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Mark Twain: Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten II
g. | Donnerstag, 20. Juni 2013, 07:59 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Huck Finns berühmter innerer Monolog ist eines der eindrücklichsten Plädoyers gegen Sklaverei:
„Jetzt ging mir ein Licht auf. Der König hatte Jim für vierzig Dollar verschachert, während er allein in der Stadt war, und als der Herzog und ich den König am Nachmittag aufsuchten, wurde Jim unterdessen weggeführt.Mark Twain Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten ist 1884 erschienen, Harriett Beecher Stowe: Onkel Toms Hütte, 1852, also in etwa zur gleichen Zeit. Der Unterschied in Erzählhaltung und Intention ist, denke ich, augenfällig.
Mir stand das Herz fast still. Dieser verräterische Schurkenstreich setzte der Handlungsweise der Majestät vollends die Krone auf. Ich dachte einen Augenblick daran, umzukehren und dem Schurken die Meinung zu sagen. Doch er und der Herzog hätten nur neue Schurkereien gegen mich ausgebrütet, und Jim wäre dadurch nicht geholfen gewesen. Armer, alter Jim, wie mochte ihm zumute sein! Nein, ich wollte die Kerle gar nicht wiedersehen, da brauchte ich der Vorsehung nicht ins Handwerk zu pfuschen, diese Kerle würde ihr Schicksal ohne mich ereilen, früher oder später, das wußte ich gewiß. Und darin hab' ich recht gehabt, das will ich nur gleich jetzt erzählen, damit ich gar nicht noch einmal an die Lumpenbrut zu denken brauche. Ein paar Tage später, als ich mit Tom ... Ja so, da verplappre ich mich, das gehört ja hier noch gar nicht hin! – Also, kurz und gut: Ein paar Tage später brachten Schiffsleute aus einem weiter stromab gelegenen Städtchen die Nachricht, es seien dort ein paar Gauner geteert, gefedert und von einer großen Volksmenge begleitet durch die Straßen gehetzt worden. Die Beschreibung, die man von ihnen machte, paßte genau auf meine hohen Herrschaften von früher. Sie hatten das Nonplusultra einmal zuviel aufgeführt. Dieser Lohn war gerecht. Warum hatten sie den armen Jim verraten, der ihnen nie was zuleide getan? Später hab' ich nichts mehr von ihnen gehört und gesehen und hoffe sehr, daß es auch nie mehr der Fall sein wird!
Jim, mein alter Jim war also richtig fort, schmachvoll verkauft und verschachert. Der Junge, der mir die Auskunft gegeben hatte, war längst weitergegangen, und ich stand immer noch da, ganz niedergeschlagen, und konnte keinen rechten Gedanken fassen, so laß ich mich denn unter einen Baum zu Boden fallen und sinn' und sinn' und denk' und denk' und kann doch nichts zusammendenken, als daß mein Jim fort ist und ich nun wirklich ganz allein bin. Mir kamen die Tränen, so einsam und verlassen fühlte ich mich. War ja all mein Lebtag auf mich selbst angewiesen gewesen, es hatte ja nie jemand nach mir gefragt, außer mein Alter, wenn er Geld brauchte, aber Jim – der hatte mich liebgehabt, wirklich liebgehabt, dem war ich auch was wert: Meinen Jim mußte ich wiederhaben! Darüber kam ich nicht hinaus!
Ungefähr eine Stunde von hier soll Silas Phelps wohnen, so hatte der Junge gesagt. Ich besinn' mich nicht lange und lauf tapfer zu. Auf einmal aber schießt es mir durch den Kopf: Was willst du denn eigentlich tun, wenn du dort bist, wo sie Jim hingebracht haben? Das machte mich stutzig; darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht, und so schlich ich mich wieder in den Wald, setzte mich unter einen Baum und überlegte.
Was wollte ich eigentlich? Ja, da lag's! Ihm jetzt noch einmal zur Flucht verhelfen? Das erste Mal war er von selbst durchgebrannt, und ich hatte ihn unterwegs getroffen. Jetzt aber müßte ich alles auf mein Gewissen nehmen, und die ganze Schuld würde allein auf mich fallen. Ich wäre vor Scham unter den Boden gesunken, wenn ich Tom Sawyer oder einen der andern gesehen hätte. Ach, es waren doch schöne Zeiten dort im alten lieben Nest! Selbst bei der Witwe ließ sich's ertragen, und Miss Watson meinte es doch auch nur gut. Und ich? Zum Dank dafür wollte ich ihrem Jim zur Flucht verhelfen! So konnte nur ein ganz räudiges, verlorenes Schaf, wie ich, denken. Wie? – Wenn ich mich nun hinsetzte und schriebe einen Brief: »Liebe Miss Watson, Ihr Nigger Jim ist hier in...«, ja so, den Namen wußte ich ja noch nicht, der ließ sich aber leicht ermitteln. Also: »Jim ist hier bei Mr. Phelps, und gegen die versprochene Belohnung können Sie ihn wiederhaben – Huck Finn!«
Wenn ich so schriebe, dann wäre alles gut, mein Gewissen rein, und Jim, ja Jim, der arme Kerl, der müßte eben dafür büßen. Der arme Jim! Ach, er war so gut und so freundlich mit mir gewesen und hatte mich immer so liebgehabt. Schon dort bei der Witwe und nun gar erst auf unserm lieben Floß. Wie oft hatte er für mich gewacht und mich schlafen lassen! Wie hatte er für mich gesorgt! Er war stolz darauf, daß ich bei ihm war und mit ihm lebte, und wie dankbar war er für alles! Und ich sollte ihn verlassen? Sollte ich es ruhig mit ansehen, wie sie ihn wieder zurückschleppten und Miss Watson ihn aus lauter Wut weit weg von Weib und Kindern verkaufte? Ich meinte Jims kummervolles Gesicht zu sehen! Nein, ich konnte nicht so treulos sein. Und wenn es Todsünde wäre und ich geradewegs zur Hölle müßte. Na, dort würde auch eher Platz für Huck Finn, den Schmierfink, sein, als da oben in den glänzenden Himmelshallen bei den sauberen Engelein! Ich konnte doch nichts Besseres verlangen – so ein armer, elender Teufel, wie ich einer bin. Es war ja schrecklich, einem Nigger durchzuhelfen, das wußte ich; es war schlimmer als lügen und stehlen und rauben und morden; aber einerlei, ich konnte doch Jim nicht im Stich lassen! Als ich soweit mit mir im klaren war, sprang ich auf, wanderte rüstig vorwärts und dachte, alles übrige, wie und auf welche Weise ich dem armen Jim helfen könnte, werde sich schon finden, wenn ich erst einmal an Ort und Stelle wäre.“
( Mark Twain: Huckleberry Finn )
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