Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Dienstag, 1. November 2011
The TV-Immigrant
Als Kind saß ich jeden Samstagnachmittag gebannt vor dem Radio. Einen Fernseher hatten wir damals noch nicht. Meine Brüder gingen an diesen Nachmittagen ins Kino, um die neuesten Fuzzyfilme zu sehen. Fuzzy mit dem doofen Hut war der Westernheld der 50er Jahre. Sein dollster Trick beim Besiegen von allerlei Bösewichtern war, völlig unsichtbar hinter einem Haus, Pferd, … zu stehen, seinen Colt am Lauf zu fassen und dann die ahnungslosen Schurken mit den schwarzen Hütten auf den Kopf zu hauen. So wurden sie niedergestreckt und die Guten konnten siegen. Ich war für derlei Gewaltexzesse nach Ansicht meiner Eltern zu klein und durfte trotz Protest und Gemaule meinerseits nicht mit ins Kino. Als Ersatz wurde das Radio eingeschaltet, das an den Samstagnachmittagen das Kinderprogramm ausstrahlte. Das Kinderprogramm ging über drei Stunden. Der größte Block darin, meist eine Stunde lang, war ein Hörspiel. Sehr selten war die Geschichte für eine Stunde zu lang. Dann wurde sie auf mehrere Sendungen verteilt, wobei jeweils zu Beginn der Abschnitt: Was bisher geschah? Gesendet wurde. So konnte man wieder leicht in die Handlung hineinkommen und auch wenn man eine Folge verpasst hatte, ließ es sich dadurch mit Genuss hören. Wahrscheinlich würden Hörspiele von einer Stunde Länge oder gar Fortsetzungshörspiele heute von keinem Redakteur mehr gebilligt. Wenn Erwachsenen schon keine Aufmerksamkeitsspanne von mehr als 2 Minuten zugebilligt wird, würden Kindern heutzutage wohl noch weniger zugetraut.

Ich jedenfalls konnte die vollen drei Stunden gebannt lauschen, gelegentlich aus der Handlung hinausträumen und selbst als Held den Geschichten eine andere Wendung geben. Wenn ich mir alles ausreichend vorgestellt hatte, fädelte ich mich wieder in die Handlung des Hörspiels ein und lauschte einfach weiter. So ging das oft zwei bis drei Mal während der Stunde. Den Faden aufnehmen, weiterspinnen, zurückkehren in die Vorgabe und bei interessierender Gelegenheit wieder seine eigene Geschichte aus dem Gehörten machen.

Ich liebte diese Hörspiele.

Einige Jahre später stand dann auch bei uns ein Fernseher und allem Neuen, allem Fortgeschrittenen neugierig zugetan, glotzten wir TV, dass es eine wahre Freude war. Später kam dann noch bunt hinzu. Ich habe allerdings Jahre gebraucht, um die Flimmerkiste wenigstens in Ansätzen so zu gebrauchen wie das Radio. Nur bei besonders langweiligen Sendungen, wenn ich mit einer mittelschweren Erkältung im Bett liege gelingt mir das. Die Kombination von Bild und Ton nimmt anscheinend so viel Aufmerksamkeit in Anspruch, dass man sich nicht hinaus treiben lassen kann.

So richtig warm bin ich mit der Glotze nie geworden.

In der Regel benutze ich sie, wenn ich einen bestimmten Film sehen möchte, also wie ein Kinobesucher oder zur Aufnahme von Informationen, die dann allerdings sehr viel seltener ihren Eingang in das Langzeitgedächtnis finden als bei einem Buch. Zum Dritten ist die Glotze unübertroffen, um nach des Tages Mühsal abzuschalten (Kauende Elefanten). Da kann dieses Internet, von dem man in letzter Zeit so viel hört, einfach nicht mithalten.

Ideal hingegen sind Blogs und manche Online-Zeitschriften zum prokrastinieren oder grosse Textmengen nach Stichworten zu durchsuchen. Nichts schöner als durch die Weltgeschichte zu surfen, mal hier mal da zu lesen, einen Gedanken aufzuschnappen, dazu etwas notieren oder eine Information aufzunehmen und irgendwo abzulegen und nie wieder zu finden. Verblüffenderweise ist es relativ aufwändig, nervtötend und zeitraubend umfangreichere Sachinformationen aufzuspüren. Ich habe beispielsweise versucht einen Überblick über afrikanische Literatur zu gewinnen (Wenn man keine Ahnung hat, kann man sich ja mal damit beschäftigen. Dachte ich.). Entsprechende Suchanfragen im Netz führten zu einer Fülle von Meinungen zu Einzelaspekten, nicht jedoch zur gewünschten Zusammenstellung. O.k. vielleicht hat das Thema einfach noch niemand bearbeitet und zur Verfügung gestellt? Aber auch einigermaßen seriöse Überblicksdarstellungen zur Aufklärung oder zu liberalen Denktraditionen sind Mangelware. Die Dinge die man zu den Themen findet, sind dann wissenschaftliche Aufsätze von 20 bis 30 oder mehr Seiten Länge. Können Sie einen längeren Aufsatz am Bildschirm lesen? Ich nicht. Ich drucke das Teil dann aus und nehme mir einen Bleistift. Ich bearbeite es also auf sehr traditionelle Weise. Ich bekenne: Ich bin ein Internetausdrucker. Zumindest was längere Texte anbelangt. Aber wie soll man sich zu einem Gegenstand kundig machen, ohne längere Texte zur Kenntnis zu nehmen? Das geht nicht, denke ich. Ich glaube nicht, dass es nur mir so geht, dass ich die Struktur, den logischen Aufbau, einschließlich eventueller Schwächen daselbst, eines längeren Textes am Bildschirm nur unvollständig erfassen und bewerten kann. Zumindest ist es sehr mühsam, zeitaufwändig und fehleranfällig. Und nein, Gogglebooks ist keine Alternative zu einer einigermaßen gepflegten Fachbibliothek.
Wer Medien nicht in der Weise nützt, die ihnen adäquat sind, die Stärken und Schwächen nicht reflektiert, ist ein Spacko, Schwachmat, ein Laberkopf.

Warum ich das erzähle?
Weil ich mich gelegentlich wundere mit welcher depperten Arroganz ausgerechnet die Leute, deren Fähigkeit Texte von mehr als zehn Zeilen zu erfassen, höchst beschränkt ist, sich durch die Gegend faseln. Und weil ich mich frage, ob es am Medium oder an dem Herumhektiken (Ist ja alles so schön bunt hier!) mancher Leute liegt, dass sie längere Texte nicht lesen oder nicht verstehen wollen.

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