Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Mittwoch, 27. Mai 2009
Über die Ökonomie des Kornadels
Jeden Morgen und jeden Abend komme ich an einem Kiosk vorbei, der in der Unterführung meines S-Bahnhofes liegt.
Manchmal morgens, immer abends stehen einige Herren unterschiedlichen Alters an den Tischen und genießen Bier und Schnaps. Einige kommen von der Arbeit und trinken noch schnell ein Bier, bevor es zu Frau und Kind geht, vier der Herren sind jedoch jeden Tag zugegen und wenn ich am Abend gegen sechs Uhr vorbei gehe, in gehobener Stimmung.
Die Betreiberin des Kiosk, eine resolute Dame, die auch schon bessere Zeiten erlebt hat, wischt gelegentlich mit einem einfachen Tuch aus Waffelpiquet das Erbrochene weg. Das ist allerdings selten, den die Herren vertragen schon einen Stiefel und wissen auch wie man sich in Gegenwart einer Dame benimmt.
Da ist zunächst Glühnase mit völlig unbehaarten Naslöchern, seit kurzem Nanga Parbat, über den vielleicht noch einmal zu berichten sein wird, Pat der Leuchtturm und der birnenförmige Elvis.

Von was leben sie und wie bezahlen sie ihren Sprit?
• Stütze werden sie wohl alle bekommen, denn der Arbeitsmarkt in den sie integrierbar wären, den gibt es schon lange nicht mehr. Verlorene Seelen, die mit vielen anderen durch ihre nackte Existenz, den Arbeitsplatz eines Sachbearbeiters im Sozialamt sichern. Nur, die Stütze wird für die Alkoholmengen nicht reichen. Zwar benötigen sie zusätzlich keinerlei Kalorien mehr, aber für mehr als eine Wohnung, einige Kohlehydrate und etwas Margarine sorgt das Amt nun doch auch nicht.
• An Samstagen sehe ich Glühnase meist beim Kontrollieren der Mülltonnen, die eine oder andere Pfandflasche wird dabei herausspringen und auch in den Abfallkörben an der Straße und auf den Bahnhöfen sind PET-Flaschen zu ergattern.
• Zum Klauen sind sie eindeutig nicht in der Lage.
• Das eine oder andere Bier geben die Arbeiter aus, die sich am Abend dazugesellen. Nanga Parbat scheint über einen gewissen Charme zu verfügen.
• Einmal habe ich Pat gesehen, wie er Verpackungsmüll, Kippen und anderen Unrat vor unserem Discounter wegsammelte. Vielleicht hat der Filialleiter oder die ganze Belegschaft ein Herz und ermöglicht ihnen so eine Verdienstmöglichkeit? Die Reinigungsfirma, die für den Markt zuständig ist, wird ihn wohl kaum anstellen.

Ob das alles reicht?

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Freitag, 24. April 2009
Über Wesen und Erscheinung I
Vor langer Zeit in einem anderen Leben habe ich mal für kurze Zeit an einer Universität gearbeitet. Und es begab sich, dass ich in einer Lehrveranstaltung über die Melusine des Thüring von Ringoltingen mitwirkte. Das Volksbuch von der schönen Melusine ist nun ein auch unter feministischem Frageinteresse durchaus interessanter Text, nur hatte es sich eine Gruppe von Studenten etwas leicht gemacht. Anstatt den Text zu lesen, weil ist ja so Mittelalterkram, interessiert doch keine Sau, haben sie kurz nachgedacht und kamen zu dem Schluss: da kommen Frauen vor, Frauen waren im Mittelalter (die Melusine ist zwar schon Neuzeit, aber wer wird denn so pingelig sein) ziemlich schwer unterdrückt, außerdem gab es im Mittelalter doch die Beginen, das waren doch auch Frauen und sicher irgendwie auch unterdrückt, dann referieren wir halt was dadrüber, passt schon und im Übrigen sollte es sowieso immer um Unterdrückung und so gehen. Und so begann die Stunde und die drei jungen Männer, über Form, Farbe, Größe oder Gestalt ihrer Naslöcher ist mir nichts in Erinnerung geblieben, laberten sich durch die Gegend und ich dachte so bei mir: „Ob unsere Chefin der Truppe einen Schein gibt?“
Der Vortragende trug sein Haar eher bunt, an einigen Stellen ausrasiert, wie das damals Mode war und seine Kleidung, ... Ach lassen wir das. Feministen ebend. Das gab es zu der Zeit.
Neben mir höre ich unsere Professorin immer unruhiger werden. Dann beugt sie sich zu mir und flüstert mir in ihrem wunderbaren Wiener Dialekt ins Ohr:
„Sie, sagn’s mal: Is’ es nicht fuachtbar, wenn die Leut so ausschaugn, wies auch sind?“

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Donnerstag, 29. Januar 2009
Winterliche Kopfbedeckungen, heute: Der Bienenkorbhut
Eine ältere, die Mitreisenden streng musternde Dame am Sennefelder Platz: braune Würste aus Kunstpelz sich verjüngend aufeinander genäht.

Schnurrdiburr, ob es diese Bienenkörbe wirklich gegeben hat?
„Einer erzehlete / daß er in einem Land gewesen / darinn die Bienen denen Schaafen an der Grösse nichts nachgeben thäten / und daß doch die Bien- Körbe nicht grösser als in unseren Landen wären: Einer aber fragte ihn / wie dann so grosse Bienen in dieselbe kommen könten? da antwortete er / da laß ich sie davor sorgen.“
(Hilarius Salustius: MELANCHOLINI, 1717)

Das erinnert mich an einen mittelschlanken leitenden Senatsbeamten, der intern ‚das Bienenkörbchen‘ hieß, weil er sein schütter-lockicht-schwitziges Haar auf Ohrlänge akkurat abgeschnitten trug. In anderen Zusammenhängen und aus anderen Gründen, wurde er ‚die Made’ genannt.

Gab es nicht mal eine Punkband, deren Sänger Johann Bienenkorb hieß?

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Dienstag, 27. Januar 2009
Fahrradfahrergeschichten I
Es klingelte hinter mir. Erschrocken sprang ich zur Seite. Leider auf die Seite, an der der Fahrradfahrer an mir vorbei preschen wollte, er wich aus und so wurde die steinerne Balustrade der Oberbaumbrücke zu einem unüberwindbaren Hindernis.
Nein Falsch. Er hat es ja überwunden.

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Mittwoch, 21. Januar 2009
Warum ausgerechnet Dubai?
In der S-Bahn:
„Nach Dubai würd‘ ich nur fahren, wenn ich ein völlig super duper Hotel hätte.“
„Ist aber teuer! Warum tut’s nicht auch ein Mittelklassehotel? Tagsüber ist man doch eh unterwegs.“
„Aber nich‘ in Dubai, da kannste nur abhängen, sonst is‘ da nix.“

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Mittwoch, 14. Januar 2009
Zug fahren und wegträumen
Felder im eisigen Dunst, zusammenbrechende Schweineställe einer zusammengebrochenen LPG, eine Brücke ohne Strasse, darum aufgebrochene Erde, verschorft, Reif auf verletzter Landschaft.
Im Sommer das Gelb der Rapsfelder, Ölbauern, Energiewirte mit neuen Treckern.

Baumäcker mit Fichten, Baumäcker mit Kiefern.
Ein Wäldchen, ein Tümpel, ein Wegrain, Vogelbeeren, Hagebutten, Quitten, Sanddornbüsche.

Bernau, Eberswalde, Anklam, Greifswald, Züssow, Stralsund.
Märkische Ortschaften, Hansestädte.

Über den Rügendamm auf eine Sanddüne im Meer.

Eine Sächsin, die einem ungefragt ihr Leben erzählt, unerfreulich bemerkbar: einsam und an ihren Mitreisenden nur als Zuhörer interessiert.

Die Augen schließen, die Assoziationen fließen lassen, Unfreundlichkeit aus Not.
Slawische Ortsnamen, kein dreiköpfiger Triglaw weit und breit.

Es hilft nichts, ab Stralsund gibt es kein Entkommen.

Die Sächsin, die unter den Schwaben nicht begraben sein wollte und für die Russen nichts übrig hat, die die Mitgliedschaft in der DSF verweigerte, weil sie ihren Vater 1945 mit Lupinensuppe getötet haben.
Das Leben als Last und selten als Freude. Das Einzelne für das Ganze nehmen und Last auf Last türmen. Freude nur mit sich, so muss man einsam werden.

Bergen auf Rügen:
„So! Jetzt haben wir uns doch noch unterhalten, obwohl Sie die Augen geschlossen hatten.“


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Mittwoch, 17. Dezember 2008
Winterliche Kopfbedeckungen, heute: cultural crossover
In der S-Bahn sitzt links vor mir ein junger Mann mit einer gehäkelten Wollmütze ohne Bommel, wie sie öfter von älteren türkischen Männern getragen wird.

Wenn man einen dicken Kopf hat, ist das sehr unkleidsam.

Der junge Mann mit der Häkelmütze wird am Abend seine missmutige Freundin schwängern, die, soviel ist klar, eine Abtreibung niemals in Erwägung ziehen, sich vielmehr auf ihre katholische Erziehung besinnen, den nichtsnutzigen Freund verlassen, ins Sauerland zurückkehren und sich mit Mutter und Familie versöhnen wird, um einige Jahre später den Leiter der Getränkeabteilung des örtlichen Einkaufszentrums zu ehelichen. Sie wird zeitlebens darunter leiden, dass ihre Stimme nicht ausreichen ausgebildet wurde, so dass sie im Kirchenchor für einen Solopart nicht in Frage kommt. Möglicherweise wird sie sich eine sanft glimmende Leidenschaft für Puffreis bewahren.

Der Leiter der Getränkeabteilung träumt davon eines Tages etwas Großartiges wie das Dosenpfand zu erfinden, was ihm aber, wie den Meisten, die von etwas Großartigem träumen, nie gelingen wird. Einmal hatte er versucht mit einer Manufaktur von Giraffen, Löwen und Zebras aus Kunststoff erfolgreich zu sein, was ihm misslang. In gewisser Hinsicht hat er den Ruf, auf sauerländischen Besäufnissen, ein Partylöwe zu sein.

Sein einziger Angestellter ist ein leicht merkwürdiger junger Mann*, der mit seiner Sofortbildkamera die Käufer von Getränken zu fotografiert, obwohl der Marktleiter dies nicht gerne sieht und die Kunden in der Regel nicht bereit sind, seine Bilder zu kaufen. Er wohnt bei seiner Mutter, die an der örtlichen Volkhochschule Kurse für textiles Gestalten gibt und leicht esoterisch angehaucht ist.

Der junge Mann mit der Häkelmütze wird später in das elterliche Unternehmen eintreten und aus seiner wilden Berliner Zeit wird ihn nur seine Abneigung gegen übertriebene körperliche Hygiene in die Zukunft begleiten.
*Er trägt sein basecap mit dem Schild im Nacken und seine Hose auf halb acht.

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Freitag, 28. November 2008
Früher Abend, Kneipe
Am Nebentisch zwei Herren, Anfang 40, in blauer Arbeitskleidung.

„Drei mal war ich da: Error 33. Scheiß Ding. Die Heizung hat da irgendwo einen Fühler. Wenn die Abgaswerte zu hoch sind, schaltet er ab. Nach zwei Minuten geht die Terme wieder automatisch an, drei Mal, dann schaltet er alles ab. Wie ein Bekloppter, ich dort hin. Drei mal, in einer Woche. Aber dann: ich in die Nachbarwohnung. Dieser Asi macht Feuer in der Küche aufn Fliesen, kein Wunder, dass die Abgaswerte zu hoch sind!“
„Und?“
„Ich hab ihm gesagt: Wenn de nochmals Feuer in de Küche machst, stopp ich dir einen Error 33 in Hals. Dann war Ruhe. Jetzt läuft die Heizung einwandfrei.“

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Mittwoch, 26. November 2008
Liebe ist irgendwie anders
„Also, Schnee Ende November: ich bin dagegen!“
„Aha, und was soll ich dazu sagen?“
„Du könntest mir beipflichten.“
„Okay.“
„Na, etwas enthusiastischer könnte es schon sein.“
„Okay.“

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Montag, 17. November 2008
Wo ist die Blechschere, Meister?
"Meister?"
"Ja?"
"Wo is'n die Blechschere?"
"Herrgott, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst vor der Abfahrt von der Werkstatt die Werkzeugkiste überprüfen!"

Oberschoeneweide Kindertagesstaette in der  Griechische Allee

"Und was machen wir jetzt?"
"Dann müssen wir halt das Blech, wie es vom Hänger kommt, verarbeiten!"
"Okay, Meister."
"Ich red' dann mit den Maurern und du fängst schon mal an."
"Okay, Meister."

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