Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Montag, 8. Februar 2010
Ich und der KBW
Von allen K-Gruppen ist mir der KBW der Liebste. Aber vielleicht sollten man für die jüngeren Zuschauer (oder Zuleser?) erstmal kurz erklären, wer das den ist, der KBW?
Also das war so: Zuerst gab es die sogenannten 68er, die dann von der sogenannten APO etwas verdeppt und dann von der sozial-liberalen Koalition überholt wurden und weil plötzlich, wenn auch nur für wenige Jahre, die Regierung das machte, was man eigentlich selbst bewirken wollte, sagten sich diese etwas verwirrten jungen Leute: okay, wir sind noch radikaler oder so und werden Leninisten und schrecklicher als die judäische Befreiungsfront ist auf jeden Fall die Befreiungsfront von Judäa, alles klar?
Und dann kam Helmuth Schmidt, aber das ist eine andere Geschichte.
Es begab sich also zu dieser Zeit, dass eine Gruppe von zehn jungen Männern ihren Zivildienst ableisteten und zum ersten Mal in ihrem Leben weg von zu Hause waren und das Leben genießen wollten, als ein Mitglied des KBW in die Wohngemeinschaft zog und schon am ersten Abend verkündete:
„Wir vom KBW sind der Auffassung, dass man das Waffenhandwerk erlernen sollten. Wir treten aber auch für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein!“
‚Waffenhandwerk erlernen’ aha, sowieso, genau! dachten wir.
"Apropos Waffenhandwerk. Mein Bruder war in seiner Bundeswehrzeit auf der Schreibstube. Wenn der Russe kommt, verweigert er ihnen einfach die Urlaubsscheine, dann sind sie aufgeschmissen!"
wusste ich beizutragen. Ein anderer meinte:
Ist das nicht ein Widerspruch?
Nein, wurden wir belehrt, das wäre nämlich so ... und der Redefluss plätscherte über ein oder zwei Stunden auf uns ein und wir bekamen Durst und wollten die Debatte in den Reichsadler, eine damals sehr beliebte Kneipe in Freiburg, verlagern. Unser neuer Mitbewohner war aber von seinem Umzug zu erschöpft und von der Erfolglosigkeit seiner Rede vielleicht auch zu frustriert? Wie dem auch sei, er ging ins Bett und wir in die Kneipe. Es wurde dann etwa später.

Einige Tage danach hing ein 2x2 Meter großes Transparent in unserer Küche, das in verschiedenen Farben für die FRELIMO oder die FNL oder eine andere Befreiungsbewegung warb, so genau weiß ich das nicht mehr. Nun war es so, dass wir den Befreiungsbewegungen der dritten Welt durchaus aufgeschlossen gegenüber standen, aber jeden morgen beim Frühstück und in Form von Parolen?

Einige waren dafür, unserem Neuen Prügel anzudrohen. Da ich als besonders ausgeglichen, zurückhaltend und freundlich galt, wurde ich schließlich beauftragt mit ihm zu reden.
Also, ich muss noch ein ganzes Jahr und wenn ich mir vorstelle ...
Die Diskussion ...
“Sag ihm, über politische Themen zu diskutieren ist o.k., aber Agitation und Propaganda am Frühstückstisch geht zu weit!"
wogte hin ...
“Genau, wir wollen keine Plakate und Flugblätter in der Wohnung!”
und her.
“Klappe, sonst Beule! ist der Kompromiss!”
Und so ging ich mit diesen Argumenten ausgestattet ans Werk. Am Abend nahm ich mir den Neuen beiseite und suchte unverfänglich das Gespräch:
“Heh, aus welcher Ecke kommst du eigentlich?“
Unverfänglich zu beginnen schien mir eine gute Idee zu sein.
“Aus dem Markgräfler Land.“
Ich war elektrisiert, das Markgräfler Land war eine tolle Gegend. Ich hatte schon viel davon gehört.
Er schien sich gut auszukennen und wusste Interessantes darüber zu erzählen...

Irgendwie lief unser Gespräch ganz gut, nur zum eigentlichen Thema „Agitation und Propaganda“ waren wir noch nicht vorgedrungen.
“Was macht eigentlich dein Vater?“
Ich versuchte dem Gespräch eine Wendung zu geben.
“Er ist Winzer!“
Ich stockte, ein wohliges Gefühl durchströmte mich. Ich war sicher: alles würde gut werden!
“Winzer?“
“Ja. Er baut hauptsächlich Burgunder an. Es ist nur ein kleiner Betrieb, nicht dass du denkst, ...“
“Aber nein, aber nein. Ich will dir doch keinen Vorwurf machen, dass dein Vater kein Proletarier ist. Schließlich kann niemand etwas für seine Eltern und Winzer ist ein schöner, altehrwürdiger Beruf!“
Und so kam es zu einem historischen Kompromiss zwischen dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands und der gutbürgerlichen Linken: er durfte einmal in der Woche an uns ran agitieren und wir bekamen lecker Stoff.

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