politik miteinander zu tun haben von Heribert Prantl

  • via philology & irony
  • Rainer Trampert: Köpfe wie Gauck
  • via Metalust
  • Interview mit Helmut G. Haasis über seine Elserbiographie
  • Mit Dank an die Geheimrätin

    amüsantes:
  • Blondinenwitze haben doch eine gewisse Berechtigung
  • Eric Hobsbawm: Meine Jahre als Jazzkritiker
    zu Eric Hobsbawm


  • Leseliste:
  • Robert Menasse, »Permanente Revolution der Begriffe«, edition suhrkamp, Frankfurt 2009, 124 Seiten, 9.- Euro
    (schon angelesen: die ersten Seiten zumindest scheinen das Lob nicht zu rechtfertigen

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    Donnerstag, 22. Juli 2010
    Die Dieselgeige
    Die Bratsche, auch Dieselgeige, Kinn- oder Wurfcello genannt ist eigentlich ein harmloses Instrument, wenn man es beispielsweise mit dem Schlagzeug, der Trompete oder der Posaune vergleicht. Zudem kannte ich einmal eine wunderschöne italienische Bratschistin (oder sagt man Bratscherin?). Na egal, die Bratsche ist verhältnismäßig leise und nur dann nervtötend, wenn man nicht spielen kann. Aber dieses Problem existiert bei jedem Instrument. Wer es nicht spielen kann, belästigt seine Umwelt.

    Mit Posaunen hingegen verhält es sich völlig anders. Ich kannte mal einen Posaunisten, dessen größtes Vergnügen es war, am Sonntagvormittag gegen halb sieben Uhr sich in Gottes freie Natur zu begeben und in einem Talkessel auf halber Höhe ‚La Montanara‘ zu spielen. Die Akustik sei unübertrefflich, sagte er. Bestätigen konnten dies die Bewohner des Stadtviertels, die am Ausgang des Tales lebten. Er beherrschte seine Posaune virtuos und so werden es wahrscheinlich lediglich unmusikalische Ignoranten gewesen sein, die ihm dieses Sonntagsvergnügen durch Androhung von Prügeln madig machten. Wie dem auch sei, Posaunen sind laut, Bratschen leise.

    Witze über Posaunisten existieren dagegen kaum, Witze über Bratschisten allerdings sehr häufig. Was mag Orchestermusiker dazu bewogen haben, Bratschisten zu Orchesterdeppen zu ernennen?

    Zwei Kostproben:
    1. Im Stimmzimmer des Theaters sind neue Garderobenhaken angebracht worden. Darüber ein Schild: "Nur für Bratschisten!" Am nächsten Tag klebt ein Zettel darunter: "Man kann aber auch seinen Mantel daran aufhängen!"

    2. Jeden Abend vor der Vorstellung öffnet der Bratschist noch einmal schnell seinen Spind, schaut hinein und setzt sich dann beruhigt an seinen Platz. Seine Kollegen sind sehr neugierig, welchen Talisman oder welches Aktfoto er darin haben mag. Eines Tages fehlt der Bratscher, da öffnen sie mit Gewalt die Spindtür. Nichts ist darin, nur an der Rückwand haftet ein Zettel: „Bogen rechts, Bratsche links.“
    Aber das Imperium schlägt zurück:
    Warum haben Posaunisten eine Hirnzelle mehr als ein Pferd ?
    Damit sie beim Marschieren der Pferdescheiße ausweichen können !
    Aber auch wer Oboe spielt…:
    Was ist das Lieblingsinstrument eines Mantafahrers? Oh boooh eeh!
    Nun ja, wer einen knarrenden Ast in der Hand hält …

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    Mittwoch, 21. Juli 2010
    Melancholie
    bei dreißig Grad.

    Schweiß tropft von der Nase und befeuchtet das M (eigentlich nur das m) auf der Tastatur.
    - Ist ja wie in Hawaii hier, nur die Magmaströme fehlen.
    Wie hieß noch einmal das Ding, wo man eine Reihe in eine Spalte herumdrehen tut?
    - Den Jugendlichen beim Baggern am Strand von Tel Aviv Konkurrenz machen? Ach ich weiß ja nicht?
    Und in welchem Menü war das Ding nochmals?
    - Ein Mango Lassi in Eschnapur, das hätte etwas.
    Ein Kollege steckt seinen feuchten Kopf zu Tür herein. „Die wollen, dass wir heute arbeiten?“
    Ich nicke verklärt und sage: „Du, dieses Ding da, wo man die Zahlen von rechts nach unten macht, wie heißt das nochmals?“
    - Babylon, ach ne, da versteht man ja sein eigenes Wort nicht.
    Er sieht mich an und sagt: „Ich weiß genau was du meinst, glaube ich.“ Wir nicken uns zu, er geht mit den Worten „mir fällt es gleich ein, bzw. wenn ich das Menü gefunden habe, fällt es mir ein, ganz sicher.“
    Ich nicke.
    - Die Alten hatten doch recht, das Blut wird ganz dick.
    Diese Zahlen da auf dem Bildschirm, für was waren die wichtig?
    Jetzt ist ein Schweißtropfen auf dem B gelandet.
    Na egal.
    Hab‘ ich schon gespeichert?
    Jetzt muss ich nur noch hinter die Zahlen die beiden Nullen mit dem Strich dazwischen…
    Monotonie bei dreißig Grad.

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    Dienstag, 20. Juli 2010
    Melancholie
    Sei mir gegrüßt, Melancholie,
    Die mit dem leisen Feenschritt
    Im Garten meiner Phantasie
    Zu rechter Zeit ans Herz mir tritt!
    Die mir den Mut wie eine junge Weide
    Tief an den Rand des Lebens biegt,
    Doch dann in meinem bittern Leide
    Voll Treue mir zur Seite liegt!

    Die mir der Wahrheit Spiegelschild,
    Den unbezwungnen, hält empor,
    Daß der Erkenntnis Träne schwillt
    Und bricht aus dunklem Aug hervor;
    Wie hebst das Haupt du streng und strenger immer,
    Wenn ich dich mehr und mehr vergaß
    Ob lärmendem Geräusch und Flimmer,
    Die doch an meiner Wiege saß!

    Wie hängt mein Herz an eitler Lust
    Und an der Torheit dieser Welt!
    Oft mehr als eines Weibes Brust
    Ist es von Außenwerk umstellt,
    Und selbst den Trost, daß ich aus eignem Streben,
    Was leer und nichtig ist, erkannt,
    Nimmst du und hast mein stolz Erheben
    Zu Boden allsobald gewandt,

    Wenn du mir lächelnd zeigst das Buch
    Des Königs, den ich oft verhöhnt,
    Aus dem es, wie von Erz ein Fluch,
    Daß alles eitel sei! ertönt.
    Und nah und ferne hör ich dann erklingen
    Gleich Narrenschellen ein Getön –
    O Göttin, laß mich dich umschlingen,
    Nur du, nur du bist wahr und schön! –

    Noch fühl ich dich so edel nicht,
    Wie Albrecht Dürer dich geschaut:
    Ein sinnend Weib, von innerm Licht
    Erhellt, des Fleißes schönste Braut,
    Umgeben reich von aller Werke Zeichen,
    Mit milder Trauer angetan;
    Sie sinnt – der Dämon muß entweichen
    Vor des Vollbringens reifem Plan.
    (Gottfried Keller)

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    Montag, 19. Juli 2010
    Von Gurkenhobeln und Zwiebelhackern
    Mein Vater hatte eine tiefe, unergründliche Leidenschaft für Marktschreier, Hausierer und geistige Wegelagerer. Er war aber auch ein sehr praktischer und verantwortungsbewusster Mensch oder anders ausgedrückt: seine Bereitschaft etwas Zeit zu opfern war groß, nur zu viel kosten durften seine Eskapaden nicht. Und so füllte sich mein Elternhaus mit Gurkenhobeln und Apfelschälern, die von der ganzen Familie zunächst begutachtet und bewertet wurden, um anschließend im Schrank zu verschwinden. Meine Mutter schnitt und schälte alles mit ihren drei Küchenmessern. Eine elektrische Brotschneidemaschine, ein Eierkocher, ein elektrisches Fleischmesser und – in den 60ern musste das jeder haben – der Zick-Zack-Zylliss, ein Zwiebelhacker mit rotierenden Messern, dem nach gesagt wurde, die Hausfrau vor Tränen zu schützen. Beworben wurde der Zwiebelhacker von Guido dem Fuchs (und nicht Guido die Welle, obwohl es Leute gibt, die behaupten, dass das Elend der Welt im Wesentlichen aus dem Problem bestünde, dass die Menschen nicht an ihrem adäquaten Platz in der Gesellschaft ständen. Wenn also beide Guidos Zwiebelhacker bewürben, sähe es besser aus in diesem schönen Land. Das kann natürlich sein.) aus der berüchtigten Ratesendung ‚Was bin ich?‘

    Natürlich landete der Zwiebelhacker genauso in der Schublade wie der andere Kram. In einer anderen Schublade landeten diverse Superkleber, Reinigungspasten und Eckenstreichschwämme. Werkzeuge und Materialien, die er tatsächlich verwenden wollte, wurden im Fachhandel besorgt.

    Im Bücherregal wurden mehrbändige Weisheiten des Gurus Swami Durcheinander und allerlei Selbstgedichtetes ortsansässiger Lehrer archiviert.

    Im Laufe der Jahrzehnte sammelte sich so eine vielgestaltige, üppige, aber nie ausufernde Sammlung von unpraktischen, nutzlosen oder sinnlosen Kleinigkeiten an, die dann nach dem Tode der Eltern entsorgt werden musste.

    Auf die Frage meiner Mutter, warum er denn immer dieses Zeug anschleppe, antwortete er:
    „Die geben sich immer so viel Mühe!“

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    Freitag, 16. Juli 2010
    Tageslosung
    „Im Grunde is ja das Mittelmaß, und des sagt d’Anni auch: das Mittelmaß ist das Maß aller Dinge.“
    (Gerhardt Polt)

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    Donnerstag, 15. Juli 2010
    Ein himmlischer Steinwurf
    Ernst Penzoldts Roman „Die Powenzbande“ ist durch die Fernsehserie mit Ruth Maria Kubitschek, Gustav Knut u.a. bekannt geworden.
    Der Roman beginnt so:
    „Von einem niederfallenden Meteor erschlagen zu werden, von einem aus der Ewigkeit herabgeschleuderten Stern also, das gehört, denke ich, mit zu den absonderlichsten Todesarten, und es ist begreiflich, wenn sich die Sage gerne eines davon Betroffenen bemächtigt, sein Erdenabenteuer besingt und ihn verzaubert im Gedächtnis der Nachkommen, wie dies mit Baltus Powenz geschah, jetzt in unseren Tagen und vor meinen Augen.
    Ich war gegen Abend noch ein wenig vor die Stadt hinausgeritten und dabei wie so oft dem wunderlichen alten Mann begegnet, der, laut mit sich selber (oder Gott) redend, mit seinen Händen heftig vor sich her gestikulierte. Er trug noch immer seinen alten, braun und grau karierten Havelock und war wie gewöhnlich berauscht. Er torkelte ein wenig, jedoch mit Würde. Und ich sah eine Flamme mit Donnergetöse aus der Sternennacht herniederfahren auf den ahnungslosen barhäuptig wandelnden Greis, und das Feuer verschlang ihn ganz.-„ (Powenzbande S. 17)

    „Baltus Powenz war, als ihn der himmlische Steinwurf traf, siebenundsiebzig Jahre alt. Er hatte in seinem langen bewegten Leben niemals Kopfweh gehabt und nur einmal den Schnupfen, obgleich er doch ein so unordentliches, vielen anstößiges, ja gottloses Leben führte und unmäßig trank. Er hinterließ allein an ehelichen Nachkommen sieben starke Söhne unterschiedlichen Charakters und eine wunderschöne Tochter.“
    (Powenzbande S. 20)

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