Ludwig Tieck: Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben V
g. | Freitag, 22. Oktober 2010, 07:47 | Themenbereich: 'Notate und Anmerkungen'
Er ging in das Wirtszimmer, wo man schon stark mit Essen und politischen Gesprächen beschäftigt war. Es war gerade um die Zeit, als Dumouriez sein Heer verlassen hatte, und dieser Schritt den Verstand und die Imagination aller Leute beschäftigte, man schrie und eiferte, um ihn zu verteidigen oder zu verdammen, es wurde seine Gesundheit getrunken und an einer andern Stelle auf ihn geflucht, ein Spieler schalt ihn niederträchtig und sprach mit Enthusiasmus von den hohen Pflichten der Vaterlandsliebe; ein Gelehrter, der kürzlich einen Traktat über die römischen Silbenmaße herausgegeben hatte, bewies, daß Dumouriez den ganzen Feldzug ohne die nötigen taktischen Vorkenntnisse unternommen hätte; ein anderer sprach mit Verachtung von ganz Frankreich, und war schon halb betrunken, das arme Land hatte ihm in seinem eignen Weine Waffen wider sich in den Mund gegeben.-Der angesprochene Präsident, wir ahnen es schon, wird fürderhin noch eine Rolle spielen. Warum sollte er sonst in die belanglose Abendunterhaltung so prägnant eingeführt werden?
»Aber, meine Herren, der Präsident ist völlig meiner Meinung!« rief ein kleiner untersetzter Mann hinter dem Tische hervor.
»Sehr natürlich«, antwortete der Spieler, »weil Sie immer seiner Meinung sind.«
Die ganze Gesellschaft lachte, und der kleine Mann ward rot, er wollte zu verstehen geben, daß er dem Präsidenten gar manches über die Zeitläufte unter den Fuß gebe, allein er fand kein Gehör. Je näher er die Parallele zwischen sich und dem Präsidenten zog, je deutlicher ward es den Zuhörern, daß er nichts als ein Echo seines Gönners sei, und manche spielten ziemlich handgreiflich darauf an, daß er nur durch sein Widerhallen eine einträgliche Stelle suche. Der Mann ward immer hitziger und röter, und wandte sich vorzüglich mit seinen schutzsuchenden Blicken an Siegmund, dem die Verlegenheit des aufgelaufenen Gesichts wehe tat, und der deswegen eine kleine Pause benutzte, um die Rechtfertigung des Kleinen über sich zu nehmen.-
Die Einmischung unseres Siegmund wird sich aber wohl als Fehler oder als Vorteil oder beides herausstellen.