Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Montag, 7. November 2011
Mon oncle,
der – wie er immer zu uns sagte – a Tschech war, kam mit der neuen Zeit nicht zurecht. Mit neuer Zeit meinte er die 60er Jahre in der Bundesrepublik. 1973 ist er dann mit 81 oder 82 Jahren gestorben, wenn ich mich recht erinnere. Er hieß Adolf (für den unaufmerksamen Leser: nein, seine Eltern haben ihn nicht nach dem Österreichischen Anstreicher benannt. Als er geboren wurde war der Adolfnazi noch kein berühmter Mensch.) Geboren in Kakanien, aus einer kaisertreuen Familie stammend, war ihm diese Streiterei der Parteien und insbesondere diese Studentenbewegung fremd. Er hatte in zwei Weltkriegen gekämpft oder eigentlich nicht gekämpft, denn er war ein sehr sanfter Mensch, der eigentlich nur mit Leuten reden, der Geschichten erzählen und von anderen Geschichten hören wollte. Er hatte eine Reihe unterschiedlicher Regierungen mit unterschiedlichen Ideologien und unterschiedlichen Zielen kennen gelernt und eine war ihm so Wurst wie die andere. Er gehörte im Laufe seines Lebens verschiedenen Nationen an und hatte gelernt, dass es unklug war, sich in dieser Frage dauerhaft festzulegen. Er tat still und ohne Diskussionen das, von dem er annahm, dass es von ihm erwartet wurde. Er ging wählen, weil das alle taten. Zu anderen Zeit ging er halt nicht wählen. Es war ihm egal.

Er arbeitete nur genau so viel, dass er nicht auffiel. Wenn dieses Maß erreicht war, unterhielt er sich mit seinen Kollegen und wenn ein Vorgesetzter meinte, nun sei es aber gut, arbeitete er weiter, um dann eine Stunde später wieder mit jemanden ein Gespräch zu beginnen.

In den beiden Weltkriegen war er – zumindest erzählte er so davon – intensiv damit beschäftigt, nichts zu tun. Nach seinen Erzählungen schien er es geschafft zu haben, immer weit ab von Kampfhandlungen in den jeweiligen Etappen, Urlaubsscheine auszustellen, Kleidung zu verwahren oder irgendetwas zu bewachen. Er konnte kenntnisreich über die Verpflegung der verschiedenen Armeen erzählen. Am Besten sei sie in der tschechoslowakische Armee gewesen. Uns Kinder interessierte das nicht. Er sprach nie darüber wie er zu seiner labilen Gesundheit gekommen war. Vielleicht hatte es mit dem Heraushalten doch nicht immer perfekt geklappt?

Als Kind mochte ich ihn nicht, weil er schrecklich nach billigen Zigarren roch. Das Zeug hieß 10er-Stumpen, weil das Stück einen Groschen kostete.

Meine Tante hatte er 1943 (?) in Prag kennen gelernt. Wie meine Tante nach Prag kam und wieso Onkel Adolf zum Volksdeutschenwurde, so dass sie problemlos heiraten konnten, weiß ich nicht. In dieser Region mendelte sich über die Jahrhunderte ja so einiges zueinander. Er sprach deutsch mit starkem Akzent. ( „Ols dann die Deitschen noch Prag kommen, bin ich ja auch a Deitscher worn. War gar nicht schlecht, mecht ma sprechen. Net so scheen wie jetzt hier, aber ganz gut.“ )
Er hatte sich sein ganzes Leben den jeweiligen Umständen angepasst und er hatte das Pech immer in einem einigermaßen passenden Lebensalter zu sein und so für die Armeen der jeweiligen Zeiten zumindest so weit passend zu sein, dass er mitmachen musste.

An Onkel Adolf musste ich denken als Samstagnachmittag die Dokumentation über Siegfried Müller auf Arte wiederholt wurde. Unterschiedlicher können zwei Menschen, die in der gleichen Zeit gelebt haben und die die meiste Zeit ihres Lebens Soldaten waren, nicht sein. Wenn Sie sich die Dokumentation über Siegfried Müller antun wollen, können Sie das auf auf der Tube tun. Man braucht dafür allerdings einen starken Magen.

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