Der hinkende Bote

Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten

Donnerstag, 20. August 2009
Georg Forster: Reise um die Welt 42
(Aufenthalt im Haven O-Aitepieha auf der kleinen Halb-Insel O-Tahiti – Ankern in Matavai-Bay)
“In diesem friedlichen Aufzuge gelangten wir nun an eine geräumige Hütte, in welcher eine zahlreiche Familie beysammen war. Ein alter Mann, aus dessen Blicken Friede und Ruhe hervorleuchtete, lag auf einer reinen Matte und sein Haupt ruhte auf einem Stuhle, der ihm zum Küssen diente. Es war etwas sehr Ehrwürdiges in seiner Bildung. Sein silbergraues Haar hieng in vollen Locken um das Haupt her, und ein dicker Bart, so weiß als Schnee, lag auf der Brust. In den Augen war Leben, und Gesundheit sas auf den vollen Wangen. Der Runzeln, welche unter UNS das Antheil der Greise sind, waren wenig; denn Kummer, Sorgen und Unglück, die UNS so frühzeitig alt machen, scheinen diesem glücklichen Volke gänzlich unbekannt zu seyn. Einige Kinder, die wir für seine Gros-Kinder ansahen, der Landesgewohnheit nach ganz nackend, spielten mit dem Alten, dessen Handlungen, Blicke und Minen augenscheinlich bewiesen, wie Einfalt des Lebens, die Sinnen bis ins hohe Alter bey vollen Kräften zu erhalten vermag. Einige wohlgebildete Männer und kunstlose Dirnen hatten sich um ihn her gelagert und bey unserm Eintritt schien die ganze Gesellschaft, nach einer ländlich frugalen Mahlzeit, im vertraulichen Gespräch begriffen zu seyn. Sie verlangten, daß wir uns auf die Matten neben sie setzen mögten, wozu wir uns nicht zeymal nöthigen ließen. Es schien, als hätten sie noch keinen Europäer in der Nähe gesehen, wenigstens fiengen sie sogleich an, unsre Kleidungen und Waffen neugierigst zu untersuchen, doch ließ ihr angebornes flatterhaftes Wesen nicht zu, länger als einen Augenblick bey einerley Gegenstande zu verweilen. Man bewunderte unsre Farbe, drückte uns die Hände, konnte nicht begreifen, warum keine Puncturen darauf waren und daß wir keine langen Nägel hätten. Man erkundigte sich sorgfältig nach unsern Namen und machte sich eine Freude daraus, sie mehrmalen nachzusprechen. Dies kam aber, der indianischen Mundart nach, allemal so verstümmelt heraus, daß selbst Etymologisten von Profeßion Mühe gehabt haben würden, sie wieder zu erathen. FORSTER ward in MATARA verändert; HODGES in OREO; GRINDALL in TERINO; SPARMANN in PAMANI, und GEORG1 in TEORI. An der Gastfreyheit, die wir in jeder Hütte fanden, fehlte es auch hier nicht; man both uns Cocos-Nüsse und E-VIHS an, um den Durst zu löschen, und der Alte ließ uns oben drein eine Probe von den musicalischen Talenten seiner Familie hören. Einer von den jungen Männern blies mit den Nasenlöchern eine Flöte von BAMBUSROHR, die drey Löcher hatte und ein andrer sang dazu. Die ganze Music war, sowohl von Seiten des Flötenspielers als auch des Sängers, nichts anders als eine einförmige Abwechslung von drey bis vier verschiednen Tönen, die weder unsern ganzen, noch den halben Tönen ähnlich klangen, und dem Werth der Noten nach, ein Mittelding zwischen unsern halben und Vierteln seyn mochten. Übrigens war nicht eine Spur von Melodie darinn zu erkennen; eben so wenig ward auch eine Art von Tact beobachtet, und folglich hörte man nichts als ein einschläferndes Summen. Auf diese Weise konnte die Music das Ohr freylich nicht durch falsche Töne beleidigen, aber das war auch das beste dabey, denn lieblich war sie weiter eben nicht zu hören. Es ist sonderbar, daß, da der Geschmack an Music unter alle Völker der Erde so allgemein verbreitet ist, dennoch die Begriffe von Harmonie und Wohlklang bey verschiednen Nationen so verschieden seyn können.“

1 “Der jüngere Herr FORSTER ließ sich, zum Unterschied von seinem Herrn Vater bey diesem Vornamen nennen. A.d.V.”
(Forster S. 271/2)
Zuerst der edle, dann der pittoreske Wilde, unzivilisiert aber glücklich.

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