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Familiengeschichte IV
g. | Mittwoch, 12. Mai 2010, 07:57 | Themenbereich: 'so dies und das'
Der andere Großvater, 1897 geboren, war im passenden Alter, um von 1916 bis 1918 auf irgendwelche Franzosen, die er nicht kannte und die ihm nichts getan hatten, zu schießen. Das hat ihm nicht gefallen und so wurde er Sozialdemokrat, ob er bei der Revolution 1918/19 mitgemacht hat, weiß ich nicht, er wurde aber daraufhin Republikaner. Etwa 1920 fing er als Streckenarbeiter bei der Reichsbahn an und wurde einige Jahre später Vorarbeiter, um dann 1931 oder 1932 im Stellwerk des örtlichen Bahnhofes, als stellvertretender Leiter den Gipfel seiner Karriere zu erreichen. Ein regelmäßiges Einkommen während der Wirtschaftskrise war für einen Familienvater nicht zu verachten.
Am 1. Mai 1933 sollten alle die Hakenkreuzfahne hissen. Er holte seine SPD-Flagge aus dem Schrank und hängte sie vor die Haustüre. Am nächsten Tag kam ein Arbeitskollege zu ihm und sagte:
„Wenn du das nächstes Jahr noch ein mal machst, kommen wir dich besuchen.“
Der Arbeitskollege war Mitglied in einem SA-Sturm. Daraufhin hat Opa das Flaggenhissen gelassen und sich auf gelegentliche Schimpfereien beschränkt, er war kein Widerstandskämpfer und schon gar kein Held.
Ein Eigensinniger, ein Eigenbrötler und anarchischer Rebell war er Zeit seines Lebens und als er Anfang der 70er Jahre in Rente ging, war er zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben mit der Regierung einverstanden.
Am 1. Mai 1933 sollten alle die Hakenkreuzfahne hissen. Er holte seine SPD-Flagge aus dem Schrank und hängte sie vor die Haustüre. Am nächsten Tag kam ein Arbeitskollege zu ihm und sagte:
„Wenn du das nächstes Jahr noch ein mal machst, kommen wir dich besuchen.“
Der Arbeitskollege war Mitglied in einem SA-Sturm. Daraufhin hat Opa das Flaggenhissen gelassen und sich auf gelegentliche Schimpfereien beschränkt, er war kein Widerstandskämpfer und schon gar kein Held.
Ein Eigensinniger, ein Eigenbrötler und anarchischer Rebell war er Zeit seines Lebens und als er Anfang der 70er Jahre in Rente ging, war er zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben mit der Regierung einverstanden.
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Georg Forster: Reise um die Welt 92
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
g. | Dienstag, 11. Mai 2010, 08:12 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Nunmehro richteten wir unsern Lauf gen Süden, um die Süd-See in ihrer größten Breite, nemlich bis zu Spitze von AMERIKA hin, zu durchkreutzen. So weit dieser Weg, und so entkräftet auch unsere Mannschaft war, weil sie lange Zeit über, und noch dazu in warmen Gegenden, nichts als eingesalzene Speisen genossen; so hatte sich der Capitain dennoch vorgenommen, auf der ganzen Fahrt nirgends anzulegen. Wäre dieser Anschlag zur Ausführung gekommen; so hätten wir unfehlbar mehrere von unsern Leuten eingebüßt, denn sie konnten wohl nicht alle noch längere Fasten ausstehen. Glücklicherweise hatten wir aber kaum drey Tage lang denselben Lauf gehalten, als uns ein großes Land aufstieß, das noch kein Europäer gesehen, und nun bekam der Rest unsrer Unternehmungen im Südmeer, auf einmal eine ganz andere Wendung.“
(Forster S. 821)
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Familiengeschichte III
g. | Montag, 10. Mai 2010, 07:49 | Themenbereich: 'so dies und das'
Der Großvater mütterlicherseits, 1892 geboren, war im Dorfe ein bedeutender Mann und gütiger Patriarch. Ich habe ihn nie kenne gelernt. Er starb lange vor meiner Geburt. Meine Mutter erzählte gelegentlich von ihm:
Als Großbauer bezahlte er mit vier oder fünf anderen zusammen, den Schulmeister. Meist waren es junge Leute, die so schnell wie möglich wieder in die Zivilisation, in eine größere Stadt wollten, aber keine andere Stelle fanden. Die direkte Abhängigkeit von den Dörflern war ihnen unheimlich, da sehnten sie sich nach der wilhelminischen Schulbehörde. Und so gab es einen häufigen Wechsel bei den Dorflehrern.
Einer dieser jungen Lehrer kam nun auf die Idee, seine Erziehungsvorstellungen getrennt nach den Kindern reicher und armer Dörfler in die Wirklichkeit umzusetzen. Er prügelte nur die Kinder der Knechte und Mägde mit seinem Rohrstock und ließ die Kinder der Großbauern unbehelligt. Als mein Großvater davon erfuhr, brüllte er in der Stube:
„Einen Teufel schlägt man heraus und zehn andere hinein, dem werde ich beibringen, wie man Kinder erzieht.“
Er ging in den Stall, holte den Ochsenziemer heraus, sattelte sein Pferd und ritt ins Dorf. Die Wohnung des Lehrers war ins Schulhaus integriert und so erhielten die Kinder des Dorflehrers eine Nachhilfestunde über die pädagogischen Vorstellungen meines Großvaters.
Der Lehrer suchte sich eine neue Stellung.
Als Großbauer bezahlte er mit vier oder fünf anderen zusammen, den Schulmeister. Meist waren es junge Leute, die so schnell wie möglich wieder in die Zivilisation, in eine größere Stadt wollten, aber keine andere Stelle fanden. Die direkte Abhängigkeit von den Dörflern war ihnen unheimlich, da sehnten sie sich nach der wilhelminischen Schulbehörde. Und so gab es einen häufigen Wechsel bei den Dorflehrern.
Einer dieser jungen Lehrer kam nun auf die Idee, seine Erziehungsvorstellungen getrennt nach den Kindern reicher und armer Dörfler in die Wirklichkeit umzusetzen. Er prügelte nur die Kinder der Knechte und Mägde mit seinem Rohrstock und ließ die Kinder der Großbauern unbehelligt. Als mein Großvater davon erfuhr, brüllte er in der Stube:
„Einen Teufel schlägt man heraus und zehn andere hinein, dem werde ich beibringen, wie man Kinder erzieht.“
Er ging in den Stall, holte den Ochsenziemer heraus, sattelte sein Pferd und ritt ins Dorf. Die Wohnung des Lehrers war ins Schulhaus integriert und so erhielten die Kinder des Dorflehrers eine Nachhilfestunde über die pädagogischen Vorstellungen meines Großvaters.
Der Lehrer suchte sich eine neue Stellung.
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Pause bis 7. Mai
g. | Freitag, 16. April 2010, 06:50 | Themenbereich: 'so dies und das'
Leben Sie wohl und bleiben Sie mir gewogen, während ich mich nach Ligurien, in die cinque terre aufmache.
Für den Fall, dass es Ihnen in der Zwischenzeit langweilig wird, empfehle ich eine Runde Spinattennis, den Sport der höheren Klassen.

Für den Fall, dass es Ihnen in der Zwischenzeit langweilig wird, empfehle ich eine Runde Spinattennis, den Sport der höheren Klassen.
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Georg Forster: Reise um die Welt 91
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
g. | Donnerstag, 15. April 2010, 06:56 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Diese Gruppe von Eylanden, die wir, innerhalb 46 Tagen, nur obenhin untersucht hatten, scheint der Aufmerksamkeit künftiger Seefahrer werth zu seyn, zumal wenn je wieder eine Reise in der rühmlichen Absicht unternommen werden sollte, den Fortgang der Wissenschaften zu befördern. Ich brauche nicht, wie QUIROS*, vorzugeben, daß großer Reichthum an Silber und Perlen hier zu finden sey. Jener mußte freylich so sagen, um einen eigennützigen Hof, nur einigermaaßen, zu seinem großen, geistvollen Vorhaben anzuspornen: Jetzt aber sind dergleichen Lockungen, Gottlob, so nöthig nicht mehr. Schon haben die mächtigsten unter den Beherrschern Europens mehr als EINE Reise nach entfernten Weltgegenden veranstaltet, blos um den Anwachs nützlicher Kenntnisse und den allgemeinen Vortheil des menschlichen Geschlechts zu begünstigen. Sie scheinen endlich einmal inne geworden zu seyn, daß sich, für eben das Geld was sonst zu Besoldung feiler Lustigmacher und Schmeichler erfordert wurde, die glänzendsten Progressen, ja förmliche Revolutionen, in den Wissenschaften bewerkstelligen lassen, und daß die Gelehrsamkeit, von je her, nur geringer Unterstützung bedurft hat, um alle Hindernisse zu besiegen, welche Unwissenheit, Neid und Aberglauben ihr in den Weg legen. – Die natürlichen Producte der NEUEN HEBRIDEN, alles eingebildeten Reichthums nicht zu gedenken, sind es, meines Erachtens, schon allein werth, von neuem und genauer als diesmal untersucht zu werden.“*Pedro Fernández de Quirós (* 1555; † 1614), spanischer Entdecker.
(Forster S. 820/821)
(die rühmlichen Absicht, feile Lustigmacher, die glänzendsten Progressen)
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Das Riesenspielzeug
g. | Mittwoch, 14. April 2010, 06:49 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
"Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;
sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.
Einst kam das Riesenfräulein aus jener Burg hervor,
erging sich sonder Wartung und spielend vor dem Tor
und stieg hinab den Abhang bis in das Tal hinein,
neugierig zu erkunden, wie's unten möchte sein.
Mit wen'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald,
erreichte gegen Haslach das Land der Menschen bald,
und Städte dort und Dörfer und das bestellte Feld
erschienen ihren Augen gar eine fremde Welt.
Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut,
bemerkt sie einen Bauer, der seinen Acker baut;
es kriecht das kleine Wesen einher so sonderbar,
es glitzert in der Sonne der Pflug so blank und klar.
"Ei! artig Spielding!" ruft sie, "das nehm' ich mit nach Haus!"
Sie knieet nieder, spreitet behend ihr Tüchlein aus
und feget mit den Händen, was sich da alles regt,
zu Haufen in das Tüchlein, das sie zusammenschlägt,
und eilt mit freud'gen Sprüngen, man weiß, wie Kinder sind,
zur Burg hinan und suchet den Vater auf geschwind:
“Ei Vater, lieber Vater, ein Spielding wunderschön!
So Allerliebstes sah ich noch nie auf unsern Höh'n."
Der Alte saß am Tische und trank den kühlen Wein,
er schaut sie an behaglich, er fragt das Töchterlein:
“Was Zappeliges bringst du in deinem Tuch herbei?
Du hüpfest ja vor Freuden; laß sehen, was es sei."
Sie spreitet aus das Tüchlein und fängt behutsam an,
den Bauer aufzustellen, den Pflug und das Gespann;
wie alles auf dem Tische sie zierlich aufgebaut,
so klatscht sie in die Hände und springt und jubelt laut.
Der Alte wird gar ernsthaft und wiegt sein Haupt und spricht:
“Was hast du angerichtet? Das ist kein Spielzeug nicht!
Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin,
der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn?
Sollst gleich und ohne Murren erfüllen mein Gebot;
denn wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot;
es sprießt der Stamm der Riesen aus Bauernmark hervor,
der Bauer ist kein Spielzeug, da sei uns Gott davor
Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohl bekannt,
die Höhe, wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand;
sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer,
und fragst Du nach den Riesen, du findest sie nicht mehr."
Adelbert von Chamisso
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Georg Forster: Reise um die Welt 90
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
g. | Dienstag, 13. April 2010, 07:24 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Sie sind von ungleich ernsthafterer Gemüthsart, als die Bewohner der SOCIETÄTS-INSELN, ja selbst ernsthafter als die Wilden von MALLICOLLO, und, nach der Aufnahmen zu urtheilen, welche uns die auf der flachen Anhöhe wohnenden Familien wiederfahren ließen, können wir ihnen auch Gastfreyheit und allgemeine Menschenliebe nicht absprechen, wenn sie nur nicht, durch Besorgniß für ihre Sicherheit, abgehalten werden, diese Eigenschaft zu äußern. Gegen ihre Frauenspersonen betrugen sie sich zwar nicht ganz so gütlich, als sie billigerweise thun sollten, jedoch auch bey weiten nicht so hart, oder gar grausam, als die NEU-SEELÄNDER; im Gegentheil scheint es, daß sie sich bereits DEM Grade von Sanftmuth nähern, den die Einwohner der FREUNDSCHAFTLICHEN und SOCIETÄTS-INSELN, in ihrer Behandlung des andern Geschlechts blicken lassen. Daß sie unerschrocken und tapfer waren, zeigte sich bey jeder Veranlassung; auch für großmüthig muß ich sie erkennen, denn SO betrugen sie sich nach der Ermordung ihres Landsmannes, vorzüglich gegen Dr. SPARRMANN und mich, als sie uns, im Walde, so ganz in ihrer Gewalt hatten. Daß es ihnen endlich auch keineswegs an Verstand fehle, haben wir, bey manchen Gelegenheiten, deutlich und bis zur Bewunderung wahrgenommen. Das wäre denn ihre GUTE Seite; auf der anderen läßt sich nun freylich, sowohl aus ihrem anfänglichen Betragen, als aus der Gewohnheit, nie ohne Waffen zu gehen, genugsam abnehmen, daß sie äußerst mißtrauisch seyn müssen, und, da sie selbst sich für Menschenfresser ausgeben; so wird ihnen wohl nicht zu viel geschehen, wenn wir sie auch für höchst rachsüchtig, und, in ihren Leidenschaften, für unbändig erklären. Vielleicht würde der Umgang, mit uns Europäern, Nutzen gestiftet, und den Wachsthum der Sittlichkeit befördert haben, wenn die letzte unüberlegte That nicht alle günstigen Eindrücke, welche sie etwa schon angenommen haben möchten, zu schnell wiederum ausgelöscht hätte! Europäische Waaren standen in keinem, oder doch nur sehr geringem Werth: Da wir aber eine Menge Nägel, imgleichen einige Äxte unter sie ausgetheilt haben; so wird ihnen die Dauerhaftigkeit dieses Metalls den Werth desselben erkennen lehren, und sie vermuthlich geneigt machen, bey der nächsten Anwesenheit eines europäischen Schiffes, allerhand Lebensmittel dafür herzugeben. -“(Gegen ihre Frauenspersonen betrugen sie sich zwar nicht ganz so gütlich, unerschrocken und tapfer)
(Forster S. 811/812)
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Familiengeschichte II
g. | Montag, 12. April 2010, 07:00 | Themenbereich: 'so dies und das'
Mein Großvater väterlicherseits war auf Bauern nicht gut zu sprechen. Das lag daran, dass er ein Findelkind war und, da Plätze in Waisenhäusern gegen Ende des 19. Jahrhundert rar waren, schon als Säugling zu einem Bauern verfrachtet wurde, der immer Bedarf an billigen Arbeitskräften hatte. Oftmals musste er im Stall oder bei der Ernte helfen, anstatt zur Schule zu gehen. Mir sind noch Abende in Erinnerung, bei denen meine Großmutter ihm aus der Zeitung vorlas, denn es haperte beim Lesen und Schreiben, Amtsgeschäfte musste grundsätzlich meine Großmutter erledigen.
Wir konnten uns als Kinder so ein Leben gar nicht vorstellen. Zwar gingen wir nicht gerne zur Schule, aber stattdessen Mist zu schaufeln oder Heu zu mähen?
An manchen Tagen wurden die Erzählungen des Großvaters aus seiner Kindheit zu erschreckend und wir flüchteten uns in Phantasien.
Da man über die Herkunft von Findelkindern nichts weiß, könnte der Opa eigentlich auch das Kind eines Auswanderers nach Amerika gewesen sein, der es in späteren Jahren zu Reichtum und Ansehen gebracht hatte? So wäre es nicht unwahrscheinlich, wenn ich doch noch zu Ansehen und Vermögen käme.
Oder der uneheliche Sohn des Prinzen Max von Baden?
Schließlich ist es in dieser Familie schon einmal zu Unregelmäßigkeiten in der Erbfolge gekommen.
Es könnte natürlich auch so gewesen sein, dass ein schmucker Leutnant der Chevaulegers des Königs Wilhelm II. von Württemberg einstens in einem Landstädtchen zu Gast war, eine wunderschöne Bahnwärtersgattin verführte, ihr die Ehe versprach, das Versprechen nicht einhielt und sich dann aus dem Staube machte. So unwahrscheinlich ist das nicht, schließlich hatte der letzte König von Württemberg eine Neigung unter seinem Stand zu heiraten und war ein überaus volknaher Tribun.
Doch, doch, so wird es gewesen sein.
Wir konnten uns als Kinder so ein Leben gar nicht vorstellen. Zwar gingen wir nicht gerne zur Schule, aber stattdessen Mist zu schaufeln oder Heu zu mähen?
An manchen Tagen wurden die Erzählungen des Großvaters aus seiner Kindheit zu erschreckend und wir flüchteten uns in Phantasien.
Da man über die Herkunft von Findelkindern nichts weiß, könnte der Opa eigentlich auch das Kind eines Auswanderers nach Amerika gewesen sein, der es in späteren Jahren zu Reichtum und Ansehen gebracht hatte? So wäre es nicht unwahrscheinlich, wenn ich doch noch zu Ansehen und Vermögen käme.
Oder der uneheliche Sohn des Prinzen Max von Baden?
Schließlich ist es in dieser Familie schon einmal zu Unregelmäßigkeiten in der Erbfolge gekommen.
Es könnte natürlich auch so gewesen sein, dass ein schmucker Leutnant der Chevaulegers des Königs Wilhelm II. von Württemberg einstens in einem Landstädtchen zu Gast war, eine wunderschöne Bahnwärtersgattin verführte, ihr die Ehe versprach, das Versprechen nicht einhielt und sich dann aus dem Staube machte. So unwahrscheinlich ist das nicht, schließlich hatte der letzte König von Württemberg eine Neigung unter seinem Stand zu heiraten und war ein überaus volknaher Tribun.
Doch, doch, so wird es gewesen sein.
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Fundstücke 8.KW bis 13.KW
g. | Freitag, 9. April 2010, 07:08 | Themenbereich: 'Fundstuecke'
kluges und interessantes:
Bormanns Schrifterlass gegen die Fraktur und als Grafik
Eine Sozialgeschichte der Söldner
Über Historienmalerei
Oskar Negt über die Odenwaldschule und Reformpädagogik
Hans-Jürgen Arlt, Wolfgang Storz: „Wirtschaftsjournalismus in der Krise“
Elena Stepanova: Bilder vom Krieg in der deutschen und russischen Literatur
Zu Poppers unseriöser Hegeldarstellung
Wendepunkt im Bauen
Christian Sigrist über katholische Internate via Nachdenkseiten
amüsantes:
Eine kleine Geschichte von so ziemlich allem
Die Marxistische Gruppe als Nervensägen
Neues zum Götz-Zitat via NuT
Leseliste:
Truman Capote: Truman Capote, auf Reisen. Reportagen.
Aus dem Amerikanischen von Paul Ingendaay.
Kein & Aber 2010. 176 Seiten. 14,00 Euro. Besprechung von: Franziska Augstein: Von Treue und Verrat. Jorge Semprún und sein Jahrhundert, München (Beck Verlag) 2008, 382 S.
Neue Wörter:
Agacieren (franz., spr. agaß-), auf pikante Weise anregen und herausfordern. Wohl auch ein Austriazismus
Doppelbockvollwandstrebengerüst
Berückungsmacht
provinzielle Bösartigkeit
Bratwurstjournalismus
Hochkrähwinklisch, mit Dank an Jean Stubenzweig
amüsantes:
Leseliste:
Truman Capote: Truman Capote, auf Reisen. Reportagen.
Aus dem Amerikanischen von Paul Ingendaay.
Kein & Aber 2010. 176 Seiten. 14,00 Euro.
Neue Wörter:
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Georg Forster: Reise um die Welt 89
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
g. | Donnerstag, 8. April 2010, 08:09 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Dem geringen Umfang der Inseln im Süd-Meer, und dem gänzlichen Mangel an wilden vierfüßigen Thieren muß man es zuschreiben, daß die ersten Einwohner sich nicht, so wie die mehresten anderen Wilden, blos von der Jagd nähren, auch nicht ganz allein von der Viehzucht leben konnten, sondern, fast seit dem ersten Augenblick ihrer Niederlassung gleich auf den Ackerbau bedacht seyn mußten, vornemlich in solchen Gegenden, wo es nicht viel Fische gab. Ohne diese Nothwendigkeit, den Feldbau zu treiben, würden die Bewohner der Inseln, zwischen den Wendekreisen, wohl durchgehends noch nicht zu DEM Grade von Civilisation gelangt seyn, den wir würklich bey ihnen angetroffen haben. Um wie viel es aber eine dieser Völkerschaften der andern hierinn zuvor thut, das läßt sich, weil sie durchgehends feste, bleibende Wohnsitze haben, blos DANACH beurtheilen, ob sie, in ihrem häuslichen Leben, schon mehr oder weniger Bequemlichkeit zu erfinden, oder ihren Handarbeiten mehr oder weniger Zierlichkeit zu geben gewußt. Nach diesem Maaßstabe nun zu rechnen, stehen die Einwohner von TANNA noch ziemlich weit unten; ihre Häuser sind nur Schoppen, in keinem Betracht auf Bequemlichkeit eingerichtet, blos ein nothdürftiges Obdach gegen übles Wetter. Von Kleidung, nach deren Beschaffenheit sich das Maaß der Civilisation ebenfalls bestimmen läßt, wissen sie noch gar nichts, ja sie lassen es selbst noch an körperlicher Reinlichkeit fehlen, welches für die Aufnahme des geselligen Umgangs immer ein großes Hinderniß ist. An statt sich fleißig zu baden, wie die TAHITIER und ihre Nachbaren thun, bemahlen sie sich lieber mit allerhand Schminken, und werden dadurch unreinlich. Aber, neben allen diesen Mängeln, zeigen sie sich doch jetzt schon, die Anlagen und Vorbothen, zu einer höheren Verfeinerung ganz deutlich. Dahin rechne ich unter andern, die Geschicklichkeit ihrer Weiber in der Kochkunst, zu welcher die Mannigfaltigkeit der Nahrungsmittel Anlaß gegeben haben mag. Sie wissen z. B. die Yams und Pisangs zu braten oder zu rösten; grüne Feigenblätter und Okra (HIBISCUS ESCULENTUS) zu dämpfen und Puddings zu backen, davon der Teig aus Pisangsfrucht und Arum-Wurzeln, die Fülle, aus Cocos-Kernen und Blättern bestehet. Verschiedne Arten von Obst werden auch frisch, so wie sie vom Baume kommen, ohne Zubereitung, verzehrt. Dann und wann thun sie sich mit einem Stück Schweinefleisch, oder Federvieh etwas zu gute; der Fischfang mag ihnen ebenfalls manche Mahlzeit liefern, desgleichen die Vogeljagd, wiewohl der Ertrag dieser letzteren nicht als eine tägliche Speise, sondern nur als Leckerbissen in Anschlag gebracht werden kann. Sollte das Wohlgefallen an vielen und verschiedenen Gerichten unter dieser Nation zunehmen und allgemein werden; so würden auch der Ackerbau und alle diejenigen Manufacturen und Künste, die zu dieser Art des Wohllebens gehören, bald stärkere Schritte zur Vollkommenheit thun, denn die schwerste Arbeit wird uns leicht und unterhaltend, sobald wir sie aus eigner Willkühr oder zu Vergnügung der Sinne unternehmen: Wäre aber nur erst in EINEM Stück für die Verfeinerung der Sitten gesorgt, so würde sie auch bald genug in mehreren erfolgen. Schon jetzt hat die Musik hier eine höhere Stuffe der Vollkommenheit erreicht, als irgend sonstwo im Süd-Meer, und es ist wohl nicht zu läugnen, daß das Wohlgefallen an harmonischen Tönen eine gewisse Empfindlichkeit voraussetzt, die der Sittlichkeit den Weg bereitet. -Forsters Vorstellungen von Barbarei, Wildheit und Zivilisation.
Die Staatsverfassung ist, dem gegenwärtigen Zustande der Nation gemäß, noch sehr unvollkommen. Jedes Dorf, jede Familie, ist unabhängig, und vereinigt sich mit den Nachbarn nur alsdenn, wenn ihr gemeinschaftlicher Nutzen es durchaus so erfordert, zum Beyspiel, wenn feindliche Einfälle zu befürchten sind. Leute von Jahren und von bewährter Tapferkeit, scheinen bey dem großen Haufen in gewissem Ansehen zu stehen, Rangordnungen aber sonst noch unbekannt zu seyn. Das Interesse so vieler kleiner Partheyen, muß einander oft geradehin zuwider seyn, und sie folglich in Streitigkeiten verwickeln, die dann dem Mißtrauen und der Rachsucht unaufhörliche Nahrung geben. Diesem Übel kann allein in der Folge, vermittelst einer stärkeren Bevölkerung, abgeholfen werden; der Wachsthum dieser letzteren wird sie nemlich, dringender als andere Ursach, nöthigen, auf eine gewisse gesellschaftliche Vereinigung zu denken, und die Regierungsform auf festeren Fuß zu setzen. Die Verfertigung der Waffen, auf welche sie jetzt den größten Theil ihrer Zeit verwenden müssen, würde alsdenn, bey müßigen Stunden, gleichsam nur zum Zeitvertreib dürfen vorgenommen werden, und die Folgen eines solchen öffentlichen Ruhestandes, gegenseitiges Zutrauen und allgemeine Sicherheit, würden ihnen Muße verschaffen, es in der Zierlichkeit, aller Arten von Handarbeiten, eben so weit zu bringen, als die Einwohner der freundschaftlichen Inseln. Wie viel der Umgang mit den benachbarten Insulanern zu Beschleunigung dieses Zeitpuncts beytragen möchte, läßt sich so genau nicht angeben; im Ganzen aber ists wohl ausgemacht, daß, durch den Handel, der Fortgang der Civilisation ungemein befördert wird.
(Forster S. 808/810)
(sie bemalen sich mit allerhand Schminke, das Wohlgefallen an vielen und verschiedenen Gerichten, eine gewisse Empfindlichkeit, der große Haufen (für Masse, Gesellschaft), auf festeren Fuß)
Im 18. Jahrhundert waren deutlich mehr Präpositionen (hierinn , desgleichen, alsdenn) als heute gebräuchlich.
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Familiengeschichte I
g. | Mittwoch, 7. April 2010, 07:39 | Themenbereich: 'so dies und das'
Mein Onkel E., Gott hab ihn selig, erzählte gerne, dass unser Ur-Ur-Ur-Großvater mütterlicherseits ein bedeutender Mann war. Im Russischen sei er stolzer Besitzer eines Gestüts gewesen, unermesslich reich und den Frauen und dem Glücksspiel zugetan. Genaueres wisse man leider nicht und von dem fabelhaften Reichtum sei nur der normalgroße Bauernhof der Familie in der Nähe von Danzig übriggeblieben und der sei ja nun auch futsch. So gesehen hätten sie alle unter ihrem Stand geheiratet. Seine Schwester, meine Mutter, lächelte immer dazu. Er aber erzählte uns, dies sei alles wahr: Sein Großvater habe es ihm getreulich berichtet und der habe es von seinem Großvater erfahren, der wiederum es von seinem Großvater wisse, der ...
Man kann sich das so vorstellen:
Im Dorf hatte es schon lange Gerüchte gegeben. Der Herr Rittmeister führe, so wurde erzählt, ein gotteslästerliches Leben. Der Herr Pfarrer, so hieß es, habe, als der Rittmeister vor einigen Wochen durchs Dorf ging, die Augenbrauen missbilligend hochgezogen. Von Zeit zu Zeit kämen Russen ins Haus, die unmäßig trinken, Karten spielen und die Mägde verführen. Und die Russen, dass wisse schließlich jeder, seien für ihren flatterhaften Lebenswandel bekannt. Selbst den wenigen Katholschen im Dorfe, ginge das alles zu weit.
Was wohl den Herrn Rittmeister bewogen haben mochte ausgerechnet heute in den Dorfkrug zu kommen?
Die Wirtstochter, die schöne Annalena mit dem blonden Zopf, holte, als sie seiner Gewahr wurde, den guten Wein aus dem Keller. Jedermann wusste schließlich, dass der Rittmeister nur die feinsten und teuersten Getränke bestellte. Inzwischen hatte sich der Rittmeister gesetzt und sah der Wirtstochter nach als sie die Kellertür öffnete, ihren Rock schürzte und die Stufen hinabstieg.
„Deine Tochter“ frug er den Wirt, „will sie immer noch in die große Stadt, um ihr Glück zu machen?“
„Ja, ist es nicht furchtbar? Sie liest immer diese Romane und dann träumt sie von der großen Welt. Von noblen Herren, die die schönen Frauen vom Lande vom Fleck weg heiraten, sie umgarnen und heiraten. Sie glaubt, dass eines Tages eine Kutsche vor unserem Wirtshaus hält, livrierte Diener den Schlag aufhalten und ein hochwohlgeborener Herr in unsere Stube tritt, ihrer ansichtig wird und ihrer Schönheit verfällt. Ist das nicht schrecklich?“
„Je nun, mein braver Wirt, lass ihr doch die Träume von einem aufregenden Leben. Es wird schon ihr Schade nicht sein?“
„Wer weiß, wer weiß?“ brummte der Wirt.
Inzwischen war Annalena mit dem Wein zurückgekehrt und schenkte dem Herrn ein Glase ein.
„Vom Roten! Wie konntest du ahnen, dass mir heute nach Rotem ist, mein schönes Kind?“ frug der Rittmeister artig.
Annalena erglühte und rannte eilig weg.
Wir ahnen es schon, der Abend währte noch lange. Es gab viele Gelegenheiten zwischen dem Rittmeister und Annalena Komplimente auszutauschen und der Wirt beobachtete die Gespräche mit wachsendem Missfallen. Wenige Tage später folgte Annalena dem Rittmeister ins Herrenhaus, zunächst nur als Zofe, aber mit der Zeit erlag sie seinen Schmeicheleien und nahm an seinem lästerlichen Lebenswandel teil. Sie bediente die Russen, trank mit ihnen, frönte gar nach einiger Zeit ebenfalls dem Glückspiel und half dem Rittmeister beim Verprassen des ererbten Gestüts. Wechsel wurden ausgestellt, Spielschulden mussten beglichen werden und immer mehr junge Frauen folgten der Verführungskunst. Sie alle mussten eingekleidet und beköstigt werden und von Zeit zu Zeit unternahm der Herr Rittmeister Ausflüge in die nahe gelegene Stadt, um es so richtig krachen zu lassen.
Und als alles herunter gekommen war, musste er das Gut verkaufen und als weitgehend Mittelloser sein Auskommen als Knecht finden. Nach vielen Jahren der Läuterung konnte er durch Fleiß und Strebsamkeit dann wieder einen eigenen Bauernhof erwerben, der seinen Nachkommen das spärliche Brot sicherte.
So wird es gewesen sein und ich habe es getreulich aufgeschrieben und so für alle Ewigkeit der Nachwelt erhalten.
Man kann sich das so vorstellen:
Im Dorf hatte es schon lange Gerüchte gegeben. Der Herr Rittmeister führe, so wurde erzählt, ein gotteslästerliches Leben. Der Herr Pfarrer, so hieß es, habe, als der Rittmeister vor einigen Wochen durchs Dorf ging, die Augenbrauen missbilligend hochgezogen. Von Zeit zu Zeit kämen Russen ins Haus, die unmäßig trinken, Karten spielen und die Mägde verführen. Und die Russen, dass wisse schließlich jeder, seien für ihren flatterhaften Lebenswandel bekannt. Selbst den wenigen Katholschen im Dorfe, ginge das alles zu weit.
Was wohl den Herrn Rittmeister bewogen haben mochte ausgerechnet heute in den Dorfkrug zu kommen?
Die Wirtstochter, die schöne Annalena mit dem blonden Zopf, holte, als sie seiner Gewahr wurde, den guten Wein aus dem Keller. Jedermann wusste schließlich, dass der Rittmeister nur die feinsten und teuersten Getränke bestellte. Inzwischen hatte sich der Rittmeister gesetzt und sah der Wirtstochter nach als sie die Kellertür öffnete, ihren Rock schürzte und die Stufen hinabstieg.
„Deine Tochter“ frug er den Wirt, „will sie immer noch in die große Stadt, um ihr Glück zu machen?“
„Ja, ist es nicht furchtbar? Sie liest immer diese Romane und dann träumt sie von der großen Welt. Von noblen Herren, die die schönen Frauen vom Lande vom Fleck weg heiraten, sie umgarnen und heiraten. Sie glaubt, dass eines Tages eine Kutsche vor unserem Wirtshaus hält, livrierte Diener den Schlag aufhalten und ein hochwohlgeborener Herr in unsere Stube tritt, ihrer ansichtig wird und ihrer Schönheit verfällt. Ist das nicht schrecklich?“
„Je nun, mein braver Wirt, lass ihr doch die Träume von einem aufregenden Leben. Es wird schon ihr Schade nicht sein?“
„Wer weiß, wer weiß?“ brummte der Wirt.
Inzwischen war Annalena mit dem Wein zurückgekehrt und schenkte dem Herrn ein Glase ein.
„Vom Roten! Wie konntest du ahnen, dass mir heute nach Rotem ist, mein schönes Kind?“ frug der Rittmeister artig.
Annalena erglühte und rannte eilig weg.

Und als alles herunter gekommen war, musste er das Gut verkaufen und als weitgehend Mittelloser sein Auskommen als Knecht finden. Nach vielen Jahren der Läuterung konnte er durch Fleiß und Strebsamkeit dann wieder einen eigenen Bauernhof erwerben, der seinen Nachkommen das spärliche Brot sicherte.
So wird es gewesen sein und ich habe es getreulich aufgeschrieben und so für alle Ewigkeit der Nachwelt erhalten.
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Georg Forster: Reise um die Welt 88
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
g. | Dienstag, 6. April 2010, 07:34 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Über mir der Himmel heiter, das Säuseln des kühlen Seewindes um mich her, stand ich da, und genoß in Ruhe des Herzens alle das Glück, welches ein solcher Zusammenfluß von angenehmen Bildern nur gewähren kann. Unvermerkt verlohr ich mich in eine Reihe von Betrachtungen über den Nutzen, den unser hiesiger Aufenthalt unter den Insulanern gestiftet haben könnte, und welch einen Zuwachs von Vergnügen verschafte mir nicht der beruhigende, damals noch ganz ahndungsfreye Gedanke, daß wir uns hier, zur Ehre der Menschheit in einem sehr vorteilhaften Lichte gezeigt hätten! Wir hatten nun vierzehn Tage unter einem Volke zugebracht, das sich anfänglich äußerst mißtrauisch und ganz entschlossen bewieß, auch die geringste Feindseligkeit nicht ungeahndet zu lassen. Diesen Argwohn, dieses eingewurzelte Mißtrauen, hatten wir durch kühles, überlegtes Verhalten, durch Mäßigung, und durch das Gleichförmige aller unserer Handlungen, zu besiegen, zu vertreiben gewußt. Sie, die in ihrem Leben noch NIE mit so harmlosen, friedfertigen, und gleichwohl nicht feigen oder verächtlichen, Leuten umgegangen, sie, die bisher in jedem Fremden, einen heimtückischen, verrätherischen Feind zu sehen gewohnt waren, hatten jetzt von UNS, und durch UNSER Beispiel gelernt, ihre Nebenmenschen höher zu schätzen! Sobald wir es einmal DAHIN gebracht hatten, jenen heftigen, aufbrausenden Naturtrieb, der allein die Wilden so argwöhnisch, scheu und feindselig macht (Selbsterhaltung) zu besänftigen, sobald sahe man auch schon in ihren rohen Seelen jenen zweyten, nicht minder starken Naturtrieb – Geselligkeit – aufkeimen und sich entwickeln. Kaum fanden sie, daß die Fremden die Früchte ihres Landes nicht als eine Beute, mit Gewalt wegnehmen wollten, so theilten sie ihnen solche freywillig mit. Schon gestatteten sie uns, ihre schattenreiche Wohnungen zu besuchen, und ließen uns, so einträchtig als es den Mitgliedern einer und derselben Familie geziemt, mitten unter sich sitzen. Nach wenig Tagen begannen sie sogar, an unsrer Gesellschaft Vergnügen zu finden, und NUN öfnete sich ihr Herz einem neuen uneigennützigen Gefühl von überirdischer Art, der Freundschaft! Welch ein schätzbares Bewußtseyn, rief ich aus, auf solche Art das Glück eines Volkes befördert und vermehrt zu haben! welch ein Vortheil, einer gesitteten Gesellschaft anzugehören, die solche Vorzüge genießt und andern mittheilt! Hier unterbrach mich das Geräusch eines herankommenden Wanderers. Es war Dr. SPARRMANN. Ich zeigte ihm die Gegend, und erzählte ihm, zu was für Gedanken sie mich verleitet hätte. Die Übereinstimmung seines Gefühls theilte dem meinigen neue Lebhaftigkeit mit. Doch, endlich mußten wir uns losreißen und nach dem Schiffe zurückkehren, weil der Mittag nicht weit war. Der erste Einwohner, dem wir begegneten, flüchtete vor uns, und versteckte sich hinters Gebüsch. Unmittelbar darauf trafen wir, beym Eingange einer Plantage, eine Frau an, die, allem Ansehen nach, eben so gern davon gelaufen wäre, es aber nicht wagte, weil wir ihr ganz unerwartet und schon sehr nahe gekommen waren. Mit zitternder Hand und mit verstörtem Gesicht, bot sie uns einen Korb voll Yambos-Äpfel an. Dies Betragen befremdete uns nicht wenig; doch kauften wir ihr die Früchte ab und giengen weiter. Sowohl innerhalb als ausserhalb dieser Plantage standen viele Männer im Gebüsch, die unaufhörlich winkten, daß wir an den Strandt zurückgehen möchten. Sobald wir aus dem Walde heraustraten, klärte sich das Räthsel auf. Zween Männer saßen im Grase und hielten einen Dritten, todt, in ihren Armen. Sie zeigten uns eine Wunde, die er von einer Flintenkugel in die Seite bekommen hatte und sagte dabey mit dem rührendsten Blick: »er ist umgebracht.« 1 Auf diese Bothschaft eilten wir nach der Gegend des Strandes, wo unsere Leute sich aufzuhalten pflegten, fanden aber keinen einzigen Indianer bey ihnen, und erfuhren, wie die Sache zugegangen war. Man hatte, wie gewöhnlich, eine Schildwache aufgestellt, die den Platz, den unsere Leute zu ihren Geschäften brauchten, von Indianern rein halten mußte, dahingegen die Matrosen diese Scheidelinie ohne Bedenken überschreiten, und sich nach Belieben unter die Wilden mischen durften. Einer von den Indianern, der vielleicht seit unserm Hierseyn noch nie am Strande gewesen seyn mochte, hatte sich zwischen seinen Landsleuten vorgedrängt und wollte über den freyen Platz gehen. Weil aber unsere Leute diesen für sich allein zu haben meynten; so nahm die Schildwache den Indianer beym Arm, und stieß ihn zurück. Dieser hingegen glaubte mit Recht, daß ihm, auf seiner eigenen Insel, ein Fremder nicht vorzuschreiben habe, und versuchte es daher von neuem, über den Platz wegzugehen, vielleicht blos um zu zeigen, daß er gehen könne, wo es ihm beliebte. Allein, die Schildwache sties ihn zum zweytenmal, und zwar mit solchem Ungestüm zurück, daß wohl ein minder jähzorniger Mann, als ein Wilder, dadurch hätte aufgebracht werden müssen. Kein Wunder also, daß er, um seine gekränkte Freyheit zu vertheidigen, einen Pfeil auf den Bogen legte, und damit nach dem, der ihn angegriffen, zielte. Dies ward der Soldat nicht sobald gewahr, als er sein Gewehr anschlug, und den Indianer auf der Stelle todt schoß. In dem Augenblick da dieser fiel, trat der Capitain ans Land, und sahe, wie die übrigen davon liefen, um den grausamen, verrätherischen Leuten zu entkommen, die auf fremdem Boden sich solche Ungerechtigkeiten erlaubten. Bereit, den Fehler wieder gut zu machen, schickte er den Soldaten alsbald geschlossen an das Schiff, und gab sich alle Mühe, die Einwohner zu besänftigen. Verschiedene derselben, besonders die, welche auf der östlichen hohen Ebene wohnten, ließen sich auch wirklich überreden, stehen zu bleiben, und denen von neuem zu trauen, die das vornehmste Gebot der Gastfreyheit so schändlich aus den Augen gesetzt hatten. Wahrlich ein rührender Beweis, von der angebohrnen Güte des menschlichen Herzens! Eine eben so seltne Mäßigung war es, daß die Wilden, Dr. SPARRMANN und mir nicht das gerinsgte Leid zufügten, da sie doch den Mord ihres Landsmannes an uns beyden aufs nachdrücklichste hätten rächen können.“Koloniale Idylle und Realität.
1 In ihrer Sprache wird dies ungleich eindringender durch das einzige Wort, MARKOM, ausgedrückt.
(Forster S. 799/801)
(zur Ehre der Menschheit, den heftigen, aufbrausenden Naturtrieb besänftigen, die rohe Seele, das Glück eines Volkes, neue Lebhaftigkeit, ein minder jähzorniger Mann, die angeborene Güte des menschlichen Herzens)
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Georg Forster: Reise um die Welt 87
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
(Nachricht von unserm Aufenthalt zu Tanna, und Abreise von den neuen Hebridischen-Inseln)
g. | Donnerstag, 1. April 2010, 06:59 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Die Männer bezeigten, wie es schien, nicht die mindeste Achtung gegen die Weiber, indeß diese auf den kleinsten Wink gehorchten, und, der Aussage unserer Matrosen zufolge, oft den niedrigen Dienst von Lastthieren versehen mußten. Dergleichen schwere Arbeit mag vielmals ihre Kräfte übersteigen, und kann auf solche Art wohl mit Schuld daran seyn, daß sie von so kleinlicher und schwächlicher Statur sind. Indeß pflegen ALLE ungesittete Völker den Weibern die allgemeinen Rechte der Menschheit zu versagen, und sie als Geschöpfe von niederer Art zu behandeln; denn der Gedanke, Glück und Freude im Schoos einer Gefährtin zu suchen, entsteht erst bey einem höheren Grad von Cultur. So lange nemlich der Mensch noch unabläßig mit der Sorge für seine Erhaltung beschäftigt ist, so lange können nur wenig verfeinerte Empfindungen im Umgange zwischen beyden Geschlechtern statt haben, vielmehr muß dieser sich blos auf thierischen Genuß einschränken. Auch siehet der Wilde die Schwäche und das sanfte duldende Wesen der Weiber nicht für Aufmunterung und Schutz bedürfende Eigenschaften, sondern vielmehr als einen Freyheitsbrief zur Unterdrückung und Mishandlung an, weil die Liebe zur Herrschsucht dem Menschen angeboren, und so mächtig ist, daß er ihr, zumal im Stande der Natur, selbst auf Kosten des Wehrlosen fröhnet. Erst mit dem Anwachs der Bevölkerung, wenn die Nahrungs-Sorgen nicht mehr jedem einzelnen Mitglied unmittelbar zur Last fallen, sondern gleichsam auf die ganze Gesellschaft vertheilt sind; erst alsdann nimmt das Maas der Sittlichkeit zu, Überfluß tritt an die Stelle des Mangels, und das nunmehr sorgenfreyere Gemüth fängt an die sanfteren Freuden des Lebens zu genießen, dem Verlangen nach Erholung und Fröhlichkeit Gehör zu geben, und die liebenswürdigen Eigenschaften des anderen Geschlechts kennen und schätzen zu lernen. Bey alledem ist aber auch der roheste Wilde einer gewissen Zärtlichkeit und Zuneigung ganz wohl fähig. Dies äußert sich augenscheinlich, so lange er noch als Knabe, gedankenlos und sorgenfrey herumläuft; sobald er aber bey zunehmenden Jahren anfangen muß, selbst für seine Bedürfnisse zu sorgen, dann wird freylich, durch den Trieb diese zu befriedigen, jede weniger dringende Empfindung bald überwogen und geschwächt.“Betrachtungen über das Verhältnis der Geschlechter.
(Forster S. 779/80)
(Die Männer bezeigten nicht die mindeste Achtung gegen die Weiber, von kleinlicher und schwächlicher Statur, Glück und Freude im Schoß einer Gefährtin, das sanfte duldende Wesen der Weiber, die sanfteren Freuden des Lebens, das Verlangen nach Erholung und Fröhlichkeit, der roheste Wilde, jede weniger dringende Empfindung)
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Der Verkäufer einer Obdachlosenzeitung
g. | Mittwoch, 31. März 2010, 06:55 | Themenbereich: 'Begegnungen'
schleicht wie üblich den ganzen U-Bahn-Waggon entlang und preist im üblichen Singsang seine Zeitung an:
„Guten Morgen mein Name ist Sowieso und ich verkaufe die Obdachlosenzeitung Soundso die Zeitung kostet einEurofuffzig, einEuroistfürmich meine Frau die hatmichdadannverlassen weil dieSaufereiwarjaauchnichtschön ich hab ja jetzt Wasser in den Beinen dieÄrztinimProjekt meinte ich muss von der Straße runter aberwiesollichdasmachen ich hab doch keine Wohnung 50cent gehen an gemeinnützige Projekte wie Notunterkünfte oder Suppenküchen ichwürdemichfreuen wenn sie mir eine Zeitung abkaufen würden unddievomAmt will mich immer in ein Pflegeheim stecken aberdenganzenTag nurZeitunglesen dass ist mir nix undmeineAugensindjaauchnichtmehrgut auch über einekleine Spende würdeichmichsehrfreuen ichwünscheihnen nocheinenschönenTag."Die Bahn hielt, er stieg aus, eine Zeitung verkaufte er nicht.
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