Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Mittwoch, 7. Juli 2010
Der Grenzverletzer
Als Berlin noch geteilt war und die Frauen schön (die hässlichen haben Svende Merian gelesen), bin ich gelegentlich nach Ostberlin gefahren. Man fuhr mit der U-Bahn unter der DDR hindurch bis zur Friedrichstraße und hatte schon ein gewisses Unsicherheitsgefühl. Tote Bahnhöfe mit grimme guckenden Angehörigen der Grenztruppen vor zugemauerten Bahnhofszugängen. Im Bahnhof Friedrichstraße wurde man dann über schwer durchschaubare Wege in die Grenzübergangsstelle der DDR geführt. Bekannte von mir, die Freunde oder Verwandte in Ostberlin hatten, behaupteten, dass man nach dem zwanzigsten Besuch das Gefühl der Desorientierung in dieser Halle verlieren würde. Mir gelang das nie. Danach ging es in einen Hohlweg, einen mit einem seltsamen Kunststoff eingekleideten Tunnel zur Einreiseschleuse. Damals wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass es sich schlicht um Resopal handelt. Dieser Tunnel war eng, sehr eng und verstärkte noch das Gefühl einer unbestimmbaren Gefahr. Die Farbe des Kunststoffes war grün-gelb-braun, er war an vielen Stellen abgeplatzt und durch die Massen an Besuchern und Touristen in einem Ausmaß schmuddelig, dass man meinte in einer Bedürfnisanstalt zu sein. Es stank widerwärtig nach Putzmittel, vergammelndem Holz und dem Schweiß von Millionen.

In der Einreiseschleuse versuchte man als erfahrener Reisender die Zahl der Sterne auf den Schulterklappen zu erkennen. Ein Stern auf der Schulter einer Frau war furchtbar, ein älterer Mann mit drei Sternen versprach einen zügigen Durchgang.
Dieses Glück hatte ich am Bahnhof Friedrichstraße nie.

Einer vor, die anderen nachrücken. Warten. Einer vor, nachrücken und warten. In die Kabine linsen: eine einsternige Frau! Einer vor, nachrücken und warten. Einer vor, nachrücken und warten.

Im Geiste ging man die Fragen durch, die einem bald gestellt würden: „Waffen, Funkgeräte, Sprengstoff?“ Ernst und wenn es möglich war, etwas devot „Nein!“ antworten. „Presseerzeugnisse?“ Hab’ ich zuhause alle meine Taschen kontrolliert? Flugblätter diverser Gruppierungen, die zum Anzünden des Kachelofens widerspruchlos angenommen und in die Taschen gestopft wurden, aus Mantel, Jacke und Hose herausgenommen? Einer vor, nachrücken und warten. „Besuchen Sie Bekannte in der Hauptstadt der DDR?“ Einer vor, nachrücken und warten.

Ich habe immer den gleichen Fehler gemacht und mich immer gefragt, ob ich blöde oder unrettbar renitent bin.

Man durfte nämlich nicht einfach, wenn der Vorgänger durch war, an den Guckkasten treten und seinen Ausweis und das Visum vorzeigen. Etwa drei Meter vor dem Schalter war ein dicker Strich auf dem Boden. Vor diesem Strich musste man warten, bis der Kontrolleur einen von Kopf bis Fuß gemustert hatte und das Zeichen zum Herantreten gab. Dazu war ich einfach nicht in der Lage. Kaum war mein Vorgänger einen Schritt weitergegangen, bin ich nach Vorne und wollte es hinter mich bringen.

Aus dem Lautsprecher schepperte eine Stimme: „Sofort hinter den Strich zurücktreten!“
Die anwesenden Soldaten fassten ihre Knarren etwas fester und fixierten mich. Zurück hinter den Strich, ein neutrales Gesicht machen und sich examinieren lassen. Das Handzeichen, vortreten. Sollte ich mich entschuldigen? Ach leckt mich doch.
Weitere prüfende Blicke, der Fragenkatalog wird abgearbeitet. Ich antworte, einigermaßen neutral, devot krieg ich nicht hin.
„Ist es in der BeErrDee nicht bekannt, dass man sich an die Grenzregularien anderer Staaten zu halten hat?“
„Doch, doch, aber ich habe halt nicht daran gedacht.“
„Sollten Sie nochmals in die Hauptstadt der DDR einreisen wollen, halten Sie sich gefälligst daran. Sie haben sich einer Grenzverletzung schuldig gemacht. Seien Sie froh: Dieses Mal werden wir noch keine Maßnahmen ergreifen.“
„Äh ja, okay!“
Ich habe immer den gleichen Fehler gemacht, die Reaktionen waren immer gleich in dieser speziellen Mischung aus Einfordern von Unterwerfung und anschließendem pädagogischem Traktat. Ach leckt mich doch.

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