Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Mittwoch, 12. Mai 2010
Familiengeschichte IV
Der andere Großvater, 1897 geboren, war im passenden Alter, um von 1916 bis 1918 auf irgendwelche Franzosen, die er nicht kannte und die ihm nichts getan hatten, zu schießen. Das hat ihm nicht gefallen und so wurde er Sozialdemokrat, ob er bei der Revolution 1918/19 mitgemacht hat, weiß ich nicht, er wurde aber daraufhin Republikaner. Etwa 1920 fing er als Streckenarbeiter bei der Reichsbahn an und wurde einige Jahre später Vorarbeiter, um dann 1931 oder 1932 im Stellwerk des örtlichen Bahnhofes, als stellvertretender Leiter den Gipfel seiner Karriere zu erreichen. Ein regelmäßiges Einkommen während der Wirtschaftskrise war für einen Familienvater nicht zu verachten.

Am 1. Mai 1933 sollten alle die Hakenkreuzfahne hissen. Er holte seine SPD-Flagge aus dem Schrank und hängte sie vor die Haustüre. Am nächsten Tag kam ein Arbeitskollege zu ihm und sagte:

„Wenn du das nächstes Jahr noch ein mal machst, kommen wir dich besuchen.“

Der Arbeitskollege war Mitglied in einem SA-Sturm. Daraufhin hat Opa das Flaggenhissen gelassen und sich auf gelegentliche Schimpfereien beschränkt, er war kein Widerstandskämpfer und schon gar kein Held.

Ein Eigensinniger, ein Eigenbrötler und anarchischer Rebell war er Zeit seines Lebens und als er Anfang der 70er Jahre in Rente ging, war er zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben mit der Regierung einverstanden.

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