Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Donnerstag, 28. Oktober 2010
Vivaldi im Sturmesbrausen
In Malcesine liegt eine alte Burg der Skaliger , die den Großmächten Venedig und Florenz bis Mitte des 14. Jahrhunderts das Leben schwer machten. Die Stadtverwaltung von Malcesine hat vor einigen Jahren im Schatten der Burg ein Veranstaltungszelt errichtet, das sehr schön gelegen ist. In einen der Burghöfe wurde Pylone gesetzt und über den Hof ein Zeltdach gespannt, das mit Stahlseilen fest verankert wurde. Fest? Sagen wir: ziemlich fest.



An der Bushaltestelle hatten wir das Plakat mit der Ankündigung gesehen.
Vivaldi höre ich zu Hause eher selten, aber in den Ferien, am Gardasee, in einer mittelalterlichen Burg bzw. fast schon im Freien? Klar. Und Benacus Chamber Orchestra hört sich ja seriös an. Ziemlich seriös, oder?



Der Reiseführer klärte dann darüber auf, dass die Römer den Gardasee Lacus Benacus nannten (wahrscheinlich). Himmel Hilf, ein Schülerorchester? Nein, so schlimm war es nicht.

Herbstlich war es an diesem Abend, etwas windig, aber nicht regnerisch. Eigentlich ein schöner Abend und wir dachten, dass zwei Stunden in einer alten Burg bei klassischer Musik ein gelungener Abschluss unseres Tages werden würde.

Wir waren etwas zu früh dran, die beiden netten Mitarbeiter der Stadtverwaltung bauten noch ihren Tisch auf, mussten die Programme, die Abendkasse, die Eintrittskarten, usw. auspacken und auslegen. Die Ankündigungen der nächsten Konzerte mussten noch an Tisch und Wehrmauern befestigt werden, aber nach einigen Minuten war alles bereit und wir konnten Karten kaufen und den Burgweg hinauf die wenigen Schritte bis zum überdachten Hof machen.

Noch nicht sehr viele Zuhörer. Wo ist ein guter Platz? Da vorne rechts.

Wir setzten uns. Ein Windstoß blies uns die Jacken hoch. Doch etwas kalt hier so direkt neben der Mauer, zumal anscheinend der Wind heute Abend dauerhaft vom See an den Felsen entlang in den Hof blasen wollte. Na gut, dann auf die andere Seite des Hofes.

Besser, viel besser, kaum Windböen. Das Zelt füllt sich langsam. Erstaunlich wenig Deutsche, dafür viele Briten und Amerikaner. Die Deutschen stellen zwar zwei Drittel der Touristen, hier im Konzert liegt ihr Anteil bei etwa 10% bis 15%, ein kulturloses Volk diese Deutschen.

Ein Windstoß bringt das Dach zum flattern, die Halteseile dehnen sich unter hellem Seufzen. Die Pylone, an denen das Zeltdach befestigt sind geben anscheinend etwas nach. Na ja.
Quietsch. Knarz. Knatter.

Die Musiker betreten die Bühne, das Publikum fröstelt und spendet Beifall.
Quietsch. Knarz.

Eine eloquente Dame des Fremdenverkehrsamtes begrüßt das Publikum und erzählt ein wenig über die Geschichte der Konzerte, des Orchesters und dann noch ein paar Sätze zu Vivaldi. Ganz nett, ganz informativ.
Zunächst auf Italienisch.
Quietsch. Knatter.

Dann auf Deutsch.
Knarz. Knatter.

Dann auf Englisch.
Knatter. Quietsch.

Wir klatschen Beifall und das Konzert beginnt mit dem Nachstimmen der Instrumente.
Pling, pling, pling.
Quietsch. Knarz.

Pling, pling, pling, pling.
Quietsch. Quietsch.


Ein Windstoß droht die Notenblätter im Saal zu verteilen, die Musiker greifen hektisch nach den Blättern und passen ihre Wäscheklammern den aktuellen Windverhältnissen an.
Quietsch. Knarz. Knatter.

Das Konzert beginnt.
Quietsch. Quietsch. Quietsch. Quietsch.

Die Seile bemühen sich eine Art zusätzlichen Basso continuo Vivaldi an die Seite zu stellen. Irgendwie interessant.
Quietsch. Knarz. Quietsch. Knarz.

Ein junger Mann mit Oboe betritt die Bühne und klemmt umständlich seine Noten an den Ständer.
Knatter. Knatter. Knatter.

Die Blätter fliegen auf der Bühne herum. Alle helfen beim aufsammeln. Hoffentlich kriegt er die Reihenfolge wieder hin. Geht es weiter?
In Bälde, zunächst muss dem Dirigenten und der ersten Geige die Hand geschüttelt werden.
Quietsch. Knarz. Knatter.

Jetzt aber.
Knarz. Knatter.

Nach fast jedem Takt müssen die Wäscheklammern umgesteckt werden, der Dirigent lächelt aufmunternd dem Oboenspieler und freundlich-entschuldigend dem Publikum zu.
Quietsch. Knarz. Quietsch. Knarz.

Die Flötistin kommt mit dem Wind deutlich besser zurecht als der Mann mit der Oboe.

Pause. Wir haben sie nötig und die Musiker wohl auch. Zeit für eine Zigarette.
„A wengderl anstrengend ist es aber schon?“
„Es hat aber durchaus auch seinen Scharm.“
„Ja, Vivaldi im Sturmesbrausen.“
„Stimmt.“
„Der erste Geiger, wirft seine Tolle bei jeder Bewegung des Bogens nach hinten. Jung und egozentrisch muss man sein, wenn man ein berühmter erster Geiger werden will.“
„Stimmt.“

Wir gehen wieder in den Hof.
Quietsch. Quietsch. Quietsch.

Es geht weiter.
Quietsch. Quietsch. Quietsch.

Den folgenden Komponisten kannte ich nicht: Allesandro Marcello und das Concerto in do minore natürlich auch nicht
.
Knarz. Knatter.

Zum Abschluss noch einmal Vivaldi.
Hebt das Dach ab?

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