Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Montag, 14. November 2011
Über e-reader
oder Close Encounters of the Third Kind
Dieser Verführer da hat mich zu Venus oder Merkur oder Neptun oder so ähnlich getrieben. Dafür sei ihm eine zusätzliche Runde im Fegefeuer gegönnt. Aber schließlich will man ja mitreden können und nicht nur so irgendwie dagegen oder dafür sein in den Schlachten um die Deutungshoheit über die Wunder der Mechanisierung oder Digitalisierung. (Da linke ich besser nirgendwo hin, womöglich kriegt man den morbus seemannn von.)

Wo waren wir? Ach ja richtig. Ich ging also zu einem dieser Händler, die von Waschmaschinen über Taschentelefone bis hin zu Klapprechnern so alles anbieten, was elektrisch funktioniert. Ich dachte mir, dass die eben eine breitere Palette an Geräten anbieten und das ich dann so ein bischen vergleichen könnte. Dachte ich mir und dachte falsch. Irgendwie ist der Kapitalismus auch nicht mehr das, was er einmal war.

Es waren drei Geräte ausgestellt, die laut Preisschild e-reader sein sollten. Das erste war ein Tablett mit kleinem Bildschirm ( „Es bietet zusätzlich die Möglichkeit auch Bilder und Videos anzugucken.“ sagte der Verkäufer), das zweite arbeitete zwar mit e-ink-Technologie, stürzte aber sofort ab, wenn man ein Buch laden wollte ( „Ich weiß auch nicht, warum es nicht funktioniert. Es hat irgendwie eine Macke.“ sagte der Verkäufer und sah mich treuherzig an. Ich sah treuherzig zurück. Er machte keine Anstalten ein funktionierendes Gerät zu holen.), das dritte Gerät funktionierte prima und war mit einem Menu ausgestattet, aber nicht mit e-books. Na ja, könnte man sich ja vorstellen, also wie ein e-reader so mit e-books funktionieren würde, wenn es welche im Speicher gäbe (ich habe den Verkäufer zu diesem Gerät nichts weiter gefragt und so hat er auch nichts weiter dazu gesagt). Ich habe dann den Verkäufer nach dem Kindle oder Kaindel oder wie man das ausspricht fragen wollen. Er sah mich an, als hätte ich ihm in den Schritt gefasst.
„Wir sind hier bei S. und nicht bei A.“ „Nun gut“, sagte ich, „so genau habe ich mich nicht damit beschäftigt. Ich habe halt einen Erfahrungsbericht im Netz gelesen (hier und hier) und da wolle ich mir mal einige Geräte ansehen und vergleichen.“

Er sah mich treuherzig an.

Ich wartete darauf, dass er mir erkläre, dass sie den Kindle nicht führen, weil er exklusiv von einer anderen Firma vertrieben werde, sie aber folgende Geräte im Angebot hätten und dass diese die folgende Vor- und Nachteile hätten. Er sah mich weiterhin treuherzig an und wollte dann von mir wissen, wie viel denn der Kindle so kosten würde? Ich gab ihm nach bestem Wissen Auskunft, nämlich dass ich keine Ahnung hätte und mich für Preise erst interessieren würde, wenn ich herausgefunden hätte, ob ich so ein Gerät überhaupt will und welche Vorteile und Nachteile die Geräte der verschiedenen Hersteller denn so hätten.

Er sah mich treuherzig an.

Nun gut, dachte ich so für mich hin, man könnte natürlich jetze einen anderen dieser pickligen Jungs befragen, aber ich habe ja schon öfter mit pickligen Jungs zu tun gehabt, die einem zu verstehen geben, dass man, ohne sich vorher eingehend beispielsweise mit Anschlusskabeln für Digitalfernseher beschäftigt zu haben, so ein Elektrikgeschäft besser nicht betritt. Also besser nicht. Ich sagte also zu ihm:
„Ich habe von einem e-book-reader von der Firma S. gehört, der ganz gut sein soll?“
„Da muss ich mal gucken, ob wir den schon vorrätig haben.“
Sprachs und verschwand an seinen Kombuter, suchte und wurde fündig. Es ist gut, wenn die jungen Leute an ihren Kombutern was finden.
„Soll ich den für Sie aus dem Lager holen?“
„Das wäre sehr nett. Ich würde ihn mir gerne anschauen.“
„Welche Farbe soll es denn sein?“
„Das ist mir zunächst völlig Wurst. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob so ein e-reader überhaupt interessant für mich ist.“
„Sagen Sie das nicht.“
sagte er und wollte zu einer längeren Rede über Gerätefarben ansetzen.

Ich sah ihn treuherzig an.

„Soll ich einen schwarzen oder einen in Metallic Look holen?“
„Das ist mir egal, wie gesagt, ich will zunächst ...“
„Aber Sie müssen doch wissen, was Sie wollen?“
„Nehmen Sie einfach den, der als erstes auf dem Stapel liegt.“

Grummelnd zog er ab und kam nach einer Minute mit einem roten Gerät zurück. Mir war es recht.
„Soll ich es auspacken?“
„Das wäre sehr freundlich.“

Grummelnd öffnete er den Karton.
„Der S. ist noch nicht ausgestellt. Er wurde erst heute morgen geliefert.“ Ich nickte, er packte aus und drückte mir den Reader in die Hand.
„Nächste Woche ist er wahrscheinlich schon ausverkauft.“ sagte er. Ich sagte nichts, nickte freundlich und schaltete den Reader ein.
Menu okay, schlicht und selbsterklärend. Display okay, klar und scharf. Schriftbild okay, auch für längeres Lesen geeignet. Ich lud eines der drei installierten e-books. Darstellung okay, etwa eine Taschenbuchseite groß. Der geladene Roman war ein Krimi aus skandinavischer Standardproduktion. 250 Seiten. Ich blätterte durch den Roman, mal hier mal da einige Sätze lesend. Okay, angenehm. Um was geht es eigentlich in dem Roman? Zurückblättern, die Taste für das Menu findend, dann auch die Taste zum Anfang des e-books. Kein Inhaltsverzeichnis. Na okay, nicht jeder Roman hat eine Kapiteleinteilung. Ein anderes e-book geladen, kein Roman, irgend ein amerikanischer Standardschund über Männer und Frauen, die irgendwie so oder anders seien, diesmal mit Inhaltsverzeichnis. Der Verkäufer guckt in der Zwischenzeit treuherzig und wartet zunehmend genervt. Wahrscheinlich fragt er sich, ob ich kaufen werde oder nicht, ob sich ein Gespräch mit mir lohnt oder nicht. Sein Gesichtsausdruck sagt: Hoffentlich komme ich hier bald weg: Der Typ ist ja ätzend.
Um sich die Zeit zu vertreiben, erzählt er mir etwas über die Verkaufszahlen des Vorgängermodells. Sie seien sehr gut gewesen. Diese Information hatte ich noch nicht und nicke ihm zu.

Also: Haptik scheiße. Ein dünnes Plastiktäfelchen, das einen zwingt dieses halbe Taschenbuch zwischen Daumen und Zeigefinger krampfend fest zu klemmen. Vor und zurück zu blättern, wenn es nur um eine oder zwei Seiten geht: okay. Zum Anfang finden: okay, wenn das Inhaltsverzeichnis mehrere Seiten umfasst ist es nicht so intuitiv wie bei einem gedruckten Buch die gewünschte Stelle zu finden, um sich einen Überblick über das Buch und seinen Inhalt zu verschaffen oder wieder ins Gedächtnis zu rufen, aber auch kein Drama. Was ich schon ahnte: E-Books zwingen zum sequenziellen Lesen, daher sind sie für komplexe Romane, die nicht linear erzählen und/oder ein umfangreicheres Figurenensemble haben, nicht geeignet. Komplexe wissenschaftliche Texte sind aufgrund des behinderten Überblicks über Argumentationsstrukturen wohl auf dem e-reader nicht sinnvoll zu lesen bzw. behindern das Verständnis.

Vorteil: ganz klar, man kann auf dem Teil mehrere hundert Texte mit sich schleppen. In Texten herumstöbern: leichter, angenehmer, schneller als im Netz oder Bücherschrank. Suchen nach Textstellen: solange man einen charaketeristischen Begriff parat hat, genau so unproblematisch wie im Netz, in dieser Hinsicht dem Bücherschrank oder einer Bibliothek weit überlegen. Die Suche nach Textstellen, die einem nur so ungefähr in Erinnerung sind, also der Art: In Wielands Abderiten gab es doch diese Rede von ‚wie hieß der noch mal’ über Demokrit. Von diesem griechischen Arzt vor der Ratsversammlung. Das war im dritten oder vierten Buch oder doch früher? Na, es fing auf jeden Fall unten rechts an und war in viele, relativ kleine Absätze geteilt, mit vielen K’s in Fraktur. Die Suche nach so erinnerten Textstellen ist auf dem Reader genaus so schwer wie im Netz. Wenn man den Titel des Textes nicht mehr weiß, also nur: ein modernerer Autor, aus einem Kleinverlag, den hab ich doch damals in den wilden 70ern, grüner Einband mit einem Aufkleber, dann kann man suchen und blättern wie man will. Weder im Netz noch in einer digitalen Bibliothek wird man da etwas finden. Aber okay, man kann nicht alles haben.

Wörterbücher kann man laden, wohl auch Übersetzungsprogramme, die ich nicht brauche und die nicht sinnvoll sind. WLAN-Anschluss vorhanden, für schnelles Nachladen zusätzlicher Bücher okay, Internetrecherche nicht möglich. Okay, man kann nicht alles haben. USB-Schnittstelle vorhanden.

Die Funktion zur Texteingabe habe ich nicht sofort gefunden und musste mich von Pickelgesicht daher darüber belehren lassen. Die eingeblendete Tastatur ist für einzelne Wörter, bestenfalls für Halbsätze tragbar, angenehm ist was anderes. Die Funktion zur Textmarkierung um Zitate zu kennzeichnen fand ich auch nicht. Pickelman fuhrwerkte mit einem und dann mit zwei Fingern so lange herum, bis er es geschafft hatte. Oh je, oh je, soll ich unter die Wischer und Grabbler gehen? Ich bekomme ja schon Anfälle, wenn ich die Schnösel digital natives in der Bahn hingebungsvoll ihre Ipfphones traktieren sehe. Da ist dann mein Distinktionsbedürfnis doch geweckt.

Ein zufällig vorbei kommender Kunde sagte mir dann, dass zum Lieferumfang auch ein Stift gehöre, der das Markieren und die Eingabe von Anmerkungen deutlich angenehmer mache. Leider hat das Gerät keine Führung, um den Stift direkt am Gerät zu verstauen. Ich habe natürlich sofort danach gesucht. Na okay, dann sucht man das Teil halt irgendwo auf dem Küchentisch. Irgendwo ist sind sie immer. Der Pickel nickte dazu und wollte sich dem neuen Kunden zuwenden, wenn ich nicht noch Fragen hätte. Hätte ich noch Fragen haben sollen? Jedenfalls erzählte mir der Kunde, dass er sich noch eine Hülle dazu gekauft hätte. Mit der Hülle sei das Gerät sehr viel angenehmer zu halten, erst dadurch sei ein Lesegenuss überhaupt möglich, weil man nur so das Ding vernünftig in der Hand halten könne. Er wäre nach anfänglicher Ablehnung inzwischen begeistert. Keine zehn Bücher mehr im Gepäck, Lesen am Strand auch bei Sonnenlicht völlig unproblematisch, eine rundum angenehme Sache. Und das Display des S., auch schon bei seinem Vorgänger, den er in Gebrauch habe, sei einfach das Beste, was es derzeit auf dem Markt gäbe. Der S. sei zwar etwa teuerer, die Qualität aber überzeugend. An dieser Stelle hatte ich den Eindruck, dass er ein Verkäufer der gleichen Firma ist, der nur an diesem Abend keinen Dienst hatte. Ohne-Pickel-Mann beriet mich dann noch geduldig, ohne den Pickelbuben mit seinen Wünschen weiter zu behelligen. Dieser war dankbar dafür und ich dachte, dass es nun aber genug sei und verließ das Geschäft.

„Sie können ja noch mal eine Nacht drüber schlafen!“ rief mir Prickelpit noch hinterher.
Das habe ich dann getan: „Bin ich für, muss aber nich sein!“

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