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Georg Forster: Reise um die Welt 76
(Zweeter Aufenthalt auf den Societäts-Inseln)
(Zweeter Aufenthalt auf den Societäts-Inseln)
g. | Donnerstag, 18. Februar 2010, 04:59 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
„Dem hochgelahrten TUTAWAÏ schien damit gedient zu seyn, daß er Gelegenheit fand, seine Wissenschaft auszukramen. Es schmeichelte seiner Eigenliebe, daß wir ihm so aufmerksam zuhörten; und dies vermogte ihn auch sich über diese Materie mit mehr Geduld und Beharrlichkeit herauszulassen, als wir sonst von den flüchtigen und lebhaften Einwohnern dieser Inseln gewohnt waren. Im Ganzen scheint die Religion aller dieser Insulaner das sonderbarste System der Vielgötterey zu seyn, das jemals erdacht worden. Nur wenige Völker sind so elend und so ganz mit den Bedürfnissen der Selbsterhaltung beschäftigt, daß sie darüber gar nicht an den Schöpfer denken, und versuchen sollten, sich einen, wenn gleich noch so unvollständigen Begriff von ihm zu machen. Diese Begriffe scheinen vielmehr seit jenen Zeiten, da sich Gott den Menschen unmittelbar offenbarte, durch mündliche Erzählungen unter allen Nationen verblieben, und aufbehalten zu seyn. Vermittelst einer solchen Fortpflanzung der ehemaligen göttlichen Offenbarung, hat sich denn auch zu TAHITI und auf den übrigen SOCIETÄTS-INSELN, noch ein Funken davon erhalten, dieser nemlich, daß sie ein höchstes Wesen glauben, durch welches alles Sichtbare und Unsichtbare erschaffen, und hervorgebracht worden. Die Geschichte zeigt aber, daß alle Nationen, wenn sie die Eigenschaften dieses allgemeinen und unbegreiflichen Geistes näher untersuchen wollten, die Schranken, welche der Schöpfer unsern Sinnes- und Verstandes-Kräften vorgeschrieben, bald mehr bald minder überschritten, und dadurch gemeiniglich zu den thörigsten Meynungen verleitet würden. Daher geschahe es, daß die Eigenschaften der Gottheit durch eingeschränkte Köpfe, die sich von der höchsten Vollkommenheit keinen Begriff machen konnten, gar bald personificirt oder als besondere Wesen vorgestellet wurden. Auf diese Art entstand jene ungeheure Zahl von Göttern und Göttinnen; ein Irrthum gebahr den anderen, und da jeder Mensch ein angebohrnes Verlangen hegt, von Gott sich einen Begriff zu machen; so brachte der Vater, das, was er davon wußte, in der ersten Erziehung auch seinen Kindern bey. Indessen vermehrte sich das Geschlecht der Menschen, und fieng gar bald an, sich in unterschiende Stände zu theilen. Durch diesen eingeführten Unterschied in den Ständen ward verhältnißweise die Befriedigung der Sinnlichkeit einigen erleichtert, andern aber erschwert. Wenn nun unter denjenigen, welchen sie erschweret wurden, ein Mann von besondern Fähigkeiten war, der den allgemeinen Hang seiner Mitbrüder zu Anbetung eines höheren Wesens bemerkte; so geschah es oft, (und ich möchte fast sagen, immer) daß er diese herrschende Neigung mißbrauchte. Zu dem Ende suchte der Betrüger die Verstandeskräfte des großen Haufens zu fesseln und sich denselben zinsbar zu machen. Die Vorstellungen, welche er ihnen von der Gottheit beybrachte, mußten seinen Absichten behülflich seyn, und deshalb pflanzte er dem Volke, das bisher von Natur eine kindliche Liebe zu Gott als seinem Wohlthäter fühlte, nun Furcht und Schrecken ein. Eben so dünkt mich, ist auch auf den Societäts-Inseln zugegangen.“Die Schöpfungsmythen aus dem Geist des Pflöckelns erklären, darauf muss man auch erst kommen.
(Forster S. 632/3)
(die flüchtigen und lebhaften Einwohner, einer solchen Fortpflanzung der ehemaligen göttlichen Offenbarung, bald mehr bald minder, zu den törichtesten Meinungen verleitet, eingeschränkte Köpfe, angeborenes Verlangen, gar bald anfangen, zinsbar zu machen, seinen Absichten behilflich)
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